JudikaturJustiz14Os8/02

14Os8/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Reiter als Schriftführer, in der Auslieferungssache des Sholam W***** wegen Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Vereinigten Staaten von Amerika, AZ 22c Vr 8.615/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. September 2001, AZ 22 Ns 2/01, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, sowie der Verteidiger Dr. Winischhofer und Dr. Peukert, jedoch in Abwesenheit des Auszuliefernden, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. September 2001, AZ 22 Ns 2/01, mit welchem die Auslieferung des Sholam W***** an die Vereinigten Staaten von Amerika für unzulässig erklärt wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 33 ARHG und des Art 9 des Auslieferungsvertrages zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216.

Er wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, nach dem Gesetz über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit Anklage einer im Bezirk Florida-Mitte Abteilung Orlando/USA einberufenen Federal Grand Jury vom 29. April 1998, Fall Nr 98-99 Cr-Orl-19A, wurden dem amerikanischen Staatsangehörigen Sholam W*****, geboren am 1. April 1954, als Hauptverantwortlichem eines weit verzweigten Unternehmensgeflechts in insgesamt 93 Anklagepunkten gravierende Verstöße gegen bestimmte Paragrafen des Titel 18 United States Code zur Last gelegt. Darnach hat er im Wesentlichen - zusammengefasst wiedergegeben - zwischen 1992 und 1996 im Rahmen eines umfassenden, von langer Hand geplanten und stufenweise verwirklichten vielschichtigen Betrugskonzepts in wechselnder Beteiligungsform unter Mitwirkung mehrerer Komplizen durch dolose Zwischenschaltung des von ihm dominierten Firmenimperiums umfangreiche Geldtransaktionen (vorwiegend am Aktien-, Investment-, Immobilien- und Hypothekenmarkt) ua mittels Scheingeschäften und unter Vorlage falscher Dokumente vor allem zum Nachteil des in Florida ansässigen Versicherungsunternehmens N***** sowie dessen Muttergesellschaft L***** mit einem Gesamtschaden von mehr als 250 Mio US-Dollar eigennützig oder zum Vorteil seiner Mittäter abgewickelt (S 165 ff/II).

In der zwischen 1. Feber 1999 und 29. Oktober 1999 stattgefundenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Florida-Mitte war der gegen Kaution auf freiem Fuß befindliche Angeklagte Sholam W***** während der Beweisaufnahmen und der Schlussplädoyers ständig persönlich anwesend und zumindest durch einen selbst gewählten Verteidiger vertreten. Seine Vernehmung zur Sache nahm mehrere Wochen in Anspruch. Im Verlaufe des Verfahrens wurden mehr als 100 Zeugen vernommen und umfangreiches Urkundenmaterial eingesehen (S 47 ff/II). Die nach Abschluss des (zur Gänze unter Beteiligung des Angeklagten durchgeführten) Beweisverfahrens sowie nach Übergabe der schriftlichen Rechtsbelehrung an die Jury-Mitglieder zwischen 11. und 18. Oktober 1999 anberaumte Sitzungspause nutzte Sholam W***** zur Flucht aus den USA. Am 18. Oktober 1999 (an welchem Tag die Beratungen der Jury zur Entscheidungsfindung begannen) erschien der Angeklagte trotz Kenntnis des Termins nicht vor Gericht, worauf gegen ihn Haftbefehl erlassen wurde (S 505/II).

Entsprechend der Regel 43 der Strafprozessordnung für Bezirksgerichte der Vereinigten Staaten wurde die Beratung der Jury-Mitglieder über die Beweismittel fortgesetzt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes vom 1. November 1999, Nr 98-99 Cr-Orl-19A, wurde Sholam W***** in Abwesenheit (jedoch im Beisein seines Verteidigers) in 78 Anklagepunkten schuldig erkannt (S 513 ff/II). In der am 15. Feber 2000 durchgeführten Strafmaßverhandlung, AZ 6:98-Cr-99-Orl-19A (in welcher der abwesende Angeklagte ebenfalls durch seinen Verteidiger vertreten war), wurde über ihn ua (nach den Richtlinien Titel 18 United States Code, S 573 ff/II) entsprechend einem Kumulationsprinzip eine Gesamthaftstrafe von 845 Jahren (über einen Mitangeklagten - wie am Rande bemerkt sei- eine solche von 740 Jahren) verhängt (S 577, 595/II). Die Verkündung der Strafe erfolgte in öffentlicher Verhandlung. Auf Grund des Umfangs und der wiederholten betrügerischen Handlungen sollte der Angeklagte nach den Urteilsgründen "dauerhaft aus der Gesellschaft entfernt werden" (S 589/II).

Daraufhin reichte der Verteidiger des Angeklagten rechtzeitig Berufung gegen das Urteil ein. Dieses Rechtsmittel wurde am 10. April 2000 nach den Verfahrensvorschriften der Gerichte der Vereinigten Staaten aus formellen Gründen (Prinzip des Berechtigungsverlustes durch Flüchtlinge) "abgewiesen". In der Folge stellten die Vereinigten Staaten - bereits im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Auslieferungsbegehren - einen "Notantrag" auf Wiederzulassung der Berufung des Angeklagten, der vom Berufungsgericht über den mittleren Justizbezirk des Bundesstaates Florida, Nr 00-11007-CC, abgelehnt wurde.

Nach den vorliegenden Erklärungen der Vereinigten Staaten steht Sholam W***** gemäß Titel 28 United States Code § 2255 im Fall seiner Inhaftierung eine Urteilsanfechtung wegen Rechtsschutzdefiziten (auch im Zusammenhang mit ineffektiver Verteidigung) Unzuständigkeit des Gerichtes oder Überschreitung des vorgeschriebenen Strafmaßes binnen Jahresfrist offen, wobei eine Fristverlängerung "bis zu dem Datum, an dem Fakten zur Stützung des Rechtsanspruches ..... hätten offengelegt werden können", möglich wäre. Zudem besteht nach der US-Bundesstrafprozessordnung die Möglichkeit einer Wiederaufnahme im Falle neu entdeckter Beweismittel innerhalb von drei Jahren nach Urteilsverkündung. Darüber hinaus kann eine Prozesspartei zu jeder Zeit einen Antrag auf Neuverurteilung wegen eines in Abwesenheit erfolgten Schuldspruchs stellen, den die Vereinigten Staaten nach ihrer diesbezüglichen Zusicherung (siehe das dem Oberlandesgericht Wien am 27. Juni 2001 vom BMJ GZ 1.47366/31-IV 1/01, übersendete Nachhangstück) nicht anfechten würden.

Am 24. Oktober 2000 wurde Sholam W***** (der zur Verschleierung seiner Identität Falschnamen benützte) in Wien festgenommen. Über ihn wurde im (Auslieferungs )Verfahren AZ 22c Vr 8.615/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gemäß § 29 Abs 1 ARHG iVm § 180 Abs 2 Z 1 StPO die Auslieferungshaft verhängt (S 109/I iVm ON 8). Mit diplomatischer Note vom 18. Dezember 2000 stellte die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika das Ersuchen um Auslieferung des Genannten (jedenfalls auch) zur Vollstreckung der angeführten Freiheitsstrafe (S 91 ff/I iVm ON 50, 54 und 60 sowie S 607 ff/II). Nach Einlangen ergänzender Auslieferungsunterlagen und der Beantwortung im diplomatischen Weg gestellter (vom Oberlandesgericht Wien angeregter) Anfragen im Sinn des Art 11 Abs 1 des Auslieferungsvertrages zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216, erklärte das Oberlandesgericht Wien die Auslieferung mit Beschluss vom 11. September 2001, AZ 22 Ns 2/01, unter Hinweis auf Art 2 des 7.ZPEMRK für unzulässig.

Der Gerichtshof zweiter Instanz erachtete zwar (außer in Bezug auf ein Urteilsfaktum mangels inländischer Strafbarkeit) im Ergebnis die materiellen und formellen Auslieferungsvoraussetzungen des angeführten Vertrages, BGBl III 1999/216, für gegeben. In der weiteren diesbezüglich etwas unklaren Entscheidungsbegründung zitierte er den fakultativen Auslieferungsverweigerungsgrund nach Art 9 dieses Vertrages ("Abwesenheitsurteil"), ließ aber dessen fallbezogene Anwendbarkeit offen. Damit unterblieb auch eine substantielle Auseinandersetzung mit der Problematik der dort angeführten Auslieferungshindernisse. Die Entscheidung beschränkt sich im Kern auf die Aussage, dass die Auslieferung unter den gegebenen Umständen (fehlende Zusicherung einer rechtsmittelgerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit des Urteils seitens der Vereinigten Staaten) einen Verstoß gegen Art 2 des von Österreich ratifizierten, "direkt anzuwendenden" 7.ZPEMRK, BGBl 1988/628 (idF BGBl III 1998/30), bedeuten würde. Diese Bestimmung - die das Recht eines Verurteilten, das Urteil von einem übergeordneten Gericht (materiell) nachprüfen zu lassen, normiere - stehe bei verfassungskonformer (an den in der MRK sowie in deren Zusatzprotokollen enthaltenen Standards orientierter) Auslegung des vorliegenden Vertrages einer Bewilligung der begehrten Maßnahme entgegen.

In der Folge wurde gegen Sholam W***** wegen Verdachtes des gewerbsmäßig schweren Betruges und anderer Delikte zu AZ 22 cVr 7.808/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein Inlandsverfahren eingeleitet (§ 65 Abs 1 Z 2 StGB), in welchem sich der Genannte zwischen 11. September 2001 und 9. Oktober 2001 in Untersuchungshaft befand. Er wurde gegen gelindere Mittel (§ 180 Abs 5 Z 1 bis 7 StPO) auf freien Fuß gesetzt. Nach Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Enthaftungsbeschluss trug das Oberlandesgericht Wien dem Erstgericht die Erlassung eines Haftbefehls und die Fortsetzung der Untersuchungshaft auf (ON 128 im Verfahren AZ 22 cVr 7.808/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), in der sich Sholam W***** aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO weiterhin befindet.

Eine von der Oberstaatsanwaltschaft beantragte Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens wurde mit - endgültiger - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. März 2002, AZ 18 Ns 1/02 = ON 146, abgewiesen.

Der Generalprokurator erblickt im angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. September 2001 einen Verstoß gegen den Auslieferungsvertrag zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216, und führt hiezu aus:

Das gegenständliche Auslieferungsersuchen ist - insoweit iS der Ausführungen des Gerichtshofs zweiter Instanz - auf der Grundlage des erwähnten (am 8. Jänner 1998 unterzeichneten) zwischenstaatlichen Abkommens zu prüfen.

Dieser Vertrag trägt nach seiner Präambel dem Wunsch, eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten zur Verbrechensbekämpfung zu ermöglichen, Rechnung.

Für auslieferungsfähige strafbare Handlungen besteht (wie im Europäischen Auslieferungsübereinkommen, BGBl 1983/297, an dessen Grundsätzen sich die gegenständliche bilaterale Vereinbarung orientiert, RV 1083 BlgNR XX.GP 16) nach Art 1 eine prinzipielle Auslieferungsverpflichtung der Vertragsparteien. Die Auslieferung kann daher nur wegen Vorliegens eines der im Vertrag (taxativ) angeführten Ablehnungsgründe verweigert werden.

Die (vom Oberlandesgericht bloß unreflektiert erwähnte) Vorschrift des Art 9 beinhaltet in Bezug auf eine Auslieferung zur Vollstreckung von in Abwesenheit ergangenen Schuldsprüchen und verhängten Strafen ein Auslieferungshindernis, wenn das Abwesenheitsverfahren nicht grundrechtlichen (Mindest )Anforderungen (hinlängliche Möglichkeit der Wahrung von Verteidigungsinteressen) entsprochen hat oder der betroffenen Person nach ihrer Übergabe kein Rechtsbehelf ("angemessene Rechtsmittel oder zusätzliche Verfahren") offensteht. Diese Kautelen entsprechen den Prinzipien des Fairness-Gebotes des Art 6 MRK. Wenn die auszuliefernde Person daher ihre Verteidigungsrechte auch in Abwesenheit ausreichend wahren konnte, ist die Auslieferung zur Vollstreckung dieses Urteils zulässig (RV 1083 BlgNR XX.GP 19).

Der Ablehnungsgrund des Art 9 entspricht im Übrigen jenem des Art 3 des (von Österreich gleichfalls ratifizierten) zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978, BGBl 1983/297 (wonach die ersuchte Vertragspartei die Auslieferung - ebenfalls - ablehnen kann, wenn in dem vorangegangenen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung zuerkannt wurden und die ersuchende Vertragspartei keine als ausreichend erachtete Zusicherung der Gewährleistung der Verteidigungsrechte in einem neuen Gerichtsverfahren abgibt).

Auch unter der Prämisse, dass im konkreten Fall formal ein als "Abwesenheitsurteil" iSd Art 9 in Betracht kommender Entscheidungsvorgang gegeben sein könnte, wäre die Auslieferung zu bewilligen gewesen:

Wie dargelegt, war Sholam W***** in der rund neun Monate dauernden Hauptverhandlung vor dem Gericht in Florida ständig persönlich anwesend und zumindest durch einen selbst gewählten Verteidiger effektiv vertreten. (Erst) nach Abschluss des Beweisverfahrens hat er sich durch Flucht seiner Anwesenheitspflicht entzogen und damit auch der (weiteren) Ausübung persönlicher Rechte begeben. Der Schuldspruch sowie die Straffestsetzung sind in seiner Abwesenheit, jedoch in Anwesenheit seines Verteidigers erfolgt. Beweisaufnahmen haben in diesem Prozessstadium nicht (mehr) stattgefunden.

Somit waren aber die Verteidigungsrechte zweifelsfrei gewahrt, weshalb ein Versagungsgrund nach der ersten Variante des Konditionalsatzes des Art 9 ausscheidet; das allfällige Offenstehen eines Rechtsbehelfs im ersuchenden Staat im Sinne der (alternativ vorgesehenen) zweiten Variante leg cit bedurfte daher keiner näheren Prüfung mehr.

Die (weitere) Frage, ob der Auslieferung allenfalls (innerstaatlich) entscheidende Grundsätze der MRK (oder deren Zusatzprotokolle) entgegenstehen, wurde vom Oberlandesgericht rechtsirrig gelöst. Im Sinne einer gebotenen völkerrechtsfreundlichen Interpretation haben Vertragsstaaten übernommene Auslieferungsverpflichtungen grundsätzlich einzuhalten.

Nach der Rechtsprechung des EGMR sind internationale Verträge allerdings im Lichte der fundamentalen Prinzipien der MRK auszulegen, wenn (wie hier) einer der Vertragsstaaten dem Europarat angehört. Bestandteile des zwingenden Völkerrechts können mithin eigenständige Auslieferungshindernisse sein, selbst wenn sie in einem zwischenstaatlichen Auslieferungsübereinkommen nicht genannt sind (etwa Fall Soering/UK, EuGRZ 1989, 314).

Zwar stehen völkerrechtliche und innerstaatliche Regelungen an sich auf gleicher Stufe (Linke, Grundriss des Auslieferungsverfahrensrechtes 25); die Vereinbarkeit ausländischer Strafurteile (insbesondere) mit den Grundsätzen der Art 3 und 6 MRK ist aber Voraussetzung für im Inland entstehende Rechtswirkungen (Linke aaO 58).

Die Geltungsdichte der Grundrechte im vertraglichen Bereich ist aber (nur) auf den völkerrechtlichen "Kernbestand" als Mindeststandard (Art 3 und 6 MRK) beschränkt (abermals Fall Soering/UK, Fall Poitrimol/Frankreich, ÖJZ 1994/467). Hiebei steht das Recht auf Gehör, auf angemessene Verteidigung, Überprüfung der Beweismittel und auf Beiziehung eines Rechtsvertreters im Vordergrund, wobei auf die Gesamtheit des Verfahrens Bedacht zu nehmen ist (s den Fall Krombach/Frankreich, NJW 2001, 2387, sowie den Fall Eliazer/Niederlande, NL 01/5/7).

Eine Beeinträchtigung dieses grundrechtlichen Kernbereiches ist generell nicht schon dann indiziert, wenn nach der maßgeblichen Rechtsordnung ein Prozessanspruch der auszuliefernden Person, das zu vollstreckende Strafurteil durch Rechtsmittel anzufechten, von der strikten Einhaltung bestimmter Fristen und Formen abhängig war (wie sie zB nach der österreichischen Strafprozessordnung für die Nichtigkeitsbeschwerde gelten) oder aber durch prozessualen Ungehorsam verwirkt werden konnte.

Aus der Sicht des EGMR muss der Gesetzgeber unentschuldigtem Fernbleiben vor Gericht entsprechend entgegenwirken können (s abermals die Fälle Poitrimol/Frankreich; Krombach/Frankreich und Van Geiseghem/Belgien, NJW 1999, 2353). Hiebei prävaliert das Interesse des Staates an der Verfahrensdurchführung in Anwesenheit des Angeklagten gegenüber den Bedenken des Angeklagten zufolge des Risikos einer Festnahme (zuletzt erneut Fall Eliazer/Niederlande). Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Gesamtheit des gegenständlichen Verfahrens im Konnex mit der Tatsache, dass es dem Angeklagten freigestanden wäre, bei der Strafmaßverhandlung anwesend zu sein sowie sich (auch) am Berufungsverfahren persönlich zu beteiligen und damit die (vom Oberlandesgericht allein problematisierte) materielle Überprüfung des Urteils durch eine übergeordnete Instanz zu erreichen, kann das in den Vereinigten Staaten angebotene Rechtsmittelsystem - das einen (durchaus gerechten) Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen an der Verfahrensabwicklung einerseits und jenen des Angeklagten andererseits herzustellen versucht - in toto nicht als unfair angesehen werden.

Der ersuchende Staat hat mithin aus der Sicht der MRK den (Mindest )Anforderungen des "fair trial" (Art 6 MRK) ausreichend Rechnung getragen.

Die in den Mittelpunkt der Überlegungen des Oberlandesgerichtes Wien gestellte Garantie des Art 2 des 7.ZPEMRK ist hier nicht entscheidungswesentlich und wäre zudem andernfalls auch gar nicht verletzt worden.

Das (im Übrigen von vielen Mitgliedstaaten des Europarates nicht ratifizierte) Protokoll Nr 7 zur MRK erweitert zwar als verfassungsergänzender Staatsvertrag den im Verfassungsrang stehenden Art 6 der MRK, zählt (anders als die integralen Bestandteile des Art 3 und 6 MRK) nicht zum grundrechtlichen Kernbereich der MRK. Vielmehr handelt es sich um von den Vertragsstaaten zusätzlich übernommene (für konkrete Auslieferungsentscheidungen nicht relevante) Garantien. Von einer unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Norm in einem bestimmten Auslieferungsverfahren kann daher - der Ansicht des Oberlandesgerichtes zuwider - keine Rede sein.

Darüber hinaus läge selbst für den Fall der Heranziehung des Art 2 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK keine diesbezügliche Verletzung vor. Die angeführte Bestimmung garantiert in Bezug auf kondemnierende Strafurteile (von hier nicht aktuellen Ausnahmefällen abgesehen) das Recht auf Nachprüfung durch ein übergeordnetes Gericht. Der Umfang der Kompetenzen der überprüfenden Instanz hängt jedoch nach dem (im vorliegenden Beschluss vernachlässigten) zweiten Satz des Art 2 Abs 1 vom jeweiligen innerstaatlichen Gesetz ab (s auch 900 BlgNR XVI.GP 8). Hiebei ist den Vertragsstaaten ein weiter Ermessensspielraum überlassen (Frowein/Peukert EMRK Komm2 7.ZP Art 2 RdNr 2; EKMR, ÖJZ 1996, 26; EGMR, NJW 2001, 2391, RdNr 96; Krombach/Frankreich). Im eingeräumten Rechtsmittelverfahren sind - allerdings wiederum gemessen an der Gesamtheit des Verfahrens (einschließlich jenes in erster Instanz) - die Garantien des Art 6 MRK zu beachten (Frowein/Peukert aaO Art 6 MRK, RdNr 68).

Die Überprüfungsmöglichkeit des vorliegenden Urteils durch ein Rechtsmittel im ersuchenden Staat ist nach dem prozessualen Regelungssystem der Vereinigten Staaten - wie dargelegt - grundsätzlich gegeben. Die bloß formelle Behandlung der konkreten Berufung zufolge Flucht des Verurteilten stellt auch im Lichte des Art 2 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK eine dem betroffenen Staat überlassene - keinesfalls unfaire - Ausgestaltung des Verfahrensrechtes dar. Die Entscheidung, das Rechtsmittel eines (erst) in der Phase der Urteilsfindung geflohenen (im vorangegangenen Verfahren anwesenden und nachhaltig verteidigten) Angeklagten gerade wegen seiner ungerechtfertigten Abwesenheit nicht meritorisch zu erledigen, bedeutet daher keine unverhältnismäßige (grundrechtswidrige) Beschränkung des Verurteilten auf Zugang zu einem Rechtsmittelgericht.

Die Auffassung des Oberlandesgerichtes, wonach die Auslieferung des Sholam W***** gegen Art 2 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK verstoßen würde, fußt primär auf einer Fehlinterpretation der erwähnten Entscheidung des EGMR im Fall Krombach gegen Frankreich. Diesem Erkenntnis lag aber eine mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbare Konstellation zugrunde. Es handelte sich nämlich um den Schuldspruch eines Schwurgerichtes, der auf einem zur Gänze in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Verfahren basierte. Dem Verurteilten wurde - iS der Vorschriften der französischen StPO - weder die Möglichkeit einer Erwiderung gegen die Anklage noch einer Verteidigung durch einen Anwalt oder der Nachprüfung des Urteils durch ein übergeordnetes Gericht eröffnet. (Lediglich) unter diesem Blickwinkel (Fehlen einer Verteidigungslegitimation bei gleichzeitiger Unbekämpfbarkeit dieses Mangels im Abwesenheitsverfahren) beurteilte der EGMR die Unmöglichkeit der Überprüfung des Rechtes auf Beistand eines Anwalts als unvereinbar mit Art 2 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK (NJW 2001, 2392, RdNr 99, 100).

Es sei angemerkt, dass das Oberlandesgericht die (durch den bezogenen Standpunkt gebotene) Darlegung jener Gründe unterlassen hat, aus welchen die seitens der Vereinigten Staaten abgegebenen Erklärungen über das Bestehen (zusätzlicher) Rechtsmittelmöglichkeiten des Verurteilten im Falle seiner Übergabe nicht anerkannt und damit (bei unstrittiger Ausübung der Verteidigungsrechte im erstinstanzlichen Verfahren) aus der Sicht des Art 2 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Betroffenen bejaht wurde.

Da die Frage der Zulässigkeit einer Auslieferung zur Strafvollstreckung im Übrigen nicht nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung zu prüfen ist, kommt der hier aktuellen Abweichung der (einfachgesetzlichen) materiell-rechtlichen und prozessualen Vorschriften der Vereinigten Staaten gegenüber jenen der österreichischen Rechtsordnung (Strafobergrenze für Vermögensdelikte der gegenständlichen Art - 10 Jahre; Unzulässigkeit eines Abwesenheitsurteils bei Verbrechen - § 427 StPO) als Versagungsgrund (ebenfalls) keine entscheidende Bedeutung zu. Die Grenze bildet - wie erwähnt - (lediglich) die Frage der am verfassungsrechtlichen (Mindest )Standard des ersuchten Staates orientierten Behandlung der auszuliefernden Person im ersuchenden Staat (so auch - in Bezug auf die deutsche Rechtslage - mwN Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3 S 358, 366 ff, 370 f). Strafart und Strafhöhe (hier: im Ergebnis lebenslange Freiheitsstrafe) sind unter den konkreten Umständen (gravierende grenzüberschreitende Eigentumsdelinquenz im Rahmen organisierter Kriminalität) nicht als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Sanktionen iS des Art 3 MRK anzusehen (Rosenmayr in Ermacora/Nowak/Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention S 172; Schomburg/Lagodny aaO S 367), sodass die Auslieferung auch unter diesem Aspekt grundrechtsverträglich wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Nach dem gewaltentrennenden Organisationsprinzip des Art 94 B-VG müssen alle Aufgaben der Vollziehung vom Gesetzgeber nach objektiven Kriterien entweder der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung übertragen werden (vgl H. Mayer B-VG2 Art 94 Anm I). Da der primär anzuwendende - generell transformierte und damit eine unmittelbare Grundlage für innerstaatliche Vollzugsakte bildende (H. Mayer B-VG2 Art 50 Anm II.2.) - Auslieferungsvertrag über die innerstaatliche Kompetenzaufteilung bei der Auslieferung aus Österreich nichts anderes bestimmt, sind dazu die Vorschriften des ARHG heranzuziehen (§ 1 ARHG), welche zwischen dem nach § 33 ARHG vom Gerichtshof zweiter Instanz zu fassenden Beschluss über die Zulässigkeit und der dem Bundesminister für Justiz zugewiesenen Entscheidung über Bewilligung oder Ablehnung nach § 34 ARHG unterscheiden. Darnach befindet der Bundesminister für Justiz als Organ der Verwaltung nach Maßgabe zwischenstaatlicher Vereinbarungen und der Grundsätze des zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs und hat dabei auf die Interessen der Republik Österreich (vgl §§ 2 und 3 Abs 1 ARHG), auf völkerrechtliche Verpflichtungen und den Schutz der Menschenwürde Bedacht zu nehmen (§ 34 Abs 1 erster und zweiter Satz ARHG). Nur in jenen Fragen, welche das ARHG im Ersten Abschnitt des II. Hauptstückes als solche der Zulässigkeit der Auslieferung bezeichnet, soll er gemäß § 34 Abs 1 dritter Satz ARHG an eine verneinende Antwort des Gerichtshofes zweiter Instanz gebunden sein. Das Oberlandesgericht Wien hatte - auf Grund der Gesetze (Art 18 Abs 1 B-VG) - folgerichtig nur über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden, mithin ausschließlich über jene notwendigen Bedingungen für deren Bewilligung, die das Gesetz in Abgrenzung von der nach § 34 ARHG zu treffenden Entscheidung des Bundesministers für Justiz (auch) den Strafgerichten zuweist (Art 10 Abs 1 Z 3 B-VG). Wendet man die Kompetenzregelung des ARHG auf den in Rede stehenden Vertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika an, zählen solcherart jedenfalls Fragen der Auslieferungsfähigkeit von Straftaten (Art 2, 4, 24; vgl §§ 11, 14 f ARHG), der österreichischen Staatsangehörigkeit (Art 3; vgl § 12 ARHG), der österreichischen Gerichtsbarkeit (Art 5; vgl § 16 ARHG), des ne bis in idem-Grundsatzes (Art 6; vgl § 16 Abs 3 erster Satz ARHG), der Verjährung (Art 7; vgl § 18 ARHG), der Todesstrafe (Art 8; vgl § 20 ARHG), des Spezialitätsgrundsatzes (Art 19; vgl § 23 ARHG) und der Fairness des Verfahrens im Fall eines Abwesenheitsurteils (Art 9; vgl § 19 Z 1 ARHG) zur Zulässigkeit der Auslieferung.

Zur Frage einer Rechtsmittelgarantie in Strafsachen (Art 2 des in Österreich im Verfassungsrang stehenden 7. ZPEMRK) enthält der auf einfachgesetzlicher Stufe transformierte Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika keine den Art 1 dieses Vertrages einschränkende Bestimmung (vgl JBl 2001, 331). Fiele sie in die Gerichtskompetenz, hätte das Oberlandesgericht, das über die Zulässigkeit der Auslieferung (funktional) nicht in zweiter Instanz entscheidet, keine Befugnis zu einem Normprüfungsantrag beim VfGH (Art 89 Abs 2 und 4 B-VG). Indem jedoch der Erste Abschnitt des II. Hauptstückes des ARHG statt eines pauschalen Verweises auf den Katalog der von der EMRK und ihren Zusatzprotokollen garantierten Grundrechte nur jene der Art 3 und 6 EMRK ausdrücklich nennt und andere ohne einen solchen Verweis auf einfachgesetzlicher Stufe konkretisiert (vgl §§ 19 Z 1 und 2 sowie 20 und 22 ARHG), das Grundrecht auf ein Rechtsmittel in Strafsachen jedoch nicht berücksichtigt, zeigt ein Umkehrschluss, dass sie nicht zur Entscheidung über die Zulässigkeit, vielmehr zu jener über Bewilligung und Ablehnung der Auslieferung gehört und solcherart (allein) von der Verwaltung zu lösen ist (zur Problematik instruktiv die Anmerkung von Dedeyne-Amann zu JBl 2001, 331). Eine durch das 7. ZPEMRK entstandene nachträgliche Lücke der zur Zulässigkeit der Auslieferung gehörenden Hindernisse ist schon deshalb zu verneinen, weil das StRÄG 1996 just in diesem Bereich (§§ 11, 22 ARHG) punktuell Änderungen vorgenommen, Art 2 des zuvor durch BGBl 1988/628 transformierten 7. ZPEMRK gleichwohl nicht eingefügt hat. Zählen demnach im ersuchenden Staat gewährte Rechtsmittel in Strafsachen nicht zur Zulässigkeit der Auslieferung, hätte das Oberlandesgericht Wien selbst bei Geltung eines derartigen Auslieferungshindernisses darüber nicht zu entscheiden gehabt. Dessen vager Hinweis auf die fragliche - und damit offen gelassene (vgl § 34 Abs 1 letzter Satz ARHG) - Bedeutung des in Art 9 des Auslieferungsvertrages genannten Hindernisses hinwiederum ist unter dem Aspekt eines mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen „Vorganges" (§ 292 fünfter Satz [zweiter Fall] StPO) als rechtsirrig zu beurteilen.

Indem Art 9 des Auslieferungsvertrages dem ersuchten Staat das Recht einräumt („kann"), die Auslieferung nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen abzulehnen, „wenn die auszuliefernde Person in ihrer Abwesenheit schuldig erkannt wurde", fällt diese Bestimmung, welche keine innerstaatliche Kompetenzabgrenzung vornimmt, wie aus deren Bezugnahme auf die Wahrung der Verteidigungsrechte zwanglos erhellt, insoweit in den Kompetenzbereich des über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidenden Strafgerichtes, als solcherart ein Aspekt der von Art 6 EMRK garantierten Fairness des zum Schuldspruch führenden Verfahrens in Rede steht (vgl § 19 Z 1 ARHG). Ob Sholam W***** trotz zeitweiliger Abwesenheit in einem nach den Kriterien des Art 6 EMRK fairen Verfahren schuldig erkannt wurde, die inhaltliche Antwort auf die in den Kompetenzbereich des Strafgerichtes fallende Frage also, hat insofern am - grundrechtskonform interpretierten - österreichischen Strafverfahrensrecht anzuknüpfen, als stets (nicht unbedingt nur) dann, wenn bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhaltes ein in Österreich ergangener Schuldspruch nicht zu beanstanden wäre, dies auch im Verhältnis zum ersuchenden Staat zu gelten hat.

Nun aber ist nach der österreichischen Strafprozessordnung ein Urteil - ungeachtet seiner Bezeichnung als "Abwesenheitsurteil" - nur dann in Abwesenheit des Angeklagten erlassen worden (vgl §§ 427, 478 StPO), wenn dieser zwischen Aufruf der Sache (§ 239 erster Satz StPO, im bezirksgerichtlichen Verfahren: Vortrag der Anklage, § 457 erster Satz StPO) und Schluss der - dem Urteil vorangehenden, nicht wiederholten (§ 276a zweiter Satz StPO) - Verhandlung (sei es auch nur zeitweilig und mit seinem Einverständnis; SSt 54/75) nicht persönlich anwesend war, das Gericht also in seiner Abwesenheit verhandelt hatte (Mayerhofer StPO4 § 427 E 23). Auch wenn der Angeklagte erschienen ist, sich aber vor Schluss der Verhandlung wieder entfernt hat, wurde ein solches Urteil erlassen (SSt 54/75; ÖJZ-LSK 1984/36). Dass er durch einen Verteidiger oder einen Machthaber (§ 455 Abs 2 StPO; SSt 2/28) vertreten war, ändert ebenso wenig wie seine allfällige Anwesenheit bei der Urteilsverkündung. Umgekehrt findet die Urteilsverkündung nach Schluss der Verhandlung, die Urteilsberatung außerhalb derselben statt. Findet sich der Beschuldigte zur Urteilsverkündung nicht ein, liegt deshalb allein noch kein Abwesenheitsurteil vor (§ 269 [§ 447 zweiter Satz] StPO; Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [in Druck] § 281 Rz 243, § 478 Rz 1 mwN). Die Abwesenheit des Angeklagten während Urteilsberatung und -verkündung trägt demnach für eine Behauptung, dass er in Abwesenheit „schuldig erkannt" wurde (vgl § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO), nach Maßgabe der österreichischen Strafprozessordnung nichts aus.

Ob Art 9 des Auslieferungsvertrages gezielt nur den Schuldspruch in Abwesenheit meint, kann angesichts der Tatsache dahin stehen, dass ungeachtet der Abwesenheit des Angeklagten bei der anschließenden Verhandlung über das Strafmaß der zur Straffestsetzung berufene Spruchkörper des erkennenden Gerichtes während der dem Schuldspruch vorangegangenen Verhandlung sich ein hinreichendes Bild vom - nunmehr fluchtbedingt abwesenden - Angeklagten verschaffen konnte und Art 6 EMRK demnach auch insoweit nicht verletzt wurde. Einen dem Einspruchsgrund des § 427 Abs 3 dritter Satz StPO subsumierbaren Sachverhalt hatte Sholam W***** nicht behauptet.

Die in der Nichtigkeitsbeschwerde und der Äußerung des Sholam W***** unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK (§§ 19 Z 1 und 2, 20 Abs 3 ARHG) angestellten Überlegungen zum Strafmaß (welches im Ergebnis einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne begründete Hoffnung auf vorzeitige Entlassung gleichkommt) schließlich entziehen sich einer inhaltlichen Erledigung, weil der angefochtene Beschluss weder die Auslieferung aus diesem Grund für unzulässig erklärt hat, noch Erwägungen dazu enthält. Die Argumentation richtet sich solcherart nicht gegen einen Beschluss oder sonstigen Vorgang eines Strafgerichtes (§ 33 Abs 2 StPO). Rechtsgutachten aber können mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht begehrt werden (Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [in Druck] § 292 Rz 1 bis 3, § 293 Rz 10). Hat der Oberste Gerichtshof insoweit den Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika nicht „anzuwenden", scheiden Bedenken im Sinn des Art 89 Abs 2 und 4 B-VG von vornherein aus.

Ein nach § 33 ARHG gefasster Beschluss des Gerichtshofes II. Instanz erklärt die Auslieferung nur insoweit für unzulässig, als dies in Hinsicht auf konkret zu bezeichnende (vgl § 260 Abs 1 Z 1 StPO), dem Ersuchen zugrundeliegende Handlungen des Auszuliefernden aus (jeweils) einem oder mehreren, gleichermaßen bestimmt zu nennenden Gründen geschieht, vergleichbar einem Schuldspruch, bei dem jene als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, einzelnen als strafbare Handlungen bezeichneten rechtlichen Kategorien zugeordnet werden, ohne welchen Ausspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) kein Schuldspruch ergeht (vgl Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [in Druck] § 281 Rz 266, 270, 503, 536 f). Soweit daher der Gerichtshof II. Instanz Handlungen oder Auslieferungshindernisse in seinem nach § 33 Abs 1 ARHG gefassten Beschluss nicht bedenkt, hat er die Auslieferung folgerichtig nicht für unzulässig erklärt (vgl auch Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [in Druck] § 281 Rz 526 sowie § 39 ARHG iVm § 9 Abs 1 ARHG [§ 358 erster Satz StPO]).

Angesichts des vorstehend erwähnten gewaltentrennenden Organisationsprinzips des Art 94 B-VG kann die Entscheidung des Gerichtshofes II. Instanz nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes eine Bindungswirkung für den Bundesminister für Justiz nach § 34 Abs 1 dritter Satz ARHG zudem nur insoweit entfalten, als diese die dem Gericht zukommende Entscheidungskompetenz nicht überschritten, mithin (wenngleich uU rechtsirrig) einen gesetzlichen Grund für Unzulässigkeit in Anschlag gebracht hat (vgl Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 721, H. Mayer B-VG2 Anm zu § 42 VfGG). Der im Ergebnis erfolgreich angefochtene Beschluss war daher nur zur Klarstellung zu beseitigen (vgl Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [in Druck] § 292 Rz 12, 43, 45 f). Weil aber vorliegend schon angesichts der bloß beiläufig angestellten Erwägungen des Oberlandesgerichtes Wien in Richtung einer offen gelassenen Bedeutung des Art 9 des Vertrages als Auslieferungshindernis nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gerichtshof II. Instanz von einer Prüfung des Ersuchens auf geltende Zulässigkeitskriterien nur infolge rechtsirriger Überschreitung der Gerichtskompetenz Abstand genommen hat, war diesem erneute Beschlussfassung aufzutragen, um den Auszuliefernden aus der - im Ergebnis - unterlassenen Prüfung des Ersuchens keinen Nachteilen auszusetzen.

Das in der Äußerung des Sholam W***** zur Nichtigkeitsbeschwerde neu erstattete Vorbringen, wonach er während eines - im Verhältnis zur Gesamtdauer der zum Schuldspruch führenden Verhandlung - geringfügigen Zeitraums dieser nicht beigewohnt hatte, wird es dabei nach Maßgabe seiner Deckung durch die Unterlagen (vgl § 35 Abs 1 erster Satz ARHG) unter dem Aspekt des Art 9 des Vertrages zu bewerten haben.

Rechtssätze
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  • RS0116269OGH Rechtssatz

    06. September 2007·3 Entscheidungen

    Aus der Kompetenz des Strafgerichtes, bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung über notwendige Bedingungen für deren Bewilligung zu befinden, folgt nicht, dass jedes nach österreichischem Recht einer Auslieferung entgegenstehende Auslieferungshindernis in dessen Zuständigkeitsbereich fällt. Die Abgrenzung von gerichtlicher und verwaltungsberhördlicher Zuständigkeit ist, soweit in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist (§ 1 ARHG), nach Maßgabe der für die Zulässigkeit der Auslieferung im ARHG geltenden Kriterien vorzunehmen (§§ 10 bis 23 und 25 Abs 1, 2 und 4 ARHG). Da der Erste Abschnitt des II. Hauptstücks des ARHG die Frage nach dem Erfordernis einer Garantie des in Österreich im Verfassungsrang stehenden Grundrechtes nach Art 2 Abs 1 des 7.ZPMRK nicht der vom Strafgericht zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung (§ 33 Abs 1 ARHG) zuweist, eine planwidrige Kompetenzlücke aber mit Blick auf die ausdrückliche Nennung nur einzelner Grundrechte der MRK und ihrer Zusatzprotokolle im Umkehrschluss verneint werden muss, hatte das Oberlandesgericht die Beantwortung dieser Frage dem Bundesminister für Justiz als Organ der Verwaltung zu überlassen (Art 94 B-VG). Ein nach § 33 ARHG gefasster Beschluss des Gerichtshofes II. Instanz erklärt die Auslieferung nur insoweit für unzulässig, als dies in Hinsicht auf konkret zu bezeichnende (vgl § 260 Abs 1 Z 1 StPO), dem Ersuchen zugrundeliegende Handlungen des Auszuliefernden aus (jeweils) einem oder mehreren, gleichermaßen bestimmt zu nennenden Gründen geschieht, vergleichbar einem Schuldspruch, bei dem jene als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, einzelnen als strafbare Handlungen bezeichneten rechtlichen Kategorien zugeordnet werden, ohne welchen Ausspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) kein Schuldspruch ergeht. Soweit daher der Gerichtshof II. Instanz Handlungen oder Auslieferungshindernisse in seinem nach § 33 Abs 1 ARHG gefassten Beschluss nicht bedenkt, hat er die Auslieferung folgerichtig nicht für unzulässig erklärt.