JudikaturJustiz2Ob20/14a

2Ob20/14a – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. E. Solé als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** KG., *****, vertreten durch Dr. Rudolf Lessiak Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Wien, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Schaffer Sternad Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 229.774,59 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilzwischenurteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2013, GZ 60 R 3/13s 54, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 zweiter Satz ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

2. § 4.3 der im Jahr 1999 zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Mietverträge über die in einem Einkaufszentrum (EKZ) gelegenen Bestandobjekte regelt jeweils in mehreren Punkten die Verpflichtung zur Zahlung der „Nebenkosten“. Davon sind gemäß lit b) umfasst:

Sämtliche Betriebskosten, somit alle zur Erhaltung und zum ordnungsgemäßen Betrieb des Gebäudes des Centers und der dazugehörigen Flächen und Einrichtungen notwendigen Ausgaben, wie zB […] sowie alle mit der laufenden Erhaltung und Verwaltung des gesamten Centers samt Außenanlagen und Infrastruktur verbundenen sonstigen Aufwendungen, so auch alle Umgestaltungen oder Ergänzungen aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Vorschreibungen.

Mit Zwischenantrag auf Feststellung begehrte die beklagte Partei ua festzustellen, dass die zwischen den Streitteilen bestehenden Mietverträge insoweit wegen gröblicher Benachteiligung der beklagten Partei rechtsunwirksam seien, als die Vertragsbestimmungen auch die Kosten der Erhaltung des Gebäudes des Centers und der dazugehörigen Flächen und Einrichtungen erfassen.

3. In der Entscheidung 7 Ob 93/12w (= wobl 2014/7, 25 = RdW 2013/131, 136 = ecolex 2013/92, 240 [ Oberhammer ] = ecolex 2013/238, 614 [ Wilhelm ]) hielt der 7. Senat anlässlich der Beurteilung einer vergleichbaren Vertragsbestimmung (generelle Überwälzung von Erhaltungskosten eines EKZ auf den Bestandnehmer) fest, dass

- ein Vertragsformblatt iSd § 879 Abs 3 ABGB auch dann vorliegt, wenn es sich nur auf Teile des Vertrags oder bestimmte Vertragspunkte bezieht;

- nach den Feststellungen zwar Teile des Mietvertrags ausverhandelt wurden, die Frage der Kostentragung aber von den Gesprächen „nicht berührt“ wurde und die klagende Partei auch von den von ihr in allen Mietverträgen zugrunde gelegten Klauseln nicht abgegangen wäre , sodass hinsichtlich der nicht verhandelten und aus der Sicht der klagenden Partei jedenfalls beizubehaltenden Klauseln Vertragsformblätter vorliegen;

- die Überwälzung von unbestimmten Erhaltungarbeiten auf den Mieter auch bei einem Bestandgegenstand in einem EKZ als Nebenbestimmung und nicht als Hauptleistung zu qualifizieren ist;

- die Generalklausel grundsätzlich der Überprüfung nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegt, wobei zwischen Kaufleuten (Unternehmern) allerdings eine besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgesetzten Rechtspositionen zu fordern ist;

- eine in Vertragsformblättern betreffend Bestandverträge über Objekte in einem EKZ enthaltene Klausel, die eine unbeschränkte Überwälzung der Erhaltungspflicht und damit der Kosten für das gesamte EKZ auf den Bestandnehmer vorsieht, für diesen gröblich benachteiligend ist.

4. Die Entscheidung 7 Ob 93/12w wurde jüngst von Pletzer (Erhaltung im Einkaufszentrum, Auslegung und geltungserhaltende Reduktion Zugleich eine Besprechung von OGH 7 Ob 93/12w, wobl 2014, 2) ausführlich und in ihren auch hier relevanten Aussagen durchwegs zustimmend besprochen (zu Teilaspekten vgl auch Prader/Walzel von Wiesentreu , Gröbliche Benachteiligung von Bestandnehmern in Einkaufszentren, RdW 2014/15, 8). Auch in den erwähnten Glossen wurde keine diesbezügliche Kritik geäußert.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs reicht aber schon eine einzige Entscheidung, die ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RIS-Justiz RS0103384).

Es begründet daher keine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage, wenn das Berufungsgericht im Hinblick auf die im Wesentlichen vergleichbaren Tatumstände in Anlehnung an die in der Entscheidung 7 Ob 93/12w vertretenen Grundsätze zur Auffassung gelangte, dass die im gegenständlichen Rechtsstreit beanstandete Vertragsbestimmung für die beklagte Bestandnehmerin gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB sei.

5. Soweit nun die klagende Partei versucht, aus divergierenden Sachverhaltselementen und einzelnen Formulierungen der erörterten Entscheidung Argumente für ihren gegenteiligen Rechtsstandpunkt zu gewinnen, wirft sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

5.1 Die klagende Partei hält die Generalklausel in § 4.3 lit b) der Mietverträge für „konkret ausverhandelt“, weil der Geschäftsführer der beklagten Partei („nur eben erfolglos“) versucht habe, auch insoweit eine Abänderung der vorformulierten Regelung herbeizuführen.

Nach der auch bei einem reinen Unternehmergeschäft zur Anwendung gelangenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt jedoch eine die Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB hindernde Individualabrede voraus, dass der sich auf dieses Hindernis berufende Vertragspartner zu einer Änderung des von ihm verwendeten Textes zumindest bereit gewesen sein muss (vgl 2 Ob 22/12t mwN; 7 Ob 154/13t; RIS-Justiz RS0121396 [T2]; Pletzer aaO 3; Kathrein/Schoditsch in KBB 4 § 6 KSchG Rz 23). In diesem Sinne sind auch die entsprechenden Ausführungen in der Entscheidung 7 Ob 93/12w zu verstehen.

Von einer Änderungsbereitschaft der klagenden Partei kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Nach den Feststellungen lehnte sie vielmehr Verhandlungen über die Klausel mit der Begründung ab, dass Sonderregelungen nicht in Frage kämen und Änderungen in diesem Bereich ausgeschlossen seien. Aus dem Umstand, dass mit einem anderen Mieter eine Deckelung der Betriebskosten (bei gleichzeitiger Erhöhung des Mietzinses) vereinbart wurde, ist eine Verhandlungsbereitschaft gegenüber der beklagten Partei nicht ableitbar.

5.2 Die klagende Partei erkennt selbst, dass der Oberste Gerichtshof eine die Überwälzung unbestimmter Erhaltungsarbeiten auf den Mieter vorsehende Klausel bereits mehrfach als Nebenbestimmung und nicht als Hauptleistung beurteilt hat (vgl 2 Ob 73/10i mwN; Pletzer aaO 3 f). Diese Auffassung liegt auf der Linie der ständigen Rechtsprechung, wonach die Ausnahme von der in § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle der Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten möglichst eng zu verstehen und auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben soll (RIS-Justiz RS0016908, RS0016931; vgl Bollenberger in KBB 4 § 879 Rz 22).

Für die Behauptung der klagenden Partei, im vorliegenden Fall sei die Tragung der Erhaltungskosten nach dem gemeinsamen Parteiwillen bei Vertragsabschluss dennoch als Hauptleistung festgelegt worden, fehlt es in den Feststellungen an einem tauglichen Anhaltspunkt. Mit ihrem Argument, die Tragung der Erhaltungskosten habe für die Vertragsparteien bei den Vertragsverhandlungen eine wesentliche Rolle gespielt, geht sie überdies nicht vom festgestellten Sachverhalt (keine Verhandlungsbereitschaft der klagenden Partei) aus.

5.3 Der 7. Senat ließ in der Entscheidung 7 Ob 93/12w keinen Zweifel daran, dass eine in Vertragsformblättern betreffend Bestandverträge über Objekte in einem Einkaufszentrum enthaltene Klausel, die eine unbeschränkte Überwälzung der Erhaltungspflicht und damit der Kosten für das gesamte Einkaufszentrum auf den Bestandnehmer vorsieht, für diesen gröblich benachteiligend ist (vgl ferner RIS-Justiz RS0126571; Pletzer aaO 5; Iro in KBB 4 § 1096 Rz 4).

Zutreffend ist zwar, dass in der erörterten Entscheidung die geprüfte Vertragsbestimmung (Generalklausel) nicht schlechthin als gröblich benachteiligend beurteilt, sondern eine Verfahrensergänzung zur endgültigen Klärung dieser Frage als erforderlich angesehen wurde. Der Grund dafür lag allerdings darin, dass der Mietvertrag eine weitere, die generelle Überwälzung wieder einschränkende Vertragsbestimmung über die Instandhaltungspflicht enthielt, auf welche weder die Parteien noch die Vorinstanzen Bedacht genommen hatten.

Im Gegensatz dazu liegen hier keine einander widersprechenden Vertragsbestimmungen über die Kosten der Erhaltung vor. Es bestehen daher auch keine vergleichbaren Auslegungsprobleme, die zur Erforschung des Parteiwillens Anlass geben müssten. Nachvollziehbare Gründe, die ein vom Wortlaut der nach ihrem objektiven Erklärungswert eindeutigen Vertragsbestimmung allenfalls abweichendes Verständnis der Parteien nahelegen könnten, vermag die beklagte Partei nicht aufzuzeigen.

5.4 Warum aus dem Umstand, dass es sich hier um ein älteres Einkaufszentrum als in dem zu 7 Ob 93/12w entschiedenen Fall handelt, eine sachliche Rechtfertigung für die generelle Überwälzung sämtlicher Erhaltungskosten gewonnen werden könnte, ist nicht einzusehen, muss doch gerade bei älteren Gebäuden mit häufigeren und unvorhergesehenen Sanierungsarbeiten gerechnet werden. Dies belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass sich bereits elf Jahre nach der ersten Dachsanierung eine weitere mit hohem Investitionsaufwand als erforderlich erwies, wozu noch weitere Investitionen kamen.

Dass wie in früheren Fällen auch der Nachverrechnung der nunmehrigen Investitionskosten für die Jahre 2002 bis 2004 und der entsprechenden Anhebung der Betriebskostenakonti ab dem Jahr 2005 „ausführliche Diskussionen“ mit dem Verwaltungsbeirat (den Vertretern der Mieter) über das Wann und Wie der Verteilung vorausgegangen wären, sodass ein entsprechendes Verständnis der strittigen Vertragsbestimmung durch die Streitteile unterstellte werden könnte, geht aus den Feststellungen nicht hervor. Feststeht vielmehr nur, dass es unter den Mietern ob der Höhe der Nachverrechnung „zu einer Art Aufstand“ kam, der von der klagenden Partei mit den meisten Mietern, nicht aber etwa mit der beklagten Partei, durch einen „Kompromiss“ (Erlass der Hälfte des nachverrechneten Betrags als „Jubiläumszuschuss“) beigelegt werden konnte.

In diesem Licht erweist sich auch der Vorwurf, die beklagte Partei sei rechtsmissbräuchlich von einer jahrzehntelangen Vertragspraxis abgegangen, habe sie doch bis zum Jahr 2005 (also bis zur Nachverrechnung) die vorgeschriebenen Betriebskosten immer anstandslos bezahlt, als nicht stichhältig.

Schließlich findet auch die Revisionsbehauptung, der frühere Geschäftsführer der beklagten Partei habe die strittige Vertragsbestimmung gleichsam „mitgestaltet“, keine Stütze in der Tatsachengrundlage des Erstgerichts.

6. Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass dem Berufungsgericht keine erhebliche, aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Die außerordentliche Revision ist deshalb zurückzuweisen.

Rechtssätze
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