JudikaturJustiz14Os37/04

14Os37/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Mai 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Burhan Al H***** wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 2 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 16. Jänner 2004, GZ 35 Hv 201/03h-196, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Burhan Al H***** "des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB" (vgl hiezu Schwaighofer in WK2 § 102 Rz 25, Schmoller in Triffterer-Komm § 102 Rz 41) schuldig erkannt, weil er am 9. Jänner 2003 in Innsbruck die am 14. August 1995 geborene Iris F*****, sohin eine unmündige Person, dadurch, dass er sie auf dem Weg zur Volksschule A***** ohne deren Einwilligung mit Gewalt in einen KKW Renault Twingo verbrachte, entführt hatte, um deren Eltern zu einer Handlung, nämlich zur Zahlung eines Lösegeldbetrages in der Höhe von 2,5 Mio Euro, zu nötigen.

Die Geschworenen bejahten die anklagekonform an sie gerichtete Hauptfrage nach dem Verbrechen der erpresserischen Entführung stimmeneinhellig und verneinten die (uneigentliche) Zusatzfrage nach dem Vorliegen des strafsatzändernden Milderungsumstandes (§ 102 Abs 4 StGB), ob Burhan Al H***** freiwillig unter Verzicht auf die begehrte Leistung Iris F*****, die von ihm entführt worden war, ohne ersichtlichen Schaden in ihren Lebenskreis hatte gelangen lassen, ebenso einstimmig.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs 1 Z 8 und 10a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Soweit der Beschwerdeführer eine "hinreichende" Belehrung der Geschworenen (Z 8) unter dem Prätext, "für die Freiwilligkeit im Sinne des § 102 Abs 4 StGB ist ausschlaggebend, ob der Angeklagte die Tat weiterhin ausführen hätte können", vermisst, übergeht er die explizite Passage in der den Geschworenen gemäß § 321 StPO erteilten Rechtsbelehrung, "von Freiwilligkeit könne nur dann die Rede sein, wenn sich der Handelnde sage, er könne die Tat vollenden, aber er wolle es überhaupt oder wenigstens nicht jetzt" (S 4 f). Im Übrigen ist ein Verzicht im Sinn des § 102 Abs 4 StGB nicht schon deshalb freiwillig, weil das Tatvorhaben allenfalls objektiv noch möglich wäre, sondern ist Freiwilligkeit bereits dann ausgeschlossen, wenn der Täter sein Vorhaben im Bewusstsein der Aussichtslosigkeit, sein Ziel zu erreichen, aufgibt (11 Os 165/93 = EvBl 1994/126; Leukauf/Steininger StGB3 § 102 RN 31 iVm § 16 RN 2; abweichend Schwaighofer in WK2 § 102 Rz 36), worüber die Geschworenen aaO auch entsprechend instruiert wurden.

Mit dem unsubstantiierten Einwand, die Rechtsbegriffe des § 102 Abs 4 StGB (Freiwilligkeit, Verzicht auf die Leistung, kein ernstlicher Schaden, Zurückgelangenlassen in den Lebenskreis) seien den Geschworenen nicht richtig und vollständig erklärt worden, verfehlt die Rüge eine am Gesetz orientierte Darstellung. Denn sie übergeht die bezughabenden Ausführungen in der schriftlichen Rechtsbelehrung (S 3 f) und legt auch nicht dar, welcher konkrete Belehrungsinhalt unrichtig sein oder unter dem Gesichtspunkt irreführender Unvollständigkeit fehlen soll (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65). Ebensowenig zeigen beweiswürdigende Überlegungen Urteilsnichtigkeit auf, weil Gegenstand der Rechtsbelehrung nach § 321 Abs 2 StPO nur Rechtsbegriffe, nicht aber aus den Verfahrensergebnissen abgeleitete tatsächliche Umstände sein können (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 10, 13; Mayerhofer, StPO4 § 345 Z 8 E 14).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) wendet sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung gegen das zufolge Verneinung der Zusatzfrage von den Geschworenen als erwiesen angenommene Tatsachensubstrat, wobei sie vor allem aus einzelnen Teilen der Aussage des Angeklagten abzuleiten versucht, er hätte sein Opfer freiwillig im Sinne des § 102 Abs 4 StGB freigelassen.

Dieser Auffassung stehen überdies aktenkundige Verfahrensergebnisse entgegen, nämlich zum einen die - in der Rüge verschwiegenen, jedoch in der Hauptverhandlung erörterten (insbes S 101 ff/XIV) - Angaben des (vor der Verhaftung in Deutschland wohnhaften) Angeklagten im Vorverfahren zur Frage der Freilassung des - zuvor im Kofferraum des für die Entführung präparierten Fahrzeuges gefangen gehaltenen (S 225 f/II) - Opfers, wonach er "mit dem Mädchen nach Deutschland kommen wollte", jedoch sein Fahrzeug, als er auf der von ihm befahrenen Straße vor sich "die Gendarmerie sah" und "Angst vor der Kontrolle hatte" wendete, "in eine Parkstelle fuhr" und das Mädchen dort aussteigen ließ (S 229/II); zum anderen die Bekundungen von Zeugen über entsprechende Schilderungen des Angeklagten während der Haft (S 371 ff/V; S 109, 135, 245 f/XII).

Der auf den persönlichen Eindruck der Geschworenen von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen beruhende kritisch-psychologische Vorgang der Beweiswürdigung ist einer Anfechtung unter dem relevierten Nichtigkeitsgrund entzogen, sodass auch der das Vorbringen des Zeugen Johann R***** anzweifelnde Einwand ins Leere geht.

Auch mit dem Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu einer anders gelagerten Fallkonstellation (9 Os 73/78) vermag die Rüge keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Soweit der Rechtsmittelantrag auf die Aufhebung des gesamten Schuldspruchs abzielt, sich die Rüge inhaltlich aber ausschließlich gegen die unterbliebene Anwendung des milderen Strafsatzes des § 102 Abs 4 StGB wendet, ist die Nichtigkeitsbeschwerde im darüber hinausgehenden Umfang mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen nicht gesetzmäßig ausgeführt. Sie war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen einer dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt anzumerken:

Richtet sich eine Entführung oder Bemächtigung gegen eine der in § 102 Abs 2 Z 1 StGB genannten Personen und wendet der Täter zusätzlich eines der in § 102 Abs 1 StGB genannten Tatmittel an, so ist er dennoch nur nach § 102 Abs 2 Z 1 StGB zu bestrafen (Exklusivität; vgl Schwaighofer in WK2 § 102 Rz 25; Kienapfel/Schroll BT I5 § 102 Rz 5; idS bei unmündigen Tatopfern auch Schmoller in Triffterer-Komm § 102 Rz 41).

Die im Schuldspruch (dem allerdings insoweit inkonsequent lediglich ein Verbrechen nach § 102 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB zugrunde liegt) und in den Strafzumessungsgründen rechtsirrig angenommene zweifache Verbrechensverwirklichung wirkte sich aber bei der Strafbemessung nicht nachteilig aus, zumal die unrechtskonstituierenden Tatmodalitäten des § 102 Abs 1 StGB auch im Fall eines lediglich dem § 102 Abs 2 Z 1 StGB zu unterstellenden Sachverhalts zumindest bei der Schuldgewichtung nach § 32 StGB als erschwerend zu werten sind (vgl Ebner in WK2 § 32 Rz 69 und § 33 Rz 2), sodass kein Anlass zu amtswegigem Einschreiten nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO besteht. Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung, bei der das Berufungsgericht an die in der Rechtsmittelschrift vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist (vgl 13 Os 122/02), insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichtes über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (vgl 13 Os 21/04; 13 Os 7/04).

Rechtssätze
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