JudikaturJustiz13Os102/02

13Os102/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. November 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2002 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weiser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alfons N***** und Klaus B***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs 1, 86 StGB und weiterer Straftaten, über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. Mai 2002, GZ 8 Hv 8/02v-123, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Raunig, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Dr. Ruhri und Dr. Nestl, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der Angeklagte Alfons N***** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB (I.1.) und der Angeklagte Klaus Michael B***** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 83 Abs 1, 86 StGB (II.1.) sowie des Vergehens (richtig: der Vergehen) nach § 27 Abs 1 (ergänze: erster, zweiter und sechster Fall) SMG (II.2.) schuldig erkannt. Danach haben, soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz, zu I.1. Alfons N***** in der Nacht zum 5. Mai 1999 in Graz Liane T***** durch die intravenöse Verabreichung zweier Injektionen einer unbekannten Menge einer morphinhältigen Substanz (gelöste "Vendal"-Tabletten) vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod der Liane T***** zur Folge hatte;

zu II.1. Klaus Michael B***** zur Ausführung der zu I.1. geschilderten strafbaren Handlung des Alfons N***** beigetragen, indem er eine unbekannte Anzahl morphinhältiger "Vendal"-Tabletten zur Verfügung stellte, diese zur Verabreichung mittels Injektion zubereitete und eine damit gefüllte Injektionsspritze Alfons N***** zwecks Verabreichung übergab.

Rechtliche Beurteilung

Die Angeklagten bekämpfen diese Schuldsprüche, Alfons N***** mit einer auf die Z 5 und 9 lit a (sachlich Z 10), Klaus B***** mit einer auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welche jedoch unbegründet sind.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Alfons N*****:

Entgegen der Beschwerde findet die bemängelte Urteilsannahme (Z 5), dass Liane T***** trotz ihres Suchtgiftkonsums nicht an Morphin oder sonstige Opiate gewöhnt war (US 8, 12 und 16), im Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Friedrich Rous, der bei seiner Beurteilung sehr wohl auch den Nachweis geringer (nicht einmal mehr quantifizierbarer) Spuren von Codein (das eine ähnliche Wirkung wie Opiate aufweist) im Leichenblut berücksichtigt hat (S 127/III iVm S 347/I), Deckung und steht auch nicht mit anderen Verfahrensergebnissen im Widerspruch. Wenn die Mängelrüge auf Grund der erwähnten geringfügigen Codeinspuren dennoch eine Gewöhnung Liane T*****s an derartige Substanzen und damit auch eine höhere Resistenz der Genannten gegen die Einnahme solcher Mittel reklamiert und auf dieser Grundlage eine ausreichende Begründung des Erstgerichtes zur Vorhersehbarkeit der eingetretenen Todesfolge (bei der verabreichten Morphindosis) vermisst, kritisiert sie - ohne einen formellen Begründungsmangel aufzeigen zu können - lediglich unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter.

Zur Behauptung der Rechtsrüge (nominell Z 9 lit a, sachlich Z 10) des Fehlens von Urteilsfeststellungen über "die Voraussetzungen der Zurechnung der Todesfolge in subjektiver Hinsicht" genügt es, auf die entsprechenden von der Beschwerde nicht berücksichtigten eingehenden Ausführungen des Erstgerichtes zur subjektiven Zurechenbarkeit dieser Folge einschließlich der Vorhersehbarkeit des Kausalablaufes zu verweisen (US 10 ff iVm US 14 und 16 ff).

Soweit gegen die Bejahung des Vorliegens der objektiven und subjektiven Vorhersehbarkeit der letalen Tatfolgen ins Treffen geführt wird, dass die intravenöse Verabreichung bloß eines Viertels einer in Wasser aufgelösten Vendal-Tablette ein Abzielen auf Gefahrenminderung indiziere und einer Zurechnung des eingetretenen Erfolges ebenso entgegenstehen würde wie der vorangegangene, jedoch ihm unbekannt gebliebene, aber im Leichenblut nachgewiesene Konsum von Medikamenten und Suchtgiften durch das Tatopfer, bleibt die Rüge gleichfalls nicht auf dem Boden der hiezu getroffenen Urteilskonstatierungen und entbehrt somit einer gesetzmäßigen Darstellung.

Ebenfalls zu Unrecht beruft sich die Beschwerde auf das sogenannte Eigenverantwortlichkeits- oder Autonomieprinzip, wonach bei einverständlicher Fremdverletzung (zum Begriff siehe Fuchs AT I5 Kap. 33 Rz 90), der Täter durch die Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt sei und somit die objektive Erfolgszurechnung (hier des Todes) ausgeschlossen werde.

Hiezu ist zu erwägen:

Die Einwilligung rechtfertigt - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - den Täter, wenn der Träger des geschützten Rechtsgutes entweder in den Verletzungserfolg eingewilligt, also die Rechtsgutbeeinträchtigung als solche zugelassen hat, oder wenn er in die gefährliche Handlung eingewilligt und damit ein bestimmtes Risikoniveau der für seine Güter riskanten Handlung zugelassen hat. In beiden Fällen unterliegt jedoch die Einwilligung dem Sittenwidrigkeitskorrektiv, soweit das Gesetz ein solches vorsieht (also bei Eingriffen über Leib und Leben, § 90 StGB, § 8 SMG). In Verletzungen von Leib und Leben kann man nicht unbeschränkt einwilligen. Nach der Sonderregel des § 90 StGB rechtfertigt die Einwilligung in eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit nur, wenn die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt (wobei in die Tötung überhaupt nicht wirksam eingewilligt werden kann - §§ 77, 78 StGB). Für die Sittenwidrigkeitsprüfung folgt aus dem gesetzlichen Hinweis auf die Verletzung "als solche", dass es nicht primär auf das Motiv, sondern in erster Linie auf die Verletzungshandlung oder auf den Erfolg selbst ankommt.

Daher ist es bei der erfolgsbezogenen Einwilligung bezüglich schwerer Verletzungen erforderlich, den Einzelnen gegen den unbedachten und voreiligen Gebrauch der Freiheit vor sich selbst zu schützen; solche Verletzungen sind demnach trotz Einwilligung grundsätzlich sittenwidrig und verboten (sofern sie nicht zu einem ethisch wertvollen Zweck erfolgen).

Bei der handlungsbezogenen Einwilligung (der Zulassung eines bestimmten Risikos) hängt die Sittenwidrigkeit und damit die Rechtfertigung einerseits von der Schwere und Wahrscheinlichkeit der drohenden Verletzung und andererseits vom Beweggrund ab, woraus sich ergibt, dass im Falle der Möglichkeit oder sogar Wahrscheinlichkeit (ex ante) einer schweren Verletzung oder gar des Todes die gefährliche Handlung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Handlung, in die eingewilligt wird, einem allgemein anerkannten, ethisch wertvollen Zweck dient (Fuchs aaO Kap. 16 Rz 14 ff). Fallbezogen kann daher von einer rechtfertigenden Einwilligung in die Verletzung (12 Os 63/01) bzw gar den Tod und somit von einem Mangel der objektiven Zurechenbarkeit auch der Todesfolge keine Rede sein, und zwar weder aus der Sicht einer allfälligen erfolgsbezogenen als auch einer handlungsbezogenen Einwilligung.

Aus dem Gesagten ist auch festzuhalten, dass eine allfällige Einwilligung in eine Verletzung am Körper oder in eine Schädigung an der Gesundheit (§ 90 Abs 1 StGB) aus Anlass oder im Gefolge von Suchtgiftkonsum - abgesehen von den oben dargelegten Fragen ihrer Rechtswirksamkeit - jedenfalls schon deshalb gegen die guten Sitten verstößt (und somit schon deshalb die Täter nicht rechtfertigt), weil Suchtmittel am menschlichen Körper bloß im Rahmen einer ärztlichen Behandlung unmittelbar zur Anwendung gebracht werden dürfen (§ 8 SMG).

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass vorliegend das Eigenverantwortlichkeitsprinzip auch schon deshalb nicht zum Tragen kommt, weil das Erstgericht dem Angeklagten ein gegenüber dem Tatopfer überlegenes Sachwissen festgestellt hat (vgl hiezu Kienapfel BT I4 § 80 StGB Rz 65); insoweit ist mangels Orientierung am Tatsachensubstrat die Subsumtionsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Soweit die Beschwerde noch die subjektive Zurechenbarkeit bezweifelt, genügt es auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Erstgerichtes US 17 oben hinzuweisen; sind doch die Tatfolgen keineswegs geradezu atypisch.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Klaus B*****:

Entgegen der Beschwerdeauffassung hat das Schöffengericht im Rahmen der eine Einheit bildenden Ausführungen im Urteilsspruch und den Entscheidungsgründen mit hinreichender Klarheit konstatiert, dass der Angeklagte die Vendal-Tabletten und Spritzen vorbehaltlos zur Verfügung stellte und mit einem nach Lage des Falles vorhersehbaren weiteren Konsum der betreffenden morphinhältigen Substanz (mittels intravenöser Einnahme) auch durch Liane T***** uneingeschränkt einverstanden war. Damit erweist es sich aber als bedeutungslos, dass er schlief, als Liane T***** die zweite Suchtgiftinjektion verabreicht erhielt.

Soweit dieser Angeklagte ebenfalls zu seinen Gunsten die Anwendung des "Autonomieprinzips" reklamiert, genügt es, ihn auf das zu den entsprechenden Ausführungen in der Subsumtionsrüge des Angeklagten N***** Gesagte zu verweisen. Im Übrigen haben die Tatrichter auch hinsichtlich dieses Beschwerdeführers ein einschlägiges und überlegenes Sachwissen konstatiert.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren demnach zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte - ergänze: nach § 86 StGB - über Alfons N***** unter Einbeziehung des mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 30. März 2000, GZ 8 EVr 1289/99-86 (iVm dem "Beschluss" des Oberlandesgerichtes Graz vom 10. Jänner 2002, AZ 11 Bs 493/00), rechtskräftigen Schuldspruchs wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG (Erwerb, Besitz und Überlassung an andere verschiedene Suchtgifte zwischen Mitte August und 1997 bis zum 5. Mai 1999) und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 und 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 6. Juli 1999, AZ 8 EVr 1590/99 (§ 287 Abs 1, [§ 107 Abs 1 und Abs 2] StGB, § 27 Abs 1 SMG: acht Monate Freiheitsstrafe) sowie unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren und sechs Monaten als Zusatzstrafe.

Klaus B***** wurde - nach § 86 StGB - unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 23. April 2001, AZ 5 U 547/00d (§§ 15, 127 StGB: Geldstrafe 120 Tagessätze unter Anwendung des § 28 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Vom Widerruf von zu AZ 9 EVr 560/94 und 9 Vr 2344/97 jeweils des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz zu U 50/97a bedingt nachgesehenen Strafteilen bzw Strafen (von insgesamt dreizehn Monaten und zwanzig Tagen Freiheitsstrafe) sah das Schöffengericht ab.

Bei den Strafbemessungen wurden bei beiden Angeklagten als mildernd gewertet das Tatsachengeständnis und das lange Zurückliegen der Tat, bei Alfons N***** weiters das seitherige Wohlverhalten; erschwerend waren jeweils das Zusammentreffen mehrerer Vergehen mit einem Verbrechen, die zahlreichen Vorstrafen und bei Alfons N***** noch die Fortsetzung der Straftaten nach dem Suchtgiftgesetz durch eine längere Zeit hindurch.

Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen der Angeklagten, mit welchen sie die Herabsetzung des Strafausmaßes, der Angeklagte N***** auch die teilbedingte Nachsicht der Strafe anstreben; die Berufung der Staatsanwaltschaft begehrt die Erhöhung der Freiheitsstrafen.

Den Berufungen kommt keine Berechtigung zu.

Das Schöffengericht hat die Strafbemessungsgründe im Wesentlichen richtig und vollständig erfasst sowie zutreffend gewichtet und dabei keinen ins Gewicht fallenden Erschwerungs- oder Milderungsumstand übersehen (zu § 27 Abs 1 SMG liegt richtigerweise der Erschwerungsgrund der Tatmehrheit vor). Auch dem Verhalten des Tatopfers Liane T***** wurde ausreichend Rechnung getragen. Die Freiheitsstrafen entsprechen demnach dem Unrecht der Taten, deren sozialen Störwert und der jeweiligen personalen Täterschuld und waren daher weder einer Herabsetzung noch einer Erhöhung zugänglich. Auf die am 19. August 2002 zum AZ 5 Hv 1130/01w wegen §§ 127, 130 und 15 StGB erfolgte Verurteilung des Angeklagten B***** war nicht gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen (vgl 14 Os 129/99).

Das kriminell belastete Vorleben des Angeklagten N*****, aber auch generalpräventive Aspekte standen einer teilbedingten Strafnachsicht bei ihm entgegen.

Keinem der Rechtsmittel konnte sohin ein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Rechtssätze
7
  • RS0117222OGH Rechtssatz

    13. November 2002·1 Entscheidung

    Die Einwilligung rechtfertigt - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - den Täter, wenn der Träger des geschützten Rechtsgutes entweder in den Verletzungserfolg eingewilligt, also die Rechtsgutbeeinträchtigung als solche zugelassen hat, oder wenn er in die gefährliche Handlung eingewilligt und damit ein bestimmtes Risikoniveau der für seine Güter riskanten Handlung zugelassen hat. In beiden Fällen unterliegt jedoch die Einwilligung dem Sittenwidrigkeitskorrektiv, soweit das Gesetz ein solches vorsieht (also bei Eingriffen über Leib und Leben, §90StGB, § 8 SMG). Bei der erfolgsbezogenen Einwilligung bezüglich schwerer Verletzungen ist es erforderlich, den Einzelnen gegen den unbedachten und voreiligen Gebrauch der Freiheit vor sich selbst zu schützen; solche Verletzungen sind demnach trotz Einwilligung grundsätzlich sittenwidrig und verboten (sofern sie nicht zu einem ethisch wertvollen Zweck erfolgen). Bei der handlungsbezogenen Einwilligung (der Zulassung eines bestimmten Risikos) hängt die Sittenwidrigkeit und damit die Rechtfertigung einerseits von der Schwere und Wahrscheinlichkeit der drohenden Verletzung und andererseits vom Beweggrund ab, woraus sich ergibt, dass im Falle der Möglichkeit oder sogar Wahrscheinlichkeit (ex ante) einer schweren Verletzung oder gar des Todes die gefährliche Handlung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Handlung, in die eingewilligt wird, einem allgemein anerkannten, ethisch wertvollen Zweck dient.