JudikaturJustiz1Ob40/93

1Ob40/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alexander S*****, vertreten durch Dr. Manfred Puchner und Dr. Ernst Dejaco, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 66.433,04, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. September 1993, GZ 3 R 179/93 21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19. Mai 1993, GZ 4 Cg 398/92p 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.624, - bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1990 Eigentümer und Zulassungsbesitzer eines (gebrauchten) LKWs Fiat Iveco. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt erhielt dieser LKW von einem Dritten, jedenfalls nicht vom Kläger, eine nicht fachmännisch gebaute und montierte Anhängevorrichtung (im folgenden Anhängerkupplung); der Rahmen für die Aufnahme des Kugelkopfes ist mit einem zu schweren U Profil gebaut und dann mit einer zu kurzen Auflage am Fahrzeugrahmen befestigt. Man hätte hier zusätzlich noch eine Zugstrebe vom Kugelkopf zum Fahrzeugrahmen in Richtung Mitte anbringen müssen. Der - am Fahrzeugrahmen mit vier Schrauben befestigte Rahmen für die Aufnahme des Kugelkopfes - hätte noch zusätzlich mit Knotenblechen seitlich links und rechts verschraubt werden müssen. Der LKW des Klägers wurde am 12. Februar 1992 in der Prüfhalle des Amtes der Vorarlberger Landesregierung in L***** gemäß §§ 55, 57 KFG 1967 (im Rahmen mittelbarer Bundesverwaltung) von einem Landesbeamten auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit überprüft. Der die Überprüfung bzw Begutachtung durchführende Beamte hätte erkennen müssen, daß die Anhängerkupplung nicht ordnungsgemäß montiert bzw befestigt ist. Im Prüfbericht vom 12. Februar 1992 wurde jedoch die Verkehrs- und Betriebsicherheit des LKWs bestätigt, dieser als verkehrs- und betriebssicher eingestuft und dem Kläger von diesem Beamten durch Einstempelung die Berechtigung, den LKW weiter zu benutzen, erteilt. Am 9. März 1992 fuhr der Kläger mit seinem LKW mit angehängtem Wohnwagen, in welchem drei Verkleidungsscheiben für Motorräder verstaut waren, in Richtung Spanien. Auf der Schweizer Autobahn riß wegen deren nicht fachgerechten Befestigung die Anhängerkupplung des LKWs, der führerlose Wohnwagen schleuderte in die Leitplanke und wurde schwer beschädigt; auch die Verkleidungsscheiben wurden beschädigt.

Der Kläger begehrt von der beklagten Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung Zahlung von zuletzt (Klagseinschränkung ON 12 AS 34) S 66.433,04 sA als Sachschaden am Wohnwagen und an dessen Ladung (Verkleidungsscheiben) sowie Kosten des Abschleppens und sonstige Spesen mit dem wesentlichen Vorbringen, der für die Überprüfung zuständige Beamte hätte bei Anwendung der entsprechenden Sorgfalt die Mängel der Anhängerkupplung erkennen, den Kläger darauf aufmerksam machen und die Bestätigung über die Verkehrs- und Betriebssicherheit verweigern müssen.

Die beklagte Partei wendet ein, daß der Kläger als Zulassungsbesitzer durch die Überprüfung nach §§ 55 ff KFG vor Schäden an seinem Vermögen nicht geschützt sei, weshalb es am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle. Das überwiegende Verschulden am Abreißen der Anhängerkupplung treffe den Kläger, weil dieser seinen Anhänger überladen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat im wesentlichen die Auffassung, daß zwar hoheitliches Handeln vorliege, jedoch der eingetretene Schade außerhalb des Schutzzweckes des KFG liege. Die wiederkehrende Überprüfung gemäß §§ 55, 57 KFG stelle fest, ob ein Kraftfahrzeug den Vorschriften des KFG und den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entspreche. Gemäß § 4 Abs 1 KFG müßten die Fahrzeuge verkehrs- und betriebssicher gebaut sein. Gemäß Abs 2 leg.cit. dürften durch den sachgemäßen Betrieb eines Kraftfahrzeuges weder Gefahren für den Lenker, beförderte Personen, für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße entstehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umfasse die Verkehrssicherheit sowohl den Schutz von Personen gegen Gefährdung als auch den Schutz von Sachen gegen Beschädigung. Der Staat wolle durch das KFG die Allgemeinheit vor den Gefahren schützen, die durch die Eigenart und Beschaffenheit der Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr drohen. Die Allgemeinheit schützen bedeute aber nichts anderes, als daß der Dritte sowohl an der Person als auch am Vermögen keinerlei Schäden durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen nehmen sollte. Es möge auch bedeuten, daß der Lenker bzw Zulassungsbesitzer und sich im Fahrzeug befindliche Personen keinen Schaden nehmen sollten, da dadurch auch die Allgemeinheit, wenn auch nur mittelbar - in Form von Krankenhauskosten etc - geschädigt würde. Aus keiner Bestimmung des KFG könne aber abgeleitet werden, daß der Eigentümer des Fahrzeuges und Zulassungsbesitzer durch die Überprüfung desselben vor Schäden im eigenen Vermögen geschützt werden solle.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, billigte die erstrichterliche Rechtsauffassung und führte noch aus: Es sei nicht Aufgabe des KFG, den Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges gewissermaßen vor sich selbst zu schützen. Verhaltensnormen im Rahmen des öffentlichen Rechtes würden nur dann erlassen, wenn ein Ausgleich zwischen dem Interesse des einzelnen und einem gegenläufigen Interesse der Allgemeinheit erforderlich sei. Zum Schutz des Einzelnen vor von ihm selbst geschaffenen Gefahren bedürfe es grundsätzlich nicht des Staates. Dieser Schutzzweck ergebe sich schon aus § 1 KFG, das nur auf Kraftfahrzeuge anzuwenden sei, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet würden. Nur insoweit bestehe ein öffentliches Regelungsinteresse. Läge der Zweck des KFG auch darin, den Betreiber des Kraftfahrzeuges in seiner eigenen Rechtssphäre vor selbstgeschaffenen Gefahren zu schützen, wäre die Bestimmung des § 1 KFG nicht verständlich. Aus § 4 KFG, worin der in diesem Gesetz wiederholt verwendete Begriff der Verkehrs- und Betriebssicherheit näher ausgeführt und in Abs 2 zusammengefaßt werde, ergebe sich ebenfalls, daß das KFG nur die Allgemeinheit schützen wolle. Durch den sachgemäßen Betrieb eines Kraftfahrzeuges dürfe keine Gefahr für andere Straßenbenützer, die Straße selbst sowie die Allgemeinheit durch schädliche Umwelteinflüsse entstehen. Darüber hinaus schütze das KFG auch den Lenker eines Kraftfahrzeuges sowie die im Fahrzeug beförderten Personen; der beklagten Partei sei beizupflichten, daß auch dies als Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit zu qualifizieren sei. § 4 Abs 2 KFG enthalte keinerlei Bezugnahme darauf, daß Kraftfahrzeuge und Anhänger so gebaut und ausgerüstet sein müssen, daß durch ihren sachgemäßen Betrieb keine Gefahren für das Kraftfahrzeug selbst oder mit diesem beförderte Sachen entstehen. Da § 4 Abs 2 KFG den Begriff der Verkehrs- und Betriebssicherheit nicht durch die Anführung von Eigenschaften, welche Kraftfahrzeuge und Anhänger aufweisen müssen, sondern dadurch umschreibe, daß der Gesetzgeber den Regelungszweck offenlege, sei der Schutzzweck sämtlicher Normen des KFG, welche auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit abstelle, unmittelbar aus § 4 Abs 2 KFG abzuleiten. Da Vermögensschäden des Zulassungsbesitzers eines Kraftfahrzeuges in dieser Bestimmung keine Erwähnung fänden, folgere daraus, daß deren Vermeidung auch nicht das Ziel der auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit abstellenden Normen des KFG sei. Die wiederkehrende Überprüfung der Verkehrs- und Betriebssicherheit diene deshalb nur dem Interesse der vom Zulassungsinhaber verschiedenen Allgemeinheit. Gemäß § 103 KFG sei der Zulassungsbesitzer selbst verpflichtet, dafür zu sorgen, daß sein Fahrzeug den Anforderungen der Verkehrs- und Betriebssicherheit entspreche. Durch §§ 55 ff KFG werde diese Verpflichtung auch nicht teilweise auf die Behörde überwälzt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Daß ein Handeln in Vollziehung der Gesetze vorliegt (vgl dazu JBl 1991, 180 mwN und Anm von Rebhahn ), war schon im Berufungsverfahren ebensowenig strittig wie die Tatsache, daß das Organ des Rechtsträgers durch seine nachlässige Überprüfung des klägerischen LKWs rechtswidrig und schuldhaft iS des § 1 AHG handelte.

Nach herrschender Auffassung kann ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, auch in einer Unterlassung bestehen, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und ein pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (SZ 63/166, SZ 62/73 uva; Schragel AHG 2 Rz 131; Apathy in Aicher , Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsrecht 213).

Auch für den Bereich des Amtshaftungsrechtes gilt der Grundsatz, daß die übertretene Vorschrift gerade auch den Zweck haben muß, den Geschädigten vor eingetretenen (Vermögens )Nachteilen zu schützen (JBl 1993, 788; SZ 62/73, SZ 61/189 uva; Schragel aaO Rz 121; Kerschner in JBl 1984, 358 f). Die Nichtberücksichtigung der eingrenzenden Wirkung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges hätte gerade auch im Gebiet des Amtshaftungsrechtes eine Uferlosigkeit der Haftpflicht der Rechtsträger zur Folge (JBl 1993, 788, 399; Kerschner aaO 359). Es muß daher geprüft werden, ob Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener normiert sind. Es wird nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellen, deretwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt wird. Es genügt für die Annahme des erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhanges angesichts der in der Regel primär öffentliche Interesse wahrenden öffentlich rechtlichen Vorschriften zwar, daß die Verhinderung eines Schadens bei einem Dritten bloß mitbezweckt ist; die Norm muß aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (JBl 1993, 788, 399; SZ 61/189, jeweils mwN). Daraus allein, daß eine Amtshandlung, die dem öffentlichen Interesse dient, mittelbar auch die Interessen eines Dritten berührt, ihm zugute kommt und ihm damit als Reflexwirkung pflichtgemäßen Handeln einen Vorteil verschafft, läßt sich noch nicht auf das Vorliegen einer Amtshaftungspflicht gerade diesem gegenüber schließen (JBl 1993, 788, 399; SZ 61/189). Bei der maßgebenden teleologischen Betrachtungsweise (JBl 1993, 788; SZ 63/166, 54/108 mwN ua) ist bei jeder einzelnen Norm der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinnes der Vorschrift (JBl 1993, 788; SZ 61/189, SZ 59/68 ua) ergibt.

Das Kraftfahrgesetz 1967 (KFG) idgF gilt nach seinem § 1 Abs 1 grundsätzlich (Ausnahme § 1 Abs 2 leg.cit.) für Kraftfahrzeuge und Anhänger, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden. Der mit dem KFG angestrebte Verwaltungszweck ist der Schutz der öffentlichen Verkehrssicherheit (RV 186 BlgNR XI. GP; SZ 54/19 = JBl 1981, 650 = EvBl 1981/161 = ZVR 1982/24). Der Staat will durch die Vorschriften des KFG den Gefahren steuern, die der Allgemeinheit im öffentlichen Straßenverkehr durch die Eigenart und Beschaffenheit der Kraftfahrzeuge drohen (SZ 54/19, SZ 28/201; Schragel aaO Rz 122).

Auch der Verfassungsgerichtshof anerkannte (VfSlg 4827/1964), daß die Begutachtung der Fahrzeuge „zum überwiegenden Teil dem Schutz der Allgemeinheit und damit dem öffentlichen Interesse dient“. Er hob deshalb eine Verordnung der Bundesregierung über die Einhebung einer Verwaltungsabgabe für die Anbringung eines Vermerks über die Durchführung der Überprüfung nach § 50 KFG 1955 als gesetzwidrig auf. Ob der Schutz des Kraftfahrzeuges des Zulassungsbesitzers selbst mit bezweckt oder bloße Reflexwirkung der öffentlich rechtlichen Normen ist, ließ der Verfassungsgerichtshof offen. Rebhahn , Amtshaftung und Normzweck, JBl 1981, 512, 513, nennt als Beispiel des fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhanges die technische Aufsicht über Seilbahnen, wenn der beaufsichtigte Unternehmer selbst einen Schaden erleidet und meint, daß am fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang „kein Zweifel“ bestehen könne. Schragel tritt dieser Auffassung aaO Rz 123 jedenfalls nicht entgegen.

Für die Abgrenzung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges kann - wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorhob - die Norm des § 4 Abs 2 KFG dienen. Sie regelt zwar primär die gesetzlichen Anforderungen an die Bauart und Ausrüstung der Kraftfahrzeuge und Anhänger, ihr kommt jedoch in dem hier interessierenden Zusammenhang insofern Bedeutung zu, als gemäß § 55 Abs 1 KFG bei wiederkehrenden Überprüfungen auf Grund des Verfahrens nach § 57 KFG zu entscheiden ist, ob das Fahrzeug den Vorschriften dieses Bundesgesetzes, also auch der Vorschrift des § 4 Abs 2 KFG, entspricht. Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet, so sind bei Gefahr im Verzug unbeschadet der Bestimmung des § 44 Abs 1 lit a KFG über die Aufhebung der Zulassung der Zulassungsschein und die Kennzeichentafel unverzüglich abzunehmen (§ 57 Abs 8 KFG).

Als geschützter Personenkreis werden in § 4 Abs 2 KFG der Lenker, die beförderten Personen und andere Straßenbenützer genannt, weiters als Normzweck die Hintanhaltung von Beschädigungen der Straße und der Fahrzeuge anderer Straßenbenützer. Es fällt auf, daß das Fahrzeug des Zulassungsbesitzers nicht unter den Schutzobjekten aufgezählt wird. Der Lenker als solcher kann ja stets nur Personenschäden erleiden. Da dem Gesetzgeber Schäden des Zulassungsbesitzers vor Augen gestanden sein mußten, ist aus der Beschränkung der Schutzobjekte auch auf einen eingeschränkten Schutzbereich der §§ 55, 57 KFG zu schließen. Wenn mit der wiederkehrenden Überprüfung zugleich auch dem Interesse des Zulassungsbesitzers Rechnung getragen wird, weil dessen Fahrzeug einer Überprüfung unterzogen wird, so handelt es sich dabei doch nur um eine Reflexwirkung der Normen des Kraftfahrgesetzes, das Eigentum des Zulassungsbesitzers ist deshalb aber noch nicht Schutzobjekt dieser Bestimmungen.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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