JudikaturJustiz1Ob242/07f

1Ob242/07f – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine L*****, vertreten durch Dr. Johann Eder, Dr. Stefan Knaus und Mag. Konrad Winkler, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. Gunda S*****, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OEG in Graz, und die auf Seiten der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin *****krankenanstalten GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Mitteregger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 59.923,89 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei (Revisionsstreitwert 52.500 EUR sA) gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. September 2007, GZ 6 R 91/07f-50, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. März 2007, GZ 12 Cg 106/04t-41, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden mit Ausnahme der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile (Punkte 1., 3., 4.b und 5. des Teil- und Zwischenurteils des Berufungsgerichts) aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte Gynäkologin setzte der Klägerin zur Behandlung von Harninkontinenz (Stressinkontinenz) ein TVT-Band ein. Bei der Klägerin traten nach der Operation massive Blasenentleerungsstörungen auf.

Die Klägerin begehrte Zahlung von insgesamt 59.923,89 EUR an Schmerzengeld und Unkosten sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle nachteiligen Folgen der Operation vom 30. 3. 2001. Die Beklagte bestritt insbesondere, dass sie ihre Aufklärungspflicht verletzt habe. Vielmehr habe die Klägerin ihre Pflicht zur Schadensminderung verletzt, da sie trotz weiterhin bestehender Beschwerden die ihr zumutbare Sanierungsbehandlung nicht in Anspruch genommen habe.

Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 8.203,62 EUR sA Folge und wies das Mehrbegehren sowie das Feststellungsbegehren ab. Die Beklagte habe die Unterlassung einer sorgfältigen Aufklärung über das einer TVT-Band-Operation anhaftende typische Risiko des Auftretens einer Blasenentleerungsstörung zu vertreten. Die Klägerin habe aber die Obliegenheit getroffen, alles Zumutbare zu tun, um den Schaden gering zu halten. Die der Klägerin empfohlene Durchtrennung oder teilweise Resektion des TVT-Bands hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verschwinden ihrer Probleme geführt. Die Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt, indem sie sich dem Eingriff nicht unterzogen habe, obwohl ihr dies spätestens im Juli 2003 möglich gewesen wäre. Die von der Klägerin erlittenen Schmerzen rechtfertigten für den Zeitraum vom 31. 3. 2001 bis 31. 7. 2003 ein Schmerzengeld von 7.500 EUR. Ab August 2003 bestehe kein Schmerzengeldanspruch. Das Leistungsbegehren bestehe zuzüglich der Kosten für Medikamente und Behandlungsfahrten mit insgesamt 8.203,62 EUR zu Recht. Das Feststellungsbegehren bestehe nicht zu Recht, weil die Klägerin durch Entsprechung ihrer Schadensminderungspflicht weitere Schäden abwenden hätte können. Spät- und Dauerfolgen aufgrund der durchgeführten Operation seien nicht zu erwarten. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise und jener der Beklagten nicht Folge. Es änderte das angefochtene Urteil in ein Teil- und Zwischenurteil dergestalt ab, dass der Zuspruch von 8.203,62 EUR sA bestätigt wurde, das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin weitere 47.500 EUR sA zu zahlen, als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt und dem Feststellungsbegehren im Wesentlichen Folge gegeben wurde. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Die vom Erstgericht konstatierte Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens der Klägerin wurde vom Berufungsgericht verneint. Eine (neuerliche) Operation sei nur dann zumutbar, wenn sie einfach und gefahrlos sei und ohne nennenswerte Schmerzen sichere Aussicht auf Erfolg biete. Dies sei im vorliegenden Fall „offen". Die Behauptungs- und Beweispflicht für das Vorliegen einer Verletzung der Schadensminderungspflicht treffe den Schädiger. Die Beklagte habe dieser prozessualen Pflicht allerdings nicht entsprochen, indem sie nicht dargelegt habe, aus welchen konkreten Umständen sich die Zumutbarkeit ergäbe. Das bloße Vorliegen einer ärztlichen Empfehlung zur Durchführung der Operation vermöge die Zumutbarkeit der Operation nicht zu begründen. Die Beklagte habe aber auch nach Vorliegen der Behauptung der Klägerin, die Banddurchtrennung sei ihr unter anderem deshalb nicht empfohlen worden, weil diese mit beträchtlichen anderweitigen Risiken einer Verschlechterung verbunden sei, nicht behauptet, es handle sich um eine einfache und gefahrlose, mit keinen nennenswerten Schmerzen verbundene Operation. Die Beklagte habe daher die für die Zumutbarkeit einer Sanierungsoperation maßgeblichen Tatsachen nicht vorgetragen. Im Aufgreifen dieses Umstands liege keine „Überraschungsentscheidung" im Sinne von § 182a ZPO. Es bedürfe nämlich keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Die Beklagte - welche den Zuspruch von 8.203,62 EUR unbekämpft ließ - beantragte zunächst hilfsweise die Anordnung eines Bewertungsausspruchs gemäß § 419 Abs 3 ZPO und machte sodann unter anderem geltend, dass das Berufungsgericht ihren Einwand der Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin überhaupt nicht geprüft habe und diesbezüglich unrichtig - unter Verletzung der Bestimmung des § 182a ZPO - von einem unvollständigen Vorbringen der Beklagten ausgegangen sei.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Übersteigt bei einem gemischten Begehren schon der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR - bzw hier 20.000 EUR -, hat kein Bewertungsausspruch zu erfolgen (Kodek in Rechberger, ZPO3, § 500 Rz 5).

2. Der beklagte Schädiger hat zu behaupten und zu beweisen, dass der Geschädigte den eingetretenen Schaden hätte mindern können (RIS-Justiz RS0027129). Mit dem Vorbringen der Beklagten, die „Sanierungsoperation" wäre der Klägerin zumutbar gewesen, wird wohl auch behauptet, die von der Judikatur herausgebildeten Kriterien für eine solche Zumutbarkeit lägen vor. Von einem unvollständigen Vorbringen der Beklagten kann daher nicht die Rede sein, will man nicht die Forderung an die Exaktheit des Vorbringens unangemessen überziehen (vgl 2 Ob 101/07b).

3. Die Klägerin replizierte auf den von der Beklagten erhobenen Einwand der Verletzung der Schadensminderungspflicht wegen Nichtvornahme einer Revisionsoperation, dass ihr von anerkannten Kapazitäten aus dem Fachgebiet der Urologie wiederholt mitgeteilt worden sei, dass eine Entfernung bzw auch Durchtrennung des TVT-Bands nicht mehr möglich bzw zielführend sei und dass die Erfolgsaussichten einer derartigen Operation von anderen Fachleuten keineswegs so optimistisch eingeschätzt würden wie vom medizinischen Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. P*****, sondern eher gering (Schriftsatz ON 23, AS 169).

Dieses Vorbringen ist ohne jeden Zweifel dahin zu verstehen, dass die Klägerin die Zumutbarkeit der insinuierten Maßnahme zur Schadensminderung (nämlich der Revisionsoperation) bestritt. Die Ansicht der Beklagten, dass die Klägerin das von der Beklagten zur Schadensminderungspflicht erstattete Vorbringen „eigentlich gar nicht bestritten" habe, ist daher unzutreffend.

4. Liegt somit einerseits die - rechtliche relevante - Behauptung der Beklagten vor, die „Sanierungsoperation" wäre der Klägerin zumutbar, und andererseits die - ebenso relevante - Behauptung der Klägerin, dass eine derartige Operation nicht mehr möglich oder zielführend sei, so ergibt sich daraus die Erforderlichkeit, diese Streitpunkte mit den Parteien zu erörtern und darüber ein Beweisverfahren abzuführen. Im vorliegenden Fall unterblieb jedoch eine entsprechende Prüfung, sodass Feststellungen zum Thema „Zumutbarkeit der Revisionsoperation" - im Sinne des Vorliegens der vom Berufungsgericht richtig dargestellten Kriterien einer solchen Zumutbarkeit - fehlen. Somit ist es derzeit nicht möglich, abschließend zu prüfen, ob der Klägerin tatsächlich eine Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht vorzuwerfen ist.

Aufgrund des vorliegenden Feststellungsmangels (siehe RIS-Justiz RS0043327) erweist sich die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen in dem von der Anfechtung betroffenen Umfang als unvermeidlich. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die aufgezeigten Streitpunkte mit den Parteien zu erörtern und nach gebotener Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden haben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.