JudikaturJustiz2Ob362/99w

2Ob362/99w – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Günther Romauch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Norbert Rauscher, Rechtsanwalt in Groß-Enzersdorf, wegen S 61.600,-- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Mai 1999, GZ 36 R 54/98d-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 9. Oktober 1998, GZ 34 C 877/98w-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (und mit S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19. 6. 1994 ereignete sich auf der Gemeindestraße im Ortsgebiet von Steinakirchen am Forst ein Verkehrsunfall, bei dem das von Alfred O***** gelenkte, bei der klagenden Partei haftpflichtversicherte Motorrad Honda Shadow 600 zu Sturz kam. Der am Sozius des Motorrades mitfahrende Sohn des Lenkers erlitt dabei Verletzungen. Unstrittig ist, dass es zwischen dem gestürzten Motorrad und dem entgegenkommenden, von Karl F***** gelenkten und bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Mazda zu keinem Kontakt gekommen ist.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei S 61.600,--. Sie habe diesen Betrag dem Sohn des Motorradlenkers aus dem Titel des Schmerzengeldes, des Sachschadens, unfallkausaler Barauslagen sowie Kosten der Rechtsvertretung gezahlt. Der PKW-Lenker sei beim Vorbeifahren an einem am rechten Fahrbahnrand anhaltenden PKW in einer leicht abfallenden und unübersichtlichen Kurve auf die linke Fahrbahnseite geraten und habe den entgegenkommenden Motorradlenker zu einem starken Abbremsen genötigt, was den Sturz des Motorrades und die Schäden bzw Verletzungen beim mitfahrenden Sohn des Lenkers herbeigeführt habe. Den PKW-Lenker treffe das Alleinverschulden.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Sturz des Motorrades sei auf überhöhte Geschwindigkeit sowie auf die verspätete Reaktion und Unaufmerksamkeit des Motorradlenkers zurückzuführen. Für den PKW-Lenker sei der Unfall unvermeidbar gewesen. Dieser sei im Schritttempo auf der linken Fahrbahnhälfte auf Höhe eines rechts anhaltenden Fahrzeuges gefahren und habe beim Ansichtigwerden des entgegenkommenden Motorrades sofort angehalten. Im Unfallsbereich habe die Fahrbahn nur zwei Fahrstreifen aufgewiesen. Den Motorradlenker bzw dessen Sohn treffe ein Alleinbzw überwiegendes Mitverschulden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend von seinen - vom Berufungsgericht allerdings nicht übernommenen - Feststellungen erörterte es rechtlich, dass der PKW-Lenker gegen § 17 Abs 1 StVO verstoßen habe, weil er sich aufgrund der gegebenen Sichtverhältnisse und der am Unfallsort zulässigen Höchstgeschwindigkeit einer Hilfsperson bedienen hätte müssen. Ein weiterer Fahrfehler des PKW-Lenkers habe darin bestanden, dass er das entgegenkommende Motorrad später als möglich wahrgenommen und daher zu spät reagiert habe.

Zwar sei ein scharfes Abbremsen des Motorrades durch dessen Lenker ex post nicht notwendig gewesen und müsse von einem aufmerksamen Fahrzeuglenker verlangt werden, innerhalb einer angemessenen Reaktionszeit auch drastische Abwehrhandlungen wie Vollbremsungen setzen zu können ohne dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug zu verlieren, doch liege hier ein verkehrswidriges Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers vor, das plötzlich und in seiner Gesamtheit so bedrohlich in Erscheinung getreten sei, dass es die Notwendigkeit eines überstürzten Handelns mit sich gebracht habe. Gerade aus der Sicht eines Motorrades stelle ein Frontalzusammenstoß eine massive Betrohung, wenn nicht gar die größte aller anzunehmenden Gefahren dar. Ein weniger scharfer Bremsvorgang sei dem Motorradlenker nicht zuzumuten gewesen. Es könne vor dem durchschnittlich sachkundigen Motorradfahrer nicht verlangt werden, das Fahrzeug bei jeder abrupten Bremsung unter Kontrolle zu halten. Dazu komme, dass es bei einer ex ante Betrachtung aus der Sicht des Motorradfahrers schwierig bis kaum möglich gewesen sei, wahrzunehmen, ob und mit welcher Intensität das bei der beklagten Partei versicherte Fahrzeug abgebremst würde, weshalb das Alleinverschulden den PKW-Lenker treffe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab.

Es traf nach Beweiswiederholung folgende Feststellungen:

Am Tage des Unfalles war die Fahrbahn trocken und die Sicht gut; es herrschte Tageslicht. Der PKW-Lenker fuhr mit seinem Fahrzeug aus Richtung Amstetten kommend auf der Gemeindestraße durch das Ortsgebiet von Steinakirchen am Forst; es besteht ein Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h. In seiner Fahrtrichtung führt die Straße mit einem Gefälle von 4 % talwärts in eine unübersichtliche Linkskurve. Auf der Fahrbahnhälfte des PKWs waren einige Meter vor der in der (dem Berufungsurteil angeschlossenen) Skizze eingezeichneten Bezugslinie parallel zum Fahrbahnrand hineinander zwei PKWs abgestellt. Die Kurveninnenseite - also der linke Fahrbahnrand aus der Sicht des PKW-Lenkers - war verparkt, weshalb sich eine Sichtweite von rund 25 - 30 m für den PKW-Lenker ergab. Dieser hielt sein Fahrzeug hinter den seine Fahrbahnhälfte blockierenden PKWs an und wartete auf deren Weiterfahrt. Da dies nicht geschah, setzte er nach einiger Zeit des Zuwartens den linken Blinker, scherte aus und beschleunigte sein Fahrzeug eher mäßig bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 16 km/h und fuhr an den angehaltenen PKWs vorbei. Seine Startposition lag vom Fahrersitz aus gemessen etwa 17 m vor der Bezugslinie, sein Seitenabstand zur Kurveninnenseite betrug während des Vorbeifahrens ca 70 cm. Als der PKW-Lenker zum Ausscheren ansetzte, war das Motorrad etwa 61 m von ihm entfernt, weshalb zu diesem Zeitpunkt keiner der Unfallgegner Sicht auf den jeweils anderen hatte.

Etwa zeitgleich näherte sich in gegenläufiger Fahrtrichtung, das von Alfred O***** gelenkte Motorrad mit einer Geschwindigkeit von 25 - 30 km/h. Sein Sohn saß am Sozius. Der Motorradlenker wog im Unfallszeitpunkt 108 kg, sein Sohn 100 kg. Die Annäherungsfahrlinie des Motorrades verlief bis maximal 2,1 m neben dem kurveninneren Fahrbahnrand. Als der Motorradlenker den entgegenkommenden PKW sah, bremste er. Die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen betrug zu diesem Zeitpunkt ca 26 m. Dies entspricht annähernd der frühestmöglichen Sicht, wenn man die Sichtbeeinträchtigung durch die außerhalb des kurveninnenseitigen Fahrbahnrandes parkenden Fahrzeuge berücksichtigt. Im Zeitpunkt der Gefahrenerkennung war der Motorradlenker ca 13,3 m und 2,2 sec von der Unfallendlage entfernt. Der Motorradlenker leitete eine Vollbremsung mit einer Bremsverzögerung von ca 6,5 m/sec2 ein zog eine 0,6 m lange Bremsspur und kam zu Sturz, wobei er auf die - von ihm aus gesehen - rechte Seite fiel. Das Motorrad hinterließ dabei eine 1 m lange Kratzspur auf der Fahrbahn. Das Motorrad lag in der Unfallendstellung ca 2,5 m nach der Bezugslinie und war insgesamt etwas über 5 m von den bereits im Stillstand befindlichen PKW entfernt. Zu einer Kollision der Unfallsgegner ist es nicht gekommen. Hätte der Motorradlenker eine Bremsung mit ca 3,5 m/sec2 eingeleitet, mit welcher ebenfalls kollisionsfrei vor dem PKW zum Stillstand gekommen wäre, wäre er nicht gestürzt. Bei einer Bremsung mit einer derartigen Verzögerung kommt es für einen nur annähernd durchschnittlichen Fahrzeuglenker nicht zum Sturz eines einspurigen Fahrzeuges. Auch der PKW-Lenker hatte erst Sicht auf das entgegenkommende Motorrad als dies etwa 26 m von ihm entfernt war. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt ca 10 m vor der Bezugslinie und ca 7 m vor seiner Endstellung entfernt. Unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde (Sekundenweg bei 16 km/h = 4,4 m) und einer Bremsverzögerung von 3,5 bis 4 m/sec2 kam er auf einer Strecke von etwa 7 m in 2,1 bis 2,3 sec zum Stillstand. Unter Einbeziehung des Gefälles entspricht diese Bremsung mit einer mittleren Betriebsbremsung. Es kann nicht festgestellt werden, dass der PKW-Lenker verspätet reagiert hat. Er hat sofort bei Sicht auf das Motorrad, also im ersten Moment bei Gefahrenerkennung, reagiert. Aufgrund der Straßenbreite von 5,6 m im Unfallbereich und des Umstandes, dass auf der Fahrbahnhälfte des PKW-Lenkers PKWs auf der Fahrbahn abgestellt waren, wäre ein aneinander Vorbeifahren der Unfallgegner in diesem Bereich nicht möglich gewesen.

Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt dahin, dass nach § 17 Abs 1 StVO dass Vorbeifahren nur dann gestattet ist, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende weder behindert noch gefährdet werden. Diese Bestimmung werde vom Obersten Gerichtshof allerdings nicht derart ausgelegt, dass allein fahrende Kraftfahrzeuglenker zum Warten oder zur Herbeiholung einer Hilfsperson verpflichtet sei. Das Vorbeifahren unter Überschreitung der Fahrbahnmitte sei dann erlaubt, wenn der Lenker mit Sicherheit damit rechnen könnte, den Gegenverkehr dadurch nicht zu gefährden oder zu behindern. Lediglich wenn die Sicht auf die Fahrbahn etwa durch ein abgestelltes Fahrzeug behindert sei oder wenn in die für das Vorbeifahren erforderliche Wegstrecke nicht eingesehen werden könne, dürfe das Vorbeifahren nur mit Schrittgeschwindigkeit begonnen und bis zur Erlangung entsprechender Sicht fortgesetzt werden. Dieser Umstand sei hier nicht gegeben. Der PKW-Lenker habe zum Zeitpunkt des Losfahrens Sicht auf eine Stecke von 25 bis 30 m gehabt. Eine Sichtbehinderung habe nicht bestanden, lediglich eine Einschränkung wegen der an der Kurveninnenseite parkenden Fahrzeuge. Diese Sichteinschränkung sei jedoch in der festgestellten Sichtweite bereits berücksichtigt. Die vom PKW-Lenker eingehaltene Geschwindigkeit von 16 km/h vermöge auch im Hinblick auf die im Unfallbereich höchstzulässige Geschwindigkeit von 30 km/h kein Mitverschulden des PKW-Lenkers begründen. Dies umsomehr, als sich aus den Feststellungen ergebe, dass das wechselseitige Anhalten auf halbe Sicht für beide Kraftfahrzeuge bloß mit einer stärkeren Betriebsbremsung möglich gewesen wäre. Der PKW-Lenker habe daher dem Grundsatz des Fahrens auf halbe Sicht bei Einengung der Fahrbahn durch parkende Fahrzeuge entsprochen. Aus der Geschwindigkeit aus 16 km/h könne kein Rückschluss auf die Reaktion des Motorradlenkers gezogen werden, weil für den Entgegenkommenden eine Geschwindigkeitsdifferenz von rund 6 bis 10 km/h nicht erkennbar sei und keinen Einfluss auf seine Reaktion haben könne. Eine Reaktionsverspätung sei dem PKW-Lenker nicht anzulasten. Diese vom Erstgericht vorgenommene rechtliche Beurteilung beruhe auf vom Berufungsgericht nicht übernommenen Feststellungen. Wenn das Erstgericht argumentierte, dass die vorliegende Situation für den Motorradfahrer einen solchen Bedrohlichkeitsgrad erreicht habe, dass eine Vollbremsung, bei der er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe, unter solchen Umständen wie im vorliegenden Fall keinen Fahrfehler darstelle, könne dies nicht nachvollzogen werden. Von einer außerordentlichen Bedrohlichkeit sei dann nicht auszugehen, wenn wie hier die Sichtweite für den Motorradfahrer bei immerhin mehr als 25 m gelegen und die Geschwindigkeit insbesondere durch das Bergauffahren relativ gering gewesen sei. Der Umstand, dass einem ein Fahrzeug entgegenkomme, könne von einem verständigen Motorradfahrer in seiner Gesamtheit nicht als so bedrohlich angesehen werden, dass ein überstürztes Handeln erforderlich wäre. Von einem aufmerksamen Fahrzeuglenker werde verlangt, dass er im Zuge einer normalen Abwehrhandlung, wie etwa Vollbremsung, nicht jegliche Kontrolle über sein Fahrzeug verliere. Da durch die auf der Fahrbahnhälfte des PKW-Lenkers geparkten Fahrzeuge die Fahrbahn so schmal geworden sei, dass eine Begegnung mit anderen Fahrzeugen mit Gefahren verbunden und ein Aneinander- bzw Vorbeifahren kaum oder nicht möglich gewesen seien, habe für beide Herannahende die Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht bestanden, also mit einer so geringen Geschwindigkeit zu fahren, dass innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke angehalten werden könne. Berücksichtige man diesen Umstand sowie die gegebene wechselseitige Sicht von 26 m, dann habe der Motorradlenker gegen den Grundsatz des Fahrens auf halbe Sicht verstoßen, weil er für die gegebene Verkehrssituation eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe. Wenn er auch im konkreten Fall mit einer weniger intensiven Bremsung noch kollisionsfrei anhalten hätte können, so hätte er jedenfalls mehr als die halbe Sichtstrecke dafür benötigt. Es treffe daher den Motorradlenker infolge Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit und der Nichtbeachtung der Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht das Alleinverschulden an seinem Sturz.

Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei dem hier gegebenen Sachverhalt eine Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht oder im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse allenfalls eine Verpflichtung zum Vorbeitasten an den geparkten Fahrzeugen bestanden hätte, lediglich eine Entscheidung (ZVR 1977/147), aber keine gesicherte Rechtsprechung bestehe.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass dem Klagebegehren lediglich mit einem Teilbetrag von S 30.800,-- ausgehend vom gleichteiligen Verschulden beider Lenker stattgegeben werde. Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht im Ergebnis berechtigt.

Auszugehen ist davon, dass die 5,6 m breite Fahrbahn, auf der eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h bestand, durch zwei (vor dem Scheitelpunkt der vom PKW-Lenker gesehenen Linkskurve) abgestellte PKWs derart verengt wurde, dass lediglich ein Fahrstreifen frei blieb. Der PKW-Lenker konnte daher diese Fahrzeuge nur unter Überschreitung der Fahrbahnmitte passieren. Gemäß § 17 Abs 1 StVO ist das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, weder gefährdet noch behindert werden. Vorbeifahren unter Überschreitung der Fahrbahnmitte ist nur dann erlaubt, wenn der Lenker mit Sicherheit damit rechnen kann, den Gegenverkehr nicht zu gefährden oder zu behindern. Dabei hat der Vorbeifahrende, wenn er die für das Vorbeifahren einschließlich des Wiedereinordnens auf der rechten Fahrbahnhälfte erforderliche Wegstrecke nicht einsehen kann, das Vorbeifahren erforderlichenfalls nur mit Schrittgeschwindigkeit zu beginnen und bis zur Erlangung entsprechender Sicht fortzusetzen, weil nur so dem Gebot des § 17 Abs 1 StVO entsprochen werden kann (RIS-Justiz RS0073670; ZVR 1979/275; ZVR 1984/71; ZVR 1986/1; zuletzt 2 Ob 43/98g).

Der PKW-Lenker hat vor den geparkten PKWs angehalten und sein Vorbeifahrmanöver mit einer mäßigen Beschleunigung bis auf 16 km/h begonnen, als der entgegenkommende Motorradlenker noch 61 m entfernt und somit außerhalb seiner Sichtweite war. Beide Lenker haben bei einer Erstsicht von 25 m sofort reagiert. Der PKW-Lenker kam auf einer Strecke von 7 m bei einer Bremsverzögerung von 3,5 bis 4 m/sec2 zum Stillstand.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hatte der PKW-Lenker bei der hier vorliegenden Situation (Verengung der Fahrbahn durch zwei abgestellte Fahrzeuge auf einen Fahrstreifen) nicht das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht sondern eben die Bestimmung des § 17 Abs 1 StVO über das Vorbeifahren zu beachten. Ein Verstoß dagegen ist ihm bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit nicht vorzuwerfen (vgl 2 Ob 43/98g).

Auch der Motorradlenker hatte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht zu beachten. Das Fahren auf halbe Sicht ist dann zu fordern, wenn die zur Verfügung stehende Fahrbahn nicht nur unübersichtlich, sondern auch so schmal ist, dass eine Begegnung voraussichtlich kaum möglich sein wird (RIS-Justiz RS0073670). Wird allerdings ein Fahrstreifen durch ein abgestelltes Fahrzeug blockiert, darf ein Kraftfahrzeuglenker darauf vertrauen, dass ein entgegenkommendes Fahrzeug, dessen Fahrstreifen durch ein Hindernis verengt ist, vor diesem Hindernis anhalten und dem Gegenverkehr die Vorfahrt ermöglichen werde (ZVR 1967/113). Der Motorradlenker durfte daher darauf vertrauen, dass der PKW-Lenker erst dann an den abgestellten Fahrzeugen vorbeifährt, wenn das Motorrad die Engstelle passiert hat. Soweit das Berufungsgericht aus der Entscheidung ZVR 1977/147 ableitet, dass eine Einengung der Fahrbahn durch parkende Fahrzeuge auch zum Fahren auf halbe Sicht zwingen kann, kann dieser Aussage in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Sollte nämlich die Fahrbahn lediglich durch ein oder zwei abgestellte Fahrzeuge blockiert sein, dann darf eben der entgegenkommende Kraftfahrzeuglenker nach dem oben dargestellten Grundsatz grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Fahrzeuglenker, dessen Fahrstreifen blockiert ist, seine Vorbeifahrt abwarten werde. Die Entscheidung ZVR 1977/147 spricht auch nur aus, dass eine Einengung der Fahrbahn durch parkende Fahrzeuge zum Fahren auf halbe Sicht zwingen kann. Dies kann aber nur dahingehend verstanden werden, wenn über eine weitere uneinsehbare Strecke durch parkende Fahrzeuge lediglich ein Fahrstreifen zur Verfügung steht und der Lenker, der den freien Fahrstreifen benützt, damit rechnen muss, dass Fahrzeuge entgegenkommen. Bei einem einzeln abgestellte Fahrzeug kann dieses Gebot nicht gefordert werden (vgl auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht35 Rz 16 zu § 3 dStVO). Dem Motorradlenker ist daher eine Verletzung des Gebotes des Fahrens auf halbe Sicht nicht vorzuwerfen, weil er eben darauf vertrauen durfte, dass der entgegenkommende PKW-Lenker seine Vorbeifahrt abwarten werden.

Nach den Feststellungen hat auch der Motorradlenker auf den auf seinem Fahrstreifen entgegenkommenden PKW sofort reagiert. Er hätte bei einer stärkeren Betriebsbremsung von 3,5 m/sec2 innerhalb einer Strecke von rund 17 m und daher ebenfalls noch kollisionsfrei vor dem PKW anhalten können (Erstsicht 26 m Anhalteweg Motorrad 17 m Anhalteweg PKW 7 m = 24 m). Der Sturz des Motorradlenkers erfolgte allein deshalb, weil er auf den entgegenkommenden PKW mit einer Vollbremsung von 6,5 m/sec2 reagierte und deshalb zu Sturz kam. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass von einem aufmerksamen Fahrzeuglenker verlangt werden kann, dass er innerhalb einer zumutbaren Reaktionszeit normale Abwehrhandlungen, wie etwa eine Vollbremung oder ein kontrolliertes Auslenken seines Fahrzeuges, setzt; dabei dürften auch Reflexhandlungen im Allgemeinen nicht so weit gehen, dass der Lenker dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert (ZVR 1968/169). Der Unfall ist daher auf einen Fahrfehler des Motorradlenkers zurückzuführen, der - was dem Akteninhalt zu entnehmen ist (AS 27) - das Fahrzeug 14 Tage vor dem Unfall gekauft hatte.

Das Berufungsgericht hat daher das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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