JudikaturJustiz17Os47/14m

17Os47/14m – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Januar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Jänner 2015 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bernhard H***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Josef S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 20. August 2014, GZ 12 Hv 81/13b 36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Bernhard H***** und Josef S***** jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie in A***** als Exekutivbeamte der dortigen Polizeiinspektion mit dem Vorsatz, dadurch die Republik Österreich an ihrem Recht auf Strafverfolgung und Peter Al***** an seinem Recht auf „effiziente Untersuchung“ (gemeint: Aufklärung) des Verdachts an ihm begangener Straftaten zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, und zwar

(I) Bernhard H***** von 15. Juni bis 3. Juli 2012, indem er eine Anzeige der Gerlinde Al***** wegen „Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Nötigung und Erpressung“ zum Nachteil ihres Sohnes Peter Al***** „entgegen §§ 2 Abs 1, 20 Abs 1, 78 Abs 1 StPO nicht einer ordnungsgemäßen Behandlung zuführte, insbesondere“ nicht in Form eines Abschlussberichts im Sinn des § 100 Abs 2 Z 4 StPO an die zuständige Staatsanwaltschaft übermittelte, sondern lediglich mittels Aktenvermerks vom 3. Juli 2012 als „SPG Intervention bei Streitigkeiten im öffentlichen Raum, 14:00 bis 15:00 Uhr, GZ: *****, AV betreffend Streitereien am öffentlichen Spielplatz in Ha*****“ dokumentierte;

(II) Josef S***** am 8. Juli 2012, indem er als approbationsbefugter Dienstvorgesetzter des Bernhard H***** den zu Punkt I angeführten Aktenvermerk samt Einordnung der gegenständlichen Anzeige als „SPG Intervention“ genehmigte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Josef S***** ist nicht im Recht.

Ein von der Mängelrüge behaupteter Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen Feststellungen (in den Entscheidungsgründen) und deren zusammenfassender Wiedergabe im Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (vgl § 260 Abs 1 Z 1 StPO) wäre nur bei Unvereinbarkeit dieser beiden Aussagen nach Maßgabe der Denkgesetze oder von grundlegenden Erfahrungssätzen gegeben (RIS-Justiz RS0119089, RS0117402). Das dem Beschwerdeführer (nach der Zusammenfassung im Urteilstenor) angelastete Verhalten, er habe trotz Erkennens einer im Rahmen des Strafverfahrens aufzuklärenden Verdachtslage den Aktenvermerk, in welchem das Unterbleiben weiterer Ermittlungen und einer Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft vorgeschlagen worden sei, genehmigt, schließt jedoch den Vorwurf mit ein, als Vorgesetzter die Anordnung des (rechtlich gebotenen) Vorgehens unterlassen zu haben (vgl US 7). Ein Widerspruch im zuvor bezeichneten Sinn liegt demnach nicht vor.

Die Feststellung, der Beschwerdeführer habe den Verdacht von Straftaten erkannt und demnach bei Genehmigung des Aktenvermerks seine Befugnis wissentlich missbraucht, stützte das Erstgericht (US 13 f) vom Einwand fehlender Begründung (Z 5 vierter Fall) übergangen (RIS Justiz RS0119370) logisch und empirisch einwandfrei auf die langjährige Berufserfahrung, den (unmissverständlich in diese Richtung weisenden) Inhalt dieses Aktenvermerks und das Aussageverhalten des Beschwerdeführers (unter anderem zu seinem Wissensstand betreffend Berichtspflichten nach der Strafprozessordnung).

Die Tatrichter haben die zu beiden Angeklagten getroffene Konstatierung zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs (US 8) auf differenzierte Erwägungen (US 9 ff) gestützt. Weshalb diese Feststellung allein deshalb mangelhaft begründet sein soll (nominell Z 5 erster und vierter Fall), weil den Angeklagten (objektiv) unterschiedliche Verhaltensweisen zur Last liegen (US 5 ff), macht der Beschwerdeführer nicht klar. Ebenso wenig, worin ein Verstoß gegen „das Willkürverbot“ durch eine Gleichbehandlung der „völlig unterschiedlichen Handlungsweisen der beiden Angeklagten ohne sachlich gebotene Differenzierung“ bestehen soll (nominell Z 9 lit a).

Der weitere Einwand der Mängelrüge, die Passage, „ergibt sich aus einem Aktenvermerk der Verdacht einer strafbaren Handlung(,) sind weitere Ermittlungen anzuordnen, allenfalls die Anzeige und Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft zu veranlassen“ (US 7), enthalte keine Tatsachenfeststellung, sondern stelle „eine bloße Schlussfolgerung“ dar, die „rechtlich verfehlt“ sei, spricht keine der in der Z 5 normierten Nichtigkeitskategorien an. Von diesem Vorbringen ausgehend ist der daran anknüpfende Vorwurf fehlender oder offenbar unzureichender Begründung dieser Ausführungen nicht nachvollziehbar (RIS-Justiz RS0106268).

Das Schöffengericht hat festgestellt, der Beschwerdeführer habe als Vorgesetzter des Mitangeklagten die „Dienst- und Fachaufsicht“ über diesen ausgeübt (US 7). Welche weiteren Konstatierungen erforderlich gewesen wären, um den gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwurf, das (rechtswidrige) Vorgehen des Mitangeklagten missbräuchlich genehmigt zu haben, beurteilen zu können, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht im Einzelnen dar (RIS Justiz RS0099620).

Der Einwand des Beschwerdeführers, es bleibe „unklar, worin sein Missbrauch eigentlich zu erblicken sein soll“, übergeht die Konstatierungen zur wissentlichen Genehmigung eines rechtlich unvertretbaren Vorgehens (US 7). Das weitere in diesem Zusammenhang erstattete unter anderem eine Anzeigepflicht des Beschwerdeführers nach § 78 StPO in Zweifel ziehende Vorbringen orientiert sich nicht am Gesetz, insbesondere an den von der StPO für Exekutivbeamte im Dienste und im Rahmen der Kriminalpolizei normierten Handlungspflichten (vgl RIS Justiz RS0117254; Schwaighofer , WK-StPO § 78 Rz 3 und 5; zu den Aufgaben der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes als Kriminalpolizei im Sinn des § 18 Abs 2 und 3 StPO Vogl , WK StPO § 18 Rz 14 ff und § 99 Rz 1).

Soweit die Rechtsrüge argumentiert, eine allfällige („zumindest vertretbare“) Fehlbeurteilung (hinsichtlich des Vorliegens eines Verdachts von Straftaten [vgl §§ 1 Abs 2, 78 Abs 1 StPO]) könne „nicht als wissentlicher Missbrauch einer Genehmigungsbefugnis angesehen werden“, interpretiert sie den Inhalt des Aktenvermerks, demzufolge der Mitangeklagte (nach den Feststellungen) „trotz Verdacht strafbarer Handlungen“ „weder weitere Ermittlungen noch die Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft“ in Aussicht genommen habe, und die Reaktion des Beschwerdeführers eigenständig und entfernt sich ein weiteres Mal vom Urteilssachverhalt (US 5 ff).

Dem Einwand, es fehlten Feststellungen zur Wissentlichkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich der „Gleichwertigkeit der Unterlassung des Erstangeklagten“, ist zu erwidern, dass dem Beschwerdeführer ein (auch) in aktivem Tun (der Approbation des Aktenvermerks) bestehendes Verhalten zur Last liegt.

Daran anknüpfend und mit Blick auf den Bernhard H***** betreffenden Schuldspruch wird unter dem Aspekt des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO der Vollständigkeit halber ausgeführt:

Der gegen diesen Angeklagten gerichtete Vorwurf besteht ungeachtet der festgestellten Abfassung des Aktenvermerks im Wesentlichen darin, die rechtlich gebotene Vorgangsweise (nämlich insbesondere die Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 100 Abs 2 Z 4 StPO) unterlassen zu haben (US 7).

§ 2 StGB ist schon dem klaren Wortlaut nach nur auf Erfolgsdelikte anzuwenden ( Fuchs AT I 8 37/5). Um ein solches handelt es sich beim Missbrauch der Amtsgewalt gerade nicht (vgl RIS Justiz RS0096790, RS0095844). Seine (neutrale) tatbestandsmäßige Handlungsbeschreibung („missbraucht“) erfasst zudem auch Unterlassen, weil Befugnis ebenso durch (gezielte) Untätigkeit missbraucht werden kann (zutreffend Hilf in WK 2 § 2 Rz 16; Zagler SbgK § 302 Rz 138 ff mit eingehender historischer Argumentation; Hinterhofer/Rosbaud BT II 5 § 302 Rz 38; im Ergebnis ebenso Kienapfel/Höpfel/Kert , AT 14 Z 28 Rz 19; vgl auch Reindl-Krauskopf/Huber , Korruptionsstrafrecht in Fällen 15 f; in diese Richtung weisend bereits 17 Os 25/12y; 13 Os 9/07h; 13 Os 12/06y; zur ähnlichen Argumentation hinsichtlich §§ 33 f FinStrG Schmoller , Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung, in Leitner [Hrsg] Finanzstrafrecht 2010, 25 ff [35 f]; vgl allgemein zur deutschen Rechtslage und zu § 339 dStGB im Besonderen Stree/Bosch in Schönke/Schröder StGB 29 Vorbem §§ 13 ff Rz 136). Nach herrschender Rechtsprechung bedeutet Missbrauch vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis (RIS Justiz RS0108964 [T2]). Diese Missbrauchsdefinition erfasst nur einen auf einer intellektuell erfassten und willentlich getroffenen Entscheidung beruhenden Fehlgebrauch, wobei § 302 Abs 1 StGB überdies Wissentlichkeit des Beamten in Bezug auf dieses Tatbestandselement verlangt. Räumt das Gesetz einem Beamten Befugnis ein und verpflichtet es ihn wie hier (vgl §§ 2, 18 Abs 2 und 3, 78 Abs 1, 99 Abs 1, 100 Abs 2 StPO) zu einem bestimmten Handeln, schreibt es also vor, in welcher Weise der Beamte diese Befugnis (aktiv) auszuüben hat, kann ein tatbildlicher (also vorsätzlicher) Fehlgebrauch gerade auch in der Nichterfüllung dieser Handlungspflichten liegen.

Die gegenteilige Ansicht sieht in der Verwendung des Verbs „missbrauchen“ ein Indiz für die Pönalisierung (bloß) aktiven Tuns. Die Anwendbarkeit des § 2 StGB ergebe sich aus dem Charakter des § 302 Abs 1 StGB als „kupierten Erfolgsdelikts“, bei dem also die Verletzung eines Rechtsguts zumindest als Bezugspunkt des überschießenden Schädigungsvorsatzes ein Element des Tatbestands bilde (insbesondere Bertel in WK 2 § 302 Rz 37 ff; Kienapfel/Schmoller StudB BT III 2 § 302 Rz 38 ff; Medigovic , Unterlassung der Anzeige nach § 84 StPO Amtsmissbrauch?, JBl 1992, 420 422 f). Diese Auslegung läuft allerdings dem in den Gesetzesmaterialien eindeutig dokumentierten (vgl EBRV 30 BlgNR 13. GP, 455 [mit ausdrücklichem Hinweis auf der Unterlassung der Weiterleitung einer Anzeige]) gegenteiligen Willen des Gesetzgebers zuwider und übersieht zudem, dass § 2 StGB (anders als etwa die entsprechende deutsche Regelung [§ 13 dStGB]) ausdrücklich auf den Erfolg als Element des „Tatbildes“, also des äußeren Tatbestands (vgl zum Begriff Fuchs , AT I 8 10/48; 13 Os 42/07m) abstellt (vgl Hilf in WK 2 § 2 Rz 9 und 18) und demnach (nur) im subjektiven Tatbestand angesprochene Rechtsgüter nicht erfasst.

Dem berechtigten kriminalpolitischen Anliegen einer sachgerechten Begrenzung der Strafbarkeit von bloßem Unterlassen nach § 302 Abs 1 StGB, welches in der vom Obersten Gerichtshof gelegentlich vorgenommenen Prüfung der Elemente des (ohne nähere Begründung als anwendbar vorausgesetzten) § 2 StGB zum Ausdruck kam (vgl etwa 14 Os 149/99, EvBl 2000/101; 16 Os 19/92, JBl 1994, 487; 15 Os 3/90, EvBl 1990/107 ua), trägt die jüngere Rechtsprechung in anderer Weise (effektiver) Rechnung: Durch präzise an Rechtsvorschriften und dem (nach dem Urteilssachverhalt maßgeblichen) Kompetenzbereich des Beamten (aus dem sich dessen Garantenstellung zwangsläufig ergibt) orientierte Ermittlung diesen (konkret) treffender Handlungspflichten (vgl 17 Os 6/12d; 17 Os 8/12y; 17 Os 14/12f, EvBl 2013/14, 79; 17 Os 22/12g, EvBl 2013/84, 565; 17 Os 9/13x) sowie durch Prüfung, ob die Feststellungen die Annahme eines auf ein im Sinn des Tatbestands beachtliches Recht bezogenen Schädigungsvorsatzes (im Tatzeitpunkt) tragen (vgl die zahlreichen Beispiele zu RIS Justiz RS0096270). Demgegenüber erwies sich das sogenannte bei (wie hier [„missbraucht“]) sehr allgemein gehaltener Handlungsbeschreibung von vornherein nur eingeschränkt aussagekräftige (vgl Fuchs AT I 8 37/65 f; Hilf in WK 2 § 2 Rz 128 f; zur deutschen Rechtslage Stree/Bosc h in Schönke/Schröder StGB 29 § 13 Rz 4) Gleichwertigkeits-korrektiv in der bisherigen Rechtsprechung unter dem Aspekt einer Strafbarkeitsbegrenzung als wenig tauglich (vgl den Befund bei Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 6 § 302 Rz 34 mwN).

Die Kritik der weiteren Rechtsrüge, es fehlten Feststellungen zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs und zum Vorsatz auf Schädigung (unter anderem) des Staates an dessen Recht auf Strafverfolgung, übergeht die genau dazu getroffenen Konstatierungen (US 7 f iVm US 14). Weshalb eine Beeinträchtigung dieses Rechts durch das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten „geradezu auszuschließen“ sei (vgl § 15 Abs 3 StGB), wird nicht klar (vgl im Übrigen 11 Os 87/10v, EvBl-LS 2011/24, 142).

Auch die Diversionsrüge (Z 10a) geht nicht von den Urteilsannahmen aus (RIS-Justiz RS0119091), nach welchen der Beschwerdeführer jegliches Fehlverhalten (zufolge behaupteten Tatbildirrtums) abgestritten (US 9 und 17), somit gerade kein von der Rechtsprechung als Diversionsvoraussetzung verlangtes (RIS-Justiz RS0126734) Unrechtsbewusstsein gezeigt habe. Angesichts des Erfordernisses kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS-Justiz RS0124801) bedarf das weitere zu diesem Nichtigkeitsgrund erstattete Vorbringen keiner Erwiderung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.