JudikaturJustiz12Os106/02

12Os106/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Habl, Dr. Zehetner, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alexander K***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 13. Mai 2002, GZ 33 Hv 1143/01p-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten Alexander K***** und seines Verteidigers Mag. Götsch zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Alexander K***** wurde der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) sowie des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB (III) und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt. Danach hat er in Lend

zu I.: dadurch, dass er sich jeweils von dem am 15. Juni 1988 geborenen, somit unmündigen Manuel E***** mit der Hand befriedigen ließ, "bzw" dadurch, dass er jeweils onanistische Handlungen an dessen Geschlechtsteil vornahm, außer dem Fall des § 206 StGB von einer unmündigen Person eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen lassen bzw an dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, und zwar

A: Anfang Jänner 1998 und

B: ca drei Tage nach dem Vorfall A;

zu II.: Anfang Jänner 1998 (unmittelbar nach den zu I./A geschilderten Handlungen) Manuel E***** durch die Äußerung, dass er ihn "herschlagen" werde, wenn er jemandem von diesen Vorfällen erzähle, mithin durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Körperverletzung, zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von der Mitteilung des sexuellen Übergriffes durch ihn an dritte Personen, zu nötigen versucht;

zu III.: am 29. November 2000 fremde bewegliche Sachen, nämlich einen Radiorekorder der Marke TCM Stereo CD im Wert von 769,-- S sowie Faschingsutensilien in unbekanntem Wert, dem Walter G***** durch Aufbrechen des Vorhangschlosses zu dessen Dachbodenabteil, sohin durch Einbruch, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Schuldsprüche gerichtete, auf Z 3, 5, 5a sowie 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Der die mangelnde Entbindung des in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommenen Gendarmeriebeamten Gruppeninspektor Günther R***** als Nichtigkeitsgrund relevierende Beschwerdeeinwand (Z 3) geht ins Leere, weil bei bestehender Anzeigepflicht nach § 84 StPO (vgl vorliegend ON 10a) Amtsverschwiegenheit hinsichtlich des der Anzeige zu Grunde liegenden Tatsachensubstrats sowie über dienstliche Wahrnehmungen als Organ im Dienste der Strafjustiz nicht in Betracht kommt (Mayerhofer StPO4 § 84 E 3, § 151 E 14; Foregger/Fabrizy StPO8 § 151 Rz 10).

Unter dem Gesichtspunkt vermeintlich unvollständiger, mangelhafter, fehlender und offenbar unzureichender Begründung erschöpft sich die Mängelrüge (Z 5) in einem Versuch der Bekämpfung der Beweiswürdigung, partiell auf spekulativer Basis sowie durch isolierte Hervorhebung bloß einzelner, die Annahme der Glaubwürdigkeit des Zeugen Manuel E***** erörternder Urteilserwägungen (US 7), wie etwa mit der wiederholten, teilweise pauschal (Beschwerde Punkt 2./b und c) - ohne deutliche und bestimmte Bezeichnung der angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umstände - gehaltenen Behauptung der Widersprüchlichkeit seiner Angaben zu Punkt I./A und II./ des Schuldspruches. Derart wird die insgesamt ausführliche und mit den Gesetzen der Logik im Einklang stehende Beweiswürdigung des Schöffengerichts durch Erörterung des Beweiswertes der den Beschwerdeführer belastenden Teile der Zeugenaussage unter Betonung von bestimmten, ihn vermeintlich entlastenden Divergenzen nach Art einer hier unzulässigen Schuldberufung angezweifelt. Die dazu ins Treffen geführten Widersprüche in der Darstellung des Zeugen wurden vom Erstgericht hinlänglich (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) - wenngleich nicht mit dem in der Beschwerde angestrebten Ergebnis - berücksichtigt (US 7 f, 9) und lassen ohne Ausnahmen den für die strafrechtliche Beurteilung maßgebenden Kern der inkriminierten Tathandlung (Handbefriedigung durch das Opfer sowie an diesem) unberührt. Die teilweise leugnende Verantwortung des Angeklagten haben die Tatrichter im Einzelnen für widerlegt erachtet (US 6-11), wobei sie im Sinne der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe nicht auf deren "Gleichbleiben" einzugehen brauchten. Der Beschwerdeführer verschweigt außerdem in seinem Vorbringen (Punkt 2./b), dass er vorerst nur des sexuellen Missbrauchs an Manuel E***** "am Dachboden" (I./B) verdächtig war (S 5, 17) und sich die Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter (S 23) sowie die Befundung des Sachverständigen (S 77) hierauf beschränkten. Der gutachterlichen Negation der "Störung der Sexualpräferenz" im Sinne einer Neigung zu einem "abnormen sexuellen Verhalten" (S 109), sohin dem Fehlen von psychiatrisch fassbaren pädophilen oder homosexuellen Symptomen, kommt entgegen den Beschwerdeausführungen (Punkt 2./a) keine Relevanz für die Frage der Tatbegehung zu. Das Schuldspruchfaktum III ist keineswegs deshalb unvollständig begründet, weil das empirisch unauffällige Fehlen von personenbezogenen Spuren am Radiorekorder (S 73c) unerörtert blieb. Dieser Umstand stellt die Täterschaft des Angeklagten nicht in Frage, weshalb eine Erwähnung in den Urteilsgründen entbehrlich war. Eine Aktenwidrigkeit erblickt der Beschwerdeführer darin, dass das Jugendschöffengericht hinsichtlich des Tatzeitpunktes bei Faktum III vom 29. November 2000 ausging, obwohl die Übersiedlung nach Ansicht des Beschwerdeführers bereits im Oktober 2000 stattgefunden und die Zeugin G***** das Gerät "erst im November" gekauft haben soll (S 137 Mitte; gegenteilig aber die Aussage des Zeugen Walter G***** vor der Gendarmerie S 73d, wonach der Kauf im Oktober stattgefunden habe). Eine Nichtigkeit bewirkende Aktenwidrigkeit könnte jedoch nur dann vorliegen, wenn der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichten Teilen im Urteil unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (Foregger/Fabrizy StPO8 § 281 Abs 1 Z 5 StPO Rz 47), was aber hier nicht zutrifft (vgl auch US 5 unten: Übersiedlung "um den 29. November 2000"). Die Anführung der Tatzeit im Spruch eines Urteils hinwieder dient in der Regel als eines der Elemente der Individualisierung der Tat; wird diese aber durch andere konkrete Umstände so weit umschrieben, dass sie - wie hier - mit einer anderen Straftat nicht verwechselt werden kann ("ne bis in idem"), so stellt selbst eine unzutreffende Tatzeitbezeichnung keine Nichtigkeit dar (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 18; 13 Os 136/01).

Die Beschwerde zeigt sohin keine formalen Begründungsmängel auf. Auch die umfängliche Tatsachenrüge (Z 5a), die sich gegen die Schuldsprüche I/A und III richtet, ist nicht berechtigt. Denn mit bloß einzelnen, isoliert aus dem Zusammenhang gelösten Details aus dem Sachverständigengutachten (ON 11) und scheinbaren, sich auf Nebensächlichkeiten beziehenden (Angabe über zeitliche Dauer der Übergriffe, Anbot von Schokolade) Widersprüchlichkeiten in der Aussage des Zeugen Manuel E*****, ohne jedoch die gegen die Verantwortung des Nichtigkeitswerbers sprechenden Umstände, auf die sich das Schöffengericht stützt, zu berücksichtigen, vermag die Beschwerde aus dem Akteninhalt keine erheblichen Bedenken an der Richtigkeit entscheidender festgestellter Tatsachen in Bezug auf das Missbrauchsfaktum "im Kinderzimmer" (I/A) zu erwecken. Der Beschwerdeführer bekämpft vielmehr abermals in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des erkennenden Schöffengerichtes.

Gleiches gilt für das Vorbringen zum Schuldspruch wegen des Einbruchsdiebstahls (III), in welchem der Angeklagte spekulativ seine Reaktion auf den Tatvorwurf sowie zeitliche Momente des Geschehensablaufes erörtert, um damit seiner leugnenden Verantwortung doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.

Der im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) gegen den Diebstahlsschuldspruch (III) erhobene Vorwurf, Feststellungen zur "objektiven und subjektiven Tatseite" des § 127 StGB, namentlich zum Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz seien überhaupt nicht oder nur unter Verwendung der verba legalia getroffen worden, orientiert sich nicht am Urteilssachverhalt (US 2, 5 unten f) und lässt darüber hinaus auch alle damit im Kontext stehenden wesentlichen Entscheidungpassagen prozessordnungswidrig außer Acht (US 9 bis 11). Bei Ausführung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe muss unter Heranziehung der tatsächlich getroffenen Urteilsfeststellungen ein Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz vorgenommen und auf dieser Grundlage die Argumentation entwickelt werden, weswegen dem Erstgericht bei deren Beurteilung ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 9a E 5). Diesem Erfordernis wird durch die bloße Wiedergabe lehrbuchhafter Definitionen (wie hier) keineswegs Genüge getan.

Auch die Verjährung einwendende Rechtsrüge (Z 9 lit b) zum Schuldspruch wegen versuchter Nötigung nach §§ 15, 105 StGB (II) geht fehl.

Der Beschwerde ist zwar insofern beizupflichten, dass die Verjährungsfrist zufolge der Bestimmung des § 5 Z 4 JGG - weil nicht von der Ausnahmebestimmung der Z 7 erfasst - bei diesem Vergehen ein Jahr beträgt (Jesionek JGG3 § 5 RN 37, 38), sie verfehlt aber die gesetzeskonforme Anwendung der Bestimmungen über die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 58 Abs 2 StGB: Nach den Feststellungen des Tatgerichts fand der dem Angeklagten angelastete (zweite, eine Verjährungsfrist von fünf Jahren auslösende - § 57 Abs 3 StGB) sexuelle Missbrauch von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./B des Schuldspruchs) ca drei Tage nach dem ersten Vorfall (I./A) sowie der im Anschluss daran versuchten Nötigung (II) statt. Bei (wenngleich kurz) nacheinander, innerhalb der Verjährungsfrist begangenen Taten, welche dadurch verbunden sind, dass sie auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, erfährt die Frist, nach deren Ablauf die Strafbarkeit aufgehoben ist, eine Verlängerung (§ 58 Abs 2 StGB), sodass Verjährung gemeinsam eintritt.

Der dem Beschwerdeführer angelastete sexuelle Missbrauch von Unmündigen ist fallbezogen gegen dasselbe Rechtsgut (Schutz der psychischen, vor allem sexuellen Entwicklung eines Unmündigen - Schick in WK-StGB2 § 207 Rz 2) wie die (dasselbe unmündige Opfer betreffende) Nötigung (Willensbildungsfreiheit, sohin psychische Integrität) gerichtet und beruht - kriminologisch gesehen - auf der gleichen schädlichen Neigung (Jerabek in WK-StGB2 § 71 Rz 8; 13 Os 139/99).

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über Alexander K***** nach § 129 StGB unter Anwendung der §§ 28 und 36 StGB eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen sowie die Tatwiederholung (zu Faktum I) als erschwerend, hingegen das Teilgeständnis (zu Faktum I./B), die teilweise Schadensgutmachung (zu III), den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist (zu II), das Alter des Angeklagten zur Tatzeit unter 21 Jahren sowie seine eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit und den länger zurückliegenden Tatzeitraum (zu I und II) als mildernd.

Gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit welcher er zunächst mit Hinweis auf das Überwiegen der Milderungsgründe eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe durch Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung gemäß § 41 Abs 1 StGB begehrt. Dabei übersieht der Berufungswerber, dass angesichts der vom Erstgericht herangezogenen Bestimmung des § 36 StGB die Untergrenze des Strafrahmens ohnedies entfallen ist. Eine Reduzierung des Strafausmaßes ist aber bei gebührender Gewichtung aller Strafbemessungskriterien auch unter Einbeziehung der Tatsache der bisherigen gerichtlichen Unbescholtenheit des Angeklagten in Anbetracht des erheblichen Unrechtsgehaltes der Straftaten nicht geboten.

Der weiteren Berufungsargumentation zur begehrten (bedingt nachzusehenden) Geldstrafe anstatt der verhängten Freiheitsstrafe ist zu erwidern, dass vorliegend infolge der fallbezogen gegebenen präventiven Belange, die sich im mehrfachen sozialschädlichen Verhalten des Beschwerdeführers manifestieren, die reklamierte Anwendung der Bestimmung des § 37 Abs 1 StGB nicht in Betracht kommt. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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