JudikaturJustiz12Os117/21d

12Os117/21d – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin AAss Schaffhauser in der Strafsache gegen ***** K***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 20 Hv 14/21a des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 31. M ärz 2021, GZ 20 Hv 14/21a 27, wurde ***** K***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB (1./) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

[2] Der dagegen vom Angeklagten ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit und der Aussprüche über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 1. Juli 2021 keine Folge (ON 40).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wiederum richtet sich der eine Verletzung des Art 6 MRK behauptende, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

[4] Grundlage eines Erneuerungsantrags im (wie hier) erweiterten Anwendungsbereich (vgl RIS Justiz RS0122228) ist eine als grundrechtswidrig bezeichnete (letztinstanzliche) Entscheidung oder Verfügung eines dem Obersten Gerichtshof untergeordneten Strafgerichts (vgl dazu Rebisant , WK StPO §§ 363a–363c Rz 34 ff). Der A ntrag hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 16; zur sinngemäßen Geltung aller gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl RIS Justiz RS0122737) – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359).

[5] Die Behandlung eines Erneuerungsantrags bedeutet daher nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS Justiz RS0129606 [T2, T3], RS0132365).

[6] Soweit der Erneuerungsantrag größtenteils unter wörtlicher Wiedergabe des Berufungsvorbringens Befangenheit der im gegenständlichen Strafverfahren zuständig gewesenen Einzelrichterin des Landesgerichts aufgrund ihres Verhaltens in der Hauptverhandlung (Verweigerung der Zulassung einer bestimmten Frage an den Angeklagten [ON 22 S 25]) behauptet und die Abstandnahme von (beantragten) Beweisaufnahmen kritisiert (ON 26 S 22), argumentiert er nicht auf Grundlage der (allein maßgeblichen) letztinstanzlichen Entscheidung.

[7] Eine Verletzung des Art 6 MRK wird aber auch durch das Vorbringen, das Oberlandesgericht habe sich im Zusammenhang mit der geltend gemachten Befangenheit der Tatrichterin mit der abgelehnten Fragestellung nicht „inhaltlich“ auseinandergesetzt und daher „der Verteidigung eine sachgerechte Auseinandersetzung“ verweigert, nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht. Denn der Erneuerungswerber unterlässt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Berufungsgerichts, das die Prüfung der Befangenheit nach objektivem Maßstab (vgl dazu RIS Justiz RS0120757) anhand der in der Berufung vorgebrachten Argumente vorgenommen und im Ergebnis nach dem äußeren Anschein berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit der Entscheidungsträgerin oder die Gefahr der Voreingenommenheit derselben verneint hat (ON 40 S 43).

[8] Mit unklarem Hinweis auf Art 7 Abs 2 der Richtlinie (EU) 2016/800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (nachfolgend kurz: RL Jugendstrafverfahren; zu den gemäß § 43 Abs 1 JGG beauftragten Jugenderhebungen siehe ON 1 S 7 und zum darüber erstatteten Bericht der Familien- und Jugendgerichtshilfe Feldkirch siehe ON 1 S 7 und ON 13), erachtet der Erneuerungswerber Art 6 MRK weiters dadurch für verletzt, dass „beide Instanzen“ die „individuelle Begutachtung“ des Angeklagten in Gestalt eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit seiner (auch) die subjektive Tatseite bestreitenden Verantwortung nicht veranlasst hätten (siehe zum Beweisantrag ON 22 S 30 und der im Erneuerungsantrag wiederholten Argumentation der Nichtigkeitsberufung ON 32 S 4 bis 11; vgl aber zu den im angesprochenen EU-Rechtsakt normierten „Zwecken der individuellen Begutachtung“ Art 7 Abs 1 RL Jugendstrafverfahren) . Er setzt sich dabei aber mit der bloßen Behauptung einer „umfassenden Begründungsverweigerung“ neuerlich nicht mit den (anhand des Rechtsmittelvorbringens entwickelten) Argumenten des Oberlandesgerichts (ON 40 S 43 ff) auseinander, denen zufolge die Voraussetzungen für ein (nur in Ausnahmefällen in Betracht kommendes [RIS Justiz RS0120634]) aussagepsychologisches Gutachten nicht vorgelegen wären.

[9] Im Übrigen prüft der EGMR unter dem Aspekt von Art 6 Abs 1 MRK lediglich, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das Strafverfahren als Ganzes unfair erscheinen lässt, wobei die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten ist (RIS Justiz RS0120958; Grabenwarter/Pabel EMRK 7 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet. Davon ausgehend zeigt der Erneuerungswerber mit dem zuvor wiedergegeben Vorbringen weder eine Verletzung des von Art 6 Abs 1 MRK vorgegebenen Begründungsstandards (vgl dazu RIS Justiz RS0129981) noch einen aus dem Unterbleiben der begehrten Beweisaufnahme im Berufungsverfahren resultierenden Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren (vgl dazu RIS Justiz RS0131763) auf.

[10] Der solcherart unzulässige Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

[11] Bleibt anzumerken, dass das Gesetz keine Grundlage für die angeregte (amtswegige) außerordentliche Wiederaufnahme aus Anlass eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens bietet (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO). Für die vorliegende Konstellation der Befassung des Obersten Gerichtshofs mit einer Strafsache unter dem spezifischen Aspekt behaupteter Grundrechtsverletzung ist eine Gesetzeslücke als Voraussetzung analoger Anwendung nicht auszumachen (RIS Justiz RS0131764).

Rechtssätze
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