JudikaturJustiz1Ob36/13w

1Ob36/13w – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Vorarlberg, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei L***** S*****, vertreten durch Mag. Hans Christian Obernberger, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 3. Jänner 2013, GZ 2 R 62/12a 15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 7. Oktober 2011, GZ 3 C 41/11y 6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 26. 2. 2013 wird zurückgewiesen.

II. Der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird als nichtig aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrte die Räumung des mit Bestandvertrag vom 23. 9./27. 9. 2004 übernommenen Bestandgegenstands, einer Teilfläche im Ausmaß von ca 60 m 2 aus Gst Nr 740/5 in EZ ***** GB ***** samt dem darauf errichteten Kiosk. Das Bestandverhältnis sei am 31. 12. 2010 nach Ablauf der vereinbarten Bestanddauer erloschen.

Der Beklagte bestritt und wendete ein, das ausschließlich von ihm finanzierte Kioskgebäude sei nicht auf dem Grundstück 740/5, sondern auf einem Teil der Landesstraße 190 errichtet worden. Er berief sich auf Wucher nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB. Die Republik Österreich (Rechtsvorgängerin der klagenden Partei im Eigentum der Liegenschaft) habe ihm 60 m 2 zu einem Entgelt von 85.000 EUR zur Verfügung gestellt und die Errichtung eines Gebäudes in Massivbauweise auf seine Kosten verlangt. Dieses um zumindest 165.000 EUR errichtete Gebäude müsse nach den Bestimmungen des Vertrags der klagenden Partei entschädigungslos überlassen werden. Er habe als redlicher Bauführer originär Eigentum an der Fläche erworben. Das Bestandverhältnis sei bereits in den Jahren 1995/1996 begründet und durch die in der Klage angeführten Verträge lediglich modifiziert worden. Maßgeblich für die Zulässigkeit einer Befristung nach dem MRG, das auf diese mit einem Superädifikat verbundene Grundstücksmiete anzuwenden sei, sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der Begründung des Bestandverhältnisses. Dieses könne daher nur bei Vorliegen eines der Auflösungsgründe des § 29 Abs 1 Z 3 MRG aufgelöst werden. Die klagende Partei habe sich aber auf keinen dieser Gründe berufen.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte unter anderem Folgendes fest:

Im Jahr 1996 schlossen die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei als Eigentümerin und der Beklagte erstmals einen auf 15 Jahre befristeten Bestandvertrag über eine Teilfläche im Ausmaß von ca 60 m 2 aus Gst Nr 740/5 in EZ ***** GB *****. Der Beklagte verpflichtete sich, einen Kiosk zu errichten, diesen zu betreiben und jährlich 6 % des Jahresumsatzes an Bestandzins zu entrichten. Im Jahr 2004 schlossen die Streitteile erneut einen am 1. 1. 2004 beginnenden, auf sieben Jahre abgeschlossenen und durch Ablauf dieser Zeit „automatisch“ am 31. 12. 2010 endenden Bestandvertrag über die streitgegenständliche Teilfläche. Der Bestandzins betrug 4,5 % des Jahresumsatzes.

In der rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht das Vorliegen eines Wuchertatbestands sowie die Anwendbarkeit des MRG auf den mit Wirksamkeit vom 1. 1. 2004 neu geschlossenen Bestandvertrag, der nach § 1 Abs 4 MRG in der Fassung der MRN 2001 zur Gänze vom Anwendungsbereich des MRG ausgenommen sei.

Das Berufungsgericht bestätigt das Urteil des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass eine Teilfläche des Grundstücks Nr 740/4 (und nicht 740/5) vom Bestandverhältnis und damit von der Räumungsverpflichtung betroffen sei, und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Zu dieser „Maßgabenbestätigung“ führt es aus, dass das sowohl in den schriftlichen Verträgen als auch im Klagebegehren genannte Grundstück Nr 740/5 weder im Eigentum der klagenden Partei stehe oder gestanden sei, noch in der genannten EZ vorkomme und sich tatsächlich die vom Bestandrecht umfasste Grundstücksfläche auf dem Grundstück Nr 740/4 der genannten EZ befinde. Beiden Verfahrensbeteiligten sei aber die Lage des Bestandobjekts zweifellos klar gewesen. In der rechtlichen Beurteilung ließ es dahingestellt, ob (wie vom Erstgericht angenommen) im Jahr 2004 ein neuer Bestandvertrag geschlossen worden sei. Auch nach dem analog anzuwendenden § 29 Abs 1 Z 3a MRG in der Fassung zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Bestandvertrags im Jahr 1996 sei die vereinbarte Befristung zulässig gewesen. Ob Wucher oder andere Willensmängel vorgelegen seien, sei nicht relevant. Eine allfällige Unwirksamkeit des Bestandvertrags führe nämlich zur Berechtigung des Räumungsbegehrens wegen titelloser Benützung. Ein Eigentumserwerb nach § 418 ABGB komme bei der Miete eines Grundstücks zur Errichtung eines Superädifikats nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

I. Nach Erhebung seiner außerordentlichen Revision brachte der Beklagte einen zweiten Rechtsmittelschriftsatz ein. Damit verstößt er gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RIS Justiz RS0041666), weshalb der Schriftsatz als unzulässig zurückzuweisen ist.

II. Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt, weil der geltend gemachte Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 503 Z 1 ZPO verwirklicht ist.

1. Nach Art 87 Abs 3 B VG sind die gerichtlichen Geschäfte für eine bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Die Beteiligung eines nach der Geschäftsverteilung nicht berufenen Richters verwirklicht einen relativen Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO (vgl RIS Justiz RS0039916). Dieser Nichtigkeitsgrund liegt auch dann vor, wenn die generelle Norm der Geschäftsverteilung gegen eine Verfassungsnorm verstieß (RIS Justiz RS0039915). Betrifft der genannte Nichtigkeitsgrund das Berufungsverfahren, muss er entweder vor Einlassung in die Berufungsverhandlung oder, wenn eine solche (wie hier) nicht stattgefunden hat, in der Revision gerügt werden, ansonsten ist er im Sinn des § 260 Abs 4 ZPO geheilt und kann vom Obersten Gerichtshof nicht wahrgenommen werden (2 Ob 85/09b mwN).

2. In der außerordentlichen Revision macht der Beklagte zunächst geltend, dass sich den Verteilungsgrundsätzen in Punkt 3.1.f) der Geschäftsverteilung des Berufungsgerichts nicht schlüssig und überprüfbar entnehmen lasse, weshalb die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung 2 zugefallen sein sollte.

3. Der hier relevante Punkt 3.1.f) der anzuwendenden Geschäftsverteilung des Berufungsgerichts regelt die Verteilung von zivilen Rechtsmittelsachen auf die Gerichtsabteilungen 1, 2 und 3 nach dem „fortlaufenden Anfall“ und legt hier nicht weiter interessierende Kriterien für die Reihung der an einem Tag (Vortag der Zuteilung) angefallenen Rechtsmittelakten fest. Der Revisionswerber unterliegt einem Missverständnis, wenn er den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung durch eine Verteilung nach dem laufenden Anfall („Radl“) deshalb als verletzt sieht, weil er die Zuweisung eines Akts an eine konkrete Gerichtsabteilung nicht ausschließlich durch einen Blick in die Geschäftsverteilung feststellen kann. Maßgebliches Kriterium ist die Verteilung der Rechtssachen nach in der Geschäftsverteilung festgelegten objektiven und nachprüfbaren Kriterien. So hegte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. 10. 2008, U 5/08, VfSlg 18.594, keine Bedenken gegen eine Regelung in der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofs, welche die Verteilung der Rechtssachen nach der Belastung der Richter anordne. Dieses System gewährleiste, dass bereits im Zeitpunkt der Einbringung einer Beschwerde feststehe, dass sie demjenigen Richter mit dem niedrigsten Zuteilungsstand zugewiesen werde. Der jeweils aktuelle Zuteilungsstand sei ein objektives und nachprüfbares Kriterium. In diesem Sinn ist auch die Zuteilung nach den im Punkt 3.1.f) der Geschäftsverteilung des Berufungsgerichts enthaltenen Grundsätzen objektiv und überprüfbar.

4. Der Revisionswerber rügt aber zutreffend, dass die Regelungen der Geschäftsverteilung des Berufungsgerichts über die Zusammensetzung der Rechtsmittelsenate 1 3 (Punkte 3.2 und 3.4) nicht dem Grundsatz der festen Geschäftsverteilung entsprechen.

5. Bei allen Rechtsmittelsenaten, so auch dem hier eingeschrittenen Senat 2 handelt es sich um sogenannte „überbesetzte Senate“, die neben dem in der Geschäftsverteilung jeweils namentlich genannten Vorsitzenden mehr als die zwei weiteren Mitglieder nach § 7 Abs 1 JN haben. Bei solchen Senatsabteilungen hat die Geschäftsverteilung nach § 32 Abs 3 erster Satz GOG in der Fassung der ZVN 2004, BGBl I 2004/128, festzulegen, nach welchen generellen Grundsätzen der jeweils zur Entscheidung der Sache im Einzelfall zuständige Senat zu bilden ist. Innerhalb dieses Senats verteilt der Senatsvorsitzende die Geschäfte und bestimmt für die einzelnen Rechtssachen die Berichterstatter (Satz 2 leg cit). Diese Bestimmung schreibt die Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 46/89 = SZ 63/24; RIS Justiz RS0053569) zur Bestimmung der Zusammensetzung „überbesetzter Senate“ durch generelle Bestimmungen der Geschäftsverteilung ohne weiteren Zuordnungsakt des Vorsitzenden nieder (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 477 ZPO Rz 33).

6. Die hier relevanten Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Berufungsgerichts lauten:

„3.2. Die Rechtsmittelrichter werden in den Gerichtsabteilungen 1, 2 und 3 wie folgt verwendet:

...

Gerichtsabteilung 2:

HR Dr. Höfle mit 100 % (Vorsitzender), Dr. Mayrhofer mit 50 %, Dr. Ciresa mit 40 %, Dr. Weißenbach mit 30 %, Dr. Flatz mit 30 % (Dr. Ciresa ist Stellvertreterin des Vorsitzenden). Dr. Ciresa ist Beisitzer, wenn Dr. Höfle oder Dr. Mayrhofer Berichterstatter sind, Dr. Mayrhofer ist Beisitzer, wenn HR Dr. Höfle und Dr. Ciresa Berichterstatter sind, Dr. Weißenbach ist Beisitzer, wenn Dr. Flatz Berichterstatter ist und Dr. Flatz ist Beisitzer wenn Dr. Weißenbach Berichterstatter ist.

3.4. Innerhalb jedes Senats verteilt der Senatsvorsitzende die Geschäfte, bestimmt für die einzelnen Rechtssachen die Berichterstatter und anhand eines für jede Gerichtsabteilung gesondert geführten elektronischen Geschäftsbehelfs.“

7. Nach dieser Regelung der Geschäftsverteilung entscheidet der Vorsitzende für einen konkreten Akt über die Zusammensetzung des „überbesetzten Senats“, indem er ein Mitglied als Berichterstatter auswählt. Dieser Zuordnungsakt des Vorsitzenden und nicht wie von Judikatur und Gesetz gefordert, die generelle Bestimmung der Geschäftsverteilung bestimmt die Zusammensetzung des für den konkreten Akt zur Entscheidung berufenen Rechtsmittelsenats. An der Verletzung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung durch dieses Zuteilungssystem ändert nichts, dass der Vorsitzende den Berichterstatter anhand eines für jede Gerichtsabteilung gesondert geführten elektronischen Behelfs (in der den Parteien zugestellten Stellungnahme des Berufungsgerichts als „Rädle“ bezeichnet) bestimmt.

8. Aus diesen Erwägungen ist die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen Verletzung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung nichtig, was zur Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils führen muss (§ 477 Abs 1 ZPO). Nach Präzisierung der Geschäftsverteilung wird ein ihren Grundsätzen entsprechend gebildeter Berufungssenat neuerlich über die Berufung des Beklagten zu entscheiden haben. Ob im konkreten Fall der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 2 iVm § 503 Z 1 ZPO vorlag, weil neben dem Berichterstatter und dem Vorsitzenden nicht der nach Punkt 3.2 der Geschäftsverteilung namentlich berufene Richter Mitglied des Berufungssenats war, der im konkreten Fall entschieden hat, muss zufolge der erforderlichen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht geprüft werden. Ebenso wenig ist auf die weiteren in der Revision geltend gemachten Rechtsmittelgründe (§ 503 Z 2 4 ZPO) einzugehen. Anzumerken ist allerdings, dass die vom Berufungsgericht in Form einer „Maßgabenbestätigung“ ausgesprochene Berichtigung des zu räumenden Objekts nach dem Akteninhalt nicht lediglich eine zwischen den Parteien unstrittige unrichtige Bezeichnung des vermieteten Objekts berücksichtigte, hat doch die klagende Partei das Vorbringen des Prozessgegners zur falschen Bezeichnung des zu räumenden Grundstücks bestritten.

9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.