JudikaturJustiz14Os72/04

14Os72/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juli 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz (zweiter Fall) StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten Christian W***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Korneuburg vom 18. März 2004, GZ 703 Hv 1/04d-99, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird hinsichtlich der zu I. A, I. B 3. und III. ergangenen Schuldsprüche des Christian W***** der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende, im Übrigen - auch hinsichtlich des gemeinsam ausgefertigten Beschlusses auf Absehen vom Widerruf der zum AZ 1 U 9/98a des Bezirksgerichtes Hollabrunn gewährten bedingten Strafnachsicht - unberührt bleibende Urteil einschließlich des gegen diesen Angeklagten ergangenen Strafausspruchs samt Vorhaftanrechnung und der gemeinsam ausgefertigten Beschlüsse auf Widerruf der zu den AZ 12 E Hv 1251/98 und 521 Hv 80/02f des Landesgerichtes Korneuburg gewährten bedingten Strafnachsichten aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte - dieser auch mit seiner Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) - werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, wurde der am 29. August 1981 geborene Christian W***** schuldig erkannt, "die Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, teilweise als Versuch nach § 15 StGB" und mehrere Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 "dritter Fall" StGB begangen zu haben.

Nach dem Inhalt des Erkenntnisses (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er (zu ergänzen: in Hollabrunn)

"I. mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern

A) dem Emmerich S***** abgenötigt zu einer nicht mehr feststellbaren

Zeit im Juni/Juli 2002, indem er ihn gegen die Wand drückte, die Faust gegen ihn erhob und unter Androhung von Schlägen Geld für den Ankauf von Bier forderte und deswegen zumindest 15 Euro von ihm erhielt;

B) unter Verwendung einer Waffe

1. Anfang Dezember 2002 dem Emmerich S***** abgenötigt, indem er ihm ein Küchenmesser an den Hals ansetzte und mit der Forderung nach Geld drohte, er werde ihn abstechen und deswegen 50 Euro von ihm erhielt;

2. zu einer nicht mehr feststellbaren Zeit zwischen November 2002 und Jänner 2003 bei zumindest zehn Angriffen, teilweise dem Emmerich S***** und teilweise der Martina Z***** abgenötigt, indem er Emmerich S***** ein Messer mit der Spitze nahe an den Hals ansetzte und deswegen zumindest jeweils 15 Euro bis 20 Euro erhielt;

3. zu einer nicht mehr feststellbaren Zeit im Februar 2002 dem Anton Z***** abzunötigen versucht, indem er ihn mit der Forderung nach 20 Euro ein Messer nahe vor der Brust bzw vor das Gesicht führte, das Geld aber nicht erhielt;

III. in mehrfachen Tathandlungen während einer nicht mehr feststellbaren Zeit im Jänner/Februar 2002 mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Genötigten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, den Emmerich S***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, indem er ankündigte, ihn zu schlagen, zu einer Handlung, nämlich der Bargeldbehebung mittels Bankomatkarte von seinem Konto bei der Weinviertler Sparkasse und Aushändigung von jeweils 20 EUR an ihn genötigt, die Emmerich S***** am Vermögen schädigte."

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist vorerst klarstellend anzumerken, dass eine explizite Zuordnung der Schuldsprüche (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) zu den im Erkenntnis genannten Taten (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht erfolgt ist (die Urteilsausfertigung entspricht dem Inhalt der mündlichen Verkündung). Es ist aber offensichtlich, dass sämtliche zu I.) genannte Taten, also auch die zu I. A genannte Tat dem undifferenzierten Schuldspruch wegen "der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, teilweise als Versuch nach § 15 StGB" zugrunde liegen, auch wenn - recht besehen - zu I. A das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, zu I. B 1. und 2. eine unbestimmte Anzahl von Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz (zweiter Fall) StGB (sogenannte gleichartige Verbrechensmenge) und zu I. B 3. das Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 erster Satz (zweiter Fall) StGB begründet wird. Amtswegiger Wahrnehmung der zu I. A vorliegenden Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 12 StPO (§§ 344 zweiter Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) bedarf es aufgrund der insoweit erfolgreichen Nichtigkeitsbeschwerde nicht.

Die der rechtlichen Unterstellung der zu III. genannten Taten im Erkenntnis beigefügte Wortfolge "dritter Fall" ergibt keinen Sinn und ändert daher nichts an der Tatsache ergangener Schuldsprüche wegen mehrerer Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB. Der aus § 345 Abs 1 Z 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Christian W***** kommt teilweise Berechtigung zu. Die Besetzungsrüge weist zutreffend darauf hin, dass Christian W***** nach dem Wahrspruch der Geschworenen die zu I. A, I. B 3. und III. genannten Taten vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat. Gemäß § 46a Abs 1 JGG obliegt aber das Strafverfahren wegen vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangener Taten dem die Gerichtsbarkeit in Jugendstrafsachen ausübenden Gericht in der im § 28 JGG vorgeschriebenen Besetzung. Nach § 28 Abs 1 JGG müssen jedem Geschworenengericht vier im Lehrberuf, als Erzieher oder in der öffentlichen oder privaten Jugendwohlfahrt oder Jugendbetreuung tätige oder tätig gewesene Personen als Geschworene angehören. Der Verstoß gegen diese besonderen Besetzungsvorschriften der Geschworenenbank nach § 28 JGG begründet Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 99, § 345 Rz 3).

Der Beschwerdeführer hat gleich zu Beginn der Hauptverhandlung geltend gemacht, dass "das Gericht nicht gehörig besetzt" sei und damit seiner Rügeobliegenheit entsprochen (§ 345 Abs 2 StPO). Der Rüge war ein - weder in einem Gesetz noch in der Geo. vorgesehener bloß deklarativer, weil die Geschäftsverteilung nicht verändernder (vgl § 17 Abs 1 und 5 Geo.) - Beschluss des Personalsenates des Landesgerichtes Korneuburg vorausgegangen, wonach die Strafsache anstelle der für Straftaten junger Erwachsener zuständigen Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes dem nach der Geschäftsverteilung für sonstige Erwachsene zuständigen Vorsitzenden zufalle. Dieser hat die Geschworenen nicht der Dienstliste für Jugendstrafsachen entnommen, weshalb - ohne dass es einer Aufklärung nach §§ 344 zweiter Satz, 285f StPO bedarf - davon auszugehen ist, dass der Besetzungsvorschrift des § 28 Abs 1 JGG nicht entsprochen und schon deshalb der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund verwirklicht wurde (Philipp, WK-StPO § 300 Rz 4).

Das zieht hinsichtlich der davon betroffenen, zu I. A, I. B 3. und III. ergangenen Schuldsprüche des Christian W***** die Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen und des darauf beruhenden Urteils sowie des gegen diesen Angeklagten ergangenen Strafausspruchs einschließlich der Vorhaftanrechnung und der Beschlüsse auf Widerruf der zu den AZ 12 E Hv 1251/98 und 521 Hv 80/02f des Landesgerichtes Korneuburg gewährten bedingten Strafnachsichten samt Verweisung der Sache im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht Korneuburg nach sich (§§ 344 zweiter Satz, 285e erster Satz, 349 Abs 1 StPO).

Ob nämlich im Fall real konkurrierender, teils vor, teils nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangener strafbarer Handlungen eine Straftat vor diesem Zeitpunkt den Strafrahmen (§ 28 StGB) bestimmt, ist nach dem Wortlaut der Besetzungsvorschrift des § 46a Abs 1 JGG ohne Bedeutung; kommt es für die Anwendung des § 28 JGG doch allein auf den Zeitpunkt der Tatbegehung an (aM 12 Os 65/89 und - unter Verweis auf diese Entscheidung sowie 15 Os 106/89, wo es jedoch nicht um die Gerichtsbesetzung, sondern allein um die Sanktionsbefugnisgrenze ging - 12 Nds 28/90). Die gemeinsame Führung eines Taten vor und nach Vollendung des 21. Lebensjahres ein- und desselben Angeklagten umfassenden Strafverfahrens hätte daher nach § 56 Abs 3 StPO dem die Gerichtsbarkeit in Jugendstrafsachen ausübenden Geschworenengericht in der im § 28 JGG vorgeschriebenen Besetzung oblegen (WK-StPO § 281 Rz 115).

Da Aburteilungen, die nicht Straftaten unter 21-Jähriger betreffen, vom Besetzungsmangel nicht berührt werden, bleiben die zu I. B 1. und 2. ergangenen Schuldsprüche unberührt (§ 289 StPO; WK-StPO § 281 Rz 102).

Die die Besetzung des Schwurgerichtshofes betreffende Frage eines - jedenfalls seit Geltung des durch BGBl 1994/507 eingefügten § 28a GOG - aus Z 1 grundsätzlich relevanten Verstoßes gegen die Geschäftsverteilung (grundlegend Ch. Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, 285 ff; ders, AnwBl 1996, 826; ders in Korinek/Holoubek, Kommentar zum B-VG Art 87/3 Rz 45 f; vgl auch K. Korinek in Korinek/Holoubek, Kommentar zum B-VG Art 91/1 Rz 9 und Burgstaller aaO Art 91/2-3 Rz 12 sowie Ratz, Festschrift für Herbert Steininger, 109 [122 f m Nachweisen aus der Rsp] und in WK-StPO § 281 Rz 105 f) bedarf angesichts des Gesagten keiner Erörterung.

Im nachfolgenden Rechtsgang wird zu I. A die Abgrenzung zu § 142 Abs 2 StGB zu beachten sein.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

Rechtssätze
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