JudikaturJustiz15Os37/13z

15Os37/13z – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Hermann R***** wegen der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2008, GZ 8 U 419/07h 20, und weiterer Vorgänge in diesem Verfahren zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 8 U 419/07h des Bezirksgerichts Innsbruck verletzen

1./ der Vortrag der Protokolle über die Vernehmung der Zeugen Barbara K*****, Günther P***** und Helmut H***** in der Hauptverhandlung am 19. Februar 2008 § 252 Abs 1 und Abs 2a StPO sowie

2./ das Unterbleiben der Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls an den Angeklagten § 271 Abs 6 letzter Satz StPO.

II./ Das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2008, GZ 8 U 419/07h 20, wird aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2008, GZ 8 U 419/07h 20, wurde Hermann R***** nach Durchführung der Hauptverhandlung gemäß § 427 StPO in seiner Abwesenheit (ON 19) des Vergehens (richtig: der Vergehen) der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er (zu ergänzen: in Innsbruck) seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Julian K*****, geboren am 2. April 1991, gröblich verletzt, indem er in der Zeit von 29. Dezember 2003 bis 17. Oktober 2005 und von 19. März 2006 bis 10. September 2007 keinerlei oder nur unzureichende Unterhaltszahlungen leistete und dadurch bewirkte, dass der Unterhalt oder die Erziehung des Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet worden wäre.

Hingegen wurde er vom Anklagevorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht auch in Ansehung der Zeiträume Dezember 2002 bis 7. Februar 2003, 25. Februar 2003 bis 16. März 2003 und 1. April 2003 bis 26. September 2003 sowie im Folgenden (ohne Nachteil für den Angeklagten) verfehlt, weil den vom Schuldspruch umfassten Tatzeiträumen unmittelbar vorangehend, womit (bei jedem zusammenhängenden Zeitraum) jeweils ein und dieselbe Tat im materiellen Sinn vorliegt (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 513 letzter Absatz) 29. November 2003 bis 28. Dezember 2003 und 18. Februar 2006 bis 18. März 2006 gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im Protokoll über die Hauptverhandlung findet sich (vor „Schluss des Beweisverfahrens“) folgende Passage: „Dargetan wird sodann der Inhalt des Aktes 8 U 419/07h und 24 E 132/03p BG Innsbruck“ (ON 19 S 106).

Die Zeugin K***** war (im Rahmen gerichtlicher Vorerhebungen gemäß §§ 452, 88 Abs 1 und Abs 2 StPO aF) nur am 5. September 2007 (ON 3) und in der Hauptverhandlung am 25. Oktober 2007 vernommen worden (ON 11 S 3 f), die in der Folge auf „vorerst unbestimmte Zeit“ vertagt und nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten fortgesetzt wurde (sodass infolge Fehlens eines Verzichts der Beteiligten gemäß § 276a letzter Satz StPO eine Wiederholung der Verhandlung erforderlich gewesen wäre). Die Vernehmung der Zeugen P***** und H***** war ausschließlich durch die Polizei erfolgt (ON 12).

Die schriftliche Urteilsausfertigung nicht aber eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung wurde dem Angeklagten am 5. Mai 2008 (durch Hinterlegung) zugestellt (ON 20 S 123). Das Urteil blieb in der Folge unbekämpft und erwuchs in Rechtskraft (ON 21).

Rechtliche Beurteilung

Der Vortrag (auch) der Protokolle über die Zeugenvernehmungen und das Unterbleiben der Zustellung einer Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung an den Angeklagten stehen wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Sache nach zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Soweit das Protokoll über die am 25. Oktober 2007 vertagte Hauptverhandlung betreffend die Vernehmung der Zeugin K***** sowie die Protokolle über die polizeiliche Vernehmung der Zeugen P***** und H***** in der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung am 19. Februar 2008 zusammenfassend vorgetragen wurden, entspricht dies nicht dem Gesetz. Denn Protokolle über die Vernehmung von Zeugen sowie Amtsvermerke und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im § 252 Abs 1 StPO normierten hier nicht gegebenen Ausnahmefällen verlesen oder vorgetragen werden. Aus dem bloßen Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung kann dessen Einwilligung im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO und auch zum Vortrag gemäß Abs 2a leg cit nicht abgeleitet werden (RIS Justiz RS0117012).

Zufolge der gemäß § 447 StPO auch im Hauptverfahren vor dem Bezirksgericht anzuwendenden Bestimmung des § 271 Abs 6 letzter Satz StPO ist den Beteiligten des Verfahrens soweit sie nicht darauf verzichtet haben ehestmöglich, spätestens aber zugleich mit der Urteilsausfertigung eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung zuzustellen. Mangels eines (im Anlassfall nicht aktenkundigen) Verzichts verletzt die Unterlassung der Zustellung einer Ausfertigung des Hauptverhandlungsprotokolls an den Angeklagten § 271 Abs 6 letzter Satz StPO.

Die Generalprokuratur argumentiert weiters:

„Mit der Formulierung im Protokoll über die Hauptverhandlung am 19. Februar 2008, wonach der Inhalt 'des Aktes 8 U 419/07h' des Bezirksgerichts Innsbruck 'dargetan' wurde, werden die Bestimmungen des § 271 Abs 1 StPO über den notwendigen Protokollinhalt und zwar (soweit hier von Interesse) hinsichtlich der wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens (Z 4) sowie der Bezeichnung der verlesenen und vorgetragenen Schriftstücke (Z 5) missachtet. Denn mit dieser Protokollierung wird einerseits die Art des Vorkommens von Aktenstücken in der Hauptverhandlung entweder Verlesung bzw Vorführung gemäß § 252 Abs 1 und Abs 2 StPO oder (zusammenfassender) Vortrag (Abs 2a leg cit) nicht klar zum Ausdruck gebracht (RIS Justiz RS0110681 [T3]; Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 143), andererseits bleibt offen, welche Aktenteile überhaupt tatsächlich verlesen oder vorgetragen worden sind (RIS Justiz RS0110681 [T4]; Danek , WK StPO § 271 Rz 17 f).

Infolge des insoweit nicht geklärten Umstands, welche Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung tatsächlich vorgekommen sind, erweist sich entweder die Verlesung bzw der Vortrag der über die Vernehmung der Zeugen Barbara K*****, Günther P***** und Helmut H***** aufgenommenen Protokolle in der Hauptverhandlung oder die Verwertung der Aussagen im Urteil (US 5) als rechtsfehlerhaft.“

Für den Obersten Gerichtshof hingegen geht (im Gegensatz zu den RIS Justiz RS0110681 zugrundeliegenden Fällen) aus dem Hauptverhandlungsprotokoll unmissverständlich hervor, dass der gesamte Akteninhalt im Sinn des § 252 Abs 2a StPO zusammenfassend vorgetragen wurde.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen sind geeignet, dem Angeklagten zum Nachteil zu gereichen, sodass deren Feststellung mit konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) zu verknüpfen war. Einer Aufhebung der vom Urteil rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen bedurfte es nicht (RIS Justiz RS0100444).

Im neuen Rechtsgang wird im Fall einer Verurteilung zu beachten sein, dass ein auch den Tatzeitraum ab 1. Jänner 2007 umfassender Schuldspruch mit Blick auf eine allfällige Herzerkrankung des Angeklagten (US 5) und seine vom Erstgericht für diesen Zeitraum angenommenen Bezüge (US 6) ausreichender Feststellungen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners (vgl Markel in WK² § 198 Rz 51 und 54) sowie darüber bedarf, ob er nach seinen individuellen Verhältnissen ohne Gefährdung seines eigenen notwendigen Unterhalts in der Lage gewesen wäre, den geschuldeten Unterhalt zu leisten (vgl RIS Justiz RS0095131).

Rechtssätze
6