JudikaturJustiz11Os34/04

11Os34/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl F***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Schöffengericht vom 15. Dezember 2003, GZ 16 Hv 22/03v-102, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl F***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis September 2002 in Hausbach

1. mit seiner am 10. November 1988 geborenen, sohin unmündigen Tochter Barbara wiederholt den Beischlaf unternommen, indem er seinen Penis in die Scheide des Kindes einführte;

2. durch die unter Punkt 1 beschriebenen Tathandlungen mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, wiederholt den Beischlaf vollzogen;

3. durch die unter Punkt 1 beschriebenen Tathandlungen sein minderjähriges Kind wiederholt zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde versagt.

Die teilweise miteinander verknüpften Verfahrensrügen (Z 2, 3, 4) verkennen deren Wesen grundlegend:

Nur die unrichtige Entscheidung in der Rechtsfrage kann beim Rechtsmittelgericht geltend gemacht werden, die Sachverhaltsgrundlage für eine prozessleitende Anordnung wird hingegen durch das jeweils zur Handhabung der im Rechtsmittel angesprochenen Verfahrensregel zuständig gewesene richterliche Organ in freier Beweiswürdigung festgestellt. Dies und die Begründung dafür sind nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 (und zugunsten des Angeklagten auch der Z 5a) anfechtbar (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 3 E 11; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40, 41, 46, 48, 50; jüngst 12 Os 73/03).

Dem aus Z 2 und 3, "vorsichtshalber" überdies aus Z 4 erstatteten Vorbringen, die minderjährige Barbara F***** sei nicht (sach- und persönlichkeitsbezogen) ausreichend zu ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO belehrt worden und ihre (nach § 162a StPO zustande gekommene) Aussage hätte daher nicht verwertet werden dürfen, steht der Beschluss in der Hauptverhandlung vom 15. Dezember 2003 (S 189, 191/III) entgegen, in dem die Erstrichter mit Abstützung auf das bezughabende Protokoll (S 273/I) und die Äußerungen der psychologischen Expertin (S 161, 183 f/III) - unter dem Aspekt eines Begründungsmangels formell unbedenklich - ihre Überzeugung vom aktuellen Vorliegen einer derartigen Belehrung zum Ausdruck brachten.

Ebenso mängelfrei ist der tatrichterliche Schluss (S 191/III), Barbara F***** habe - nach Belehrung durch ihre Betreuerin (Zeugin Z***** S 91/III) - von ihrem Recht nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO nicht nur hinsichtlich des (ihr damals einzig bekannten) Hauptverhandlungstermins (des ersten Rechtsganges) 22. Mai 2003, sondern generell - also auch für die Hauptverhandlung des zweiten Rechtsganges - Gebrauch machen wollen (S 495/I). Eine (mehrmalige) Wiederholung der Abklärung dieser Formalvorfrage ist generell nicht geboten (so für den vergleichbaren Fall einmal deklarierter Aussagebereitschaft 11 Os 80/03 und für die bereits bei der Vernehmung nach § 162a StPO abgegebene Entschlagungserklärung 12 Os 5/03).

Die Verwertung sämtlicher von der Aussage dieser Zeugin herrührender Verfahrensergebnisse begründet sohin - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - keine Nichtigkeit.

Zufolge des gerade erörterten Vorliegens der Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO ist der Behauptung, die Vernehmung der Zeugen Z***** und H***** verstoße gegen das Umgehungsverbot des Abs 4 leg cit, und damit auch dem entsprechenden Unterlassungsantrag (S 49/III), der Boden entzogen, zumal - worauf schon das Erstgericht zutreffend hinwies (US 9) - die den beiden Betreuungspersonen (der Barbara F*****) vorgelegten Beweisthemen originäre Antworten (und nicht solche von Hörensagen) erforderten (E. Steininger Nichtigkeitsgründe3 § 281 Abs 1 Z 3 Rz 52; Fabrizy StPO9 § 252 Rz 13).

Die Abweisung der Anträge (S 191/III iVm 337/II) auf Vernehmung der Zeugen Johann und Maria W***** sowie Kerstin B***** und Tanja Ba***** (S 193/III) war - entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) - nicht geeignet, Verteidigungsrechte hintanzusetzen. Die Beweisthemen zu den erstgenannten Zeugen - "Erzählungen" der (nunmehr in einem Heim untergebrachten) Töchter des Angeklagten, "nach Hause zu wollen", und das Fehlen von Gerüchten über die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten "im Ort" - entbehren jeglicher Erheblichkeit für eine beruhigende Sachverhaltsaufklärung. Hinsichtlich der beiden zweiterwähnten Zeugen ist der bloße Erkundungscharakter dieser Beweisführung evident, wird doch von der Verteidigung bloß gemutmaßt, dass es sich um "die einzigen Kinder in meiner Ortschaft mit demselben bzw. ähnlichen Vornamen und im ungefähren Alter meiner Tochter Barbara" handelt, und ist demnach völlig offen, ob die als Zeugen beantragten Kinder überhaupt die angeblichen (Zeugin Barbara F***** S 297/I) Tatzeugen "Daniel und Kerstin" sind.

Das Beweisthema zu Barbara F*****, "ob diese von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machen wolle bzw ob sie das bisher überhaupt verstanden habe" (S 189/III), spricht keine entscheidenden Tatsachen an und konfligiert überdies mit den bereits erörterten erstgerichtlichen Annahmen. Im Übrigen ist es unerheblich, ob Barbara F***** die Aussage in der Hauptverhandlung aus Z 2 oder Z 2a des § 152 Abs 1 StPO ablehnt, weil § 252 Abs 1 Z 2a StPO zwischen den Anwendungsfällen des § 152 Abs 1 StPO nicht unterscheidet (vgl 11 Os 69/03). Die spekulativ nach Art einer Berufung wegen Schuld angestellten Beweiswerterwägungen des Angeklagten zu allfälligen Willensmängeln bei der Minderjährigen sind im Nichtigkeitsverfahren unstatthaft und damit unbeachtlich.

Die Vernehmung der Zeugin Marianne F***** schließlich war - abgesehen vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 151 Abs 1 Z 3 StPO (ON 97; S 145 ff/III) - wegen des nicht entscheidungswesentlichen Beweisthemas (S 193/III) "engerer Beziehungen der Barbara F***** während des Aufenthaltes im Jugendheim Judenau [sohin nach dem Zeitraum der Tatvorwürfe] zu männlichen Heimschülern" nichtigkeitsfrei entbehrlich.

Auch die Mängelrüge (Z 5) ist nicht am Gesetz ausgerichtet. Ihrer Erledigung ist vorauszuschicken, dass Z 5 vierter Fall nur eine gänzlich fehlende oder offenbar unzureichende Begründung für entscheidende Tatsachen meint, also eine, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht, während Z 5 zweiter Fall nur dann vorliegt, wenn das Gericht bei der für die Feststellungen entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Prozessergebnisse unberücksichtigt ließ. Dabei wird über die Denkrichtigkeit hinaus nicht in die Bewertung der vom Erstgericht herangezogenen Verfahrensergebnisse, mit anderen Worten in die Würdigung des Beweismaterials eingegriffen, sondern in die Auswahl der dafür heranzuziehenden Verfahrenssubstrate. Dem Obersten Gerichtshof obliegt also in diesem Sinn nur die Kontrolle, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte erwogen wurde, nicht aber die Überprüfung des Inhalts dieser Erwägungen.

Der relevierte Zeitraum möglicher (weiterer) Delinquenz 20. bis 27. Dezember 2002 kann schon mangels eines sich darauf erstreckenden Anklagevorwurfes auf sich beruhen.

Die vermisste Trennung widersprüchlicher und eindeutiger Passagen in den Angaben der Zeugin Barbara F***** ist dem Beschwerdevorwurf zuwider den erstgerichtlichen Erwägungen gar wohl zu entnehmen (US 10 bis 15).

Die Hypothese einer Projektion der Erzählungen einer ihrerseits sexuell missbrauchten Freundin scheitert daran, dass das Erstgericht ausdrücklich das Fehlen der Möglichkeit einer derartigen Beeinflussung der Barbara F***** konstatierte (US 7 iVm S 67, 75/III).

Letztlich waren die Tatrichter nicht gehalten, sich mit der - außerhalb des aufgetragenen Umfanges der Expertise (§ 123 Abs 1 StPO; vgl S 1t, 1u verso und ON 27), sohin überflüssig - geäußerten persönlichen Meinung des Sachverständigen Dr. K***** (was er zum Anklagevorwurf glaube) auseinanderzusetzen, wäre dies doch nicht einmal Gegenstand des Zeugenbeweises (Mayerhofer StPO4 § 150 E 1, 2, 6b, 7).

Nach Prüfung der Akten anhand des Vorbringens zur Tatsachenrüge (Z 5a) - das inhaltlich weitgehend den beiden letzterledigten Punkten der Mängelrüge entspricht - ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der die Schuldsprüche tragenden (in zwei Rechtsgängen im Wesentlichen konform ergangenen) Tatsachenfeststellungen. Auch dieser formelle Nichtigkeitsgrund eröffnet einem Beschwerdeführer nicht die nur in der Berufung wegen Schuld gegen Einzelrichterurteile eingeräumte Möglichkeit, die Beweiswerterwägungen des Kollegialgerichtes selbst einer - wie hier schon die Berufung auf die Unschuldsvermutung zeigt rein spekulativen - Kritik zu unterziehen.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt mehrfach eine prozessordnungsgemäße Darstellung: So ignoriert sie, dass das Erstgericht den Angeklagten nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB (Missbrauch des eigenen Kindes zur Unzucht) schuldig erkannte, wobei es der "Ausübung von Druck oder gar Gewalt" nicht bedarf (Fabrizy StGB8 § 212 Rz 8). Für die angestrebte Unterstellung "nur" unter § 211 Abs 2 StGB fehlt es an jeglicher Sachverhaltsgrundlage im Urteil (US 7, 8). Die Ableitung scheinbarer Konkurrenz von § 212 Abs 1 StGB zu § 211 Abs 1 StGB aus dem Zurücktreten der erstgenannten Norm gegenüber § 211 Abs 2 StGB (vgl dazu die Judikaturnachweise in Leukauf/Steininger Komm3 § 212 RN 23; Schick in WK2 § 212 Rz 15; Kienapfel/Schmoller BT III § 211 RN 20) erschöpft sich in einer nicht methodengerecht entwickelten (reinen) Rechtsbehauptung, indem sie ausschließlich auf die Strafdrohungen abstellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 589; ders in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 60, 65) und entzieht sich somit einem meritorischen Eingehen. Im Übrigen wird die echte Konkurrenz der §§ 211 Abs 1, 212 Abs 1 StGB in Lehre und Judikatur nirgends in Zweifel gesetzt (vgl oben und überdies Mayerhofer StGB5 § 211 E 4; 11 Os 56/94). Die abschließende Forderung einer Beurteilung nicht nach § 212 Abs 1 StGB, sondern "allenfalls nach einer anderen Strafnorm" lässt eben jenes andere Gesetz, das angewendet hätte werden sollen, nicht erkennen und führt somit den Nichtigkeitsgrund nach Z 10 nicht gesetzeskonform aus (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 10 E 8).

Aus den in §§ 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1, Z 2 StPO genannten Gründen war die Nichtigkeitsbeschwerde daher in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz für die Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung fußt auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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