JudikaturJustiz1Ob256/07i

1Ob256/07i – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christoph V*****, vertreten durch Mag. Helmut Kovaricek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.126,-- EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2007, GZ 14 R 21/07x-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. November 2006, GZ 32 Cg 11/05f-14, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 665,66 (darin enthalten 110,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger war Eigentümer eines Wohnwagens, den er ohne Kennzeichen und Prüfplakette auf einer öffentlichen Verkehrsfläche in Wien abgestellt hatte. Am 28. September 2004 wurde der Wohnwagen von Organen der beklagten Partei (der MA 48) abgeschleppt und auf einen Verwahrplatz gebracht. Am darauf folgenden Tag, dem 29. September 2004, erfolgte ein Anschlag an der Amtstafel, mit welchem der unbekannte Eigentümer aufgefordert wurde, das Fahrzeug abzuholen. Nachdem die Fahrgestellnummer des Wohnwagens eruriert worden war, richtete ein Beamter der beklagten Partei am 5. Oktober 2004 drei Computeranfragen an das Bundesminsterium für Inneres, um festzustellen, ob der Wohnwagen als gestohlen gemeldet sei. Diese Anfragen verliefen negativ. Der Kläger hatte sich zum Zeitpunkt der Abschleppung und noch bis 13. Oktober 2004 in stationärer Spitalspflege befunden. Noch während seines Spitalaufenthalts bemerkte seine Lebensgefährtin das Fehlen des Wohnwagens und machte ihm davon Mitteilung, worauf er sie um Erstattung einer Diebstahlsanzeige ersuchte. Zu diesem Zweck begab sie sich am 4. Oktober 2004 in ein Polizeiwachzimmer. Um zu klären, ob der Wohnwagen abgeschleppt worden war, führte eine Beamtin zunächst eine Computerabfrage bei der MA 48 oder auch bei einem (für die beklagte Partei tätigen) Abschleppunternehmen durch. Da kein positives Ergebnis erzielt wurde, riet die Beamtin, bei der zuständigen Stelle der Kriminalpolizei die Diebstahlsanzeige zu erstatten. Am 6. Oktober 2004, also einen Tag nachdem die Organe der beklagten Partei die drei Computeranfragen an das Bundesministerium für Inneres gerichtet hatten, wurde daraufhin der Wohnwagen im Auftrag des Klägers als gestohlen gemeldet. Nach Verstreichen der Abholfrist von zwei Monaten kam es zur öffentlichen Versteigerung des Fahrzeugs. Erst im Zuge der Anmeldung durch den neuen Eigentümer im Mai 2005 stellte sich heraus, dass eine Diebstahlsanzeige erstattet worden war.

Der Kläger forderte aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz des Wiederbeschaffungswerts des Wohnwagens in Höhe von 8.126,-- EUR sA sowie den Ersatz der Kosten des Aufforderungschreibens gemäß § 8 AHG in Höhe von 240,-- EUR. Die Versteigerung sei rechtswidrig gewesen, weil die Organe der beklagten Partei seine Ausforschung als Eigentümer unterlassen hätten. Der Anschlag an der Amtstafel stelle keine wirksame Zustellung dar.

Die beklagte Partei wendete ein, dass jedes abgeschleppte Fahrzeug mit dem Zeitpunkt der Abschleppung in einer bestimmten Datenbank erfasst werde. Diese Datenbank sei „online" mit dem Informationsdienst der Polizei verbunden. Diese habe Zugriff auf die Datenbank und werde daher zeitgleich mit der Abschleppung von einer solchen verständigt. Da der Eigentümer des abgeschleppten Wohnwagens nicht feststellbar gewesen sei, habe die Aufforderung nach § 89a Abs 5 StVO gemäß § 25 ZustG durch Anschlag an der Amtstafel zu erfolgen gehabt. Die im Wachzimmer von der Lebensgefährtin des Klägers durchgeführte Anfrage sei deshalb negativ verlaufen, weil diese eine „falsche Tatzeit" und einen „falschen Tatort" angegeben habe. Aus diesem Grund sei die Versteigerung des Wohnwagens vom Kläger selbst zu vertreten. Bei einer Abfrage mit richtigen Daten wäre die Abschleppung aufgeschienen. Zudem habe er sich nach seiner Entlassung aus dem Spital um den Verbleib des Wohnwagens nicht mehr gekümmert. Es träfe ihn daher das Alleinverschulden am Zustandekommen der Versteigerung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein rechtswidriges oder schuldhaftes Verhalten der Organe der beklagten Partei liege nicht vor, vielmehr sei dem Kläger Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die beklagte Partei zur Zahlung von 8.126,-- EUR sA verurteilte und das Mehrbegehren von 240,-- EUR und ein Zinsenmehrbegehren - unangefochten - abwies. Es sprach letztendlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Organe der beklagten Partei seien ihrer Pflicht zur Ausforschung des Eigentümers des Wohnwagens nicht nachgekommen, weshalb die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nicht wirksam gewesen sei. Folglich habe die beklagte Partei einen ihr nicht gehörigen Gegenstand versteigern lassen. Auf rechtmäßiges Alternativverhalten dürfe sie sich nicht berufen. Ein Mit- oder gar Alleinverschulden des Klägers liege nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Zulässigkeitsausspruch ist die Revision unzulässig.

1.) Gemäß § 89a Abs 2 lit a StVO ist bei einem ohne Kennzeichentafeln abgestellten Kraftfahrzeug oder Anhänger dessen Entfernung ohne weiteres Verfahren zu veranlassen. Gemäß § 89a Abs 5 StVO hat die Behörde innerhalb einer Frist von einer Woche nach dem Entfernen eines solchen Fahrzeugs den Eigentümer aufzufordern, den Gegenstand binnen zwei Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung, zu übernehmen. Die Bestimmung des § 29 AVG (jetzt § 25 ZustG) über die Zustellung an Personen, deren Wohnung unbekannt ist, gilt sinngemäß, wenn die Person, an die die Aufforderung zu richten wäre, nicht festgestellt werden kann. Nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist geht gemäß Abs 6 der genannten Gesetzesstelle das Eigentum am entfernten Gegenstand auf den Erhalter jener Straße über, von der der Gegenstand entfernt worden ist. Ein Eigentumsübergang tritt nur dann ein, wenn eine gültige, den Mindesterfordernissen des § 89a Abs 5 StVO genügende Übernahmsaufforderung erfolgte und die ab rechtmäßiger Zustellung zu rechnende Abholfrist ungenützt verstrichen ist (1 Ob 6/97g = SZ 70/95 mwN). Die Zustellung der Übernahmsaufforderung durch Anschlag an der Amtstafel (§ 25 ZustG) ist nur dann rechtmäßig, wenn die Feststellung des Adressaten ergebnislos versucht worden ist (1 Ob 6/97g; 8 ObA 230/98a). Eine der Möglichkeiten zur Feststellung des Eigentümers ergibt sich aus der Bestimmung des § 89a Abs 4 StVO, wonach von der Entfernung des Gegenstands sowohl die dem Ort der bisherigen Aufstellung am nächsten gelegene als auch die hiefür örtlich zuständige Polizeidienststelle unverzüglich zu verständigen ist (1 Ob 6/97g). Diese Dienststellen haben alle die Verbringung betreffenden Auskünfte zu erteilen.

Die beklagte Partei nimmt nun den Standpunkt ein, die von ihren Organen bzw einem Abschleppunternehmen (unbestrittenerweise) schon bei der Abschleppung veranlasste online-Verständigung der Polizei genüge zur Ausforschung des unbekannten Eigentümers. Außerdem seien - wenngleich nach Anschlag an der Amtstafel - noch drei Anfragen an das Bundesministerium für Inneres gerichtet worden. Dem ist Folgendes entgegen zu halten:

Dass der Versuch, den Eigentümer zu eruieren, vor Zustellung der Übernahmsaufforderung durch Anschlag an der Amtstafel zu unternehmen ist, ergibt sich schon aus § 89a Abs 5 letzter Satz StVO, denn - wie schon dargelegt - nur wenn der Versuch der Feststellung des Adressaten ergebnislos verläuft, ist die Zustellung durch Anschlag an der Amtstafel (§ 25 ZustG) rechtmäßig. Freilich schließt der Zweck dieser Bestimmung nicht aus, dass auch noch nach Ablauf der Wochenfrist Erhebungen zur Ausforschung des Eigentümers gepflogen bzw fortgesetzt werden, deren Ergebnis allenfalls geeignet ist, die Versteigerung des entfernten Gegenstands zu verhindern. Welche Erhebungen bzw Nachforschungen die Organe der beklagten Partei durchzuführen haben, um nach der Abschleppung eines nicht zum Verkehr zugelassenen Fahrzeugs ohne Begutachtungsplakette davon ausgehen zu können, der Eigentümer sei nicht feststellbar, ist keiner generellen Beurteilung zugänglich, sondern hat sich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Wie schon in der Entscheidung 1 Ob 6/97g ausgesprochen, wird durch ein Vorgehen gemäß § 89a StVO massiv in die Eigentumsrechte eines Dritten eingegriffen, weswegen ein hoher Sorgfaltsmaßstab an das schließlich zum Eigentumsverlust (§ 89a Abs 6 StVO) führende Vorgehen der einschreitenden Behörde anzulegen ist. Um den Anschlag an der Amtstafel als rechtmäßigen Zustellvorgang beurteilen zu können, müssen alle zumutbarerweise anzuwendenden Mittel zur Feststellung des Eigentümers ausgeschöpft sein. Mit dieser Beurteilung steht die Ansicht des Berufungsgerichts im Einklang, die schon bei der Abschleppung von den Organen der beklagten Partei veranlasste online-Verständigung der Polizei alleine erfülle diesen - hohe Anforderungen stellenden - Sorgfaltsmaßstab nicht. Dass die online-Verständigung jedenfalls genügte, um den unbekannten Eigentümer eines nicht zum Verkehr zugelassenen Fahrzeugs auszuforschen, ist aus § 89a Abs 4 StVO nicht ableitbar. Zum Erfolg führt sie nur nämlich nur unter der Voraussetzung, dass der Eigentümer die Entfernung seines Fahrzeugs bemerkt und sich an eine Polizeidienststelle wendet, die dort tätigen Beamten in der Lage sind, auf Grund der online-Abfrage Auskunft über die Entfernung des Fahrzeugs zu erteilen, und sich danach der Eigentümer mit der Behörde (rechtzeitig) in Verbindung setzt. Dass infolge dieser Gegebenheiten die online-Verständigung allein zur Ausforschung eines unbekannten Fahrzeugeigentümers nicht in allen Fällen ausreichen kann, liegt - wie der hier zu beurteilende Sachverhalt deutlich macht - auf der Hand.

2.) Die Revisionswerberin bringt weiters vor, es wäre derselbe Schaden entstanden, wenn die drei Anfragen an das Bundesministerium für Inneres bereits vor dem Anschlag an der Amtstafel erfolgt wären, weil auch dann die Diebstahlsanzeige noch nicht vorgelegen wäre. Mit diesem Vorbringen versucht der untätig gebliebene Rechtsträger nachträglich, eine hypothetische Möglichkeit aufzuzeigen, auch bei rechtmäßigem Handeln wäre der Schaden dennoch eingetreten. Ob der Einwand „rechtmäßigen Alternativverhaltens" beachtlich ist und zu einer Haftungsbefreiung führt, kann nur durch Auslegung des Zwecks der jeweils verletzten Schutznorm ermittelt werden (RIS-Justiz RS0027498). Nun ist die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nur dann als rechtmäßig zu erachten, wenn davor alle zumutbarerweise anzuwendenden Mittel zur Feststellung des rechtmäßigen Eigentümers ausgeschöpft wurden. Dies ist nicht geschehen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Organe der beklagten Partei die Anfragen an das Bundesministerium für Inneres nicht vor der Versteigerung wiederholten, hätten diese doch zu Tage gebracht, dass der Wohnwagen als gestohlen gemeldet worden war. Dabei muss hier nicht geprüft werden, ob allein die Anfragen zum Vorliegen von Diebstahlsmeldungen es rechtfertigten, davon auszugehen, dass alles Zumutbare getan worden wäre, um den rechtmäßigen Eigentümer festzustellen. Jedenfalls wäre bei der gegebenen Sachlage noch vor der Versteigerung die Wiederholung der Anfrage geboten gewesen.

3.) Die Frage, ob dem Kläger ein Mitverschulden zur Last zu legen ist, ist eine solche des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0087606). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die in eigenen Angelegenheiten geforderte Sorgfaltspflicht eines Amtshaftungsklägers nicht überspannt werden darf. Dieser kann darauf vertrauen, dass die Vollziehung der Gesetze korrekt erfolge (SZ 69/170; Schragel aaO Rz 165). Infolge welcher Umstände der Kläger erheblichen und konkreten Anlass gehabt haben müsste, an der Rechtmäßigkeit der Vorgangsweise der Organe der beklagten Partei zu zweifeln, wird von der Revisionswerberin nicht dargelegt. Solange der Kläger keine Anhaltspunkte dafür hatte, die Organe der beklagten Partei hätten nicht alle zumutbaren Maßnahmen zu seiner Ausforschung unternommen und er auch nicht damit rechnen musste, dass die seiner Lebensgefährtin erteilte Auskunft unrichtig war, kann ihm sein Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Vollziehung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Aus diesem Grund liegt kein Mitverschulden darin, dass er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht bei den Organen der beklagten Partei „nachgefragt" hat. Eine Feststellung, die Diebstahlsanzeige habe ungenaue Angaben zum „Tatort" und dem in Frage kommenden „Tatzeitraum" enthalten, wurde nicht getroffen. Das Vorbringen, das Allein- bzw Mitverschulden des Klägers sei darin begründet, dass er diese Angaben in der Diebstahlsanzeige nachträglich nicht überprüft habe, geht somit nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Jedenfalls träte aber der allenfalls als Verschulden des Klägers anzulastende Umstand, den Inhalt der Diebstahlsanzeige nicht penibel hinsichtlich aller Daten kontrolliert zu haben, gegenüber dem feststehenden Verschulden der Behörde, die Aufforderung zur Übernahme des entfernten Wohnwagens nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise vorgenommen und die Ausforschung des Eigentümers nicht nachdrücklich betrieben zu haben, dermaßen in den Hintergrund, dass vom Alleinverschulden der beklagten Partei ausgegangen werden müsste.

Da die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen; sein Schriftsatz war daher der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich.

Rechtssätze
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