JudikaturJustiz12Os138/14g

12Os138/14g – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. März 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaltenbrunner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Marijan A***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 151 Hv 75/13a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Dezember 2013, GZ 151 Hv 75/13a 97, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Dezember 2013, GZ 151 Hv 75/13a 97, verletzt das Gesetz

1./ soweit der am 5. Mai 1998 geborene Angeklagte Marijan A***** im Rahmen der Schuldsprüche C./I./ und C./III./ auch für im Zeitraum von März 2012 bis einschließlich 5. Mai 2012 begangene Taten schuldig gesprochen wurde, in § 4 Abs 1 JGG und

2./ durch das Unterlassen ausreichender Feststellungen zu Intensität und Dichte der zu C./I./ inkriminierten Angriffe im Zeitraum 6. Mai 2012 bis 24. April 2013, in § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zu C./I./ und C./III./ hinsichtlich des Tatzeitraums März 2012 bis einschließlich 5. Mai 2012 ersatzlos aufgehoben.

Weiters werden die für den Tatzeitraum 6. Mai 2012 bis 24. April 2013 verbleibenden Schuldsprüche zu C./I./ und C./III./ sowie der Schuldspruch zu C./II./, demgemäß auch der den Angeklagten Marijan A***** betreffende Strafausspruch und die den Genannten betreffenden Beschlüsse nach § 50 StGB sowie nach § 51 StGB aufgehoben und die Sache im letztgenannten Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer den Angeklagten Marijan A***** betreffenden Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Akten werden zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die Aussprüche über die Strafen der Angeklagten Zvonko V*****, Zelko V*****, Stefan S*****, Sandra J***** und Karolina L***** sowie über die Beschwerde betreffend Stefan S***** dem Oberlandesgericht Wien übermittelt.

Text

Gründe:

Mit dem, auch in Rechtskraft erwachsene Schuld und Freisprüche Mitangeklagter enthaltenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 17. Dezember 2013, GZ 151 Hv 75/13a 97, wurde der am 5. Mai 1998 geborene Marijan A***** der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A./I./1./) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A./I./2./b./) sowie der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (C./I./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C./II./) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (C./III./) schuldig erkannt.

Danach hat er soweit hier von Relevanz

C./ in W*****

I./ von März 2012 bis 24. April 2013 gegen Karolina L***** durch fortdauernde Körperverletzungen und körperliche Misshandlungen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er der Genannten wiederholt Schläge versetzte und sie an deren Haaren zerrte;

II./ am 25. April 2013 Karolina L***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr zwei Faustschläge gegen ihren linken Unterarm versetzte, wodurch diese eine Schwellung am linken Unterarm erlitt;

III./ von März 2012 bis 24. April 2013 Karolina L***** durch die wiederholten sinngemäßen Äußerungen, er werde sie schlagen, wenn sie wegen der unter Punkt C./I./ beschriebenen Straftaten zur Polizei gehe, somit durch gefährliche Drohung, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung wegen der unter Punkt C./I./ beschriebenen Straftaten genötigt.

Das Schöffengericht konstatierte, dass der am 5. Mai 1998 geborene (US 13) Angeklagte Marijan A***** seit Herbst 2011 mit Karolina L***** eine Beziehung führte und ab März 2012 begann, seine Freundin regelmäßig zu misshandeln, indem er ihr immer wieder Ohrfeigen versetzte und sie an den Haaren zerrte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, gegen diese über eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben (C./I./; [US 17]).

Nach den weiteren Urteilsannahmen versetzte der Angeklagte seiner Freundin am 25. April 2013 im Zuge eines Streits mit Verletzungsvorsatz zwei Faustschläge gegen ihren linken Unterarm, wodurch diese Schwellungen erlitt (C./II./; [US 17]).

Letztlich gingen die Tatrichter davon aus, dass der Angeklagte der Karolina L***** nach den jeweiligen Misshandlungen weitere Schläge androhte, wenn diese zur Polizei gehe, wobei er mit dem Vorsatz handelte, diese durch gefährliche Drohung mit Körperverletzungen zur Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung zu nötigen (C./III./; [US 17]).

Konstatierungen zu Beginn und Ende des Tatzeitraums zu C./III./ sowie zu dessen Ende zu C./I./ haben die Tatrichter im Rahmen der Entscheidungsgründe nicht explizit getroffen. Ausgehend von den am Ende der Feststellungen zu den einzelnen Tatvorwürfen erfolgten ausdrücklichen Hinweisen auf „C./I./“ und „C./III./“, also auf die Aussprüche nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO, waren diese zur Verdeutlichung heranzuziehen. Danach erstreckten sich die Tatzeiträume zu den genannten Punkten des Schuldspruches jeweils „von März 2012 bis 24. April 2013“ (US 6, vgl auch US 21).

Obwohl es sich bei den zu C./II./ und C./III./ zur Verurteilung gelangten Vergehen um Anknüpfungsdelikte im Sinne des § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB handelt, die bei Vorliegen auch eines Vorsatzes, durch diese einzelnen Verletzungs bzw Nötigungshandlungen längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben, vom jeweiligen Tatbestand des § 107b StGB verdrängt werden ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 107b Rz 18; Mitgutsch , Ausgewählte Probleme der Freiheitsdelikte beharrliche Verfolgung und fortgesetzte Gewaltausübung, JB Strafrecht BT 2010, 21 [42]; Schwaighofer in WK² StGB § 107b Rz 54; Tipold , Zur Auslegung des § 107b StGB [fortgesetzte Gewaltausübung] JBl 2009, 677 [682]; Winkler SbgK § 107b Rz 167), trafen die Tatrichter in Ansehung des § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB keine entsprechenden, durch den Tatzeitraum sowie den persönlichen und sachlichen Zusammenhang indizierten (positiven oder negativen) Feststellungen zur subjektiven Tatseite.

Dieses Urteil blieb seitens der Angeklagten unbekämpft (ON 96 S 81). Nach Zurückziehung (ON 1 S 23 Pkt 1./) der von der Staatsanwaltschaft angemeldeten (ON 99) Nichtigkeitsbeschwerde erwuchs der Schuldspruch in Rechtskraft. Über die von der Staatsanwaltschaft zum Nachteil aller Angeklagten erhobene Berufung und über die Beschwerde gegen den den Mitangeklagten Stefan S***** betreffenden Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO (ON 105) hat das Oberlandesgericht Wien bisher nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, wurde das Gesetz im Verfahren AZ 151 Hv 75/13a des Landesgerichts für Strafsachen Wien in mehrfacher Hinsicht verletzt:

1./ Gemäß § 1 Z 1 JGG und nach § 74 Abs 1 Z 1 StGB ist unmündig, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Ein Unmündiger, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat, ist gemäß § 4 Abs 1 JGG nicht strafbar.

Der Angeklagte Marijan A***** wurde nach den Urteilsfeststellungen am 5. Mai 1998 geboren (US 13). Er war daher bis zum Ablauf des 5. Mai 2012 nicht strafmündig (RIS Justiz RS0103987; Schroll in WK 2 JGG § 1 Rz 1; Jesionek/Edwards , JGG 4 § 4 Anm 10). Für das ihm im Rahmen der Schuldsprüche zu C./I./ und C./III./ vor dem 6. Mai 2012 angelastete Verhalten war der Verurteilte nicht strafbar. Die Schuldsprüche hinsichtlich des Zeitraums vom März 2012 bis einschließlich 5. Mai 2012 verstoßen somit gegen § 4 Abs 1 JGG.

2./ Nach § 107b Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wer gegen eine andere Person eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausübt.

Der Begriff der Ausübung von Gewalt im Sinne der genannten Gesetzesstelle umfasst nach der Legaldefinition des § 107b Abs 2 StGB einerseits die Misshandlung einer anderen Person am Körper (erster Fall), andererseits die Begehung einer vorsätzlichen mit Strafe bedrohten Handlung gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der fallbezogen nicht relevanten strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108, 110 StGB (zweiter Fall).

Nach den Gesetzesmaterialien (JAB 106 BlgNR 24. GP 23), der Lehre ( Winkler , SbgK § 107b Rz 110 f; zust Schwaighofer in WK² StGB § 107b Rz 9) und Rechtsprechung (13 Os 143/11w, 13 Os 71/12h, RIS Justiz RS0127377) ist nicht jeder wiederholte Angriff gegen das Opfer, insbesondere im Bereich der (gegenständlich festgestellten) „bloßen“ körperlichen Misshandlung unter den Tatbestand des § 107b StGB zu subsumieren. Vielmehr ist auch auf die Eingriffsintensität und die sonstigen Tatbegehungsmodalitäten mit Blick auf die konkrete Situation des Opfers Bedacht zu nehmen. Bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 107b StGB ist somit stets eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung vorzunehmen, wobei eine besonders starke Ausprägung eines dieser Faktoren unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der beiden übrigen Faktoren zulässt ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 107b Rz 10; 13 Os 143/11w).

Im vorliegenden Fall steht zwar der Zeitraum der (nach Erreichung der Strafmündigkeit pönalisierbaren) Misshandlungen zwischen 6. Mai 2012 und 24. April 2013 fest. Die Konstatierungen, wonach der Angeklagte seine Freundin regelmäßig misshandelte, indem „er ihr immer wieder Ohrfeigen versetzte und sie an den Haaren zerrte“ (US 17 drittletzter Absatz) sind jedoch fallbezogen, im Besonderen unter Berücksichtigung der trotz der bereits im März 2012 einsetzenden Misshandlungen zumindest bis zum Vorfall am 25. April 2013 zwischen dem Angeklagten und dem Opfer andauernden Freundschaft („am 25. April 2013 versetzte A***** seiner Freundin … zwei Faustschläge“ [US 17 vorletzter Absatz]) nicht ausreichend, was die Dichte (täglich, wöchentlich, monatlich) und Intensität der (bis 24. April 2013 keine festgestellten Verletzungen nach sich ziehenden) Gewaltausübung betrifft.

In Bezug auf den Zeitraum vom 6. Mai 2012 bis 24. April 2013 verletzt der Schuldspruch C./I./ somit § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB.

Da die aufgezeigten Rechtsfehler geeignet sind, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Die Aussprüche nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zu C./I./ und C./III./ waren für den Tatzeitraum bis einschließlich 5. Mai 2012 jeweils (bloß) ersatzlos aufzuheben, weil es sich beim Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung (C./I./) um ein Dauerdelikt handelt (JAB 106 BlgNR 24. GP 23; vgl auch RIS Justiz RS0128941 und RS0129716) und der Schuldspruch zu C./III./ nur pauschal individualisierte, gleichartige, wenngleich selbständige, nur gegen andere, aber nicht untereinander abgegrenzte Taten betrifft (RIS Justiz RS0119552).

Im Hinblick auf den identen Tatzeitraum zu C./I./ und C./III./ sowie auf den unmittelbar an diesen anschließenden Tatzeitpunkt am 25. April 2013 zu C./II./, weiters unter Berücksichtigung der bis zum letztgenannten Zeitpunkt bestehenden Freundschaft zwischen Angeklagtem und Opfer sowie des faktischen Zusammenhangs zwischen „den jeweiligen Misshandlungen“ und den „immer wieder“ mit Nötigungsvorsatz angedrohten weiteren Schlägen, wenn Karolina L***** (wegen der Misshandlungen) zur Polizei gehe, sah sich der Oberste Gerichtshof um dem Erstgericht die Möglichkeit zu eröffnen, das zu C./I./ bis C./III./ (verbleibend ab 6. Mai 2012) angelastete Verhalten einer neuen Gesamtbeurteilung zu unterziehen auch zu einer Aufhebung der Schuldsprüche wegen der im Zeitraum 6. Mai 2012 bis 24. April 2013 inkriminierten Tathandlungen (C./I./ und C./III./) sowie wegen der am 25. April 2013 angelasteten vorsätzlichen Körperverletzung (C./II./) veranlasst (§ 292 erster Satz StPO iVm § 289 StPO).

Bei den Vergehen der Körperverletzung (C./II./) und der Nötigung (C./III./) handelt es sich um der Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB nicht unterliegende Anknüpfungsdelikte im Sinne des § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB. Diese werden im Fall der Feststellbarkeit eines (neben dem mängelfrei konstatierten Verletzungs [C./II./] und Nötigungsvorsatz [C./III./]) bei den einzelnen Tathandlungen weiters vorliegenden, auf die Ausübung fortgesetzter Gewalt über längere Zeit auch durch die Anknüpfungsdelikte gerichteten Vorsatzes vom Tatbestand des § 107b StGB verdrängt (Spezialität; Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 107b Rz 18 mwN). Bei Nichtvorliegen eines solchen Vorsatzes hinsichtlich der Anknüpfungsdelikte scheidet die Annahme eines Scheinkonkurrenzverhältnisses hingegen aus, sodass der jeweils verwirklichte Tatbestand mit § 107b StGB echt konkurriert (RIS Justiz RS0128942; 13 Os 71/12h mwN). Bei der Strafbemessung ist in solchen Fällen zu beachten, dass (in Relation zu einer Verurteilung hinsichtlich aller Taten ausschließlich nach § 107b StGB) zwar ein Erschwerungsgrund (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) hinzutritt, gleichzeitig aber dem Schuldspruch wegen des Vergehens (oder Verbrechens) nach § 107b StGB geringeres Gewicht zukommt (§ 32 Abs 3 StGB).

Auf die wie dargelegt ausschließlich über die subjektive Tatseite zu beantwortende Frage, ob die von den Schuldsprüchen C./II./ und C./III./ umfassten Taten in den Subsumtionsbereich des § 107b Abs 1 StGB fallen (womit die jeweiligen Anknüpfungsdelikte verdrängt würden), wird im neuerlichen Rechtsgang besonderes Augenmerk zu legen sein.

Rechtssätze
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