JudikaturJustiz1Ob117/05w

1Ob117/05w – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. August 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Andi K*****, und 2. Marina K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Matthäus Grilc, Dr. Roland Grilc und Mag. Rudolf Vouk, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Gemeinde L*****, vertreten durch Dr. Herbert Gschöpf und Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwälte in Velden am Wörthersee, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei T*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen EUR 4.600, - s.A., infolge ordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2004, GZ 1 R 180/04x 14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 15. Juli 2004, GZ 43 C 296/04y 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei sowie der Nebenintervenientin die mit jeweils EUR 439,72 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen (darin enthalten EUR 73,29 an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Die Kläger begehrten die Zahlung von EUR 4.600, - und brachten dazu vor, die Nebenintervenientin habe am 21. 5. 2003 im Auftrag der Beklagten im Bereich des klägerischen Anwesens Grabungsarbeiten zur Herstellung eines Kanals durchgeführt. Im Zuge dieser Arbeiten sei es infolge unrichtiger Angaben über den Verlauf eines Stromkabels der K***** zu dessen Beschädigung (Nullleiterunterbrechung) gekommen. Dadurch seien zahlreiche Geräte im Haus der Kläger unbrauchbar gemacht worden. Des Weiteren seien Reparaturkosten für einen PC sowie Aufwand für Datensicherungsarbeiten angefallen. Die (verschuldensunabhängige) Haftung der Beklagten ergebe sich aus nachbarrechtlichen Bestimmungen. Bei der Durchführung von Kanalbauten sei die bauführende Gebietskörperschaft nach § 364 ABGB verantwortlich. Nach § 364a ABGB gebühre Schadenersatz ohne Rücksicht auf Verschulden. Diese Bestimmung werde analog herangezogen, wenn aufgrund einer behördlichen Genehmigung die faktische Vermutung der Gefahrlosigkeit bestehe. Die Kläger hätten nicht damit rechnen müssen, dass im Zuge von behördlich genehmigten Bauarbeiten fast alle ihre Geräte zerstört würden. Der Schaden sei kein bloßer Vermögensschaden. Er sei eine typische Folge der Beschädigung des Stromkabels.

Die Beklagte wendete ein, es sei zwar im Zuge der Herstellung eines Kanals durch die Nebenintervenientin zur Beschädigung eines Stromkabels gekommen, welches im Eigentum der K***** stehe, entgegen den Behauptungen der Kläger treffe sie jedoch kein Verschulden an der Beschädigung des Kabels. Ein allfälliger Schaden der Kläger sei ein nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 364a ABGB lägen nicht vor, da keine beim Baubetrieb entstandene Emission im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB vorliege. Des Weiteren handle es sich um keinen typischen Schaden, da Beschädigungen von Kabeln zwar vorkämen, diese jedoch in der Regel nicht den hier eingetretenen schwerwiegenden Defekt von Geräten, sondern bloß einen harmlosen Stromausfall bewirkten. Eine Haftung der Beklagten nach § 364a ABGB bestehe für durch Dritte verursachte Einwirkungen nur dann, wenn sie die Unterlassung des schädigenden Verhaltens erwirken könne, was bei diesem plötzlichen Schadenseintritt naturgemäß nicht möglich gewesen sei.

Die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten gestand die Beschädigung des Stromkabels zu, brachte aber vor, diese sei entgegen der Behauptung der Kläger erst am 22. 5. 2003 erfolgt, weshalb sie den Schaden der Kläger nicht verursacht haben könne. Der Kabelschaden sei nicht im Bereich des klägerischen Anwesens aufgetreten, sondern im Bereich der öffentlichen Straße. Dabei sei es zu keiner Überspannung, sondern lediglich zu einer Spannungsunterbrechung gekommen, die nicht kausal sein könne. Ein allenfalls entstandener Schaden sei als bloß mittelbarer nicht zu ersetzen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, ohne Beweise aufzunehmen und Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, als unschlüssig ab. Es vertrat die Auffassung, es liege ein nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden vor. Die Kläger seien nicht Eigentümer des beschädigten Stromkabels, sondern nur Abnehmer elektrischer Energie gewesen. Würde man dem einzelnen Strombezieher einen Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Beschädigung eines Stromkabels entstandenen Schadens zugestehen, hätte dies eine uferlose, wirtschaftlich untragbare Ausweitung der Schadenshaftung zur Folge.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. In den sogenannten „Kabelbruchfällen", bei welchen absolut geschützte Rechtsgüter des Stromabnehmers beschädigt werden, sei die Haftung des Schädigers zu bejahen. In der Klage sei ausdrücklich die Verletzung absolut geschützter Rechte durch die Nebenintervenientin behauptet worden. Die Klage sei insoweit nicht unschlüssig. Beklagte sei jedoch nicht die Nebenintervenientin, sondern die Gemeinde als deren Auftraggeberin. In Frage komme allenfalls eine verschuldensunabhängige Haftung nach §§ 364, 364a ABGB, da die Kläger das Vorliegen eines Verschuldens auf Seiten der Beklagten oder der Nebenintervenientin nicht behauptet hätten. Elektrische und magnetische Felder sowie Strahlen könnten zwar Immissionen im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB darstellen, es sei jedoch Voraussetzung, dass die Emission für den Betrieb der genehmigten Anlage typisch sei. Gerade dies könne jedoch im gegenständlichen Fall nicht gesagt werden. Selbst wenn man in der von der Nebenintervenientin verursachten Nullleiterunterbrechung eine einmalige Immission erblickte, würde es sich nicht um eine mittelbare, sondern um eine unmittelbare Zuleitung handeln, welche ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig sei. § 364a beziehe sich aber nur auf mittelbare Einwirkungen und bilde demnach für den vorliegenden Fall keine Haftungsgrundlage. Des Weiteren nähmen die Kläger die Beklagte als Auftraggeberin der Kanalgrabungsarbeiten „im Bereich des klägerischen Anwesens" in Anspruch. Dieser Tatsachenbehauptung könne entnommen werden, dass die Kläger (Mit )Eigentümer des genannten „Anwesens" seien. Ansprüche nach §§ 364, 364a ABGB richteten sich außer gegen Störer (hier: die Nebenintervenientin) auch gegen den Grundeigentümer. Es sei von den Klägern aber nicht einmal ansatzweise behauptet worden, dass die Beklagte nachbarliche Grundeigentümerin der Kläger sei. Gemäß § 502 Abs 1 ZPO sei die Revision zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Haftung bei Kabelbruchfällen nicht einheitlich sei und zur Frage, ob eine durch Kabelbruch verursachte Nullleiterunterbrechung mit Schadensfolge an elektrischen Geräten eine nach § 364a ABGB zu beurteilende mittelbare Einwirkung darstelle, keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Kläger ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen zusammengefasst geltend, der gefährdete Nachbar habe gemäß § 364a ABGB einen sich aus der Gefährdung ergebenden Ausgleichsanspruch nicht nur gegen den Eigentümer, sondern gegen jeden, der die Beeinträchtigung durch eine, wenn auch behördlich genehmigte Anlage herbeiführe, der also das Grundstück für eigene Zwecke benütze und dadurch Störungen hervorrufe, so insbesondere gegen einen Rechtsträger, der Kanalbaumaßnahmen durchführen lasse. Dieser Ausgleichsanspruch umfasse auch solche Schäden, die typischerweise auf Baumaßnahmen zurückzuführen seien, wie Beschädigungen von Stromkabeln.

Nach herrschender Judikatur ist Nachbar im Sinne der §§ 364, 364a ABGB nicht nur der Eigentümer einer unmittelbar angrenzenden Grundfläche, sondern jeder Grundeigentümer, der von Maßnahmen, die vom emittierenden Grundstück ausgehen, betroffen wird, und zwar ohne Unterschied, wie groß die Entfernung ist und welche Grundstücke dazwischenliegen (SZ 64/3; SZ 55/172; SZ 54/137 uva). Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist allerdings für einen solchen Ersatzanspruch nicht erforderlich, dass der Betreiber der Anlage, deren Bau die schädliche Auswirkung verursacht hat, auch Eigentümer des Grundes war, auf dem die Anlage betrieben wird. Vielmehr ist der Störer und schlechthin jeder ersatzpflichtig, dem die Immission wegen seiner Beziehung zum emittierenden Grundstück zuzurechnen ist. Dieser Anspruch richtet sich nach herrschender Auffassung also nicht nur gegen den Grundeigentümer, sondern gegen jeden, der das Grundstück für seine Zwecke benützt ( Spielbüchler in Rummel, ABGB3, Rz 5 zu § 364; SZ 42/159; SZ 41/84; SZ 38/106 ua).

Durch die Rechtsprechung wurde aus den nachbarrechtlichen Normen in Analogie zu § 364a ABGB ein allgemeiner „nachbarrechtlicher Gefährdungshaftunganspruch" abgeleitet, und zwar insbesondere für jene Fälle, in denen eine behördliche Genehmigung die Immission zwar nicht deckt, ihre (mögliche) Bekämpfung durch einen Unterlassungsanspruch aber praktisch erschwert, weil sie den Anschein der Gesetzmäßigkeit und/oder der Gefahrlosigkeit der Tätigkeit hervorruft. Da auch elektrische Wellen zu den Immissionen im Sinne des § 364 ABGB gehören, käme somit ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch gegen die Beklagte an sich in Betracht, sofern diese als Emittent der durch eine Nullleiterunterbrechung hervorgerufenen Überspannung anzusehen wäre. Dass sie selbst Eigentümerin jener Liegenschaft ist, von der die Immission ihren Ausgang nahm, ist - wie bereits dargestellt - nicht erforderlich, weil auch derjenige zur Haftung herangezogen werden kann, der ein fremdes Grundstück für seine Zwecke nutzt und durch die von ihm betriebene (oder errichtete) Anlage fremde Liegenschaften in der näheren Umgebung beeinträchtigt.

Befinden sich auf einer Liegenschaft mehrere Anlagen, die von verschiedenen Personen betrieben werden (hier: Kanalanlage und Stromversorgungsanlage), so stehen auch die Betreiber zueinander in einem Nachbarschaftsverhältnis. Beschädigt nun einer die Anlage des anderen, kommt eine nachbarrechtliche Haftung in Betracht. Schäden, die einem Dritten dadurch entstehen, dass der (unmittelbare) Schaden an der betroffenen Anlage fortwirkt, sind grundsätzlich vom Betreiber der (ersten) Anlage, von der das schadensstiftende Ereignis ausging, nicht zu ersetzen, zumal sonst der Kreis der potenziell Ersatzberechtigten in einer den Intentionen des Nachbarrechts nicht entsprechenden Weise über die Maßen ausgedehnt würde. Das Gesetz hat mit den in den §§ 364 ff ABGB geregelten Fällen indirekter Immissionen (§ 364 Abs 2 Satz 1 ABGB) nur Konstellationen im Auge, bei denen die Immission über ein natürliches Medium (Luft, Erdreich ...) verbreitet wird, nicht aber die Weiterleitung durch von Menschen geschaffene Vorrichtungen. Eine unmittelbare Zuleitung (§§ 364 Abs 2 Satz 2 ABGB) durch die Beklagte als Betreiberin der Kanalanlage liegt nicht vor. Sie hat nach den Klagebehauptungen durch die Beschädigung der Stromversorgungsanlage vielmehr eine direkte Immission durch deren Betreiber verursacht. Von der Kanalanlage der Beklagten ist die (direkte) Immission nicht ausgegangen. Diese hat keine auf die Stromeinleitung gerichtete Tätigkeit entwickelt (vgl nur SZ 48/4).

Die gegenteilige Auffassung der Kläger würde bedeuten, dass allein durch das Vorhandensein eines Stromversorgungskabels der Kreis der Ersatzberechtigten über die in der Nähe der Kanalanlage situierten Liegenschaftseigentümer auch auf weit entfernte Stromabnehmer ausgedehnt würde, die deshalb ähnliche Schäden wie die Kläger erleiden könnten, weil sie über dieselbe Stromleitung mit elektrischer Energie versorgt werden.

Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Ein Rechenfehler in der Kostennote der Beklagten war zu korrigieren.

Rechtssätze
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