JudikaturJustiz12Os119/05z

12Os119/05z – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Februar 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Popelka als Schriftführer in der Strafsache gegen DI Wolfgang F***** wegen des Verbrechens nach § 3h VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29. August 2005, GZ 411 Hv 1/05v-46, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich gefassten Widerrufsbeschluss nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Mag. Schuster, I. zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Berufung des Angeklagten Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 18 (achtzehn) Monate herabgesetzt. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II. den Beschluss

gefasst:

In Stattgebung der Beschwerde wird der Widerrufsbeschluss aufgehoben, vom Widerruf der bedingten Nachsicht des mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. September 2003 zu AZ 427 Hv 4304/00y bedingt nachgesehenen Strafteils von zwei Jahren Freiheitsstrafe abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Text

Gründe:

Mit dem auf den Wahrspruch der Geschworenen gegründeten angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte DI Wolfgang F***** des Verbrechens nach § 3h VG schuldig erkannt.

Danach liegt ihm zur Last, zwischen Dezember 2004 und Februar 2005 öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord bzw andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleugnet bzw gröblich verharmlost zu haben, in dem er unter dem Titel „Galilei 2000 - Dokumentation eines politischen Schauprozesses am Landesgericht für Strafsachen Wien im Jahr 2003" eine CD-Rom an zahlreiche Stellen verschickte und zwar

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6, 8 und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. In seiner Fragenrüge (Z 6) bemängelt der Beschwerdeführer zu Unrecht, dass den Geschworenen keine Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund des Rechtsirrtums (§ 9 StGB) gestellt wurde.

Gemäß § 9 Abs 1 StGB handelt nicht schuldhaft, wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht erkennt, sofern ihm der Rechtsirrtum nicht vorzuwerfen ist. Vorwerfbar ist Rechtsirrtum nur dann, wenn das Unrecht der Tat für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre (Abs 2 leg cit). Ist der Irrtum vorzuwerfen, so ist auf den vorsätzlich handelnden Täter für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden (Abs 3).

Eine Zusatzfrage nach einem Straflosigkeitsgrund (hier Schuldausschließungsgrund) ist immer dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Bestrafung nicht zulassen würden. Ein Tatsachenvorbringen, das den Schwurgerichtshof zur Stellung solcher Zusatzfragen verpflichtet, muss in der Verantwortung des Angeklagten oder in den Ergebnissen des Beweisverfahrens seinen Ausdruck finden. Die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens ist den Geschworenen vorbehalten. Hingegen hat der Schwurgerichtshof die rechtliche Bedeutung der vorgebrachten Tatsachen in der Richtung zu prüfen, ob sie - ihre Wahrheit vorausgesetzt - ua durch einen den Täter unterlaufenen und ihm nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum die Schuld ausschließen. Dies ist aber hier nicht der Fall. Dem Beschwerdeführer liegt die durch ein Vorwort kommentierte Verbreitung maßgeblicher Aktenteile aus dem Verfahren zu AZ 427 Hv 4304/00y des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur Last, in dem dieser im September 2003 rechtskräftig wegen des Verbrechens nach § 3h VG verurteilt worden ist. In diesem Vorwort sucht der Beschwerdeführer sein dieser Vorverurteilung zu Grunde liegendes Verhalten zu rechtfertigen und den nationalsozialistischen Völkermord mit dem Ziel einer Revision des „herrschenden Geschichtsbildes" schlechthin in Abrede zu stellen. Die Rüge stützt sich der Sache nach auf einen - angeblich indizierten - indirekten Verbotsirrtum, indem sie das Wissen des Beschwerdeführers um die Strafrechtswidrigkeit der Äußerung an sich zugesteht, aber einwendet, dieser hätte zum Ausdruck gebracht, auf Grund der von ihm gewählten Form einer „Urteilsschelte" von deren Zulässigkeit ausgegangen zu sein. Dabei übersieht sie, dass sich der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung zwar damit verantwortet hat, mit seiner Aussendung bloß auf eine "Urteilsschelte" abgezielt und Antworten von maßgeblicher Seite erwartet zu haben, er jedoch niemals behauptet hat, dass der Inhalt seines Vorwortes und dessen Aussendung von irgend einer maßgeblichen Stelle für rechtens befunden worden wäre. Vielmehr hat er in einer Aussendung ausdrücklich darauf hingewiesen, „von offizieller Seite ... kein grünes Licht" für eine Veröffentlichung erhalten (ON 8 Beilage ./3) und auch eine erteilte Antwort als Warnung verstanden zu haben (S 205/II). Damit fehlt es an einem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, das - wird es als erwiesen angenommen - ausreichen würde, die Schuld des Beschwerdeführers im Sinne des § 9 StGB auszuschließen.

Die Instruktionsrüge (Z 8) geht gleichfalls fehl:

Die Einordnung des Tatvorsatzes als psychologisches Schuldelement (nach der normativen Schuldauffassung) oder als personales Unrechtselement des Tatbestandes (nach dem personalen Verbrechensbegriff) bleibt als „reine Systemfrage" ohne Einfluss auf die damit verbundenen Sachfragen (insbesondere nach dem Inhalt, den Arten, dem Umfang und den Grenzen des Vorsatzes), weshalb beide Auffassungen nach vorherrschender Meinung als gleichwertig gelten (insbesondere Kienapfel/Höpfel AT11 Z 15 Rz 24 und 25). Weshalb die Bezeichnung des Vorsatzes als psychologisches Schuldelement in der Rechtsbelehrung (S 2) geeignet sein soll, für den Angeklagten zu „negativen Auswirkungen" zu führen, ist demnach nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerde nicht aufgezeigt.

Der Ausschluss des Vorsatzes bei Tatirrtum - in Bezug auf den Bedeutungsinhalt der ein normatives Tatbildmerkmal darstellenden Publizität der Begehungsweise - geht an sich bereits aus der in der Rechtsbelehrung enthaltenen Vorsatzdefinition des § 5 Abs 1 StGB und der Bezugnahme auf den dort ebenfalls erörterten Begriff des Tatbildirrtums hervor und findet in den Ausführungen zur subjektiven Tatseite die erforderliche Ergänzung, die im unmittelbaren Anschluss an den Hinweis auf die Notwendigkeit der Bedeutungskenntnis des Inhaltes des inkriminierten Vorwortes nach Art einer „Parallelwertung in der Laienssphäre" ausführen, dass sich der (bedingte) Vorsatz des Täters auch auf die qualifiziert öffentliche Begehungsweise der Tat beziehen muss (S 4, 18 und 19 der Rechtsbelehrung). Da die Öffentlichkeit eines Verhaltens immer dann anzunehmen ist, wenn keine Gewähr besteht, dass die Mitteilung nicht über einen relativ kleinen oder zumindest sehr geschlossenen und gleichsam unter Geheimhaltungspflicht stehenden Kreis hinauslangt (wbl 1989, 130), gereicht nach Lage des Falles (Aussendung an mehr als 290 Empfänger) die Passage der Rechtsbelehrung, wonach bei Aussendung an einen die Zahl 30 unterschreitenden Personenkreis eine damit verbundene Aufforderung, von einer Weiterverbreitung an Dritte Abstand zu nehmen, dahin zu prüfen wäre, ob ihr nicht bloß der Charakter einer bloßen Schutzbehauptung zukäme, nicht zum Nachteil. Abgesehen davon, dass es sich bei den in § 3h VG umschriebenen Tathandlungen um rechtlich gleichwertige Abarten ein und desselben Delikts handelt, sodass selbst die rechtsirrtümliche Annahme mehrerer derartiger Handlungen keine verstärkte Tatbildmäßigkeit oder sonst einen Nachteil für den Beschwerdeführer bedeuten würde (JBl 1997, 471), wurde in der Rechtsbelehrung ohnehin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (neben dem fallaktuellen Leugnen nationalsozialistischer Verbrechen und anderer hier nicht relevanter Abarten der Tatbegehung) nur gröbliches Verharmlosen nationalsozialistischer Verbrechen tatbestandsmäßig ist (S13). Zudem ist auch in den Ausführungen zur subjektiven Tatseite insoweit vom Erfordernis des groben Verniedlichens derartiger Verbrechen die Rede und ferner der Hinweis enthalten, dass der Täter den leugnenden bzw „groß" (gemeint: „grob") verharmlosenden Charakter seiner Äußerungen nach Laienart richtig einschätzen muss (S 18 der Rechtsbelehrung). Die vom Beschwerdeführer überdies vermisste Erörterung des Begriffes der „gröblichen" Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen war nicht geboten, weil der Bedeutungsinhalt dieses dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommenen Ausdruckes im vorliegenden Zusammenhang unzweifelhaft für jedermann auch ohne eine diesbezügliche Aufklärung verständlich ist.

Entgegen der Beschwerdeauffassung ist die Rechtsbelehrung schließlich auch in Ansehung der nach § 3h VG erforderlichen qualifiziert öffentlichen Begehungsweise zutreffend. Die betreffende Tat muss öffentlich auf eine Weise begangen werden, dass die strafbare Äußerung vielen Menschen zugänglich wird. Unter dem Begriff „viele" Menschen sind etwa 30 Personen zu verstehen, wobei es sich bei diesem Zahlenbegriff um einen bloßen Richtwert handelt, der eben ab einer Anzahl von 30 Personen oder einer größeren Personenanzahl anzunehmen ist (insbesondere Mayerhofer in WK2 § 169 Rz 10). Hingegen setzt der genannte Mengenbegriff nicht eine so große Zahl von Menschen voraus, dass der betroffene Personenkreis unüberschaubar wäre. Bei der verfahrensgegenständlichen Zahl von mehr als 290 Aussendungen ist daher der vorerwähnte Richtwert weit überschritten. Für den von der Beschwerde vermissten Hinweis in der Rechtsbelehrung, wonach der Richtwert bei Überschaubarkeit des Adressatenkreises weit höher als der genannte Wert liegen könne, bestand demnach kein Anlass. Schließlich versagt auch die Rechtsrüge (Z 11 lit a), wonach seine Aussendungen an einen - wenn auch großen - ausgesuchten Kreis von Entscheidungsträger des öffentlichen Lebens vertraulichen Charakter hatten und es daher am Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit fehlte. Davon abgesehen, dass der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang wieder auf seine unzutreffende Auffassung vom Mengenbegriff „vieler Menschen" als eine unüberschaubare und auch unbestimmte Menschenmenge zurückgreift und zudem verkennt, dass nach § 3h VG eine öffentliche Aussendung vielen Menschen zugänglich sein muss, jedoch Öffentlichkeit bereits ab Wahrnehmbarkeit der strafbaren Handlung durch einen größeren Personenkreis, die bereits ab einem Richtwert von etwa 10 Personen gegeben ist, vorliegt (Jerabek WK-StGB² § 69 Rz 2), reklamiert er auch zu Unrecht Vertraulichkeit für die tatgegenständlichen Aussendungen. Bei Prüfung der Frage, ob Vertraulichkeit vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Schon Freunde und Bekannte, die zum Täter nur in einer losen Beziehung stehen, stellen einen vertraulichen Kreis nicht her, vielmehr ist eine weitaus engere Nahebeziehung, wie etwa zwischen Angehörigen im Familienverband erforderlich. Vertraulichkeit kann nur zugebilligt werden, wenn nicht nur nach den etwaigen subjektiven Intentionen des Handelnden, sondern auch nach den objektiven Umständen Gewähr zur Annahme besteht, dass die Wahrnehmbarkeit der Handlung über einen geschlossenen und gewissermaßen unter Geheimhaltungspflicht stehenden Kreis nicht hinauslangt. Von einer derartigen Gewähr kann bei einem Adressatenkreis von mehr als 290 Adressaten, von denen ein nicht geringer Teil sogar zur Anzeigeerstattung verpflichtet war, nicht ernsthaft die Rede sein. Vielmehr hat der Angeklagte nach dem Wahrspruch der Geschworenen öffentlich gehandelt, wodurch die von ihm reklamierte Vertraulichkeit ausgeschlossen wurde (Jerabek aaO § 69 Rz 4).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilten den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 3g Vergehen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Zugleich widerrief es die bedingte Nachsicht des mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. September 2003 zu AZ 427 Hv 4304/00y bedingt nachgesehen Strafteils von zwei Jahren Freiheitsstrafe.

Bei der Strafzumessung wertete es das Tatsachengeständnis mildernd; erschwerend berücksichtigte es hingegen die einschlägige Vorverurteilung und den raschen Rückfall.

Gegen diesen Strafausspruch richten sich die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft. Allein die Rechtsmittel des Angeklagten sind berechtigt. Während die Staatsanwaltschaft für die angestrebte Erhöhung der Freiheitsstrafe substantiell nichts ins Treffen zu führen vermag, weist der Angeklagte zutreffend darauf hin, dass das Erstgericht seine Persönlichkeitsstörung zusätzlich mildernd zu berücksichtigen gehabt hätte. Denn der psychiatrische Sachverständige Dr. P***** attestierte dem Beschwerdeführer, dass aus seiner erhöhten Selbstbezogenheit und Selbstunsicherheit paranoide Gedankeninhalte mit querulatorisch fantastischen Inhalten resultieren (ON 28), wodurch seine personale Täterschuld vermindert wird. Dieser zusätzlich anzunehmende Milderungsgrund und die den sozialen Störwert des inkriminierten Verhalten reduzierende Auswahl der Adressaten der verbotenen Äußerung rechtfertigen die im Spruch ersichtliche Herabsetzung der Freiheitsstrafe.

In Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zu einer spürbaren unbedingten Freiheitsstrafe ist nach Lage des Falles bei gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre auch der Widerruf des anlässlich der Erstverurteilung bedingt nachgesehenen Strafteils zusätzlich zu dieser nicht geboten.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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