JudikaturJustiz13Os136/11s

13Os136/11s – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen Muhammed B***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. April 2011, GZ 53 Hv 216/04b 69, und die Beschwerde gegen eine zugleich erteilte Weisung nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Weiss, des Angeklagten Muhammed B***** und seines Verteidigers Mag. Maric zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie demzufolge auch der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben und wird in der Sache selbst erkannt:

Unter Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Juli 2004, GZ 44 EHv 89/04k 34, wird gemäß § 40 zweiter Satz StGB von einer Zusatzstrafe abgesehen .

Mit ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf die Kassation der Weisung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Muhammed B***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I) sowie der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 105 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt.

Danach hat er am 4. Dezember 2003 in Wien Krzysztof G*****

(I) durch einen Faustschlag gegen das Gesicht, der eine Schwellung und eine Blutung an der Unterlippe zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt sowie

(II) mit Gewalt, nämlich durch das Versetzen mehrerer Schläge, zur Unterlassung seiner Anhaltung nach der zu I beschriebenen Tat genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Sanktionsausspruch mit einer aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO zu Gunsten des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde, die auch als Beschwerde gegen die zugleich erteilte Weisung (§ 494 StPO) zu betrachten ist. Nach § 498 Abs 3 dritter Satz StPO ist „eine zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auch als Beschwerde gegen“ einen nach § 494 StPO oder § 494a StPO ergangenen „Beschluss zu betrachten“, während § 290 Abs 1 dritter Satz StPO bei mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemachter Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO ein Vorgehen verlangt „als wäre auch die Berufung ergriffen worden“. Schon deshalb ist aus § 498 Abs 2 zweiter Satz StPO, wonach „Ausfertigung und Zustellung“ eines nach § 494 StPO und § 494a StPO ergangenen Beschlusses „auch unterbleiben können, wenn der Rechtsmittelwerber binnen drei Tagen nach mündlicher Verkündung des Beschlusses keine Beschwerde anmeldet“, für eine (planwidrige) Ausnahmelücke in § 498 Abs 3 dritter Satz StPO nichts zu gewinnen (vgl auch JAB 106 BlgNR 24. GP 28; daraus wird auch deutlich, dass die Wortfolge „der Rechtsmittelwerber“ anstatt „der Berechtigte“ [§ 498 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 86 Abs 2 StPO] auf einem Redaktionsversehen beruht, weil der historische Gesetzgeber gerade auf den Fall zielte, in dem ein Rechtsmittelwerber fehlt). Davon abgesehen regelt § 498 Abs 3 StPO den gegenüber bloßer Beschwerde gegen einen nach § 494 StPO oder § 494a StPO ergangenen Beschluss speziellen Fall ergriffener Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung (womit in solchen Fällen für die von § 498 Abs 2 zweiter Satz StPO angesprochene Ausnahme kein Raum bleibt; vgl demgegenüber 11 Os 176/10g, EvBl LS 2011/96, 572).

Vorweg sei festgehalten, dass die Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft, „volle Berufung“ zu erheben (ON 68 S 33), die Anmeldung einer Berufung wegen Nichtigkeit inkludiert (wobei die Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe in der Folge zurückgezogen wurde [ON 1 S 13]), womit unter dem Aspekt rechtzeitiger Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde eine unbeachtliche Fehlbezeichnung vorliegt ( Ratz , WK StPO § 284 Rz 7).

Die Sanktionsrüge zeigt zutreffend auf, dass das Erstgericht die Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf das am 9. Juli 2004 also nach der gegenständlichen Tatzeit (4. Dezember 2003) (zu AZ 44 EHv 89/04k) ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu Unrecht ablehnte (US 9).

Der Umstand, dass diese Verurteilung im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits getilgt war, hindert die Bedachtnahme nicht, weil mit der Tilgung gemäß § 1 Abs 2 TilgG bloß alle nachteiligen Folgen einer Verurteilung erlöschen, wogegen § 31 Abs 1 StGB den Angeklagten nur begünstigen will (12 Os 62/03, SSt 2003/56; Ratz in WK² § 31 Rz 21).

Da das Erstgericht ohne Überschreitung des von § 31 Abs 1 zweiter und dritter Satz StGB festgelegten Strafrahmens (insoweit verfehlt: 12 Os 62/03, SSt 2003/56) zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Tilgung der zu AZ 44 EHv 89/04k des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 9. Juli 2004 erfolgten Verurteilung einer Anwendung der Strafbemessungsvorschrift des § 40 StGB entgegensteht, liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall vor ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 665, 692, 706 bis 708). Dass im Vorurteil zwischenzeitlich getilgte Verurteilungen zur Begründung der Strafbemessung erschwerend in Rechnung gestellt wurden , hindert entgegen der Auffassung des Schöffengerichts eine auf § 40 StGB gegründete Bemessung nicht. Nur kommen diese inzwischen getilgten Verurteilungen bei der nunmehr vorzunehmenden Strafbemessung weder als Erschwerungsgrund in Betracht, noch stehen sie der Annahme des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB entgegen (§ 1 Abs 4 TilgG; Ratz in WK² § 40 Rz 1 f).

Der Erfolg der Nichtigkeitsbeschwerde führt zur Kassation des Strafausspruchs. Dies zieht die Aufhebung des verfehlt (RIS Justiz RS0101841; Jerabek , WK StPO § 494 Rz 1) in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (US 2) Beschlusses auf Erteilung einer Weisung nach sich, worauf die Staatsanwaltschaft mit ihrer gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO iVm § 290 Abs 1 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtenden Beschwerde zu verweisen war.

Bei der auf Grund der Kassation des Strafausspruchs vorzunehmenden Strafneubemessung waren das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Z 1 StGB) erschwerend, der bislang ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), die Tatbegehung unter Umständen, die einem Schuldausschließungsgrund, nämlich jenem der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB), nahekommen (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB), das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) sowie der Umstand, dass der Angeklagte die Tat schon vor längerer Zeit begangen und sich seither wohlverhalten hat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB), mildernd.

Ausgehend von diesen besonderen Erschwerungs und Milderungsgründen war unter Bedachtnahme auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) von einer Zusatzfreiheitsstrafe zu der vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 9. Juli 2004 zu AZ 44 EHv 89/04k wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB verhängten zehnmonatigen Freiheitsstrafe abzusehen.

Über die allfällige Erteilung einer Weisung wird das Erstgericht zu befinden haben (RIS Justiz RS0086098, 13 Os 119/06h; Ratz , WK StPO § 295 Rz 12; Jerabek , WK StPO § 494 Rz 1).

Sollte das Erstgericht eine Weisung als geboten erachten, wird es dabei das in § 51 Abs 1 erster Satz StGB verankerte Konkretisierungsgebot zu berücksichtigen haben (dazu eingehend 13 Os 142/10x, EvBl 2011/70, 471).

Im Hinblick darauf wird es sich insbesonders als zweckmäßig erweisen, die Art einer allenfalls ins Auge gefassten medizinischen Behandlung möglichst genau festzulegen und dem Verurteilten die Nachweismodalitäten exakt vorzugeben.

Rechtssätze
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