JudikaturJustiz15Os22/07k

15Os22/07k – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gertraud A***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 10 Hv 16/06z des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Johannes G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 12. Jänner 2007, AZ 10 Bs 483/06i, 10 Bs 14/07w (ON 198), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Johannes G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 31. März 2006 wurde Johannes G***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB iVm § 2 StGB schuldig erkannt. Inhaltlich des Schuldspruchs hat er in Graz dadurch, dass er Gertraud A***** mit seinen wiederholten Äußerungen, bei einer Schwangerschaft könne sie sich „schleichen" und sie „könne gleich gehen, wenn sie ein Kind haben wolle", bestärkte, ihre gemeinsamen Kinder C. A*****, D. A***** und E. A***** vorsätzlich zu töten, und dass er in Kenntnis der Tötung des zuvor geborenen Kindes B. A***** durch Gertraud A***** sowie in Kenntnis der Absicht Gertraud A*****s, auch weitere gemeinsame Kinder aus nachfolgenden Schwangerschaften zu töten, es unterließ (§ 2 StGB), Gertraud A***** zumindest für eine sogenannte „anonyme Geburt" in ein Krankenhaus zu bringen oder bei den Geburten zu betreuen und die Neugeborenen in der sogenannten „Babyklappe" des LKH Graz abzugeben, vorsätzlich die nachgenannten Personen getötet und zwar

1. zwischen April und September 2002 seine unbenannte Tochter C. A***** oder seinen unbenannten Sohn B. A*****,

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Grundrechtsbeschwerde des Johannes G*****; sie schlägt fehl.

Die Beschwerde behauptet zum einen, der Tatverdacht sei ebensowenig als dringend anzusehen wie im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz auf Aufhebung der Untersuchungshaft vom 15. September 2005; ins Gewicht fallende weitere den Angeklagten belastende Beweisergebnisse lägen nicht vor; allenfalls vorhandene neue Beweisergebnisse seien bagatellhaft und unbedeutend. Mit der somit der Sache nach aufgestellten Behauptung, die nunmehr angefochtene Entscheidung sei in Relation zur Enthaftungsentscheidung vom 15. September 2005 zu setzen und der dringende Tatverdacht unter Berücksichtigung seiner damals erfolgten Verneinung zu prüfen, legt die Grundrechtsbeschwerde zwar der Sache nach richtig dar, dass nach mangels Dringlichkeit des Tatverdachts erfolgter Aufhebung einer Untersuchungshaft die neuerliche Verhängung oder Fortsetzung der Haft in derselben Sache nur dann zulässig ist, wenn eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse in Form einer durch Vorliegen neuer Beweise gegebenen entsprechenden Verdichtung der Verdachtslage eingetreten ist (vgl 12 Os 12/07t).

Dies war aber, wie die angefochtene Entscheidung aktengetreu darlegt (S 155 f/VI), hier der Fall, zumal - was die Grundrechtsbeschwerde übergeht - sogar ein erstinstanzlicher Schuldspruch vorlag, bei welchem jedenfalls Dringlichkeit des Tatverdachts anzunehmen ist (RIS-Justiz RS0061112; zuletzt 15 Os 99/02).

Im Übrigen wäre ein behauptetes Fehlen der Veränderung der Verhältnisse gegenüber der seinerzeitigen Enthaftungsentscheidung bereits im Rahmen der Anfechtung der Wiederverhaftung vorzunehmen gewesen.

Bei Prüfung des nunmehr angefochtenen Haftfortsetzungsbeschlusses ist die Frage der Dringlichkeit des Tatverdachtes hingegen ohne Vergleich mit einer früheren Entscheidung zu lösen. Auch in dieser Hinsicht vermag die Grundrechtsbeschwerde weder Begründungsmängel des angefochtenen Beschlusses aufzuzeigen noch mit bloß eigenständigen Beweiswerterwägungen erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen jene Sachverhaltsannahmen, deren der Angeklagte als dringend verdächtig bezeichnet wird, zu wecken.

Die vom Beschwerdegericht vorgenommene Ableitung der qualifizierten Verdachtslage im Sinn des § 180 Abs 1 StPO aus der eine sehr enge Lebensbeziehung mit Gertraud A***** bekundenden Einlassung des Angeklagten, den gutächtlichen Aussagen des Sachverständigen Dr. Friedrich Rous und der zur Verantwortung des Angeklagten in Widerspruch stehenden Deposition des Zeugen M*****, der Beschwerdeführer habe von den Schwangerschaften der rechtskräftig verurteilten Gertraud A***** gewusst (S 7 der Beschwerdeentscheidung), erfolgte ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens (vgl 13 Os 64/02). Entgegen der Beschwerde hat der Sachverständige Dr. Rous seine den Beschwerdeführer belastenden Angaben in der Hauptverhandlung aufrecht erhalten (S 425/V). Die Überlegung des Rechtsmittelgerichtes, aus der Verbindung der erwähnten Umstände mit der vom Beschwerdeführer mehrfach geäußerten Ablehnung einer möglichen Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin ergebe sich der dringende Verdacht zumindest psychischer Unterstützung durch Bestärken zu den Tötunghandlungen oder aber der inkriminierten Unterlassungen, ist empirisch nachvollziehbar. Soweit die Grundrechtsbeschwerde zum weiteren behauptet, nach Aufhebung eines Ersturteils und Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht trete das Haftfristensystem des § 181 Abs 2 StPO wieder in Kraft, orientiert sie sich nicht am Gesetz. Danach ist die Wirksamkeit des zuletzt ergangenen Beschlusses auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft ab dem Beginn der Hauptverhandlung durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt und es sind Haftverhandlungen von Amts wegen nach diesem Zeitpunkt nicht mehr durchzuführen (§ 181 Abs 6 StPO). Im Übrigen vermag die Grundrechtsbeschwerde nicht darzulegen, welche der in § 181 Abs 2 StPO genannten Haftfristen ihrer Meinung nach Platz greifen hätten sollen, warum also durch die neun Tage nach Urteilsaufhebung erfolgte Haftverhandlung eine Fristverletzung stattgefunden habe.

Der Oberste Gerichtshof hält dazu an seiner ursprünglich zu § 193 Abs 5 StPO entwickelten Rechtsprechung fest, wonach die zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft mit dem Beginn der Hauptverhandlung auch dann entfällt, wenn die Hauptverhandlung vertagt wird oder wenn die Sache durch das Rechtsmittelgericht an die erste Instanz zurückverwiesen wird (RIS-Justiz RS0098035). Lediglich im Fall einer - hier nicht gegebenen - echten Rückleitung des Verfahrens an den Untersuchungsrichter (dazu 15 Os 124/04; Danek, WK-StPO § 276 Rz 11) wären auch nach Beginn einer Hauptverhandlung die Haftfristen (§§ 181 und 194 StPO) wieder zu beachten. Argumente dafür, warum von dieser Judikatur abzugehen sei, legt auch die Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO nicht dar. Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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