JudikaturJustiz13Os8/94

13Os8/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Markel, Dr. Mayrhofer und Dr. Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kramer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann K* wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 21. April 1993, AZ 43 Bl 29/93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Raunig, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Johann K* wegen § 115 Abs. 1 StGB, AZ U 135/92, des Bezirksgerichtes Neumarkt bei Salzburg, verletzt das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 21.April 1993, AZ 43 Bl 29/93 (ON 14 des bezirksgerichtlichen Aktes), das Gesetz in der Bestimmung des § 259 Z 3 StPO.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der am 25.April 1914 geborene Pensionist Johann K* wurde vom Bezirksgericht Neumarkt bei Salzburg mit Urteil vom 8.Februar 1993, GZ U 135/92 6, des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs. 1 erster Fall StGB schuldig erkannt (und zu einer Geldstrafe verurteilt). Ihm lag zur Last, am 5.Oktober 1992 in Neumarkt bei Salzburg den (mit ihm nicht verwandten) Grundstücksnachbarn und Privatankläger Gottfried K* im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung um den Verlauf einer Grundstückgrenze auf einer belebten Straße durch die Äußerung "Betrüger" und "Hast ma den Grund gestohlen" (öffentlich und vor mehreren Leuten) beschimpft zu haben.

Auf Grund der nur von Johann K* gegen dieses Urteil erhobenen Berufung gelangte das Landesgericht Salzburg als Rechtsmittelgericht zu einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO (ON 14). Es vertrat dabei (zunächst zutreffend) die Ansicht, die dem Berufungswerber angelasteten Äußerungen wären rechtsrichtig als Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens zu werten und somit dem Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu unterstellen gewesen. Es erachtete dabei den materiellen Nichtigkeitsgrund nach § 468 Abs. 1 Z 4 (§ 281 Abs. 1 Z 10) StPO als gegeben, weil bei rechtsrichtiger Beurteilung der (vom Angeklagten auch angebotene, S 14 und 24) Wahrheitsbeweis bzw Beweis des guten Glaubens zulässig gewesen wäre. Da bei der Beurteilung, ob das Strafgesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden ist, die Gesamtauswirkung der materiell rechtlichen Gesetzesverletzung maßgebend ist, bei der die Unrechtsfolge nur einen Teilaspekt darstellt, bejahte das Berufungsgericht die Voraussetzungen für ein amtswegiges Vorgehen nach § 477 Abs. 1 StPO (S 55, 56) und gelangte wegen nachteiliger Auswirkung der rechtsunrichtigen Gesetzesanwendung für den Angeklagten zur Kassierung des Schuldspruchs.

Des weiteren kam das Berufungsgericht jedoch im Gegensatz zu diesen Überlegungen zum Schluß, daß höhere Strafdrohung und deliktsspezifischer Unrechtsgehalt des § 111 Abs. 1 StGB so schwer wiegen, daß auch die Möglichkeit der Berufung auf den Wahrheitsbeweis bzw den Beweis des guten Glaubens beim Tatbestand des § 111 Abs. 1 StGB daran nichts zu ändern vermöge. Eine Korrektur des angefochtenen Urteils mangels Anfechtung durch den Privatankläger sei infolge des Umstandes, daß bei einer Berufung nur zu Gunsten des Angeklagten die Tat nicht einem gleich strengen oder gar strengeren Strafgesetz unterstellt werden könne, nicht möglich. Somit wäre aber nur mit einem Freispruch vorzugehen gewesen (S 57, 58).

Wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieses Vorgehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Das Berufungsgericht ist zu einer amtswegigen Maßnahme gemäß § 477 Abs. 1 StPO nur dann berechtigt und verpflichtet, wenn dadurch ein Nachteil für den Angeklagten beseitigt wird (s Mayrhofer, Amtswegige Wahrnehmungen im Strafprozeß, S 123 ff, insbes S 126 mwN). Im vorliegenden Fall wäre bei rechtsrichtiger Beurteilung des vom erstgerichtlichen Schuldspruch erfaßten Sachverhaltes als Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB Johann K* der von ihm auch ins Spiel gebrachte Wahrheitsbeweis bzw Beweis des guten Glaubens offengestanden, der im Fall des Gelingens seine Straflosigkeit bewirkt hätte (§ 111 Abs. 3 StGB). Dieser Beweis wäre auf Grund des Anbotes des Angeklagten gemäß § 112 StGB auch aufzunehmen gewesen, was ihm aber durch die rechtsirrige Subsumtion des Urteilssachverhaltes als Beleidigung nach § 115 Abs. 1 StGB verwehrt war.

Das Vorliegen eines für eine Maßnahme gemäß § 477 Abs. 1 StPO erforderlichen und auf der unrichtigen Gesetzesanwendung beruhenden Nachteils für den Angeklagten darf nicht mit dem Verbot der reformatio in peius (§ 477 Abs. 2 StPO) verwechselt werden. Dieses Verbot wird erst aktuell, wenn in der Sache selbst entschieden wird (Mayerhofer Rieder, StPO3, ENr 2 zu § 477). Dieses Verbot erstreckt sich im Prinzip auf den Sanktionenbereich (Foregger Kodek, StPO6, Erl VI zu § 290; Mayerhofer Rieder, aaO, ENr 24 zu § 293 StPO).

Soweit das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht zu einer anderen Auffassung gelangte, ist ihm ein Rechtsirrtum unterlaufen. Ein bloßer, dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 10 (§ 468 Abs. 1 Z 4) StPO bewirkender Subsumtionsirrtum, wie er hier an sich vom Berufungsgericht richtig erkannt wurde, kann allein nicht zu einem Freispruch führen (Foregger Kodek, aaO, Erl V zu § 281 Abs. 1 Z 10 StPO). Dies setzt nämlich gemäß § 259 Z 3 StPO voraus, daß die der Anklage zugrunde liegende Tat vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht und der Tatbestand nicht hergestellt oder nicht erwiesen ist, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat, oder daß Umstände vorliegen, durch die die Strafbarkeit aufgehoben oder die Verfolgung aus anderen als den unter der Z 1 und 2 leg cit angegebenen Gründe ausgeschlossen ist. Das war jedoch in dem Zeitpunkt, in welchem das Berufungsgericht in der Sache selbst durch Freispruch erkannte, nicht festgestellt. Auch nach Meinung des Berufungsgerichtes hat der Angeklagte den Vergehenstatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB an sich verwirklicht, lediglich das Ergebnis des vom Angeklagten angebotenen aber noch nicht durchgeführten Wahrheitsbeweises bzw Beweises des guten Glaubens stand noch aus. Dessen Durchführung wäre daher geboten gewesen. Nur im Falle des Gelingens des angebotenen Beweises wäre der Freispruch rechtsrichtig gewesen.

Da die durch sofortigen Freispruch das Gesetz verletzende Entscheidung des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht dem Angeklagten zum Vorteil gereichte, war lediglich mit Konstatierung dieser Gesetzesverletzung wie im Spruch vorzugehen.

Rechtssätze
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