JudikaturJustiz15Os160/02

15Os160/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Jänner 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Volker Sch***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 7a Vr 5618/00 des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Volker Sch***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 3. Dezember 2002, AZ 22 Bs 346/02, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Volker Sch***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der deutsche Staatsangehörige Volker Sch***** wurde (erstinstanzlich) mit Urteil vom 6. Juni 2002 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Danach hat er im Zusammenwirken mit Raymond B***** und anderen Mittätern von 15. Jänner 1996 bis 12. Juli 1997 in Wien und anderen Orten elf verschiedene Personen mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung und gewerbsmäßiger Absicht durch Vortäuschung, im Rahmen der Gesellschaft E***** C.V. würden hoch verzinste und sichere Veranlagungen durch den Erwerb von stimmberechtigten Aktien der E***** angeboten, zur Zahlung von insgesamt 10,619.024 S (entsprechend rund 771.715 Euro) verleitet, wodurch diese oder Dritte am Vermögen geschädigt wurden. Über die gegen das Urteil erhobenen Rechtsmittel hat der Oberste Gerichtshof bisher nicht entschieden.

Der Beschwerdeführer befindet sich - nach seiner am 6. März 2000 in Holland erfolgten Festnahme und Auslieferung nach Österreich - seit dem 16. Mai 2001 in Untersuchungshaft, die mit Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 18. November 2002 aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO fortgesetzt wurde. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten nicht Folge und ordnete die weitere Fortsetzung der Haft aus den angeführten Gründen an.

Rechtliche Beurteilung

Die Grundrechtsbeschwerde bekämpft mit der Behauptung, "sämtliche Voraussetzungen des § 4 StVG" seien gegeben, die Annahmen des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Verhältnismäßigkeit der Haft. Sie schlägt fehl.

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist zum einen von der Dauer der Untersuchungshaft zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (hier: knapp 18 Monate), zum anderen von der zu erwartenden Strafe (hier maßgeblich: die in erster Instanz verhängte fünfjährige Freiheitsstrafe) unter Berücksichtigung weiterer anzurechnender Haftzeiten (hier: der rund 15-monatigen Auslieferungshaft) auszugehen. Unverhältnismäßigkeit liegt demnach nicht vor.

Ob, in welchem Umfang und wann die zu vollziehende Strafe zukünftig tatsächlich vollzogen wird, ist für die Prüfung hingegen nicht von Bedeutung.

Die Beschwerde vernachlässigt mit ihrer einleitenden, auf 14 Os 30/94 gestützten Argumentation zur Verhältnismäßigkeitsprüfung die ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofs, wonach die Möglichkeit einer bedingten Entlassung (wie auch jene einer bedingten Strafnachsicht) unter anderem vom (weiteren) Verhalten eines Verurteilten abhängt, welches in aller Regel antizipativ nicht beurteilt werden kann (15 Os 110/00, 12 Os 93/01, 13 Os 81/01, 13 Os 130/01, 13 Os 29/02, 13 Os 76/02, 13 Os 109/02). Von dieser Rechtsansicht abzugehen besteht kein Anlass.

Ungeachtet dessen hat das Oberlandesgericht Wien mängelfrei begründet, weshalb im konkreten Fall eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB (schon aufgrund des Vorlebens) nicht zu erwarten sei. Den zentralen Beschwerdebehauptungen zuwider hat bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung iSd § 180 Abs 1 StPO eine mögliche Anwendung des § 4 StVG, also das Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung, außer Betracht zu bleiben (ebenso ein allenfalls nach §§ 5, 6, 133 StVG oder § 39 SMG zu gewährender Aufschub des Strafvollzugs).

Denn der Gesetzgeber beschränkt das Postulat der Verhältnismäßigkeit (§§ 180 Abs 1, 193 Abs 2 StPO) unmissverständlich auf den Vergleich der Untersuchungshaft mit der vom hiefür zuständigen Gericht in der konkreten Strafsache zu verhängenden Strafe und stellt nicht auf deren (von anderen als den Strafzumessungskriterien iwS abhängigen und in der Regel vorweg nicht beurteilbaren) Vollzug ab. Selbst eine ständige Vollzugsuntauglichkeit iSd § 5 Abs 1 StVG würde keine Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft bewirken, umso weniger das Vorliegen eines uU nur temporären Vollzugshindernisses.

Nur ein solches wird aber hier dargetan: Mit der Behauptung des Vorliegens "sämtlicher Voraussetzungen des § 4 StVG" (ersichtlich gemeint: für ein endgültiges Absehen) übersieht die Beschwerde nämlich, dass § 4 erster Satz StVG nur ein vorläufiges Absehen vom Vollzug (ähnlich einem Strafaufschub) normiert, das überdies von generalpräventiven Gründen abhängig ist. Kehrt der Verurteilte nach seiner Auslieferung nach Österreich zurück, so ist die Strafe zu vollziehen (zweiter Satz leg cit). Hievon kann nur dann abgesehen und die Strafe nachträglich bedingt nachgesehen werden, wenn am Verurteilten im Ausland eine Strafe vollzogen wurde und dieser durch den Strafvollzug ungünstiger gestellt wäre, als wenn über alle Handlungen ein österreichisches Gericht entschieden hätte (dritter Satz leg cit).

Volker Sch***** wurde somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.