JudikaturJustiz2Ob132/21g

2Ob132/21g – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Piccolruaz Müller Anwaltspartnerschaft in Bludenz, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Achammer Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen Duldung und Leistung (Gesamtstreitwert 50.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Mai 2021, GZ 2 R 64/20h 22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 20. April 2020, GZ 56 Cg 8/20m 13, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.234,70 EUR (darin 372,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Vater der Streitteile verstarb am 7. 4. 2018. Seine Mutter war am 29. 12. 2016 verstorben. In ihrem Testament vom 9. 12. 2009 verfügte sie unter anderem:

„Ich setze hiemit meinen Sohn … [Vater der Streitteile] zum Alleinerben meines gesamten wie immer gearteten beweglichen und unbeweglichen Nachlasses ein. … [Vater der Streitteile] ist über den beweglichen Nachlass vollkommen frei verfügungsberechtigt. Hinsichtlich des unbeweglichen Nachlasses bestimme ich eine fideikommissarische Substitution zugunsten der Tochter meines Sohnes ...[Vater der Streitteile], nämlich … [Beklagte]“.

[2] Der Vater der Streiteile gab am 12. 2. 2018 zur gesamten Verlassenschaft nach seiner Mutter die bedingte Erbantrittserklärung ab. Das unbewegliche Vermögen in ihrem Nachlass bildete die Liegenschaft mit dem Haus *. Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens schlossen der Vater der Streitteile und die Beklagte am 12. 3. 2018 folgende Vereinbarung:

„I. ... [Vater der Streitteile] erklärt, dass er schwer krank ist. Er möchte sohin nicht mehr als Eigentümer der Liegenschaft * im Grundbuch eingetragen werden, sich aber ein Fruchtgenussrecht auf Lebenszeit vorbehalten. Er verzichtet sohin auf das Vor-Legat betreffend der Liegenschaft * unter Vorbehalt des Fruchtgenussrechtes. … [Beklagte] übernimmt die Liegenschaft * in ihr Alleineigentum. … [Beklagte] räumt hiemit ihrem Vater ….. an der Liegenschaft * das lebenslängliche, unentgeltliche und im Grundbuch sicherzustellende Fruchtgenussrecht ein. … [Vater der Streitteile] nimmt dieses Fruchtgenussrecht zur Kenntnis und an. ... “

[3] Diese Vereinbarung wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Mit Einantwortungsbeschluss vom 13. 2. 2019 wurde die Übertragung der Liegenschaft an die Beklagte gerichtlich angeordnet.

[4] Im Verlassenschaftsverfahren nach dem Vater der Streitteile wurde festgestellt, dass dessen Nachlass überschuldet war. Das Vermögen wurde daher nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen an die Gläubiger verteilt.

[5] Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, bezüglich der näher bezeichneten Liegenschaft die Schätzung zu dulden, in eventu dem Kläger den tatsächlichen Wert der Liegenschaft bekanntzugeben. Weiters begehrte der Kläger die Zahlung des sich aufgrund der Rechnungslegung bzw Schätzung ergebenden Pflichtteils von 1/9 des Wertes dieser Liegenschaft, wobei die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur erfolgten Wertermittlung vorbehalten bleibe.

[6] I hm stehe nach der Verlassenschaft nach seinem Vater ein Pflichtteilsanspruch von 1/9 zu. Dessen Mutter habe eine fideikommissarische Substitution auf den Überrest angeordnet. Der Vater hätte die Liegenschaft jedem zu Lebzeiten schenken oder verkaufen können, dann wäre entsprechendes Bargeld in der Verlassenschaft vorhanden gewesen. B ei der Liegenschaftsübertragung an die Beklagte handle es sich um eine Schenkung, die bei der Berechnung seines Pflichtteils hinzuzurechnen sei. Als Pflichtteilsberechtigten stehe ihm gemäß § 786 ABGB ein Auskunftsrecht gegenüber dem Beschenkten sowie gemäß Art. XLII EGZPO der Anspruch auf Offenlegung der Höhe der Schenkung zu.

[7] Die Beklagte bestritt und brachte vor, e s liege keine pflichtteilsrelevante Schenkung vor. Hinsichtlich ihres unbeweglichen Nachlasses sei eine „strenge“ Nacherbschaft zugunsten der Beklagten angeordnet, sonst würde die Formulierung im Testament keinen Sinn ergeben. Es sei der Wille d er Großmutter gewesen, dass die Beklagte Erbin des unbeweglichen Vermögens werde. Die Liegenschaft sei Teil der Substitutionsmasse, nie aber der Verlassenschaft (des Vaters) zuzurechnen gewesen, von welcher die Pflichtteilsansprüche zu berechnen seien. Da die Beklagte die Liegenschaft nach dem Tod d es Vaters ohnehin als Nachlegat von ihrer Großmutter erhalten hätte, sei die mit d em Vater vereinbarte Liegenschaftsübertragung keine Schenkung. Schließlich habe der Vater ein lebenslanges Fruchtgenussrecht als Gegenleistung für den Verzicht auf sein Vorlegat erhalten.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die letztwillige Verfügung sei dahin auszulegen, dass freie Verfügung nur über den beweglichen Nachlass bestanden habe, es liege daher keine Substitution auf den Überrest und auch keine Schenkung vor, weil sich aus dem Testament der Mutter eine moralische Pflicht für den Vater der Streitteile ergeben habe.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entsch eidu ng. D ie Auslegung einer dem Wortlaut nach feststehenden Urkunde sei eine Frage der rechtlichen Beurteilung, wenn sie allein aufgrund des Urkundeninhalts geschehe. Nicht jede fideikommissarische Substitution sei mangels anderer Anordnung eine solche auf den Überrest, es müssten vielmehr Zweifel vorliegen. Das vorliegende Testament sei insofern nicht unklar, auf die Zweifelsregel des § 614 ABGB komme es daher nicht an. Der Senat billige das vom Erstgericht argumentierte Auslegungsergebnis, dass keine Substitution auf den Überrest beabsichtigt gewesen sei.

[10] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob bei Annahme einer nicht auf den Überrest erfolgten fideikommissarischen Substitution die Aufgabe der Vorerbenstellung zugunsten der Nacherbin einen Schenkungspflichtteilsanspruch und damit einhergehende Auskunftsrechte des Pflichtteilsberechtigten auslösen könne, keine gesicherte Judikatur vorliege.

[11] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[13] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig , sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[14] 1. Wie bereits die Vorinstanzen dargelegt haben, sind nach § 1503 Abs 7 ABGB die relevanten Bestimmungen zur fideikommissarischen Substitution idF vor dem ERBRÄG 2015 anzuwenden, während sich der Pflichtteilsanspruch des Klägers nach den pflichtteilsrechtlichen Bestimmungen idF des ErbRÄG 2015 richtet.

[15] 1.1 § 786 ABGB idF des ErbRÄG 2015 sieht einen Auskunftsanspruch auch gegenüber dem Geschenknehmer vor. Anspruchsvoraussetzung dafür ist die Berechtigung des Klägers, die Hinzurechnung als Schenkung zu verlangen.

[16] 2. Eine solche Berechtigung setzt voraus, dass einerseits der zu beurteilende Vorgang als Schenkung iSd § 781 ABGB zu betrachten ist und andererseits, dass dieser Vorgang Auswirkungen auf den Nachlass des Vaters (Vorerben) und den aus dem Nachlass des Vorerben abzuleitenden (RS0012558) Pflichtteilsanspruch des Klägers hatte.

3. Letzteres ist hier zu verneinen:

[17] 3.1. Der Vater der Streitteile war in Bezug auf den unbeweglichen Nachlass seiner Mutter Vorerbe, die Beklagte Nacherbin. Beide sind im Sinn der ständigen Rechtsprechung Erben und Gesamtrechtsnachfolger der ursprünglichen Erblasserin. Die Nacherbin ist insofern nicht Erbin des Vorerben (RS0012564). Das Substitutionsgut fällt deshalb bei Eintritt des Nacherbfalls nicht in den Nachlass des Vorerben, sondern ist Bestandteil der Verlassenschaft jenes Erblassers, der die Nacherbschaft anordnete (RS0012564 [T1]). Sie wird vom Nacherben im Rahmen eines fortzusetzenden Verlassenschaftsverfahrens nach dem die Nacherbschaft verfügenden Erblasser kraft Einantwortung erworben (RS0012564 [T2]).

[18] Ist daher der Nacherbfall wie hier der Tod des Vorerben, so finden unabhängig von der Art der Nacherbschaft zwei getrennte Nachlassverfahren statt, nämlich das wiederaufgenommene Verfahren nach dem die Nacherbschaft verfügenden Erblasser und die Abhandlung nach dem Vorerben (RS0007568).

[19] Das Recht des Vorerben ist ein zeitlich beschränktes Eigentumsrecht. Seine Rechtsstellung kommt – mit Ausnahme der Substitution auf den Überrest (befreite Nacherbschaft) – der eines Fruchtnießers gleich (RS0012535).

[20] 3.2. Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem ErbRÄG gilt das (nun in § 613 Abs 3 ABGB nF ausdrücklich angeordnete) Surrogationsprinzip auch für die Substitution auf den Überrest (zum Nachlegat: 2 Ob 148/20h mwN RS0012225 [T7]). Wenn der Vorerbe durch die Verfügung über eine Sache der von der Nacherbschaft umfassten Verlassenschaft Geld oder eine andere Sache erlangt, wird diese Ersatzsache im Zweifel Teil der Verlassenschaft.

[21] 3.3. Durch die gewählte – vom Kläger als Schenkung qualifizierte – Vorgangsweise des Vaters wurde allenfalls die von der Nacherbschaft umfasste Verlassenschaft, nicht aber jene des Vaters der Streitteile um den Liegenschaftswert verringert. Da der Kläger aber nur nach letzterer Verlassenschaft einen Pflichtteilsanspruch hat, kommt dort die begehrte Hinzurechnung des Liegenschaftswerts nicht in Frage, unabhängig davon, ob hier eine Substitution auf den Überrest vorliegt oder nicht.

[22] 3.4 Auf die Erwägungen des Berufungsgerichts, in der vorzeitigen Aufgabe der aus der Stellung als Vorerbe resultierende Rechte könne eine den Nachlass des Vaters schmälernde Schenkung liegen, kommt die Revision – wohl schon angesichts des kurzen Zeitraums, den der Vater die Vereinbarung mit der Beklagten überlebte – ohnehin nicht zurück.

4. Ergebnis:

[23] Die Aufgabe der Vorerbenstellung zugunsten einer Nacherbin löst keinen Anspruch auf Hinzurechnung nach § 781 ABGB aus. Der Pflichtteilsberechtigte des Vorerben hat kein Auskunftsrecht nach § 786 ABGB bezogen auf den Wert des von der Nacherbschaft betroffenen Nachlass(teils), weil insoweit der Nachlass des Vorerben nicht verringert wird.

[24] 5. Da somit die Berechtigung, die Hinzurechnung der behaupteten Schenkungen zu verlangen, bereits aus diesem Grund nicht besteht, ist auf die weiter in der Revision relevierten Fragen zur Auslegung des Testaments und der Qualifikation des Verzichts als Schenkung nicht einzugehen.

[25] 6. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[26] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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