JudikaturJustiz14Os104/07m

14Os104/07m – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Norbert P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und des Zollamtes Linz sowie die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 29. März 2007, GZ 13 Hv 49/04s-318, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Angeklagten enthält, wurde Norbert P***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (zu 1/) sowie des Vergehens der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Danach hat er als Beamter der Zollwache auf der „Rollenden Landstraße Wels"

1/ in der Zeit von 1994 bis 1999 in zahlreichen Angriffen mit dem Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf Überwachung und Überprüfung der in das Zollgebiet der Republik Österreich bzw (ab 1. Jänner 2005) in jenes der Gemeinschaft verbrachten Waren und dem damit verbundenen Recht auf Festsetzung von Eingangsabgaben (Zoll, Mineralölsteuer, Erdölsonderabgabe, Einfuhrumsatzsteuer ua) sowie auf finanzstrafrechtliche Verfolgung von Personen, die damit zusammenhängender Finanzvergehen (§§ 35 und 44 FinStrG) verdächtig sind, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er bei Fernfahrern, die bei der Einreise die Deklaration und Gestellung der über der Reisefreigrenze (200 l) liegenden Menge Dieseltreibstoff in einem nicht genau feststellbaren Wert unterlassen hatten, gegen Übergabe von Bestechungsgeldern in nicht mehr feststellbarem Gesamtwert, die Durchführung einer Verzollung und die allenfalls erforderliche Einleitung bzw Abführung von Finanzstrafverfahren oder Verfahren zur Entrichtung einer Abgabenerhöhung (§ 172 Abs 5 ZollG und § 108 ZollR-DG) unterließ, wodurch infolge des Unterbleibens der Vorschreibung der erwähnten Eingangsabgaben sowie der Abgabenerhöhungen ein Schaden in unbekannter Höhe herbeigeführt wurde;

2/ in der Zeit von 1997 bis 1999 für die pflichtgemäße Vornahme von Amtsgeschäften von einreisenden Fernfahrern gewerbsmäßig für sich oder einen Dritten Vorteile teils gefordert, teils angenommen, und zwar für die Ausstellung von Bescheiden über die Entrichtung der tageweisen Straßenverkehrsbeiträge bzw Straßenbenützungsabgaben (§ 3 Abs 2 StraßenverkehrsbeitragsG bzw § 3 Abs 2 StraßenbenützungsabgabenG) das nach Bezahlung der Abgaben verbliebene Wechselgeld.

Dagegen richten sich rechtzeitig angemeldete Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und des Zollamts Linz, wobei letztere nach Zustellung der Urteilsausfertigung nicht ausgeführt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Da das Zollamt Linz weder bei der Anmeldung noch in einer schriftlichen Ausführung des Rechtsmittels einen der im § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war seine Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen. Die aus den Gründen der Z 3, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 3) weist zunächst zutreffend darauf hin, dass aus den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen der Unmittelbarkeit und der Wahrung der Verteidigungsrechte im Strafverfahren (Art 90 Abs 1 B-VG; Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK) folgt, dass Beweise grundsätzlich in einer öffentlichen Verhandlung in Gegenwart des Angeklagten aufzunehmen sind. Da die unmittelbare Beweisaufnahme aber an tatsächliche und rechtliche Schranken stößt, erfährt dieser Grundsatz in den im § 252 Abs 1 und Abs 2 StPO beschriebenen Ausnahmefällen eine Durchbrechung (EvBl 1989/141). Die Frage, wann die Suche nach einem unbekannten Zeugen aufgegeben werden muss bzw welche Maßnahmen gesetzt werden müssen, um ausländische Zeugen zum Erscheinen vor dem inländischen Gericht zu veranlassen, kann - wie die Beschwerde ebenfalls zutreffend darlegt - immer nur nach Lage des konkreten Einzelfalles beurteilt werden (RIS-Justiz RS0108361).

Fallaktuell ergaben die an die zuständigen rumänischen und türkischen Gerichte gerichteten Rechtshilfeersuchen des Erstgerichtes vom 30. Juni 2005 um Zustellung der Ladungen an die in Rede stehenden Beweispersonen (S 3 as im AV-Bogen ON 1 und die unjournalisierten Ersuchen samt Übersetzungen in Band VII) hinsichtlich der Zeugen Sorim T*****, Daniel F***** und Nevzad Ö*****, dass Zustelladressen der Genannten trotz durchgeführter Erhebungen nicht ausgeforscht werden konnten (ON 287 und ON 295), während jene bezüglich der übrigen Zeugen trotz gerichtlicher Urgenz über das Bundesministerium für Justiz (ON 290) unbeantwortet blieben.

Angesichts zwar prinzipiell möglicher, aber in sämtlichen Fällen (bis zum Zeitpunkt der Verlesung) seit über 1 ½ Jahren erfolgloser, bereits urgierter Rechtshilfeersuchen gingen die Tatrichter zutreffend davon aus, dass unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen der Zeugen vor Gericht füglich nicht bewerkstelligt werden konnte (vgl 14 Os 87/04). Die Verlesung der Aussagen der Zeugen Sorim T*****, Daniel F*****, Nevzad Ö*****, Yasar B*****, Ramazan E*****, Osman O*****, Remzi K***** und Selaettin S***** in der - gemäß § 276a StPO neu durchgeführten - Hauptverhandlung vom 29. März 2007 wurde daher im konkreten Einzelfall zu Recht auf § 252 Abs 1 Z 1 StPO gestützt.

Im Übrigen hatten die Parteien im Vorverfahren Gelegenheit, ihr Fragerecht anlässlich der kontradiktorischen Befragungen der Zeugen auszuüben (ON 101, 102, 123, 150, 158, 162, 163 und 173). Das übrige Vorbringen der Verfahrensrüge stellt bloß eigene Erwägungen zum Beweiswert der verlesenen Aussagen der Zeugen an, um daraus andere Schlüsse als das Schöffengericht zu ziehen und bekämpft solcherart - hier unzulässig - dessen Beweiswürdigung. Keine entscheidende Tatsache spricht die Mängelrüge (Z 5 zweiter und dritter Fall) an, indem sie Undeutlichkeit des Urteils behauptet, weil „nicht wirklich klar wird, ob es nun zu zahlreichen deliktischen Angriffen in Bezug auf Schmiergeldzahlungen" sowie hinsichtlich des „Einbehalts von Wechselgeld bezüglich der Straßenbenützungsabgabe" kam, weiters einen Widerspruch darin erblickt, das das Erstgericht zwar von zahlreichen deliktischen Angriffen ausging, gleichzeitig aber einräumte, dass die Anzahl der Fälle nicht feststellbar sei und der Angeklagte in zahlreichen Fällen ordnungsgemäße Amtshandlungen gesetzt und Wechselgeld herausgegeben habe, und die Ansicht vertritt, dass nach den Beweisergebnissen „die deliktischen Angriffe bloß vereinzelt oder gelegentlich vorkamen".

Denn der Beschwerdeführer wurde jeweils einer unbestimmten Anzahl gleichartiger, jeweils zu einer Subsumtionseinheit zusammengefasster (vgl 13 Os 17/07k), dem § 302 Abs 1 StGB (I/1.) und § 304 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB (I/2.) subsumierter Taten schuldig erkannt (sog gleichartige Verbrechensmenge; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 21, 33, 291 f), was im Übrigen auch aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO nicht zu beanstanden ist (vgl RIS-Justiz RS0119552). So gesehen stellt der Wegfall der Täterschaft hinsichtlich einzelner Taten, mit anderen Worten eine vom Nichtigkeitswerber angestrebte Reduktion der Anzahl der deliktischen Übergriffe, weder einen Schuldspruch noch die Subsumtion einer begangenen Tat in Frage.

Soweit die weitere Mängelrüge (Punkt b des Rechtsmittels) versucht, durch Hinweise auf einzelne angeblich unerörtert gebliebene Passagen aus den Angaben des Osman O***** und weiterer Zeugen Unvollständigkeit der Begründung aufzuzeigen (Z 5 zweiter Fall StPO), ist ihr zu erwidern, dass das Schöffengericht nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO von vornherein nur zu einer gedrängten Darstellung der Urteilsgründe, jedoch nicht dazu verhalten war, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen und sonstiger Beweise zu erörtern (RIS-Justiz RS0106642). Die behauptete Nichtigkeit nach Z 5 zweiter Fall läge nur dann vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließe, wovon vorliegend keine Rede sein kann.

Die Aussage des Zeugen Osman O***** wurde gar wohl ausführlich erörtert und unter Berücksichtigung geringfügiger Widersprüche für glaubwürdig erachtet, wobei die Tatrichter auch auf die Verantwortung des Angeklagten, die Beschuldigungen der Fernfahrer seien Racheakte für von ihm besonders streng durchgeführte Kontrollen, eingingen (US 15 ff, 22 f). Weshalb die allgemeinen Ausführungen des Zeugen Remzi K***** (US 17, 29), wonach es üblich war, dass Fernfahrer versuchten, den Angeklagten zu beschuldigen, viel redeten und dabei tatsächlich nicht erfolgte Schmiergeldzahlungen behaupteten, im Zusammenhang mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Osman O***** einer gesonderten Erörterung bedurft hätte, macht die Rüge nicht klar. Mit den den Angeklagten entlastenden Depositionen seiner Kollegen, zu denen auch die in der Beschwerde angesprochenen Zeugen Schellmann, Wolfsteiner und Goldberger zählten, setzten sich die Tatrichter ebenfalls auseinander, hielten diese aber mit Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechender Begründung für nicht geeignet, den Angeklagten zu entlasten (US 23 f, 29). Indem der Beschwerdeführer auch unter diesem Nichtigkeitsgrund versucht, aus den vorliegenden Beweisergebnissen für ihn günstigere Schlüsse zu ziehen und die des Erstgerichtes als nicht überzeugend darzustellen, wird ein Begründungsmangel im Sinne der Z 5 zweiter Fall StPO nicht aufgezeigt.

Fehlende oder offenbar unzureichende - also den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechende (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444) - Begründung (Z 5 vierter Fall), wird ebenfalls nicht dargestellt, indem die Beschwerde eine andere Interpretation einer - nicht entscheidungswesentlichen - Aussagepassage des Zeugen Osman O***** vornimmt als die Tatrichter. Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) stellt den Urteilsannahmen bloß eigene Auffassungen und Erwägungen gegenüber und zielt solcherart - außerhalb der Anfechtungskategorien der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO - auf eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ab, wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 490). Erhebliche Bedenken im Sinne des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes werden damit nicht aufgezeigt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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