JudikaturJustiz13Os67/18d

13Os67/18d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung der Petra W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 8. August 2017, GZ 21 Hv 1/17f 34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung der Petra W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat sie am 7. Mai 2016 in L***** unter dem Einfluss eines ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, nämlich einer undifferenzierten Schizophrenie, eine Polizeibeamtin mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem sie BI Franziska H***** Schläge gegen die Brust versetzte, als diese an ihr eine Festnahme vollziehen wollte, und dadurch das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 3 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen geht – wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt – fehl.

Nach Vorliegen des Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Prim. Dr. K***** (ON 16) tauschte die Staatsanwaltschaft den Strafantrag (ON 8) gegen einen sachverhaltsidenten Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB (ON 20) aus (ON 1 S 4; zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise siehe RIS Justiz RS0098099 sowie Danek/Mann , WK StPO § 227 Rz 5 f).

Entgegen der Besetzungsrüge (Z 1) bewirkt d er bloße Umstand, dass der Vorsitzende des Schöffengerichts vor Einbringung dieses Antrags auch die (zur Einholung des Gutachtens vertagte) Hauptverhandlung über den Strafantrag durchführte, nicht seine Ausgeschlossenheit ( RIS-Justiz

RS0130667).

A uf rein hypothetische Überlegungen der Besetzungsrüge, was gewesen wäre, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts als Einzelrichter nicht vertagt, sondern ein Unzuständigkeitsurteil gefällt hätte, ist mangels Fallbezugs nicht einzugehen.

Die Verfahrensrüge (Z 3) moniert einen Verstoß gegen § 434 Abs 1 letzter Satz StPO, weil der Vorsitzende als Einzelrichter kein Unzuständigkeitsurteil gefällt habe. Solcherart spricht sie weder einen nichtigen Akt der Hauptverhandlung noch eine Verletzung oder Missachtung einer der in § 281 Abs 1

Z 3 StPO

taxativ aufgezählten Bestimmungen an, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (RIS Justiz RS0099118, RS0099128). Hinzugefügt sei, dass die praktische Bedeutung des Austauschs der Anklage (§ 227 Abs 2 StPO, hier iVm § 429 Abs 1 StPO) gerade darin liegt, ein Unzuständigkeitsurteil zu vermeiden ( Danek/Mann , WK StPO § 227 Rz 5 ) .

Die tatsächliche Annahme von Kriterien für die Anordnung einer Maßnahme nach §§ 21 bis 23 StGB ist aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall in Verbindung mit Z 5 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar. Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt, ist dies Gegenstand der Sanktionsrüge nach Z 11 zweiter Fall. Der Inhalt der – hier auf das Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen gegründeten – Gefährlichkeitsprognose kann nur mit Berufung thematisiert werden

(RIS-Justiz

RS0113980). Die gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen wurden vom Erstgericht, das im Urteil die Person der Betroffenen, deren Zustand im Urteilszeitpunkt und die Art der Anlasstat ausführlich erörterte (US 2, 3, 4 und 5), berücksichtigt. Die darauf gegründete Gefährlichkeitsprognose wurde somit aus Sicht der Z 11 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO rechtsrichtig vorgenommen.

Indem die Sanktionsrüge (Z 11) „offenbar unzureichende Begründung“ der Prognoseentscheidung einwendet und kritisiert, dass das Erstgericht dem Gutachten der Sachverständigen Prim. Dr. K***** folgte, ohne darzulegen (vgl dazu US 6), wie es über die negative Gefährlichkeitsprognose einer anderen Expertin hinwegkam, deren Gutachten für ein anderes Verfahren erstellt und in der Hauptverhandlung verlesen wurde, bringt sie ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (RIS Justiz RS0118581 [T11], RS0113980). Hinzugefügt sei, dass nach Erstattung von Befund Gutachten auf mangelnde Sachkunde der Sachverständigen gegründete Einwendungen nicht mehr zulässig sind (RIS-Justiz RS0115712 [T10] und RS0126626). Fachliche Zweifel an der Expertise eines Sachverständigen sind nach § 127 Abs 3 erster Satz StPO durch dessen Befragung, falls diese nicht zum Ziel führt, durch Beiziehung eines weiteren Sachverständigen auszuräumen. Einen darauf gerichteten Antrag stellte die Betroffene nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung aber nicht (ON 33 S 26).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Rechtssätze
5
  • RS0115712OGH Rechtssatz

    25. April 2023·3 Entscheidungen

    Die - außer dem Fall des § 252 Abs 1 StPO - in dessen Abhörung bestehende Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung kann durch das Vorbringen erheblicher Einwendungen verhindert werden, auch wenn dieser bereits ein schriftliches Gutachten abgegeben hat (EvBl 1997/82). Nach § 248 Abs 1 erster Satz StPO hat das Gericht bei der Beurteilung solcher Einwendungen auf ihre rechtliche Erheblichkeit die für den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung erteilten Vorschriften zu beobachten, soweit sie nicht ihrer Natur nach als in der Hauptverhandlung unausführbar erscheinen. Auf den Anschein der Befangenheit gestützte Einwendungen sind dabei von solchen zu scheiden, die mit mangelnder Sachkenntnis der als Sachverständiger abzuhörenden Person begründet werden. Ob sich die als Sachverständiger beizuziehende Person schon vor der Hauptverhandlung eine Meinung über den Fall gebildet hat, ist für die Beurteilung des Anscheins der Befangenheit schon deshalb ohne Bedeutung, weil eine vorläufige Meinungsbildung spätestens mit Abgabe des schriftlichen Gutachtens füglich nicht mehr zu bestreiten ist und solcherart ansonsten kein mit der Abgabe eines schriftlichen Gutachtens beauftragter Gutachter in der Hauptverhandlung abgehört werden dürfte - ein Ergebnis das offen den Verfahrensgesetzen widerspricht und den Grundsatz indirekt als zutreffend erweist. Abhörung oder Verlesung des abgegebenen schriftlichen Gutachtens sind infolge Anscheins von Befangenheit vielmehr nur dann unzulässig, wenn zu erkennen ist, dass der Sachverständige sein Gutachten auch dann zu ändern nicht gewillt sein werde oder würde, wenn Verfahrensergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen. Allein aus einer vom Gutachtensauftrag nicht erfassten und daher unangebrachten rechtlichen Beurteilung zur Stellungnahme übermittelter Texte kann eine solche Befürchtung jedoch nicht abgeleitet werden. Von vornherein unbedenklich sind Aussagen wissenschaftlicher Publikationen aus dem Sachbereich des Gutachtensauftrages. Sie indizieren Befähigung, nicht Befangenheit. Wurde das schriftliche Gutachten bereits abgegeben, bedarf es zur Beiziehung eines weiteren Sachverständigen wegen fehlender Sachkenntnis des Beauftragten eines an den Kriterien der §§ 125 f StPO ausgerichteten Antragsvorbringens. Denn auch der Untersuchungsrichter hätte sich daran auszurichten (§ 248 Abs 1 erster Satz StPO).