JudikaturJustiz2Ob114/21k

2Ob114/21k – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. August 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** P*****, vertreten durch Dr. Markus Ludvik, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** L*****, vertreten durch Dr. Markus Bernhauser, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen 30.547,09 EUR sA und Räumung, über den „außerordentlichen Revisionsrekurs“ und die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 2. April 2021, GZ 22 R 52/21h 99, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der „außerordentliche Revisionrekurs“ wird zurückgewiesen.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. In ihrem „außerordentlichen Revisionsrekurs“ wendet sich die Beklagte gegen den Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem ihre in erster Instanz erhobene Aufrechnungseinrede und das dieser zugrunde liegende Vorbringen zu Gegenforderungen von insgesamt 403.462,04 EUR als verspätet zurückgewiesen wurde. Gegen einen solchen, im Berufungsverfahren ergangenen Beschluss des Berufungsgerichts ist gemäß § 519 ZPO ein Rekurs nicht zulässig (2 Ob 160/18w). Das als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.

[2] 2. Hat das Berufungsgericht erstmals neues Vorbringen gemäß § 179 ZPO für unstatthaft erklärt, dann kann diese Entscheidung aber nach der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens in dritter Instanz überprüft werden (2 Ob 160/18w; 6 Ob 330/97s; RS0036739). Eine solche Mängelrüge lässt sich dem Rechtsmittelvorbringen entnehmen. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich insoweit aber regelmäßig nicht, weil es ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 179 Satz 2 ZPO im konkreten Fall erfüllt sind (2 Ob 160/18w mwN; RS0036739 [T1]).

[3] 3. Dass die Zurückweisung einer Aufrechnungseinrede in (analoger) Anwendung des § 179 ZPO zulässig ist, zieht die Beklagte nicht in Zweifel (7 Ob 589/85 [7 Ob 590/85]; implizit auch 6 Ob 110/12p). Zur als erheblich bezeichneten Frage, ob die Zurückweisung nach § 179 ZPO auch erst durch das Berufungsgericht erfolgen kann, besteht entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel höchstgerichtliche Judikatur (RS0036739). Eine Überschreitung der funktionellen Zuständigkeit durch das Berufungsgericht liegt damit nicht vor.

4. Mit ihrer Behauptung, ihr hätte Gelegenheit zur Erklärung gegeben werden müssen, warum ihr Vorbringen zur Gegenforderung nicht grob schuldhaft verspätet gewesen sei, zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal sie auch im Rechtsmittel nicht schlüssig darzulegen vermag, inwiefern ihr von ihr behauptete massive Umsatzrückgänge in den Jahren 2017 bis 2019 aufgrund vertragswidrigen Verhaltens der Klägerin nicht substanziell vor dem Zeitpunkt der Erhebung der Gegenforderung im August 2020 zur Kenntnis gelangt sein sollten. Auf das (zeitverzögerte) Vorliegen von Umsatzsteuerbescheiden für bestimmte Jahre kommt es bei einer Unternehmerin, die eine laufende Buchhaltung zu führen hat, nicht entscheidend an. Im Übrigen ist die Frage, ob ein bestimmtes Vorbringen Anlass zu einer Erörterung gibt, stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0114544).

[4] Zu welchen „Tatsachen und Beweisergebnissen“ sich die Beklagte aufgrund der Beschlussfassung durch das Berufungsgericht nicht äußern konnte, legt sie im Rechtsmittel nicht konkret dar, sodass es ihr auch nicht gelingt, eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs aufzuzeigen.

[5] 5. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Bejahung der Voraussetzungen nach § 179 Satz 2 ZPO zeigt die Beklagte schon vor dem Hintergrund nicht auf, dass das Mietzins- und Räumungsverfahren seit Mai 2017 gerichtsanhängig war, im ersten Rechtsgang eine Vielzahl an Tagsatzungen mit Beweisaufnahmen (zuletzt am 25. 2. 2019) stattfand und die Beklagte erstmals im zweiten Rechtsgang – wenige Tage vor Durchführung der letzten Tagsatzung – neue Gegenforderungen unter Erstattung neuen Vorbringens und Beantragung der Aufnahme zahlreicher Personalbeweise erhob.