JudikaturJustiz14Os37/05f

14Os37/05f – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rene K***** wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG über die vom Generalprokurator gegen 1. die Unterlassung der Zustellung des Abwesenheitsurteils des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 9. September 2003, GZ 18 U 391/02f-38, 2. die Vorlage der Akten an das Landesgericht Feldkirch und die Durchführung der Berufungsverhandlung sowie 3. das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 7. Juli 2004, AZ Bl 200/03, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Rene K***** wegen § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG des Bezirksgerichtes Feldkirch, AZ 18 U 391/02f, verletzen

1. die Unterlassung der Zustellung des Abwesenheitsurteils vom 9. September 2003 (ON 38) zu eigenen Handen des Angeklagten § 459 letzter Satz iVm § 79 StPO;

2. die Vorlage der Akten an das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht sowie die Durchführung der Berufungsverhandlung am 7. Juli 2004 ungeachtet der unterlassenen Zustellung des zu 1. bezeichneten Abwesenheitsurteils zu eigenen Handen des Angeklagten § 478 Abs 1 StPO;

3. das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 7. Juli 2004, AZ Bl 200/03 (ON 47), § 58 Abs 3 Z 2 StGB.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 28 Ur 60/02a des Landesgerichtes Feldkirch leitete der Untersuchungsrichter - einem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend - mit Beschluss vom 5. Juni 2002 die Voruntersuchung gegen Rene K***** wegen 㤤 27/1, 28/2 SMG" ein (S 1).

In der dem Beschluss zugrundeliegenden Anzeige des Gendarmeriepostens Feldkirch vom 27. Mai 2002 wurde dem Beschuldigten unter „Darstellung der Tat" (zusammengefasst) vorgeworfen, er habe von Anfang 2000 bis Anfang Juni 2001 in Feldkirch und anderen Orten mehr als 200 g Marihuana sowie unbekannte Mengen Kokain und „XTC" besessen, davon Teilmengen an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer weitergegeben und Suchtgiftreste selbst konsumiert (S 9). Der Anzeige beigelegt war unter anderem eine beim Zollamt Tisis am 27. Juni 2001 aufgenommene Niederschrift. Dort wurde Rene K***** als Verdächtiger wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG befragt, weil aufgrund des positiven Urintests vom selben Tag und dem negativen Ergebnis der Vorwoche (beim Gendarmerieposten Feldkirch-Stadt) der Verdacht bestand, er habe zwischen 20. und 27. Juni 2001 Suchtgift (Cannabis) erworben und (bis zum Eigenkonsum) besessen (S 33 ff). Nach Abtretung des Verfahrens über Antrag der Staatsanwaltschaft wurde Rene K***** mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 9. September 2003, GZ 18 U 391/02f-38, wegen des (richtig: der) Vergehen(s) nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster, zweiter und sechster Fall) SMG schuldig erkannt.

Danach hat er den bestehenden Vorschriften zuwider in Feldkirch und anderen Orten Suchtgifte erworben, besessen und anderen überlassen, nämlich

1. zwischen Mai 2001 und 2. Juni 2001 geringe Mengen Kokain von Josef P***** erhalten,

2. Anfang 2001 dem Andreas H***** geringe Mengen Cannabiskraut verkauft,

3. Ende 2000 dem Christoph H***** ca 30 bis 40 g Cannabiskraut verkauft,

4. von Juli 2001 (richtig 2000) bis April 2001 von Rene N***** ca 200 g Cannabiskraut erworben und

5. zwischen Juli 2000 und 27. Juni 2001 unbekannte Mengen Cannabiskraut besessen und konsumiert.

Verjährung verneinte der Bezirksrichter, weil Rene K***** letztmalig zwischen 20. und 27. Juni 2001 Cannabisprodukte besaß (und konsumierte) und demzufolge die Voruntersuchung wegen sämtlicher Urteilstaten am 5. Juni 2002 vor Ablauf der einjährigen Frist eingeleitet worden war (S 371).

Dieses Abwesenheitsurteil stellte das Bezirksgericht Feldkirch lediglich dem Verteidiger Mag. Bertsch zu (S 374), welcher innerhalb der gesetzlichen Frist die Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe ausführte. Ungeachtet der unterlassenen Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Beschuldigten persönlich legte das Bezirksgericht Feldkirch die Akten dem übergeordneten Landesgericht vor, welches seinerseits, ohne diesen Mangel zu beachten, das Berufungsverfahren (neuerlich in Abwesenheit des Angeklagten) durchführte.

Mit Urteil vom 7. Juli 2004, AZ Bl 200/03 (ON 47), wies das Landesgericht Feldkirch die Berufung des Rene K***** wegen Nichtigkeit als unbegründet zurück, hob aus deren Anlass in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b) StPO das angefochtene Urteil zur Gänze auf und sprach den Angeklagten gemäß § 259 Z 3 StPO frei. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei die Strafbarkeit erloschen, weil die Voruntersuchung nur wegen der in der Anzeige des Gendarmerieposten Feldkirch unter „Darstellung der Tat" bezeichneten, im Zeitraum von Anfang 2000 bis (konkret) 2. Juni 2001 verübten Straftaten (§ 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG) am 5. Juni 2002 nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Bezüglich des von der Anzeige und dem Einleitungsbeschluss nicht erfassten (nach den erstgerichtlichen Konstatierungen zwischen 20. und 27. Juni 2001 begangenen) Suchtgiftbesitzes (S 363), der seinerseits Ablaufhemmung (§ 58 Abs 2 StGB) hinsichtlich der vorerwähnten Taten bis 20. Juni 2002 bewirkt habe, sei Gerichtsanhängigkeit (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) erst nach Verstreichen der einjährigen Verjährungsfrist mit Ausschreibung der Hauptverhandlung am 17. September 2002 (ON 10) eingetreten (US 10 f). In seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes macht der Generalprokurator geltend:

Gemäß § 92 Abs 1 StPO darf der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung nur auf Antrag des berechtigten Anklägers gegen eine bestimmte Person und wegen bestimmter strafbarer Handlungen einleiten, die der Ankläger zu benennen hat. Bezeichnet der (dem Antrag des Anklägers entsprechende) Einleitungsbeschluss keine konkrete Tat, sondern einen gesetzlichen Tatbestand, wird nach ständiger Rechtsprechung der Gegenstand der Voruntersuchung durch den bei der Einleitung aktuellen Akteninhalt (§ 92 Abs 2 StPO) determiniert; die Voruntersuchung bezieht sich somit auf die dem gesamten Anzeigeinhalt zu entnehmenden Taten, die den im Einleitungsbeschluss angeführten gesetzlichen Tatbestand begründen können (Fabrizy StPO9 § 92, Rz 1; Höpfel, Unschuldsvermutung, 85 f; Kert, JBl 2002, 607; Wedrac, Vorverfahren, 138; SSt 16/17, 17/76, 28/14, 45/30; dagegen für genaue Bezeichnung und Individualisierung der Tat Lambauer, WK-StPO § 92 Rz 3).

Vorliegend bezeichnete der dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgende Einleitungsbeschluss vom 5. Juni 2002 die gesetzlichen Tatbestände der §§ 27/1, 28/2 SMG. Mangels jedweder Einschränkung bezog sich die Voruntersuchung auf den Inhalt der dem Einleitungsbeschluss zu Grunde liegenden Anzeige des Gendarmeriepostens Feldkirch vom 27. Mai 2002 (ON 2), also auf die daraus entnehmbaren, den Bestimmungen des SMG subsumierbaren historischen Sachverhalte. Diese Anzeige hatte neben den im Resumee aufgelisteten, in der Zeit von Anfang 2000 bis Anfang Juni 2001 verübten Straftaten iSd § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG den laut Niederschrift des Zollamtes Tisis vom 27. Juni 2001 zwischen 20. und 27. Juni 2001 begangenen Suchtgiftbesitz iSd § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG zum Gegenstand (S 33 f), der gemäß § 58 Abs 2 StGB in Bezug auf die erstgenannten Taten die (einjährige) Verjährungsfrist bis zumindest 20. Juni 2002 verlängerte. Der auf der Anzeige basierende Einleitungsbeschluss erfasste somit auch die letztgenannte Tat. Da die Voruntersuchung gegen Rene K***** wegen aller dem vorbeschriebenen Anzeigeinhalt entnehmbaren und später den erstinstanzlichen Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Tathandlungen rechtzeitig am 5. Juni 2002 eingeleitet wurde und damit Fortlaufshemmung gemäß § 58 Abs 3 Z 2 StGB eintrat, war die Annahme strafaufhebender Verjährung durch das Berufungsgericht verfehlt. Im Gerichtstag wurde die Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne der Punkte

1. und 2. des Urteilsspruches ausgedehnt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Vor der nach §§ 447, 79 Abs 4 zweiter Satz StPO stets vorzunehmenden Zustellung eines Abwesenheitsurteils an den Beschuldigten kann wirksam die Berufung angemeldet werden (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 6). Erfolgt diese - wie hier - ohnehin betreffend sämtlicher in Frage kommender Punkte des § 464 StPO, erzeugt die Tatsache, dass vor Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Beschuldigten die Frist zur Anmeldung dieses Rechtsmittels noch nicht zu laufen beginnt, demnach keine Rechtswirkung. Wurde das angemeldete Rechtsmittel - wie hier vom Verteidiger - ausgeführt, erwirbt der Angeklagte auch dann kein Recht zur neuerlichen Ausführung dieses Rechtsmittels, wenn das Abwesenheitsurteil ihm erst danach gemäß den §§ 447, 79 Abs 4 zweiter Satz StPO zugestellt wurde. Denn nicht anders als § 294 Abs 2 StPO sieht auch § 467 Abs 1 StPO nur eine einzige Ausführung dieses Rechtsmittels vor. Wird das Rechtsmittel mehrfach ausgeführt, ist nur die Ausführung des Verteidigers beachtlich, wenn die Urteilsabschrift - wie hier - nach § 79 Abs 4 erster Satz (§ 447) StPO diesem zuzustellen war (Ratz, WK-StPO § 467 Rz 1, § 294 Rz 5). Allerdings hat der Beschuldigte zudem das Recht, binnen 14 Tagen von der Zustellung eines gemäß § 459 StPO über sein Ausbleiben erlassenen Urteils an beim erkennenden Gericht Einspruch zu erheben, „wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist oder er nachweisen kann, dass er durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sei" (§ 478 Abs 1 StPO). Ein solcher wurde indes nicht erhoben. Fände das Bezirksgericht, das über einen solchen Einspruch zu erkennen hat (oder infolge einer nach § 478 Abs 2 StPO erhobenen Beschwerde der Gerichtshof) den Einspruch begründet, so wäre dadurch auch der Gegenstand einer bereits ergriffenen Berufung erledigt, sodass das Berufungsgericht darüber nicht vor Ablauf der Einspruchsfrist oder einem - erst nach Urteilszustellung gemäß §§ 447, 79 Abs 4 zweiter Satz StPO zulässigen - Einspruchsverzicht entscheiden darf. Die Frage hinwieder, welche Tat(en) eine nach § 92 StPO getroffene Einleitungsverfügung des Untersuchungsrichters umfasst, ist nach den selben Regeln zu lösen, welche für die unter dem Gesichtspunkt des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO zu beurteilende Problematik gelten, welcher Gegenstand vom Ankläger der tatsächlichen Klärung und rechtlichen Beurteilung durch das erkennende Gericht anheim gestellt wurde (SSt 45/30). Hier wie dort können Zweifel stets nur zu Gunsten, niemals aber zu Lasten des Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO) ausschlagen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 268, 509, § 282 Rz 14; vgl auch Art 6 Abs 3 lit a MRK). Lambauer (WK-StPO § 92 Rz 3) ist zuzustimmen, soweit er den Begriff der strafbaren Handlung des § 92 Abs 1 StPO dahin versteht, dass damit - recht besehen - so wie im Fall des § 34 Abs 2 StPO nicht rechtliche Kategorien, vielmehr Taten (historische Geschehen in der Außenwelt) gemeint sind (SSt 63/125; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 525).

Geht aus der darauf bezogenen Verfügung des Untersuchungsrichters hervor, dass er dem Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung zur Gänze entsprechen wollte, ist folgerichtig im Fall eines nur auf die Nennung strafbarer Handlungen (= rechtlicher Kategorien statt auch individualisierter Taten) beschränkten Beschlusses auf Einleitung der Voruntersuchung stets der Wille des Anklägers zu erforschen. Ist ein Verfolgungsantrag betreffend einzelner - wenngleich den vom Untersuchungsrichter herangezogenen rechtlichen Kategorien subsumierbarer - Handlungen nicht unzweifelhaft erkennbar, tritt mithin die Verjährungshemmung des § 58 Abs 3 Z 2 StGB nicht ein. Allerdings ist vorliegend ein solcher Zweifel tatsächlich ausgeschlossen, ist doch kein Hinweis darauf ersichtlich, dass sich der - wenig sachgerecht (vgl erneut Lambauer aaO) formulierte - Antrag des Staatsanwaltes auf „Einleitung der Voruntersuchung gegen Rene K***** wegen §§ 27/1, 28/2 SMG" nicht auch auf den vom Generalprokurator genannten Suchtgiftbesitz bezog, der in der Anzeige - ungeachtet mangelnder Erwähnung in der vorangestellten Zusammenfassung durch die Gendarmerie - zum Gegenstand einer eingehenden Vernehmung durch Organe der Zollverwaltung gewesen ist (S 33 ff), sodass der Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis auch insoweit Berechtigung zukommt.

Da die Gesetzesverletzungen dem Freigesprochenen zum Vorteil gereichen, waren sie nur festzustellen.

Rechtssätze
8
  • RS0119964OGH Rechtssatz

    10. Mai 2005·1 Entscheidung

    Die Frage, welche Tat(en) eine nach § 92 StPO getroffene Einleitungsverfügung des Untersuchungsrichters umfasst, ist nach den selben Regeln zu lösen, welche für die unter dem Gesichtspunkt des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO zu lösende Problematik gelten, welcher Gegenstand vom Ankläger der tatsächlichen Klärung und rechtlichen Beurteilung durch das erkennende Gericht anheim gestellt wurde. Hier wie dort können Zweifel stets nur zu Gunsten, niemals aber zu Lasten des Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO) ausschlagen. Mit dem Begriff der strafbaren Handlung des § 92 Abs 1 StPO sind, so wie im Fall des § 34 Abs 2 StPO, nicht rechtliche Kategorien, vielmehr Taten (historische Geschehen in der Außenwelt) gemeint. Geht aus der darauf bezogenen Verfügung des Untersuchungsrichters hervor, dass er dem Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung zur Gänze entsprechen wollte, ist folgerichtig im Fall eines nur auf die Nennung strafbarer Handlungen (= rechtlicher Kategorien, statt auch individualisierter Taten) beschränkten Beschlusses auf Einleitung der Voruntersuchung stets der Wille des Anklägers zu erforschen. Ist ein Verfolgungsantrag betreffend einzelner - wenngleich den vom Untersuchungsrichter herangezogenen rechtlichen Kategorien subsumierbarer - Handlungen nicht unzweifelhaft erkennbar, tritt mithin die Verjährungshemmung des § 58 Abs 3 Z 2 StGB nicht ein.