JudikaturJustiz3Ob173/08z

3Ob173/08z – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Michael Schwarz, Rechtsanwalt, St. Pölten, Brunngasse 12/2, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der K***** GmbH, *****, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, wider die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 14 16, vertreten durch Dr. Peter Resch, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 101.370,37 EUR, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2008, GZ 3 R 26/08b 20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 4. Jänner 2008, GZ 4 Cg 207/04g 16, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Berufungsentscheidung wird im angefochtenen Umfang im klagestattgebenden Sinn abgeändert.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 83.498,35 EUR samt 4 % Zinsen pa seit 4. August 2004 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 5.589,70 EUR (darin 762,88 EUR USt und 1.775,30 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit 1.898,11 EUR (darin 316,35 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 6.762,74 EUR (darin 347,79 EUR USt und 4.676 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei den mit 631,26 EUR bestimmten Anteil an der Pauschalgebühr des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das 1998 gegründete nun gemeinschuldnerische Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH war in der Baubranche tätig und betrieb einen Abholmarkt für Baustoffe. Über ihr Vermögen wurde am 27. April 2004 der Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt.

Aufgrund einer Anzeige eines ehemaligen Mitarbeiters kam es am 27. August 2003 bei der nunmehrigen Gemeinschuldnerin (im Folgenden nur: Gemeinschuldnerin) zu mehreren Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen von Geschäftsunterlagen wegen des Verdachts der vollendeten Abgabenhinterziehung. Ein Betriebsprüfer des zuständigen Finanzamts erhielt am 28. August 2003 den Prüfauftrag in Ansehung hinterzogener Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer, eine Kollegin des Finanzamts aber gemäß § 86 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) zur Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung. Diese Prüferin informierte die beklagte Gebietskrankenkasse über die gemeinsame Bedarfsprüfung. Der Betriebsprüfer führte die Prüfung zwischen dem 27. August 2003 und dem 12. März 2004 durch und erstattete seine Abschlussberichte am 9. und 10. März 2004, die zur Erlassung der Bescheide des Finanzamts vom 11. März und 15. März 2004 führten, mit welchen der nunmehrigen Gemeinschuldnerin Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuernachzahlungen von 173.023,20 EUR vorgeschrieben wurden. Seine Kollegin führte in der Zeit zwischen dem 28. August 2003 und dem 19. März 2004 eine Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung durch, die auf den Berechnungen des Betriebsprüfers aufbaute. Aufgrund ihres Abschlussberichts vom 19. März 2004 wurden der Gemeinschuldnerin mit Bescheid von diesem Tag Lohnsteuernachzahlungen sowie Nachzahlungen von Dienstgeberbeiträgen samt Säumniszuschlägen von zusammen 275.712,30 EUR auferlegt. In der Zeit zwischen September und Dezember 2003 hatte der Steuerberater der Gemeinschuldnerin Gespräche mit den Prüfern des Finanzamts und dessen Vorstand über allfällige Nachlässe geführt. Am 26. März 2004 wurde sein Vorschlag, die Steuerschuld um 80 bis 90 % oder doch zumindest um 70 % zu vermindern, von der Leiterin des Finanzamts abgelehnt. Wenn für die angeführten Nachforderungen Rückstellungen vorgenommen wären, wäre die Gemeinschuldnerin spätestens am 28. Oktober 2003 auch bilanziell überschuldet gewesen. Ohne Nachlässe des Finanzamts von zumindest 70 % hätte das Unternehmen bereits damals nicht weitergeführt werden können.

Die Gemeinschuldnerin zahlte der beklagten Partei am 28. Oktober 2003 15,77 EUR, am 30. Oktober 2003 24.142,20 EUR, am 20. November 2003 65,44 EUR und 25.170,55 EUR, am 11. Dezember 2003 34.185,60 EUR, am 3. Februar 2004 4.199,87 EUR, am 12. Februar 2004 2.160,40 EUR, am 23. Februar 2004 4.600 EUR, am 15. März 2004 2.230,54 EUR und am 17. März 2004 4.600 EUR. Die beklagte Partei führte gegen die Gemeinschuldnerin zur Hereinbringung vorgeschriebener Sozialversicherungsbeiträge niemals Exekution. Seit zumindest 2001 gab es zwar immer wieder kurzfristige Beitragsrückstände, doch reichten Mahnungen aus, um die Gemeinschuldnerin zur Tilgung ihrer Schulden zu veranlassen. Nach der Hausdurchsuchung leistete die Gemeinschuldnerin ihre Beitragszahlungen pünktlich oder mit geringer Verspätung. Nur in Ansehung der Vorschreibung für Dezember 2003 von 12.910,87 EUR wurde eine Ratenvereinbarung getroffen, die die Gemeinschuldnerin einhielt. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung belief sich der Beitragsrückstand auf 1.991,66 EUR.

Die am 3. November 2004 beim Erstgericht eingelangte, auf § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO gestützte Anfechtungsklage richtete sich gegen die Zahlungen vom 28. Oktober 2003 bis zum 17. März 2004. Begehrt wurde die Zahlung dieser Beträge (zusammen 101.370,37 EUR) an die Masse. Der Kläger brachte im Wesentlichen vor, dass dem Finanzamt bereits zum Zeitpunkt der Überreichung des Jahresabschlusses 2002 am 4. Juli 2003 die Überschuldung der Gemeinschuldnerin bekannt gewesen sei, nachdem sich in der Bilanz 2000 ein Bilanzverlust von 94.605,30 EUR, in der Bilanz 2001 zum 31. Dezember 2001 ein Verlust von 12.414,99 EUR und in der Bilanz 2002 zum Stichtag 31. Dezember 2002 nur ein Bilanzgewinn von 1.375,16 EUR ergeben habe und gleichzeitig das Stammkapital von 500.000 ATS bereits aufgezehrt gewesen sei. Nach der Strafanzeige wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, den durchgeführten Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme von Urkunden seien letztlich Steuernachzahlungen von 400.000 EUR vorgeschrieben worden, die zur Insolvenz geführt hätten. Dem Finanzamt sei spätestens zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchungen die Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung des gemeinschuldnerischen Unternehmens bekannt gewesen. Die Kenntnis der Mitarbeiter des Finanzamts sei der beklagten Partei zuzurechnen. § 86 Abs 1 EStG halte ausdrücklich fest, dass bei Durchführung einer Lohnsteuerprüfung gleichzeitig eine Sozialversicherungsprüfung stattzufinden habe. Bei Durchführung dieser Prüfung sei das Prüfungsorgan des Finanzamts Organ des sachlich und örtlich zuständigen Krankenversicherungsträgers. Mit dem Prüfauftrag vom 28. August 2003 seien die Prüfungsorgane des Finanzamts Organe der beklagten Partei. Ihr Wissen sei der beklagten Partei zuzurechnen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Anfechtungsklage. Sie habe bis zur Konkurseröffnung über die wirtschaftliche Lage und finanzielle Entwicklung des Unternehmens keine Kenntnis gehabt. Die Organe der Gemeinschuldnerin seien bis zu ihrem Konkurseröffnungsantrag offenbar davon ausgegangen, dass das Unternehmen nicht überschuldet bzw zahlungsunfähig sei. Die beklagte Partei habe keine Möglichkeit gehabt, Einsicht in die Geschäftsbücher zu nehmen oder Bankauskünfte zu erlangen. Das geführte Beitragskonto der Gemeinschuldnerin sei unauffällig gewesen. Es sei nie ein Exekutionsverfahren erforderlich gewesen. Es habe lediglich einmal ein Ersuchen um Ratenzahlung gegeben. Ab Jänner 2004 seien die monatlichen Beitragsvorschreibungen bezahlt worden. Das Finanzamt habe zwar eine Prüfung lohnabhängiger Abgaben (Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge) durchgeführt, jedoch ohne Beteiligung eines Prüfers der beklagten Partei. Erst nach Abschluss der Prüfung am 19. März 2004 habe das Finanzamt die Unterlagen der beklagten Partei zur Verfügung gestellt, weshalb erst ab diesem Zeitpunkt eine Nachverrechnung der Sozialversicherungsbeiträge vorgenommen worden sei. Die beklagte Partei habe nicht auf die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin schließen müssen. Vor rechtskräftigem Abschluss des Prüfungsverfahrens stehe der Nachzahlungsbetrag noch nicht fest. Das Prüfungsorgan des Finanzamts werde nicht gleichzeitig als Organ des zuständigen Sozialversicherungsträgers tätig. Das Organ führe die Prüfung alleine durch. Die beklagte Partei habe erst nach Übermittlung des Prüfberichts am 19. März 2004, also nach dem Einlangen der letzten angefochtenen Zahlung, Kenntnis vom Inhalt der geprüften Unterlagen erlangt. Das Wissen der Prüforgane des Finanzamts sei nicht automatisch der beklagten Partei zuzurechnen. Die beklagte Partei hätte zur Vermeidung von Anfechtungsfolgen nur die Möglichkeit gehabt, einen Konkursantrag zu stellen. Diese Möglichkeit habe aber nicht bestanden, weil im anfechtungsrelevanten Zeitraum das Beitragskonto der Gemeinschuldnerin ausgeglichen gewesen sei. Die Überschuldung der Gemeinschuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen werde zwar außer Streit gestellt, jedoch eine negative Fortbestehensprognose bestritten. Von einer solchen sei erst frühestens Anfang März 2004 auszugehen. Erst nach dem 19. März 2004 sei für die beklagte Partei erkennbar gewesen, dass die Gemeinschuldnerin die im Raum stehenden Nachforderungen an Abgaben und Sozialversicherungs- beiträgen nicht werde bewältigen können. In Ansehung der Lohnabgabennachforderungen sei die Prüfung der Prüferin des Finanzamts erst gegen Ende Februar 2004 beendet gewesen.

Das Erstgericht gab der Anfechtungsklage statt. Von seinen über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen ist Folgendes hervorzuheben:

Im Jahr 2000 habe die Gemeinschuldnerin zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2000 einen Jahresüberschuss nach Steuern von (umgerechnet) 36.506,39 EUR erwirtschaftet. Der Bilanzverlust habe in diesem Jahr auf (umgerechnet) 94.605,30 EUR reduziert werden können. Das Eigenkapital sei mit 31.011 EUR negativ gewesen (Eigenkapital - 8 %). Im Jahr 2001 habe der Jahresüberschuss zum 31. Dezember 2001 nach Steuern (umgerechnet) 87.698,47 EUR betragen und der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr (umgerechnet) 82.190,31 EUR. Der Bilanzverlust habe auf (umgerechnet) 12.414,99 EUR reduziert werden können, das Eigenkapital sei mit 65.408 EUR positiv gewesen. Zum 31. Dezember 2002 sei der Jahresüberschuss nach Steuern auf 38.564,27 EUR und der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr auf 31.337,60 EUR gesunken. Damals habe sich erstmals ein Bilanzgewinn von 18.922,61 EUR ergeben. Der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2002 sei beim Finanzamt am 4. Juli 2003 eingelangt. Bei der Hausdurchsuchung am 27. August 2003 seien detaillierte Aufzeichnungen des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin über „Schwarzgeldumsätze" seit dem Jahr 2002 gefunden worden. Ein daraus entstandener und noch vorhandener Geldbetrag von 70.000 EUR sei in der Folge vom Geschäftsführer zur Bezahlung von Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin verwendet worden. Im September 2003 sei eine Liegenschaft des Geschäftsführers mit einem Höchstbetragspfandrecht von 325.000 EUR zu Gunsten einer Bank belastet worden. Bis zur Hausdurchsuchung am 27. August 2003 sei das Unternehmen der Gemeinschuldnerin buchmäßig nicht überschuldet gewesen. Fällige Schulden hätten bezahlt werden können. Nachdem der Steuerberater der Gemeinschuldnerin in die Unterlagen über die „schwarzen" Einnahmen Einsicht genommen habe, sei ihm klar gewesen, dass mit einer Steuernachzahlung von 300.000 EUR zu rechnen sei und das Unternehmen das Finanzstrafverfahren „finanziell nicht durchstehen wird". Es sei eine weitere GmbH gegründet und das Unternehmen der Gemeinschuldnerin auf den Baustoffhandel beschränkt worden. Die Prüferin des Finanzamts habe bei ihrer Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung auf den Berechnungen ihres Kollegen aufgebaut. „Die ungefähre Höhe der Abgabenforderung mit einigen 100.000 EUR war dem Betriebsprüfer Reinhard Z***** Ende September 2003 bekannt" (Erstgericht S 10). Für beide Prüfer sei ab diesem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass die Steuer- und Abgabennachforderungen von der Gemeinschuldnerin nur mehr durch Aufnahme von Fremdkapital hätten bezahlt werden können und damals eine rechnerische Überschuldung bestanden habe. Mitte Jänner 2004 habe sich der Geschäftsführer der GmbH der Steuer- und Abgabenhinterziehung schuldig bekannt. Der Steuerberater der Gesellschaft habe mit den Prüfern über etwaige Nachlässe verhandeln wollen. Die Prüfer hätten auf die Leiterin des Finanzamts verwiesen, diese habe eine Einmischung in das laufende Verfahren und schließlich am 26. März 2004 den Vorschlag eines Nachlasses der Steuerschulden um 80 bis 90 % abgelehnt. Der Geschäftsführer der GmbH habe mit Hilfe von Nachlässen eine Insolvenz vermeiden wollen. Hiefür wäre ein Nachlass von zumindest 70 % nötig gewesen. Bis zur Konkurseröffnung hätten die Sozialversicherungsbeiträge nicht exekutiv betrieben werden müssen. Es habe nur kurzfristige Beitragsrückstände gegeben. Am 27. Oktober 2003 habe der Rückstand auf dem Steuerkonto der Gemeinschuldnerin beim Finanzamt 40.485 EUR betragen. Bis zum 14. Jänner 2004 sei das Steuerkonto ausgeglichen gehalten worden. Danach sei der aushaftende Betrag wieder angestiegen bis auf 37.762,66 EUR am 26. Februar 2004. In der Folge sei der Rückstand bis zum 10. März 2004 auf 537,83 EUR reduziert worden. Wären in den Jahresabschlüssen 2001 und 2002 Rückstellungen für die Steuer- und Abgabennachforderungen des Finanzamts und der beklagten Partei im Zusammenhang mit den „Schwarzumsätzen" vorgenommen worden, so wäre die Gemeinschuldnerin jeweils überschuldet gewesen. Ohne Nachlässe des Finanzamts und der beklagten Partei hätte das Unternehmen nicht fortgeführt werden können.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten werde, dass für den Fall, dass es einem unredlichen Schuldner gelinge, sich durch Täuschung immer wieder Kreditmittel zu verschaffen, deren Rückzahlung ihm sonst nicht möglich wäre, die Zahlungsunfähigkeit nicht hinausgeschoben werde. Ohne die Malversationen des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin sei diese weder zahlungsunfähig noch überschuldet gewesen. Spätestens Ende September 2003 sei für die Gemeinschuldnerin absehbar gewesen, dass die Steuer- und Abgabennachforderungen des Finanzamts und der beklagten Partei mehrere 100.000 EUR betragen werden. Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 31 KO iVm § 67 KO gehöre, dass das Unternehmen überschuldet sein müsse und eine negative Fortbestehensprognose bestehe. Eine positive Fortbestehensprognose sei hier nur im Fall von Nachlässen von zumindest 70 % gegeben gewesen. Ein solcher Nachlass sei realistischerweise aber zu verneinen gewesen. Im Übrigen existiere nur für Abgabenforderungen in § 206 lit b BAO eine gesetzliche Grundlage für einen derartigen Nachlass, eine solche Grundlage für einen Verzicht auf die Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen existiere aber nicht. Die Zahlungsunfähigkeit des gemeinschuldnerischen Unternehmens iSd § 66 KO sei mit Anfang Februar 2004 anzusetzen. Eine insolvenzrechtliche Überschuldung iSd § 67 Abs 1 KO sei bereits ab Oktober 2003 gegeben gewesen. Damals sei die Gemeinschuldnerin rechnerisch überschuldet gewesen und es habe keine positive Fortbestehensprognose bestanden. Gemäß § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO müsse zumindest eine schuldhafte Unkenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit/Über- schuldung vorliegen. Bei der Durchführung der Sozialversicherungsprüfung sei das Prüforgan des Finanzamts das Organ des sachlich und örtlich zuständigen Krankenversicherungsträgers (§ 23 Abs 1 und § 41a Abs 2 ASVG). Das Wissen des Organwalters und der Mitarbeiter sei der beklagten Partei zuzurechnen. Gemäß § 86 Abs 1 EStG sei bei der Sozialversicherungsprüfung das Prüforgan des Finanzamts Organ des Krankenversicherungsträgers. Da die mit der Lohnsteuerprüfung und der Sozialversicherungsprüfung betraute Mitarbeiterin des Finanzamts auf den Berechnungen ihres Kollegen aufgebaut habe, sei nicht nur ihr Wissen und Wissenmüssen der beklagten Partei zuzurechnen, sondern bereits das Wissen ihres Kollegen. Im Vergleich zu anderen Gläubigern habe das Finanzamt größere Möglichkeiten zu Einblicken in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerschuldners. Aufgrund der bei den Hausdurchsuchungen sichergestellten Unterlagen sei Ende September 2003 dem Betriebsprüfer die ungefähre Höhe der Steuer- und Abgabenforderungen von mehreren 100.000 EUR abschätzbar gewesen. Bei entsprechend sorgfältigen Erkundungen des Finanzamts wäre die (verdächtige) Gründung einer zweiten Gesellschaft bekannt geworden. Ebenso hätte aus den Geschäftsunterlagen und Bilanzen bereits Ende Oktober 2003 ersichtlich sein müssen, dass die zu erwartenden Steuer- und Abgabennachforderungen nur mit Fremdmitteln hätten bezahlt werden können. Bei einer Befragung des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin hätte erkannt werden können, dass mit einem Fortbestand des Unternehmens bereits Oktober 2003 nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Die Befriedigungstauglichkeit der Anfechtung sei zu bejahen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es verwarf die Einwendungen über unrichtige Tatsachenfeststellungen unter Hinweis auf unstrittige Feststellungen aus dem Parallelverfahren AZ 4 Cg 206/04a des Landesgerichts St. Pölten (in diesem Verfahren war der Anfechtungsklage des Masseverwalters gegen die Republik Österreich, gerichtet gegen Zahlungen der Gemeinschuldnerin an das Finanzamt im Zeitraum 28. Oktober 2003 bis 22. März 2004, stattgegeben worden). Die Republik wurde rechtskräftig zur Zahlung von 98.805,49 EUR verurteilt. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei im vorliegenden Verfahren wie im Parallelverfahren die Feststellung, dass die ungefähre Höhe der Abgabennachforderungen dem Prüfer des Finanzamts Ende September 2003 bekannt gewesen sei, ebenso unbedenklich wie die Erkennbarkeit, dass die Gemeinschuldnerin für die zu erwartenden Nachzahlungen Fremdkapital benötigen werde.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Berufungsgericht den Sachverhalt aber dahin, dass der Wissensstand des Betriebsprüfers des Finanzamts der beklagten Partei nicht zuzurechnen sei, weil dieser nicht deren Organ gewesen sei. Das Organ der beklagten Partei sei die mit der Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung beauftragte Prüferin des Finanzamts. Deren Prüfschritte hätten auf den Berechnungen ihres Kollegen aufgebaut, dessen Abschlussberichte aber erst am 9. März bzw 10. März 2004 vorgelegen seien. Der Kläger habe kein Vorbringen über einen Informationsaustausch der beiden Prüfer erstattet. Die Lohnsteuerprüfung sei „für sich allein nicht geeignet gewesen, ein umfassendes Bild der wirtschaftlichen Situation der Gemeinschuldnerin zu Tage zu fördern". Gleiches gelte für die Sozialversicherungsprüfung. Es sei auch zu beachten, dass die Gespräche über allfällige Steuernachlässe, welche die Fortbestehensprognose günstig gestalten hätten können, vom Finanzamt auf die Zeit nach Bescheiderlassung verschoben worden seien. Selbst wenn man annehme, dass die Prüferin die Abschlussberichte ihres Kollegen schon am 8. März oder 9. März 2004 erhalten habe, habe sie mehr als eine Woche für die Auswertung der Berechnungen ihres Kollegen benötigen dürfen und habe den eigenen Bericht erst am 19. März 2004 erstellt. Es lägen daher keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine verschuldete Unkenntnis der Überschuldung vor. Seit Anfang Februar 2004 sei die Gemeinschuldnerin objektiv als zahlungsunfähig anzusehen. Da jedoch bis zur Konkurseröffnung keine exekutiven Schritte notwendig gewesen seien, habe die beklagte Partei über keine Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit Kenntnis haben müssen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass in Ansehung der angefochtenen Zahlungen von 24.142,20 EUR, 25.170,55 EUR und 34.185,60 EUR die ordentliche Revision nicht zulässig, in Ansehung der Zahlungen von 4.199,87 EUR, 4.600 EUR und 4.600 EUR ebenfalls nicht zulässig und in Ansehung der Zahlungen von 15,77 EUR, 65,44 EUR, 2.160,40 EUR und 2.230,54 EUR jedenfalls unzulässig sei. Eine Zusammenrechnung der angefochtenen Zahlungen habe zu unterbleiben. Rechtsfragen erheblicher Bedeutung lägen nicht vor.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich - neben dem gleichzeitig gestellten und mit einer ordentlichen Revision verbundenen und in der Zwischenzeit mit dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 17. Juni 2008 bereits zurückgewiesenen Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO - die außerordentliche Revision des Masseverwalters mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass dem Anfechtungsbegehren in Ansehung der Zahlungen von 24.142,20 EUR, 25.170,55 EUR und 34.185,60 EUR stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die beklagte Partei, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

I. Mit der nur kursorisch ausgeführten Revision releviert der Masseverwalter immerhin die Rechtsfrage erheblicher Bedeutung, ob bei der Bestellung zweier Prüfer des Finanzamts mit getrenntem Aufgabenbereich iSd § 86 EStG beide Prüfer als Organe der beklagten Gebietskrankenkasse zu qualifizieren seien. Mit der vom Berufungsgericht angenommenen „strikten Trennung" seien die Parteien überrascht worden. Da eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, obliegt dem Obersten Gerichtshof eine allseitige Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts nach allen Richtungen hin (RIS Justiz RS0043352). Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung (dazu SZ 70/199; RIS Justiz RS0037300) kann hier freilich keine Rede sein, war doch die Rechtsfrage nach der Zuordnung des Wissens der beiden Prüfer des Finanzamts schon Gegenstand des Parteivorbringens der beklagten Partei im Verfahren erster Instanz.

II.1. Bei einer Anfechtung nach § 31 Abs 1 Z 2 KO hat der Anfechtungskläger zur Rechtsfrage, ob die Zahlungsunfähigkeit dem Anfechtungsgegner bekannt sein musste, die Umstände zu beweisen, die diesen Schluss rechtfertigen (so schon 5 Ob 202/67 = SZ 40/146; RIS Justiz RS0043687). Dem Anfechtungsgegner steht der Gegenbeweis offen, dass er infolge besonderer Umstände von der Zahlungsunfähigkeit keine Kenntnis haben musste (5 Ob 750/80 uva). Ein „Wissenmüssen" ist dem Anfechtungsgegner anzulasten, wenn seine Unkenntnis auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht, wozu schon leichte Fahrlässigkeit genügt (6 Ob 37/01m). An die Sorgfaltspflicht bestimmter Großgläubiger ist ein strengerer Maßstab anzulegen ( Rebernig in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze, § 31 Rz 44 mwN; für Hausbanken: 6 Ob 235/99y = SZ 73/37; für Finanzämter: 6 Ob 37/01m; für Sozialversicherungsträger: 6 Ob 192/03h = SZ 2003/114). Maßgeblich ist nicht nur der Wissensstand des Gläubigers sondern auch derjenige seines Vertreters ( Rebernig aaO mwN), bei juristischen Personen insbesondere das Wissen der Organe.

2. Die in § 31 KO angesprochene Zahlungsunfähigkeit ist bei einer GmbH gemäß § 67 Abs 2 KO im Fall einer Überschuldung gegeben (Abs 1 leg cit). Unter der insolvenzrechtlich maßgeblichen Überschuldung einer Kapitalgesellschaft ist nicht schon das Überwiegen der Passiva über die Aktiva zu verstehen. Es muss eine negative Fortbestehensprognose hinzukommen (RIS Justiz RS0064962). Von einer positiven Fortbestehensprognose ist nur dann auszugehen, wenn trotz bestehender rechnerischer Unterbilanz die Lebensfähigkeit des Unternehmens mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit gesichert erscheint (RIS Justiz RS0064989, zuletzt 7 Ob 84/07i).

III. Die insolvenzrechtliche Überschuldung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin lag zum Zeitpunkt der ersten angefochtenen Zahlung Ende Oktober 2003 bereits vor:

1. Die beklagte Partei hat eine schon vor dem 28. Oktober 2003 eingetretene rechnerische Überschuldung, nicht aber eine negative Fortbestehensprognose außer Streit gestellt. Über eine solche habe sie erst durch die Mitteilung des Finanzamts am 19. März 2004 erfahren. Die Kenntnis des Finanzamts sei der beklagten Partei nicht zurechenbar. Schon aufgrund der Außerstreitstellung braucht zur rechnerischen Überschuldung daher nur mehr ergänzend dahin Stellung genommen werden, dass der im August 2003 aufgedeckte Sachverhalt Hinterziehungen von Steuern und Abgaben betrifft, die bereits vorher, also vor Erlassen von Steuer- und Abgabenbescheiden, entstanden sind. Sowohl im Strafrecht (vstSenat 14 Os 127/90 = RZ 1993/47) als auch im Insolvenzrecht zur Frage der Qualifizierung von Abgabenforderungen als Masse- oder Konkursforderungen (RIS Justiz RS0064620) wird die Auffassung vertreten, dass die Steuer- oder Abgabenschuld schon mit der Verwirklichung des vom Gesetz normierten abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts entsteht. Auf die Fälligkeit der Abgabenschuld (diese tritt mit Bescheiderlassung ein) kommt es nicht an. Gegenteiliges gilt nur, wenn das Gesetz der Annahme einer derartigen Vorverlagerung des Entstehens der Abgabenschuld entgegensteht (8 Ob 92/02s). Dies ist bei der hier vorzunehmenden Prüfung der Überschuldung des Unternehmens wegen der zu erwartenden Steuernachforderungen aufgrund eines schon verwirklichten Hinterziehungstatbestands nicht der Fall. Es wäre schwer begründbar, eine rechnerische Überschuldung bis zu dem Zeitpunkt zu verneinen, zu dem der Steuerbescheid erlassen wird, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass es zur Erlassung des Steuernachzahlungsbescheids kommen wird. Diese Frage ist auch für die Fortbestehensprognose von Relevanz.

2. Eine negative Fortbestehensprognose bestand bereits vor Oktober 2003:

Nach den Feststellungen bestand zwar im August 2003 unter Ausklammerung der schon entstandenen Steuer- und Abgabenschulden aufgrund der Hinterziehungstatbestände noch keine buchmäßige Überschuldung, ab Fälligkeit dieser Schulden aber die Gefahr der sofortigen Zahlungsunfähigkeit, wenn nicht ein Nachlass der Nachforderungen des Finanzamts und des Sozialversicherungsträgers im Ausmaß von zumindest 70 % erreicht werden kann. Dass ein solcher Nachlass nicht erreichbar war, steht nicht nur ex post fest, der Nachlass war realistischerweise nicht zu erwarten und wurde vom Steuerberater der Gemeinschuldnerin auch gar nicht erwartet. Im Hinblick auf die Höhe der zu erwartenden Nachforderungen war die sechs Wochen nach dem Erlassen der Bescheide erfolgte Konkurseröffnung eine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwartende Tatsache. Gegen die vom beweispflichtigen Masseverwalter solcher Art nachgewiesene insolvenzrechtliche Überschuldung wegen negativer Fortbestehensprognose hätte die beklagte Anfechtungsgegnerin zwar den Gegenbeweis erbringen können. Diesen ist sie aber gar nicht angetreten, sondern hat nur eine negative Fortbestehensprognose bestritten. Es wurde kein Sanierungskonzept, auf welche Weise die beträchtlichen finanziellen Mittel zur Bezahlung der Nachforderungen hätten aufgebracht werden können, behauptet. Der beim Geschäftsführer noch vorhandene Betrag von 70.000 EUR war schon zur Abdeckung anderer Verbindlichkeiten verbraucht. Die mögliche Aufbringung der erforderlichen Mittel durch Gesellschafter, den Geschäftsführer oder durch Dritte wurde im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Im Rahmen des ihr obliegenden Gegenbeweises hätte die beklagte Partei für die weitere Lebensfähigkeit des Unternehmens den Nachweis erbringen müssen, dass es Anhaltspunkte für die Zuführung von Fremdmitteln gab oder aber, dass der Nachlass der Schulden durch das Finanzamt überwiegend wahrscheinlich gewesen wäre (vgl zu einem ähnlichen Fall 7 Ob 84/07i). Die Ausführungen der beklagten Partei zu diesem Thema in ihrer Berufung waren erstmalig und verstießen daher gegen das im Rechtsmittelverfahren herrschende Neuerungsverbot.

IV. Die beklagte Partei hätte sich über die insolvenzrechtliche Überschuldung der Gemeinschuldnerin schon vor den angefochtenen Zahlungen in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können:

1. § 86 Abs 1 EStG 1988 (BGBl 1988/400 idF BGBl I 2003/124) lautet:

Das Finanzamt der Betriebsstätte (§ 81) hat die Einhaltung aller für die ordnungsgemäße Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer sowie die für die Erhebung des Dienstgeberbeitrags (§ 4 FLAG) und des Zuschlags zum Dienstgeberbeitrag (§ 122 Abs 7 Wirtschaftskammergesetz 1998) maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu prüfen (Lohnsteuerprüfung). Gemeinsam mit der Lohnsteuerprüfung ist vom Finanzamt auch die Sozialversicherungsprüfung (§ 41a ASVG) und die Kommunalsteuerprüfung (§ 14 KommStG) durchzuführen. Der Prüfungsauftrag ist von jenem Finanzamt zu erteilen, das die Prüfung durchführen wird. Bei der Durchführung der Sozialversicherungsprüfung ist das Prüfungsorgan des Finanzamts als Organ des sachlich und örtlich zuständigen Krankenversicherungsträgers (§ 23 Abs 1 und § 41a Abs 2 ASVG) tätig. Der Krankenversicherungsträger ist von der Prüfung sowie vom Inhalt des Prüfungsberichts zu verständigen.

Der Prüfer des Finanzamts ist also im Bereich der Sozialversicherungsprüfung Organ des Krankenversicherungsträgers. Wenn nur ein Prüfer bestellt worden wäre, stellte sich die hier zu entscheidende Rechtsfrage nicht. Sein gesamtes Wissen über insolvenzrechtlich bedeutsame Sachverhalte wäre der beklagten Gebietskrankenkasse zuzurechnen. Zu fragen ist, ob bei den vorliegenden getrennten Prüfaufträgen auch das Wissen des mit der Prüfung der Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer betrauten Finanzbeamten oder aber nur das Wissen der mit der Lohnsteuerprüfung und der Sozialversicherungsprüfung betrauten Beamtin zuzurechnen ist. Gegen Letzteres spricht zunächst schon der Umstand, dass die Prüfungen gemeinsam durchzuführen waren, die zu prüfenden Sachverhalte teils identisch sind und die Sozialversicherungsprüfung auf den Ergebnissen der Steuerprüfung aufbaut (diese zur Grundlage hat), wie dies das Erstgericht zutreffend feststellte.

2. Selbst wenn man die gemeinsame Durchführung der Prüfung als nicht ausreichende Grundlage dafür ansieht, das festgestellte Wissen des Prüfers und die dadurch ausgelöste erkennbare insolvenzrechtliche Überschuldung auch der zweiten Prüferin und damit der beklagten Partei zuzurechnen, wäre damit für deren Standpunkt nichts gewonnen, weil das Nichtwissen der Prüferin der beklagten Partei im vorliegenden Fall als Sorgfaltsverletzung zu qualifizieren ist:

Wie schon erläutert wurde, ist an die Sorgfaltspflicht bestimmter Großgläubiger, zu denen auch die Krankenversicherungsträger gehören, ein strenger Maßstab anzulegen, weil sie über entsprechende Ressourcen zur Bonitätsüberwachung ihrer Schuldner verfügen (6 Ob 192/03h = SZ 2003/114 ua). Auch wenn die Beitragsschuldnerin in der Vergangenheit und auch noch nach Einleitung der Prüfverfahren des Finanzamts unauffällig war (keine Exekutionen; geringer Verzug; nur ein einmaliges Ratengesuch), bestand schon ab der Bekanntgabe eines Prüfauftrags am 28. August 2003 eine Erkundigungspflicht, weil der beklagten Partei das unstrittige Wissen ihres gesetzlichen Organs (der Lohnsteuerprüferin) über den die Prüfverfahren einleitenden Verdacht der Hinterziehung von Steuern und Abgaben zuzurechnen ist. Die Prüferin selbst hätte sich in der Zeit von Ende August bis Ende September 2003 mit ihrem Kollegen jederzeit in Verbindung setzen können und den Sachverhalt in dem Umfang in Erfahrung bringen können, wie er nach den Feststellungen ihrem Kollegen bereits bekannt war. Es kann daher der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts beigetreten werden, dass ab der realistischen Einschätzung der Höhe der Abgabennachforderungen und der aufgrund der beschlagnahmten Unterlagen möglichen Einschätzung der finanziellen Situation des Unternehmens zur Bewältigung der durch die Nachforderungen entstandenen Krise auch für die Prüferin bereits Ende September 2003 erkennbar gewesen wäre, dass zu diesem Zeitpunkt eine insolvenzrechtliche Überschuldung bestand. Wegen der zu bejahenden Erkundungspflicht kommt es auf das tatsächliche Wissen der Prüferin nicht an. Wenn wegen des Verdachts von Steuerhinterziehungen - wie hier - eine umfassende Steuerprüfung und eine gemeinsam durchzuführende Lohnsteuerprüfung und Sozialversicherungsprüfung iSd § 86 Abs 1 EStG 1988 erfolgt, kann sich der Krankenversicherungsträger nicht damit begnügen, die bescheidmäßige Erledigung der Betriebsprüfung, des Finanzstrafverfahrens der Verwaltungsbehörde oder eines gerichtlichen Finanzstrafverfahrens (§ 33 FinStrG) abzuwarten und bei der Entgegennahme von Zahlungen seiner Beitragsschuldnerin auf Erkundigungen über anfechtungsrelevante Sachverhalte zu verzichten.

3. Mit dieser Rechtsauffassung wird die Erkundungspflicht des Krankenversicherungsträgers nicht überspannt:

Die Besonderheit des vorliegenden Falles ist dadurch gekennzeichnet, dass die Prüfungen des Finanzamts aufgrund der strafgerichtlichen Hausdurchsuchung vom 27. August 2003 und der Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen in Auftrag gegeben wurden. Es lag also ein dringender Tatverdacht über mögliche Abgabenhinterziehungen vor, der der Prüferin des Finanzamts, also dem Organ des Krankenversicherungsträgers, aufgrund ihrer festgestellten Tätigkeit am 28. August und 29. August 2003 nicht verborgen geblieben war. Nun ist das Baugewerbe notorischerweise ein „verdächtiges" Gewerbe, in dem es durchaus häufig zur Beschäftigung nicht angemeldeter „Schwarzarbeiter" und zu gegenüber dem Finanzamt nicht deklarierten Umsätzen kommt, ein Sachverhalt, dem die Finanzämter durch verstärkte Betriebsprüfungen und die Wirtschaftskammer durch gezielte Überwachungsaktionen (teils sogar mit Hubschraubern) entgegenzuwirken trachten. Der erkennende Senat vertritt nicht die Auffassung, dass schon jede vom Finanzamt eingeleitete (normale) Betriebsprüfung bzw Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung eine Erkundungspflicht des Krankenversicherungsträgers auslöst, dass dies aber dann der Fall ist, wenn ein Indiz für das Vorliegen einer Insolvenzgefahr vorliegt. Ein solches Indiz ist zumindest in der Baubranche zu bejahen, wenn die Prüfungen ihre Grundlage in strafgerichtlichen Verfolgungshandlungen haben, die ja einen konkreten Tatverdacht der Abgabenhinterziehung voraussetzen. Dann steht eine mögliche Insolvenzgefahr im Raum. Der vorliegende Fall, bei dem im großen Umfang Umsätze nicht deklariert wurden, bald nach Aufdeckung der Malversationen eine neue Gesellschaft gegründet wurde, in die der gewinnbringende Teil des gemeinschuldnerischen Unternehmens eingebracht wurde und das ausgehöhlte Unternehmen „in den Konkurs geschickt" wird, kann als geradezu „klassischer" Fall bezeichnet werden.

Der erkennende Senat gelangt daher zusammenfassend zu folgenden Rechtssätzen:

1. Bei der gemäß § 86 Abs 1 EStG 1988 gemeinsam durchgeführten Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung ist das Prüforgan des Finanzamts Organ des Krankenversicherungsträgers. Diesem ist das Wissen seines Organs über eine mögliche Insolvenzgefahr zuzurechnen.

2. Der Umstand, dass eine vom Strafgericht wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung angeordnete Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen durchgeführt wurde, ist ein Indiz für eine künftige Insolvenz des Unternehmens und löst eine Erkundungspflicht des Krankenversicherungsträgers aus.

3. Wenn zumutbare Erkundigungen unterlassen werden, mit denen Kenntnis über die Zahlungsunfähigkeit (insolvenzrechtliche Überschuldung der Kapitalgesellschaft) erlangt hätte werden können, ist der Tatbestand des „Kennenmüssens" iSd § 31 Abs 1 Z 2 KO erfüllt.

Der Revision des Masseverwalters ist aus den dargelegten Gründen stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 und 50 Abs 1 ZPO. Infolge der rechtskräftigen Abweisung von Teilbeträgen obsiegt der Kläger nur im Revisionsverfahren voll, im Verfahren erster und zweiter Instanz aber nur mit 82 %. Er hat daher für das Revisionsverfahren Anspruch auf vollen Kostenersatz, für die Verfahren vor den Unterinstanzen aber nur im Ausmaß von 64 % in Ansehung der Vertretungskosten. Im Berufungsverfahren hat er der beklagten Partei 18 % der Pauschalgebühr zu ersetzen (§ 43 Abs 1 dritter Satz ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO). Die beklagte Partei hat 82 % der Pauschalgebühr erster Instanz zu ersetzen.

Rechtssätze
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