JudikaturJustiz1Ob119/17g

1Ob119/17g – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin L***** Y*****, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner M***** Y*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (hier: wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Rekurses), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Mai 2017, GZ 48 R 97/17w 76, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 16. Februar 2017, GZ 32 Fam 43/14t 67, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ob die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen ist, weil es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens handelt (hier: nach § 21 AußStrG iVm § 146 Abs 1 ZPO), ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS Justiz RS0116535).

2. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen und ermöglichen eine Wiedereinsetzung nur, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen sind (RIS Justiz RS0036813). Ein einmaliges Versehen eines bewährten und verlässlichen Mitarbeiters steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen, wenn dem Anwalt kein Sorgfalts , Organisations- und Kontrollversehen vorgeworfen werden muss. Grobes Verschulden eines Parteienvertreters bei der Versäumung einer befristeten Prozesshandlung ist im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen (RIS Justiz RS0111777). Ein solches wird regelmäßig darin erblickt, wenn der unterlaufene Fehler auf einer mangelhaften Organisation beruht (RIS Justiz RS0127149). Berufsmäßige Parteienvertreter (Rechtsanwälte) unterliegen dabei dem erhöhten Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB (7 Ob 18/13t mwN = RIS Justiz RS0127149 [T1]). Ein Rechtsanwalt muss eine Organisation schaffen, die es ermöglicht, auch offensichtlich leicht vorkommende Versehen im Nachhinein nachvollziehen und kontrollieren zu können. Er muss dafür sorgen, dass ein zugestelltes, noch nicht ausgedrucktes und noch dazu fristauslösendes Schriftstück nicht völlig außer Evidenz geraten kann, ohne dass ihm eine Kontrolle, ob alle eingelangten Schriftstücke auch vorgelegt werden, möglich ist (7 Ob 18/13t = RIS Justiz RS0127149 [T2]; vgl auch VfGH B 682/2013 und E 1208/2015 ua).

3. Ob die Beurteilung der Vorinstanzen, der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet gestellt worden, zutreffend ist, ist nicht entscheidend, denn ihre weitere Beurteilung, der Wiedereinsetzungsantrag sei inhaltlich nicht begründet, ist vertretbar. Der Oberste Gerichtshof hat (zu § 364 Abs 1 Z 1 StPO) bereits ausgesprochen, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, die Organisation seines Kanzleibetriebs so zu gestalten, dass auf jeden Fall zumindest auch der Sendebericht der im elektronischen Weg übermittelten Entscheidung angeschlossen wird. Wenn ein Rechtsanwalt die Einrichtung eines derartigen Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen unterlässt, liegt ein Versehen minderen Grades nicht mehr vor (vgl 15 Os 37/10w, 15 Os 39/10i = RIS Justiz RS0125861 = jusIT 2010/62, 137 [ Thiele ]).

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass – abgesehen von der übersehenen Zustellung des Aufteilungsbeschlusses – wegen des unterlassenen Ausdrucks des Zustellprotokolls, aus dem der Inhalt der Sendung (hier: das Verhandlungsprotokoll und der erstinstanzliche Aufteilungsbeschluss) ersichtlich gewesen wäre, und dessen nicht erfolgter Überprüfung ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorliege, ist nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin hält dieser Beurteilung keine konkreten inhaltlichen Argumente entgegen, sodass sie auch keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag.

Rechtssätze
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