JudikaturJustiz13Os49/21m

13Os49/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juli 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Pentz in der Strafsache gegen Christoph P* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 Hv 5/21i des Landesgerichts Steyr (vormals AZ 7 U 59/20s des Bezirksgerichts Steyr), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 3. Februar 2021 (ON 7) und das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 25. März 2021 (ON 11) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, sowie des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Nenning zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 10 Hv 5/21i des Landesgerichts Steyr (vormals AZ 7 U 59/20s des Bezirksgerichts Steyr) verletzen

(I) der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 3. Februar 2021 (ON 7) im Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit § 30 Abs 1 StPO und § 450 erster Satz StPO sowie

(II) das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 25. März 2021 (ON 11) im Strafausspruch § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO und § 39 Abs 1 StGB.

Das angeführte Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 23 . November 2020 (ON 3) legte d ie Staatsanwaltschaft Steyr Christoph P* ein d en Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB subsumierbares Verhalten zur Last. Im darüber geführten Verfahren AZ 7 U 59/20s des Bezirksgerichts Steyr wurde am 2. Dezember 2020 die Hauptverhandlung für den 9. Februar 2021 anberaumt (ON 1 S 5 f), am 20. Jänner 2021 wieder abberaumt und auf den 16. Februar 2021 verlegt (ON 1 S 7).

[2] Am 3. Februar 2021 fasste die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Steyr den Beschluss, zur Führung des Strafverfahrens „sachlich unzuständig“ zu sein, und (richtig) verfügte, die für den 16. Februar 2021 angeordnete Hauptverhandlung abzuberaumen (ON 7). Dazu verwies sie auf mehrere einschlägige, wenigstens zum Teil verbüßte Vorstrafen des Angeklagten und sah die Rückfallsvoraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB als gegeben an. Da sich „aufgrund des strafsatzändernden Charakters des § 39 Abs 1 StGB“ die Strafdrohung des § 83 Abs 1 StGB von einem Jahr Freiheitsstrafe auf eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe erhöhe, sei „gemäß § 450 StPO die sachliche Unzuständigkeit auszusprechen“ und „das Landesgericht Steyr“ „[z]uständig“ (ON 7 S 2).

[3] Dieser Beschluss blieb unbekämpft (siehe ON 1 S 7 verso).

[4] Mit gemäß § 270 Abs 4 StPO gekürzt ausgefertigtem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Steyr vom 25. März 2021 (ON 11) wurde Christoph P* – soweit hier von Bedeutung – des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Wochen sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von 250 Euro an den Privatbeteiligten Reinhard G* verurteilt.

[5] Dabei erachtete das Gericht das Geständnis des Angeklagten als mildernd, als erschwerend gewichtete es im Urteil nicht näher dargestellte „vier einschlägige Vorstrafen“ (US 2, vgl die Strafregisterauskunft ON 6).

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde im Verfahren AZ 10 Hv 5/21i des Landesgerichts Steyr (vormals AZ 7 U 59/20s des Bezirksgerichts Steyr) das Gesetz mehrfach verletzt:

[7] 1) Gemäß § 450 erster Satz StPO hat das Bezirksgericht, wenn es der Ansicht ist, dass das Landesgericht zuständig sei, vor Anordnung der Hauptverhandlung seine sachliche Unzuständigkeit mit Beschluss auszusprechen. Nach Eintritt der – durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 StPO, RIS Justiz RS0132157) zum Ausdruck gebrachten – Rechtswirksamkeit des Strafantrags kommt ein beschlussförmiger Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit (§ 450 erster Satz StPO) nicht mehr in Betracht (RIS Justiz RS0132703). In einem solchen Fall ist die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Spruchkörpers für die vom Strafantrag (§ 451 Abs 1 StPO) erfassten Taten vielmehr mit Unzuständigkeitsurteil (§ 447 StPO iVm § 261 Abs 1 StPO) wahrzunehmen ( Bauer , WK StPO § 450 Rz 1 mwN; Oshidari , WK-StPO § 38 Rz 2 und 11).

[8] Da das Bezirksgericht Steyr bereits am 2. Dezember 2020 die Hauptverhandlung angeordnet (dazu instruktiv Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/1) und damit die Rechtswirksamkeit der Anklage zum Ausdruck gebracht hat, verletzt der mit Beschluss vom 3. Februar 2021 (ON 7) erfolgte Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit § 450 erster Satz StPO.

[9] 2) Das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sieht als Strafdrohung eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen vor.

[10] Gemäß § 30 Abs 1 StPO obliegt dem Bezirksgericht – mit taxativ angeführten (hier nicht vorliegenden) Ausnahmen – das Hauptverfahren wegen Straftaten, die nur mit einer Geldstrafe oder mit einer Geldstrafe und einer ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe oder nur mit einer solchen Freiheitsstrafe bedroht sind.

[11] Unter der angedrohten Freiheitsstrafe versteht das Gesetz jene, die für eine Tat unmittelbar in der betreffenden Strafnorm als primäre Freiheitsstrafe angedroht ist ( Markel , WK StPO § 30 Rz 1). Dem gemäß sind für die Frage der sachlichen Zuständigkeit – von den im Gesetz (siehe insbesondere § 29 Abs 2 StPO) normierten Ausnahmefällen abgesehen – nur die einen bestimmten Strafsatz (demnach die rechtsrichtige Subsumtion; vgl dazu RIS Justiz RS0119249 [T8]; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 1; Ratz , WK StPO § 281 Rz 25 und 666 ff; Höpfel in WK² StGB § 17 Rz 22 f) bedingenden Umstände maßgeblich.

[12] Die Bestimmung des § 39 StGB, die seit dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019 BGBl I 2019/105 am 1. Jänner 2020 einen bei qualifiziertem Rückfall stets anzuwendenden erweiterten Strafrahmen normiert (12 Os 97/20m; 13 Os 39/21s; Einführungserlass vom 18. Dezember 2019, BMVRDJ S318.040/0016 IV 1/2019, 8 ff), hat keine Auswirkung auf die Subsumtion. Sie verändert nicht die Strafsätze, sondern nur die Strafrahmen, indem sie die Möglichkeit der Strafschärfung an schuldunabhängige Umstände knüpft (vgl insofern die Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs vom 26. Juni 2019 zum Entwurf d es dritten Gewaltschutzgesetzes, 1 Präs. 1617–1848/19d [40/SN 158/ME 26 . GP 4 f]).

[13] Da bereits seit Inkrafttreten des § 29 StPO idF BGBl I 2009/52 am 1. Juni 2009 bei der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit auch keine Sondervorschrift für die nach § 39 StGB erweiterte Strafbefugnis mehr besteht (RIS Justiz RS0127776; Markel , WK StPO § 29 Rz 5; Bruckmüller SbgK § 39 Rz 133; vgl dazu EBRV 113 BlgNR 24. GP 44 [anders noch § 29 Abs 2 StPO idF BGBl I 2004/19 und § 8 Abs 3 erster Satz StPO idF BGBl 1993/526]), bedingt das Vorliegen eines nach § 39 StGB qualifizierten Rückfalls somit keine Veränderung der sachlichen Zuständigkeit (Einführungserlass vom 18. Dezember 2019, BMVRDJ S318.040/0016 IV 1/2019, 13; Flora in WK² StGB § 39 Rz 40; Bauer , WK StPO § 447 Rz 5; Bachner Foregger/Sadoghi , StPO 25 § 29 Anm II; aA, dabei aber § 39 StGB verfehlt als strafsatzändernd ansehend Leukauf/Steininger/Tipold , StGB Update 2020 § 39 Rz 19 und Tipold , Noch einmal: Das dritte Gewaltschutzgesetz, JSt 2020, 5 [6] sowie [auf diesen verweisend] Birklbauer in LiK StPO § 29 Rz 18 und Haider , Der neue Rückfall nach § 39 StGB, ÖJZ 2021, 459 [464]).

[14] Der mit Beschluss vom 3. Februar 2021 (ON 7) erfolgte Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichts verletzt solcherart auch § 30 Abs 1 StPO.

[15] 3) Eine gekürzte Urteilsausfertigung hat im Fall einer Verurteilung den Ausspruch über die Schuld des Angeklagten mit allen in § 260 StPO genannten Punkten (§ 270 Abs 4 Z 1 iVm Abs 2 Z 4 StPO) und die für die Strafbemessung maßgebenden Umstände in Schlagworten (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Da der Strafrahmen die Grenzen der Strafbemessung festlegt, wären die Umstände für die Annahme des nach § 39 StGB erweiterten Strafrahmens (§ 260 Abs 1 Z 4 StPO) zumindest schlagwortartig festzuhalten gewesen (vgl 11 Os 24/20v; 12 Os 97/20m), um eine Beurteilung des Vorliegens der in § 39 Abs 1 StGB kumulativ geforderten Voraussetzungen (vgl dazu Leukauf/Steininger/Tipold , StGB Update 2020 § 39 Rz 2 ff; Bruckmüller SbgK § 39 Rz 39) zu ermöglichen. Der in der gekürzten Urteilsausfertigung des – gesetzeskonform in der Sache erkennenden (RIS Justiz RS0098800 [T1], RS0099146 [T7]) – Landesgerichts Steyr enthaltene Hinweis auf „4 einschlägige Vorstrafen“ (US 2) genügt diesem Erfordernis nicht.

[16] Die zu 1 und 2 aufgezeigten Fehler wirken sich nicht zum Nachteil des Verurteilten aus, sodass es insoweit mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO).

[17] Bezüglich des zu 3 aufgezeigten Fehlers ist hingegen nicht auszuschließen, dass dieser zum Nachteil des Verurteilten wirkt. Daher sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, dessen Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtssätze
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  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.