JudikaturJustiz15Os87/15f

15Os87/15f – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. August 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Michail M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. Mai 2015, GZ 34 Hv 4/15b 68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus

Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Anlasstat I./, demzufolge auch in der Anordnung der

Unterbringung des Michail M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michail M***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie oder (alternativ) einer organischen schizophreniformen Störung, eines hirnorganischen Psychosyndroms ungeklärter Ursache mit möglicher Persönlichkeitsveränderung sowie einer psychischen und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch,

I./ am 27. Oktober 2014 Anna K***** „durch gefährliche Drohung mit dem Tod“, nämlich die sinngemäßen und wiederholten Äußerungen, er werde sie und ihre Familie umbringen sowie ihr die Kinder wegnehmen, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zur Ausfolgung von zumindest 5 Euro Bargeld zu nötigen versucht, wodurch die Genannte am Vermögen geschädigt hätte werden sollen, wobei es beim Versuch blieb, da Anna K***** dem Betroffenen kein Bargeld gab;

II./ am 15. Dezember 2014 Beamte an einer Amtshandlung zu hindern versucht, und zwar

A./ „zunächst“ den Justizwachebeamten Manfred Ka***** durch gefährliche Drohung, nämlich die Einnahme einer Kampfposition und das Ballen seiner Fäuste sowie die Äußerung „Fight! Fight!“, an seiner Verbringung aus dem Haftraum zwecks Zuführung und Überwachung der Körperpflege;

B./ „sodann“ die Justizwachebeamten Manfred Ka***** und Stefan Ku***** durch Gewalt, nämlich die Ausübung starker Gegenwehr und das Versetzen von zumindest Stößen gegen die Beamten, am Anlegen der Handfesseln und an der Verbringung aus dem Haftraum,

wobei es jeweils beim Versuch blieb, weil den Justizwachebeamten dessen Verbringung aus dem Haftraum gelang;

III./ am 15. Dezember 2014 den Justizwachebeamten Manfred Ka***** während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper zu verletzen versucht, indem er diesem nach der zu II./A./ genannten Tat einen Schlag gegen den Oberkörper zu versetzen versuchte, wobei es beim Versuch blieb, da der Genannte den Schlag durch eine Abwehrbewegung verhindern konnte;

sohin Taten begangen hat, die als das Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (I./), das (richtig:) Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 dritter und vierter Fall StGB (II./) und das (richtig:) Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB jeweils mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil im Ausspruch über die Anlasstat I./ nicht geltend gemachte, dem Betroffenen zum Nachteil gereichende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StGB).

Nach den Urteilsfeststellungen hat der Betroffene Anna K*****, von der er wusste, wann sie von der Stadt Wien das wöchentliche Essensgeld erhielt, „aufgesucht“ und sie in der Absicht, ihr Geld abzunötigen, „mit dem Tod“ bedroht, indem er wiederholt „in einem aggressiven und wütenden Ton“ zu ihr sagte, „er werde die gesamte Generation, auch die Kinder, umbringen oder diese entführen“. Dabei sei es ihm darauf angekommen, „Anna K***** durch gefährliche Drohung zur Herausgabe von zumindest 5 Euro zu zwingen und sich dadurch zu bereichern“ (US 6).

Als Anlasstat für eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (hier:) nach § 21 Abs 1 StGB kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nur in Betracht, wenn sie unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) begangen wurden (§ 21 Abs 3 StGB).

Letztere liegt vor, wenn die Ankündigung des gegen Leib oder Leben des Bedrohten gerichteten Übels eine konkrete Gefahr für die körperliche Unversehrtheit befürchten lässt und der sofortige Vollzug des angedrohten Übels in Aussicht gestellt wird, wobei diese Kriterien vom (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters umfasst sein müssen (vgl RIS Justiz RS0094161).

Da das Urteil keine Feststellungen zu einem diese Kriterien erfüllenden Bedeutungsinhalt der Äußerung (vgl hiezu

RIS Justiz RS0092437) und einem darauf bezogenen Vorsatz des Betroffenen enthält, hat das Erstgericht das zu I./ konstatierte Handeln des Betroffenen zu Unrecht als Anlasstat herangezogen und damit seine Befugnis zur Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB überschritten (vgl Ratz , WK 2 StGB Vor §§ 21 25 Rz 9; Ratz , WK StPO § 281 Rz 671).

Die Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Anlasstat I./

hat die Kassation der Unterbringungsanordnung zur Folge (RIS Justiz

RS0120576, RS0090390) und erfordert in diesem Umfang den Verweis der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung (§ 285e StPO).

Dieses wird sollten die zuvor genannten Feststellungen getroffen werden können die Abgrenzung zwischen Raub (§ 142 Abs 1 StGB) und Erpressung (§ 144 Abs 1 StGB) zu beachten haben. Denn im gegebenen Zusammenhang wäre Raub anzunehmen, wenn die unverzügliche Übergabe einer präsenten Sache (und nicht erst eine künftige Sachübergabe) erzwungen werden soll

te (RIS Justiz RS0094203) und ein Zueignungsvorsatz des Betroffenen festgestellt werden kann (vgl Eder Rieder in WK 2 StGB § 144 Rz 39 ff).

Ein Eingehen auf das zu I./ sowie zur Anordnung der Maßnahme erstattete Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich.

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zu:

Die von der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zu II./A./ vermisste Begründung für die Feststellungen zum Vorsatz des Betroffenen, die Justizwachebeamten an einer Amtshandlung zu hindern, befindet sich auf US 9, wonach das Erstgericht die subjektive Tatseite aus der Handlungsweise des Betroffenen abgeleitet hat (RIS Justiz RS0116882).

Indem die Beschwerde auf das vom Zeugen Manfred Ka***** geschilderte Verhalten des Betroffenen hinweist und behauptet, aus diesem sei weder ein Verletzungsvorsatz, noch der „Vorsatz hier Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten zu wollen“ erkennbar, übt sie in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik.

Dass die Justizwachebeamten die „Verbringung“ des Betroffenen „aus dem Haftraum“ beabsichtigten, hat das Erstgericht der Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) zu II./ zuwider auf US 6 iVm US 9 festgestellt. Soweit der Beschwerdeführer die Durchführung einer Amtshandlung mit dem Argument in Abrede stellt, ihm sei das Duschen freigestanden, wird ein Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht. Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur zu II./ ist den Urteilsfeststellungen hinreichend deutlich ein auf Hinderung einer in Ausübung von Befehls und Zwangsgewalt geführten Handlung der Justizwachebeamten zu der sie ihrer Art nach berechtigt waren (§ 104 Abs 1 Z 2 und 5 StVG) gerichteter Vorsatz des Angeklagten zu entnehmen (US 6 f).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet unsubstantiiert und unter Vernachlässigung der Konstatierungen zur objektiven und subjektiven Tatseite (US 6 f) die Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen, die dem Betroffenen, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, einerseits weil den zu II./A./ und B./ geschilderten Angriffen nach den Feststellungen eine tatbestandliche Handlungseinheit zugrunde lag (RIS Justiz RS0122006) als das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 dritter und vierter Fall StGB und andererseits als das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB zuzurechnen gewesen wären, womit sie sich einer inhaltlichen Erwiderung entzieht (RIS Justiz RS0099810) . Bleibt zu III./ anzumerken, dass eine „gattungsmäßige“ Umschreibung der Körperverletzung, auf die der Vorsatz des Täters gerichtet war, auch wenn die Tat bloß versucht wurde nicht erforderlich ist, sind doch sogar Konstatierungen, ob der Vorsatz auf die erste oder zweite Erfolgsvariante des § 83 Abs 1 StGB gerichtet war, entbehrlich ( Burgstaller / Fabrizy in WK² StGB § 83 Rz 17; Messner , SbgK § 83 Rz 70).

Im gegen den Ausspruch über die Anlasstaten II./ und III./ gerichteten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Rechtsmittelwerber auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
6
  • RS0090390OGH Rechtssatz

    29. Februar 2024·3 Entscheidungen

    Liegen dem Betroffenen mehrere Taten zur Last, von denen nur eine den Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB entspricht, während die anderen zufolge der für sie maßgebenden Strafdrohung nicht einweisungsrelevant sein können, so hat das Gericht den Einweisungsantrag, soweit er auch diese Taten betrifft, abzuweisen; stützt es jedoch (rechtsirrig) sein Einweisungserkenntnis spruchgemäß auch auf diese Taten, dann hat es insoweit seine Einweisungsbefugnis überschritten, womit das Erkenntnis in diesem Punkt nichtig im Sinn der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ist, uzw unbeschadet dessen, dass dem Betroffenen daneben auch eine einweisungsrelevante Anlasstat zur Last liegt. Denn der im Urteilstenor dekretierte Tatvorwurf kann von der darauf gestützten Sanktion nicht getrennt werden; diese basiert damit aber auch auf Taten, die die Einweisung nicht zu tragen vermögen, wobei die darin gelegene Urteilsnichtigkeit den Betroffenen beschwert, weil nicht gesagt werden kann, dass die nicht einweisungsrelevanten Taten bloß überflüssigerweise und ohne irgendwelche nachteiligen Wirkungen für ihn in den Urteilsspruch aufgenommen worden seien. Daher kann eine Unanfechtbarkeit des Ausspruchs über die Anstaltseinweisung nicht daraus abgeleitet werden, dass die Einweisung ohnedies bereits durch eine andere, diese recte tragende Tat gedeckt ist (Ablehnung der gegenteiligen Auffassung in 10 Os 162/79 = EvBl 1980/203).