JudikaturJustiz14Os94/03

14Os94/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. September 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Allmayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Umar S***** wegen der teils im Stadium des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 3 dritter Fall StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Linz vom 5. März 2003, GZ 42 Hv 67/02v-135, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Vallender zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Umar S***** (richtig:) der teils im Versuchsstadium (§ 15 StGB) verbliebenen Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 1 und Abs 3 dritter Fall StGB (zu 1.), des Verbrechens der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (zu 2.) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (zu 3.) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 und Z 2 StGB (zu 4.) schuldig erkannt. Danach hat er am 8. Juli 2002 in Linz

1. die (hochschwangere) Lara B***** dadurch, dass er ihr in einem Zimmer, in welchem ihr 7-jähriger Sohn schlief, den Arm um den Hals legte und zudrückte, ihr ein geöffnetes Messer wenige Zentimeter vor das Gesicht hielt, sie auf das Bett stieß und mit dem Knie im Brustbereich niederdrückte, an den Haaren riss und den Kopf nach hinten drückte und versuchte, mit ihr einen Oralverkehr durchzuführen, sowie ihr anschließend die Unterhose herunterriss, mehrere Schläge in das Gesicht versetzte und einen Geschlechtsverkehr vollzog, sie mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht und zur Duldung des Beischlafes genötigt, wobei die vergewaltigte Person in besonderer Weise erniedrigt worden ist;

2. Lara B***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, durch die sinngemäße Äußerung, sie müsse ihm ihre Asylantengutscheine überlassen, wenn sie ihren Freund weiter sehen wolle, wobei er vor ihr mit einem Messer hantierte, somit durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, die sie an ihrem Vermögen geschädigt hätte, nämlich zur Übergabe der Gutscheine, zu nötigen versucht;

3. gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Garik A***** und Tom D***** den Valerij B***** durch die Äußerungen, er werde ihn abstechen bzw er werde alle Russen umbringen, wobei er und Garik A***** je ein Messer in Händen hielten, mit dem Tode gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

4. in verabredeter Verbindung mit den abgesondert verfolgten Garik A***** und Tom D***** den Valerij B***** dadurch, dass Garik A***** und Umar S***** jeweils mit einem Messer auf seinen Oberkörper einstachen und Tom D***** ihm einen Stoß versetzte, vorsätzlich in Form einer 20 cm langen oberflächlichen stichförmigen Wunde am linken Oberarm, oberflächlichen Abschürfungen an der linken Schulterregion, einer oberflächlichen glattrandigen Verletzung an der Kleinfingerkuppe rechts, einer 12 cm langen Abschürfung an der rechten hinteren Brustkorbregion und drei kleinen oberflächlichen Schürfungen am rechten Ellbogen am Körper verletzt, wobei die Tat mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen worden ist, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist.

Die Geschworenen bejahten die auf das Verbrechen der teils versuchten, teils vollendeten Vergewaltigung gerichtete Hauptfrage 1 und die drei weiteren (auf die oben genannten anderen strafbaren Handlungen gerichteten) Hauptfragen 2 bis 4. Andere Fragen wurden ihnen nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 5, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurde der Angeklagte durch die Abweisung von Beweisanträgen in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt:

1. Mit der ergänzenden Vernehmung der Zeugin Lara B***** begehrte er angesichts ihrer (unmittelbar vorher erfolgten, vgl S 58 f/II) Zeugnisentschlagung (§ 152 Abs 1 Z 2a StPO) eine undurchführbare Beweisaufnahme (S 59 f/II). Einen Entfall des Entschlagungsrechts bei Hervorkommen neuer Beweisergebnisse (nach Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung im Sinn des § 162a StPO) sieht das Gesetz nicht vor (EvBl 1999/45). Festzuhalten ist, dass der bei der Beweistagsatzung anwaltlich vertretene Beschwerdeführer auf eine persönliche Befragung der Zeugin B***** ausdrücklich verzichtet hat (S 367/I). Dass ihm die Untersuchungsrichterin damals zugesichert habe, in der Hauptverhandlung nochmals Fragen an die Zeugin stellen zu können, ist dem Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung (ON 55) nicht zu entnehmen.

2. Die Abweisung des Antrags auf Einholung eines Auszuges vom Bankkonto des Angeklagten (S 68/II) war ebenfalls geboten. Denn der dadurch zu beweisende Umstand, dass sich in der vom Angeklagten in der Wohnung Lara B*****s zurückgelassenen Geldbörse auf Grund vorangegangener wiederholter Bankomatbehebungen ein höherer Geldbetrag (nämlich ca Euro 480) als Euro 80 - wie vom Unzuchtsopfer behauptet - befunden haben müsste, ist für die Lösung der Schuldfrage ohne Bedeutung. Selbst ein theoretisch denkbares Motiv der Frau für die ihr unterstellte Verleumdung des Angeklagten wäre mangels Kenntnis, welche exakten Geldbeträge der Angeklagte nach den Bankomatbehebungen wieder ausgegeben hat, nicht nachzuweisen.

3. Den Antrag auf Einholung eines ergänzenden medizinischen Sachverständigengutachtens unter Durchführung eines Ortsaugenscheins über den Fluchtweg des Zeugen B***** zum Beweis dafür, dass dessen Verletzungen nicht auf die von ihm behauptete Weise entstanden sein können, sondern einerseits durch den Sturz in den Mistkübel und andererseits durch die Flucht ins Freie (S 68/II), hat das Erstgericht zu Recht unter Hinweis auf das die geltend gemachten Aspekte bereits berücksichtigende Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Ass. Prof. Dr. Johann H***** (S 45 ff/II iVm ON 51) als nicht zweckdienlich verworfen (S 70/II).

4. Im Ergebnis zutreffend ist auch die Begründung des abweisenden Zwischenerkenntnisses (S 149/II), wonach durch eine (vom Angeklagten beantragte, vgl S 147 unten/II iVm S 67 oben/II) Auswertung sämtlicher in der Wohnung des Opfers sichergestellten vermutlichen Spermaspuren ein Beweis dafür, dass Lara B***** - wie vom Angeklagten vermutet - Sperma von ihrem Mund in ihre Vagina eingebracht habe, nicht zu erbringen ist.

Unberechtigt ist auch die Fragestellungsrüge (Z 6), welche das Fehlen von Eventualfragen (bzw "einer uneigentlichen Zusatzfrage") zu den Hauptfragen 1 und 2 bemängelt.

Zwar ist nach jeder echt (also auch und besonders real-) konkurrierenden strafbaren Handlung grundsätzlich eine eigene Schuldfrage zu stellen (vgl Schindler, WK-StPO § 312 Rz 54 mwN), was sich für Fälle von Realkonkurrenz auch aus einem Größenschluss aus § 312 Abs 2 StPO ergibt (vgl auch Ratz, WK-StPO § 345 Rz 36 ff). Allerdings räumt § 317 Abs 2 StPO dem Schwurgerichtshof ein Ermessen hinsichtlich der Zusammenfassung (auch) von Schuldfragen ein. Grundsätzlich sollte von derartigen "Kumulativfragen" nur sparsam Gebrauch gemacht werden (Schindler, WK-StPO § 317 Rz 11). Unter dem Gesichtspunkt der Befugnis der Geschworenen zu eingeschränkter Bejahung nach § 330 Abs 2 StPO ist eine Zusammenfassung allerdings nur bei verschiedenen Tätern untersagt (Schindler, WK-StPO § 317 Rz 13). So gesehen hat der Schwurgerichtshof durch die Zusammenfassung der auf zwei realkonkurrierende strafbare Handlungen gerichteten Hauptfragen zu einer einzigen dann nicht gegen die in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften (als Gesamtheit) verstoßen, wenn die - nach § 324 Abs 2 StPO darüber ins Bild gesetzten - Geschworenen, ausgehend von den Fähigkeiten maßgerechter Laienrichter (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56), in der Lage waren, von der Möglichkeit des § 330 Abs 2 StPO Gebrauch zu machen. Diese Voraussetzung trifft vorliegend ohne weiters zu, hätten sie doch in Hinsicht auf den (die Taten nach § 201 Abs 3 dritter Fall StGB qualifizierenden Zusatz "wobei die vergewaltigte Person in besonderer Weise erniedrigt worden ist") einschränkend nur hinzuzufügen gehabt:

"aber nur im ersten bzw zweiten Fall".

Die Stellung einer weiteren Eventualfrage nach dem gegenüber § 201 Abs 1 StGB mit geringerer Strafe bedrohten Tatbestand nach § 201 Abs 2 StGB erachtet der Nichtigkeitswerber deshalb als indiziert, weil "Insbesondere die Schilderungen der Zeugin B***** selbst (AS 356)" den Schluss zulassen, "dass weder zum Zeitpunkt der versuchten noch der vollendeten Vergewaltigung schwere Gewalt vorlag bzw. angewendet wurde". Solcherart verabsäumt er aber - prozessordnungswidrig - jegliche Konkretisierung, auf Grund welcher Angaben dieser Zeugin die Anwendung schwerer Gewalt zu verneinen gewesen wäre. Eine auf das "Vergehen der Nötigung" gerichtete Eventualfrage zu der (in Richtung versuchter Erpressung gestellten) Hauptfrage 2 vermisst der Beschwerdeführer mit der Begründung, "Die Beweisergebnisse lassen jedoch den (fast zwingenden) Schluss zu", dass sie nur die Ankündigung, (ihren Freund) B***** nicht mehr sehen zu dürfen, als Drohung, das gleichzeitige Hantieren des Angeklagten mit einem Messer aber nicht als "gefährliche Drohung" angesehen habe. Mit diesem Vorbringen übersieht die Beschwerde zunächst, dass eine Drohung im Sinn des § 74 Z 5 StGB objektiv gefährlich sein muss. Ob der Bedrohte sie ernstgenommen hat oder nicht, kann Indiz sein, ist aber rechtlich nicht entscheidend. Maßgeblich ist ihre Eignung, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen (Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 61).

Zudem unterscheidet sich - was vom Rechtsmittelwerber übersehen wird - Nötigung (§ 105 StGB) von Erpressung (§ 144 StGB) nicht durch die Art der Begehungsmittel (in beiden Fällen: Gewalt oder gefährliche Drohung), sondern dadurch, dass die abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung bei Erpressung (anders als bei Nötigung) zu einer Vermögensschädigung des Genötigten führen und der Täter in diesem Fall auch mit Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung handeln muss. Wendet dieser hingegen - wie die Beschwerde offensichtlich vermeint - überhaupt keine gefährliche Drohung (oder Gewalt) zur Durchsetzung eines von ihm gestellten Verlangens an, kommen weder Erpressung noch Nötigung in Betracht.

Die Instruktionsrüge (Z 8) ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Zum einen übergeht das Vorbringen, "es sei nominell auch die Nichtigkeit nach Z 8 erfüllt, sofern die Geschworenen in der Rechtsbelehrung nicht darauf hingewiesen wurden, dass die in der Hauptfrage 1 angeführten Verbrechen jeweils auch in der nicht qualifizierten Form des § 201 Abs 1 StGB begangen werden können", den bezughabenden Teil der schriftlichen Rechtsbelehrung (S 215 ff/II). Zum anderen war ein nach Ansicht der Rüge "offensichtlich" unterbliebener Hinweis in der Rechtsbelehrung auf die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Nötigung und Erpressung (beachte hier S 220 ff/II) entbehrlich. Denn eine Rechtsbelehrung ist nur zu gestellten Fragen zu erteilen (Mayerhofer StPO4 § 345 Z 8 E 23a). Ist aber - wie hier - nur eine Hauptfrage nach versuchter Erpressung gestellt, dann bedarf es keiner Erläuterungen zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB. In der Tatsachenrüge Z 10a werden auf Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen geweckt. Nach Inhalt und Zielrichtung des Vorbringens bekämpft der Beschwerdeführer mit isolierten, demnach sinnentstellender Betrachtung selektiv hervorgehobenen Teilen aus den Aussagen der Zeugen Lara B***** und des Valerij B***** über unerhebliche Umstände lediglich die allein den Geschworenen übertragene Beweiswürdigung nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile unzulässigen Schuldberufung. Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 3 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von acht Jahren.

Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei Vergehen, die zweifache Qualifikation beim Körperverletzungsdelikt und die zweifache Begehungsweise bei der Vergewaltigung; als mildernd berücksichtigte es die "Unbescholtenheit" des Angeklagten und das bloße Versuchsstadium (beim Schuldspruch 2 und teilweise beim Schuldspruch 1). Mit seiner gegen die Strafhöhe erhobenen Berufung strebt der Angeklagte deren angemessene Herabsetzung an.

Sie ist unbegründet.

Das Geschworenengericht hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen richtig festgestellt. Soweit der Berufungswerber die Berücksichtigung des "ordentlichen Lebenswandels" vermisst, ist ihm zu entgegnen, dass der vom Geschworenengericht zwar nicht gesetzkonform bezeichnete, jedoch - wie sich aus der Strafzumessung ergibt - entsprechend gewichtete Milderungsumstand nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB ohnehin die Annahme voraussetzt, dass der Angeklagte einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht.

Unter Berücksichtigung der (neben den genannten besonderen Strafzumessungsgründen auch die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung des § 32 StGB miteinbeziehenden) bedeutenden Tat- und Persönlichkeitsschuld des Angeklagten ist die vom Geschworenengericht gefundene Freiheitsstrafe nicht überhöht. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher zu einer Änderung der Sanktion nicht bestimmt. Der der Privatbeteiligten Lara B***** zugesprochene Teilschmerzengeldbetrag von 5.000 Euro ist nach dem festgestellten Tathergang und dessen Folgen keineswegs unangemessen, sodass er ohne Durchführung zusätzlicher Erhebungen in der begehrten Höhe zuzusprechen war. Der dagegen nichts substantielles vorbringenden Berufung des Angeklagten musste daher ebenso ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Rechtssätze
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