JudikaturJustiz12Os129/06x

12Os129/06x – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bruno N***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 17 Hv 79/04p des Landesgerichtes Feldkirch, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1. die Durchführung der Hauptverhandlung am 28. November 2005 in Abwesenheit des Beschuldigten, 2. die Fällung eines Abwesenheitsurteils auch im Umfang eines vom schriftlichen Strafantrag nicht erfassten weiteren Anklagepunktes, 3. die in der Hauptverhandlung entgegen § 252 Abs 1 StPO vorgenommene Verlesung einer Zeugenaussage und 4. das Abwesenheitsurteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 28. November 2005, in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren AZ 17 Hv 79/04p des Landesgerichtes Feldkirch verletzen das Gesetz:

1. Die in der Hauptverhandlung vom 28. November 2005 vorgenommene Verlesung der sicherheitsbehördlichen Aussage des Zeugen Wolfgang S***** im § 252 Abs 1 Z 4 iVm § 488 StPO;

2. das Urteil vom 28. November 2005, soweit Bruno N***** auch wegen der zum Nachteil der Q***** AG begangenen Betrugshandlungen (Punkt 2 des Schuldspruches) verurteilt wurde, in dem in §§ 484 Abs 4, 488 Z 1 StPO und §§ 491 iVm 427 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK;

3. die Unterstellung der im Schuldspruch des genannten Urteils beschriebenen Taten unter § 147 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 136/2004 in den §§ 1, 61 StGB.

Das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 28. November 2005, GZ 17 Hv 79/04p-31, wird aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Bludenz verwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch brachte zum AZ 16 Vr 504/96 (in der Folge AZ 17 Hv 79/04p) des Landesgerichtes Feldkirch am 3. April 1996 einen Strafantrag gegen Bruno N***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB ein. Dem Beschuldigten lag zur Last, er hätte am 9. März 1996 in Bludenz Angestellte der H*****gesellschaft mbH durch Vortäuschen seiner Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit eine Computeranlage samt Zubehör im Gesamtwert von 27.813 S betrügerisch herausgelockt. Infolge Unzustellbarkeit einer Ladung zur Hauptverhandlung (AS 35) wurde das Strafverfahren nach Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung vorerst gemäß § 412 StPO abgebrochen (AS 36).

Am 18. Mai 1998 (AS 45) erfolgte entsprechend einem Antrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch die Einbeziehung einer Anzeige der Q***** AG (33 BAZ 412/98m) gemäß § 56 StPO. Nach dieser mit 1. April 1998 datierten Anzeige stand Bruno N***** im Verdacht, zwischen Februar und März 1996 (richtig laut Rechnungsdatum [S 57-61]: im Februar 1996) in Bludenz Waren im Gesamtwert von 8.079 S zum Nachteil dieses Unternehmens betrügerisch herausgelockt zu haben. Weiters gab die Staatsanwaltschaft Feldkirch die Erklärung ab, den Strafantrag gegen Bruno N***** dahingehend auszudehnen bzw zu modifizieren, dass dieser nunmehr beide - im Umfang des § 207 Abs 2 Z 1, 2 und 3 StPO beschriebenen - Betrugsvorwürfe umfasste (ON 9).

Nach Bekanntgabe einer Wohnanschrift in Italien (ON 13) wurde für 8. Februar 2005 (ON 15) eine Hauptverhandlung anberaumt, zu der Bruno N***** trotz persönlich übernommener Ladung (RS bis ON 15) nicht erschien (S 93).

Am 1. Juli 2005 erfolgte die Vernehmung Bruno N***** zu beiden ihm angelasteten Betrugshandlungen im Rechtshilfeweg (S 29 bis 47 in ON 24). Zur Hauptverhandlung am 28. November 2005 verfügte der zuständige Richter die Ladung des Beschuldigten „mit internationalem Rückschein" und „mit Strafantrag oben (beide)", womit ersichtlich der Strafantrag ON 3 und dessen Modifikation laut ON 9 (33 BAZ 412/98m) gemeint waren (S 133). Dem internationalen Rückschein (bei ON 27) ist weder die persönliche Übernahme der Ladung oder eine Ersatzzustellung durch Hinterlegung zu entnehmen, noch geht daraus eindeutig hervor, welche Aktenteile neben ON 3 als Beilagen mitübersendet wurden und ob eine Kopie der ON 9 angeschlossen war.

Zur Hauptverhandlung am 28. November 2005 ist Bruno N***** nicht erschienen. Obwohl seine ordnungsgemäße Ladung nicht ausgewiesen war, führte der Einzelrichter die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durch. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft dehnte in dieser Hauptverhandlung den von ihr vorgetragenen Strafantrag ON 3 hinsichtlich des Verdachtes des Bestellbetruges zum Nachteil der Q***** AG im Sinne der schriftlichen Ankündigung zu ON 9 aus (S 141).

Im Hauptverhandlungsprotokoll wird weiters festgehalten:

„Einvernehmlich als verlesen gilt der gesamte Akteninhalt. Auf die tatsächliche Durchführung der Verlesung wird verzichtet. Es werden keine besonderen Verlesungen gewünscht und keine Anträge gestellt" (S 143). In der Folge verkündete der Richter das Abwesenheitsurteil, mit dem Bruno N***** des Vergehens „des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 2 StGB aF" schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde. Erst nachträglich, nämlich am 13. Dezember 2005 (ON 33, 35), langte beim Landesgericht Feldkirch das von einem für Bruno N***** einschreitenden italienischen Rechtsanwalt irrig an das Bezirksgericht Feldkirch adressierte Entschuldigungsschreiben samt einem mit 21. November 2005 datierten ärztlichen Attest ein, wonach der Angeklagte wegen akuter Bronchitis und anderer Leiden 15 Tage Ruhe und häuslicher Pflege bedürfe, weswegen er den Termin der Hauptverhandlung nicht wahrnehmen könne. Die Zustellung der Urteilsausfertigung mit der für Abwesenheitsurteile vorgesehenen Rechtsmittelbelehrung wurde nach einem am 6. Juni 2006 beim Landesgericht Feldkirch eingelangten Zustellnachweis am 11. Mai 2006 durchgeführt.

Mit Schreiben vom selben Tag erklärte der Verurteilte „keine Berufung gegen das verkündete Urteil einzuleiten" (ON 42). Auch ein Einspruch ist nicht aktenkundig. Das Urteil ist daher rechtskräftig.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Einzelrichters des Landesgerichtes Feldkirch steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden insoweit zutreffend aufzeigt - in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Zu der ersichtlich durch die frühere Rechtslage, die einen Verlesungsverzicht kannte (§ 252 Abs 2 StPO idF bis zur Strafprozessnovelle 2005), motivierten Protokollierung:

„Einvernehmlich als verlesen gilt der gesamte Akteninhalt. Auf die tatsächliche Durchführung der Verlesung wird verzichtet" (S 143) ist zu bemerken, dass die Art des Vorkommens von Aktenstücken in der Hauptverhandlung, nämlich Verlesung, Vorführung (§ 252 Abs 1 und Abs 2 StPO) oder zusammenfassender Vortrag des Vorsitzenden (§ 252 Abs 2a StPO), im Protokoll klar zum Ausdruck kommen soll (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 143; Danek, WK-StPO § 271 Rz 17f; 15 Os 125/06f). Jedenfalls haben die Tatrichter den Schuldspruch zu Punkt 1 des Urteilstenors aber auch auf die solcherart in das Verfahren eingeführte, Teil der Anzeige (ON 2) bildende Aussage des in der Hauptverhandlung nicht vernommenen stellvertretenden Filialleiters der H*****gesellschaft mbH Wolfgang S***** (S 23 f) gestützt (US 5). Nach der - gemäß § 488 StPO auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da aus dem Nichterscheinen des Beschuldigten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis im Sinne des § 252 Abs 1 Z 4 StPO nicht abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0117012; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103) und nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für einen der sonstigen Ausnahmetatbestände des § 252 Abs 1 StPO vorliegen, war die Verlesung der in Rede stehenden Zeugenaussage unzulässig (15 Os 126/06b; 13 Os 112/06d). Damit ist aber nicht auszuschließen, dass sich die - im Übrigen mit Nichtigkeitssanktion (§§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 3 StPO) verknüpfte - Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat.

2. Bruno N***** wurde zwar sowohl zu dem vom Strafantrag umfassten Betrugsfaktum als auch zum Vorwurf des Betruges zum Nachteil der Q***** AG im Rechtshilfeweg gerichtlich vernommen, die Stellung eines den formalen Voraussetzungen des § 484 Abs 1 und Abs 2 StPO genügenden schriftlichen Strafantrages ist jedoch unterblieben. Überdies ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich, dass der Verurteilte von dem weiteren wider ihn erhobenen Anklagevorwurf Kenntnis erlangt hat. Vielmehr wurde der Strafantrag erst in der Hauptverhandlung am 28. November 2005 ausgedehnt.

Die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung kommen aber nur dann zum Tragen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeine Vorschrift der §§ 483 f StPO einen schriftlichen Antrag auf Bestrafung nachzutragen.

War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteiles darauf unzulässig, weil der Beschuldigte ungeachtet der früheren Vernehmung zu diesem Faktum (Jerabek, WK-StPO §§ 427 Rz 12) solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 484 Abs 4, 488 Z 1 StPO und §§ 491 iVm 427 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK verletzt (14 Os 20/99).

3. Letztlich erweist sich die Unterstellung der inkriminierten Taten unter § 147 Abs 2 StGB (aF) als verfehlt. Mit dem am 1. Jänner 2005 in Kraft getretenen Budgetbegleitgesetz 2005, BGBl I 136/2004, wurde (ua) der strafbestimmende Wert des § 147 Abs 2 StGB auf 3.000 Euro erhöht.

Gemäß §§ 1, 61 StGB ist ein Gesetz auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten nur anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren. Da die höhere Wertgrenze des § 147 Abs 2 StGB idF des Budgetbegleitgesetzes 2005, die eine Subsumierung der inkriminierten Tathandlungen angesichts eines Schadensbetrages von insgesamt 2.608,37 Euro nur noch unter den Tatbestand des Betruges nach § 146 StGB zulässt, für den Angeklagten jedenfalls günstiger ist, widerspricht die Annahme der Wertqualifikation des § 147 Abs 2 StGB (aF) dem Gesetz und hat sich auch zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt.

Da auch hinsichtlich der übrigen Gesetzesverletzungen nicht auszuschließen ist, dass sie dem Beschuldigten zum Nachteil gereichten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das bezeichnete Urteil zur Gänze aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung vor dem nunmehr zuständigen Bezirksgericht Bludenz anzuordnen.

Die darüber hinaus vom Generalprokurator geltend gemachte Verletzung des § 427 Abs 1 StPO infolge mangelnden Zustellnachweises zum Zeitpunkt der Durchführung der Hauptverhandlung liegt hingegen nicht vor.

Eine Verhandlung in Abwesenheit hat gemäß § 427 Abs 1 StPO unter anderem zur Voraussetzung, dass dem Angeklagten die Vorladung zur Hauptverhandlung noch persönlich, das heißt zu eigenen Handen (§ 21 ZustG), allenfalls im Wege der Hinterlegung (§ 17 ZustG), zugestellt wurde. Eine Ersatzzustellung (§ 16 ZustG) reicht nicht aus, es sei denn die Ladung ist dem Angeklagten tatsächlich zugekommen (§ 7 ZustG). Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist die Verhandlung und Verurteilung in Abwesenheit auch dann rechtmäßig, wenn der Nachweis der rechtzeitigen Zustellung erst nachträglich bei Gericht einlangt (aA, jedoch ohne Begründung 9 Os 1, 2/71, 14 Os 44/03), wenngleich es in der Praxis nicht ratsam sein wird, ohne Zustellnachweis zu verhandeln und damit eine Gesetzesverletzung zu riskieren. Da dem am 13. Dezember 2005 eingelangten Entschuldigungsschreiben das tatsächliche Zukommen der Ladung spätestens am 21. November 2005 zu entnehmen ist und solcherart die Frist des § 221 Abs 1 iVm § 488 StPO gewahrt wurde, war eine Verhandlung in Abwesenheit im vorliegenden Fall zulässig.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes daher zu verwerfen.

Rechtssätze
5
  • RS0111828OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Unzulässigkeit im Abwesenheitsverfahren. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wurde im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht der Bestrafungsantrag erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung auf einen weiteren Deliktszeitraum ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen. War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.