JudikaturJustiz13Os22/14f

13Os22/14f – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juni 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Semir M***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB, AZ 36 Hv 14/13y des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 1. August 2013 (ON 14) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 36 Hv 14/13y des Landesgerichts Salzburg verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 1. August 2013 (ON 14) § 393 Abs 5 StPO.

Text

Gründe:

Mit in gekürzter Form ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO), seit 9. März 2013 rechtskräftigem (ON 10) Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Salzburg vom 5. März 2013 (ON 9) wurde Semir M***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er vom Juli 2012 bis zum Dezember 2012 in E***** in zumindest vier Angriffen gewerbsmäßig mindestens 1.900 Euro Gewahrsamsträgern der Ma***** OG mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.

Die Privatbeteiligte Ma***** OG wurde „gemäß § 366 Abs 2 StPO“ mit ihren „über den Betrag von EUR 1.900,00 hinausgehenden Ansprüchen, nämlich mit dem Betrag von EUR 5.900,00 auf den Zivilrechtsweg verwiesen“ (ON 9 S 2).

Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2013 beantragte die Privatbeteiligte, die zur Geltendmachung ihrer Ansprüche im Strafverfahren aufgewendeten Kosten ihres Vertreters (§ 73 StPO) mit 1.024,61 Euro zu bestimmen (ON 13).

Nach Zustellung dieses Antrags an den Verteidiger (ON 13 S 1) bestimmte das Erstgericht die Vertretungskosten der Privatbeteiligten mit Beschluss vom 1. August 2013 (unter Abweisung des Mehrbegehrens von 32,65 Euro) mit 991,96 Euro (ON 14). Dieser Kostenbestimmungsbeschluss wurde dem Vertreter der Privatbeteiligten wie dem Verteidiger zugestellt (ON 14 S 2) und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt der Beschluss vom 1. August 2013 (ON 14) § 393 Abs 5 StPO:

Vorweg sei zur Klarstellung festgehalten, dass die Staatsanwaltschaft Salzburg dem (nunmehr) Verurteilten in ihrem Strafantrag vom 25. Jänner 2013 (ON 3) der polizeilichen Anzeige entsprechend (ON 2 S 3) einen Schadensbetrag von 7.800 Euro anlastete (ON 3 S 1) und dass die Geschädigte (Ma***** OG) im Zuge ihrer Erklärung (§ 67 Abs 2 StPO), sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen (ON 6), genau diesen Betrag begehrte (ON 6 S 2).

Ersichtlich nach der in der Hauptverhandlung vorgelegten Korrespondenz (ON 9 S 3 bis 9) stellte das Erstgericht im Urteil vom 5. März 2013 wie dargelegt die Schadenshöhe mit „mindestens“ 1.900 Euro fest (ON 9 S 2). Den letztgenannten Betrag hatte der Verurteilte nach der Aktenlage am 25. Februar 2013 an den Vertreter der Privatbeteiligten überwiesen (ON 9 beigehefteter Einzahlungsbeleg).

Hievon ausgehend ist deutlich erkennbar, dass das erstgerichtliche Adhäsionserkenntnis ausschließlich eine Verweisung auf den Zivilrechtsweg enthält, der Zusatz hinsichtlich des als jedenfalls gegeben angenommenen Schadensbetrags (1.900 Euro) also bloß der Klarstellung dient, dass eben dieser Betrag rechtsrichtig ( Spenling , WK StPO Vor §§ 366 bis 379 Rz 35) gerade nicht vom Adhäsionserkenntnis umfasst ist.

Soweit jedoch der Privatbeteiligte (wie sohin hier) mit seinen privatrechtlichen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden ist, bilden die zur zweckentsprechenden Geltendmachung seiner Ansprüche im Strafverfahren aufgewendeten Kosten seines Vertreters gemäß § 393 Abs 5 StPO einen Teil der Kosten des zivilgerichtlichen Verfahrens, in dem über den Anspruch erkannt wird, womit der Beschluss vom 1. August 2013, mit dem über diese Kosten im Rahmen des Strafverfahrens abgesprochen worden ist (ON 14), die genannte Bestimmung verletzt (RIS Justiz RS0101257, RS0101348; Lendl , WK StPO § 393 Rz 30).

Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur war die Feststellung dieser Gesetzesverletzung nicht mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Wird in einem Strafverfahren auch über zivilrechtliche Ansprüche entschieden, ist nämlich die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auch unter dem Aspekt einer im Sinn des Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen. Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 erster Satz StPO) prävaliert dabei der Schutz des Angeklagten (RIS Justiz RS0124740). Ein solcher untrennbarer Zusammenhang ist hier nicht gegeben, weil der Kostenbestimmungsbeschluss den Bestand des Schuldspruchs nicht tangiert. Da fallbezogen gegen den Kostenbestimmungsbeschluss mangels Ausschöpfung des Rechtswegs keine Rechtsbehelfe mehr offen stehen (Art 34 MRK, § 363a StPO), darf die Privatbeteiligte auf die Rechtskraft des Kostenzuspruchs vertrauen, womit Art 1 des 1. ZPMRK der Zuerkennung konkreter Wirkung entgegensteht (15 Os 75/11k, 76/11g; vgl auch RIS Justiz RS0124838 und RS0124798).

Rechtssätze
4
  • RS0124740OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Die Erneuerungsmöglichkeit (auch ohne vorangegangene EGMR-Entscheidung) bedeutet keine unzulässige Beschränkung des aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) iVm der Präambel der Konvention abgeleiteten Anspruchs auf Rechtssicherheit, maW auf Respektierung der - nach Maßgabe nur des innerstaatlichen Rechtsschutzsystems zu beurteilenden - Rechtskraft von Entscheidungen durch den Staat selbst. In Strafsachen ist die Aufhebung eines grundrechtswidrigen Schuldspruchs des untergeordneten Strafgerichts zum Vorteil des Angeklagten stets möglich. Wurde hingegen über zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren entschieden, ist die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich auch unter dem Aspekt einer iSd Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen: Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) prävaliert im Strafverfahren der Schutz des Angeklagten; für den Privatbeteiligten allenfalls nachteilige Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung wären als Schadenersatzansprüche im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen. Wird hingegen ausnahmsweise im Strafverfahren über - vertragsautonom iSd Art 6 MRK betrachtet - zivilrechtliche, nicht akzessorische Ansprüche entschieden (§§ 6 ff, 9 f MedienG), ist die Entscheidung in der Sache, also auch die Aufhebung der Entscheidung des untergeordneten Strafgerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Antragsgegner (als zuvor am Verfahren Beteiligter) einen Erneuerungsantrag unter den oben dargestellten strikten Voraussetzungen gestellt hat, gleichviel, ob die Aufhebung in Stattgebung dieses Antrags oder einer aus dessen Anlass erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erfolgt. Lediglich bei einer nicht von einem Antrag nach § 363a StPO begleiteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (oder einem Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO) kann von dem Ermessen iSd § 292 letzter Satz StPO nicht Gebrauch gemacht werden, während die Feststellung der zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten sich auswirkenden Gesetzes-(Konventions-)verletzung stets (auch zugunsten des Privatanklägers bzw Antragstellers im vorangegangenen Verfahren) möglich ist, weil durch sie die geschützte Rechtsposition eines anderen Verfahrensbeteiligten - iS etwa eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius - nicht tangiert wird. Diese höchstgerichtliche Feststellung einer Gesetzesverletzung hat im Übrigen Bindungswirkung in einem allfälligen Amtshaftungsverfahren und ist solcherart geeignet, die Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK zu beseitigen.