JudikaturJustiz11Os28/03

11Os28/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Fellerer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andreas W***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Andreas W***** und über die Berufung des Privatbeteiligten Mag. Andreas Wimmer gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 26. Juli 2002, GZ 35 Hv 1117/01d-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in dem gegen Andreas Wintersteller ergangenen Schuldspruch A und demzufolge in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung nunmehr an den Einzelrichter des Landesgerichtes Salzburg zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Privatbeteiligte wird mit seiner Berufung gegen das Andreas W***** betreffende Adhäsionserkenntnis auf die kassatorische Entscheidung verwiesen. Zur Entscheidung über seine Berufung gegen das den Angeklagten Helmut T***** betreffende Adhäsionserkenntnis werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen rechtskräftigen Schuldspruch und einen Teilfreispruch des Zweitangeklagten Helmut T***** enthält, wurde Andreas W***** des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und Abs 5 Z 1, 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt (Punkt A des Urteilstenors), weil er von 1995 bis 5. Juli 1999 als verantwortlicher Geschäftsführer der Firma H***** GmbH grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens durch eine kridaträchtige Handlung herbeigeführt hat, indem er den Malversationen des Zweitangeklagten Helmut T*****, der im obangeführten Zeitraum als de facto Geschäftsführer einen nicht mehr feststellbaren, insgesamt jedenfalls 40.000 EUR übersteigenden Betrag unter wissentlichem Befugnismissbrauch aus dem Vermögen der Gesellschaft für private Zwecke entnahm, im wesentlichen tatenlos zusah und es unterließ, dies abzustellen.

Den Urteilsannahmen zufolge war Unternehmensgegenstand der H***** GmbH die Erzeugung und Reparatur von Holzpaletten und -kisten. Während Andreas W*****, der auch 5 % des Stammkapitals der am 19. Dezember 1994 gegründeten Gesellschaft hielt, im Firmenbuch als handels- und gewerberechtlicher Geschäftsführer eingetragen war, in dieser Eigenschaft aber nur "fallweise abends die Unterlagen" kontrollierte (US 5), wurden die Geschäfte tatsächlich von Helmut T***** geführt. Im Besitz sämtlicher Vollmachten führte T***** die Bankbehebungen durch, nahm die Einkäufe gebrauchter und Verkäufe der reparierten Paletten vor, stellte die Arbeitnehmer ein, die er auch beaufsichtigte und beauftragte und brachte die Belege zum Steuerberater Dieter V*****, dem die Führung des Kassabuches und der Buchhaltung sowie die steuerliche Beratung oblag. Unter wissentlichem Missbrauch seiner Befugnisse eignete sich T***** ab dem Jahre 1995 widerrechtlich Geldbeträge in einer 40.000 EUR jedenfalls übersteigenden Höhe aus dem Vermögen des Unternehmens an, weswegen er rechtskräftig des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB schuldig erkannt worden ist (Punkt B des Urteilssatzes).

Nach den Urteilsfeststellungen schien bereits in der Bilanz zum 31. Dezember 1997 auf dem Verrechnungskonto des Zweitangeklagten ein Betrag von 474.750 S auf, während unter den Aktiva ein tatsächlich nicht existenter Kassabestand von letztlich 684.122,70 S ausgewiesen wurde. Davon sei Andreas W***** vom Steuerberater rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden, habe sich jedoch damit begnügt, den Zweitangeklagten mehrmals zur Rückführung der Beträge aufzufordern, ohne weitere Maßnahmen zu setzen. Dadurch habe W***** grob fahrlässig einen bedeutenden Bestandteil des Gesellschaftsvermögens verschleudert und somit kridaträchtig gehandelt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Gründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten Andreas W*****, der Berechtigung zukommt. Durch die Neufassung des § 159 StGB durch BGBl I 2000/58 wurde mit dem nicht bloß schuld-, sondern auch unrechtsbezogenen Begriff der groben Fahrlässigkeit erstmals eine Differenzierung der in § 6 StGB definierten Fahrlässigkeit nach Schweregraden in das StGB eingeführt. Das Gesetz selbst lässt eine Definition vermissen, doch weisen die EB darauf hin, dass "hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit bereits eine inhaltliche Ausgestaltung in der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsprechung" bestehe (EBRV 9). Damit beziehen sie sich auf die Auslegung des "schweren Verschuldens" in § 88 Abs 2 StGB, welches nach einhelliger Meinung einen qualifizierten Fahrlässigkeitsgrad bezeichnet, der prinzipiell am Begriff der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts orientiert ist (vgl Burgstaller WK² § 88 Rz 19 ff; Fabrizy StGB8 § 88 Rz 3; Kienapfel BT I4 § 88 Rz 35 ff). Demnach wird darunter eine ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltswidrigkeit des Täters verstanden, wobei insbesondere der Eintritt des konkret herbeigeführten Erfolgs nicht nur als entfernt möglich, sondern als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war. Zutreffend betont Kienapfel (aaO Rz 36 zum schweren Verschulden, in gleicher Weise aber auch vorliegend von Bedeutung), dass die beiden genannten Faktoren zwar besonders wichtige Indikatoren darstellen, darüberhinaus aber eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände erforderlich ist. Der Grad der Fahrlässigkeit wird dabei, wie sich nicht nur aus § 6 StGB, sondern auch aus der im Gesetz unter Verzicht auf eine Generalklausel erfolgten Einschränkung auf bestimmte, als kridaträchtig bezeichnete Handlungen ergibt, in erster Linie vom Handlungsunwert, für dessen Bewertung auch die durch das Verhalten des Täters drohende und für ihn vorhersehbare Rechtsgutbeeinträchtigung heranzuziehen ist, bestimmt, während der Erfolgsunwert, also das Ausmaß der tatsächlich bewirkten Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen, für die Quantifizierung des Handlungsunwertes unmaßgeblich ist (vgl Medigovic, ÖJZ 2003 164, 176; Burgstaller WK² § 88 Rz 26; aA Kirchbacher/Presslauer WK² § 159 Rz 27 und 29), hingegen die (durch den Handlungsunwert indizierte) Fahrlässigkeitseinstufung nur bei Vorliegen von Umständen, die das Maß der Schuld (verstanden als Element des allgemeinen Verbrechensbegriffes) nicht bloß unerheblich herabsetzen, beeinflusst werden kann.

Als Kriterien eines gesteigerten Handlungsunrechtes dienen vor allem das besondere Gewicht der verletzten Pflichten, der besondere Gefährlichkeitsgrad des Täterverhaltens, dh die gesteigerte Wahrscheinlichkeit, mit der hiedurch der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges befürchtet werden Mus und der gesteigerte Umfang der drohenden Rechtsgutbeinträchtigung (Medigovic aaO 176). Als schuldmindernde Faktoren hinwieder sind etwa der vorwerfbare Rechtsirrtum, weiters schuldeinschränkende und ganz allgemein all jene Umstände anzuführen, welche einem Schuldausschließungsgrund nahekommen.

Die Auslegung der einzelnen, im Gesetz taxativ angeführten kridaträchtigen Verhaltensweisen kann sich mangels relevanter Rechtsvorschriften und Verkehrsnormen nur am Maßstab eines ordentlich wirtschaftenden Menschen in der konkreten Situation des Täters orientieren (s Einleitung zu § 159 Abs 5 StGB). Weil dieser Maßstab aber erst die Grenzziehung zur Fahrlässigkeit schlechthin bestimmt und für sich allein noch kein Gradmesser ihrer Schwere ist, ist das kridaträchtige Verhalten im Einzelfall zusätzlich auch an den Kriterien der groben Fahrlässigkeit zu messen.

Das Schöffengericht beurteilte das Täterverhalten, nach den Feststellungen daher die nur fallweise Kontrolle nicht näher genannter Unterlagen trotz "rechtzeitiger" Kenntnis eines hohen Schuldenstandes des Zweitangeklagten und der unrichtigen Anführung von Bargeldbeständen in der Bilanz für das Jahr 1997 als Verschleudern, demnach als kridaträchtige Handlung iSd § 159 Abs 5 Z 1 vierter Fall StGB.

Diese Annahme kann nicht von vornherein falsifiziert werden. Unter Verschleudern ist im allgemeinen zwar die geschäftspolitisch nicht begründbare Überlassung von (bedeutenden!) Vermögenswerten an andere im Austausch gegen erheblich wertmindere Gegenleistungen zu verstehen. Doch kann darunter auch die Gewährung von Darlehen oder Naturalleistungen (hier an den Zweitangeklagten) dann, wenn die entsprechende Gegenleistung erheblich unterwertig oder die Bonität des Leistungsempfängers zweifelhaft ist, subsumiert werden. Allerdings könnte das konstatierte Tatverhalten auch als Unterlassung sonstiger geeigneter und erforderlicher Kontrollmaßnahmen nach § 159 Abs 5 Z 4 StGB gewertet werden. Die Formulierung "sonstige geeignete und erforderliche Kontrollmaßnahmen" nimmt zwar unmittelbar auf die Verletzung der Verpflichtung zur Führung von Geschäftsbüchern oder geschäftlichen Aufzeichnungen Bezug, aus welchen ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage möglich ist. Daraus ließe sich ableiten, dass "sonstige ... Kontrollmassnahmen" nur dann erforderlich sind, wenn die vorgenannten Bücher und Aufzeichnungen nicht oder mangelhaft geführt werden. Als kridaträchtiges Handeln muss jedoch dem Sinne des Gesetzes nach auch angesehen werden, wenn trotz an sich ordnungsmäßiger Führung von Geschäftsaufzeichnungen die daraus zu ziehenden Schlüsse nicht gezogen und die sich darnach ergebenden, zur Hintanhaltung einer Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen wirtschaftlich erforderlichen Maßnahmen, welche gegenständlichenfalls angesichts des hohen Schuldenstandes des Zweitangeklagten gegenüber der Gesellschaft nahe gelegen wären, nicht getroffen wurden und die Unterlassung für eine tatsächlich eingetretene Zahlungsunfähigkeit der GmbH kausal geworden ist. Darüberhinaus können trotz ordnungsgemäßer Buchführung im Einzelfall begleitende Kontrollmaßnahmen durchaus erforderlich und angebracht sein, etwa eine stichprobenweise Überprüfung des jeweils ausgewiesenen Kassastandes.

Ob die dem Beschwerdeführer angelasteten kridaträchtigen Handlungen ihm auch tatsächlich vorgeworfen werden können, insbesondere, ob er grob fahrlässig gehandelt hat, kann indes auf Basis der Urteilsfeststellungen nicht beantwortet werden.

Fallbezogen ist dazu die Feststellung unverzichtbar, zu welchem Zeitpunkt dem Beschwerdeführer die den Gegenstand des Anklagevorwurfs bildenden Bilanzpositionen bekannt geworden sind. Die Behauptung, er sei darüber "rechtzeitig" informiert worden, reicht dafür nicht hin, zumal die Bilanz des Geschäftsjahres 1997 erst im Jahre 1998 erstellt worden ist.

Feststellungen über den genauen Zeitpunkt der Information sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Auch wurde der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nicht festgestellt, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gesellschaft zum relevanten Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war, womit die geforderte Kausalität nicht gegeben wäre und eine Subsumtion unter § 159 Abs 1 StGB entgegen der Ansicht des Schöffensenates ausscheiden würde. Für die in Betracht kommende Strafbarkeit nach § 159 Abs 2 StGB fehlt es desgleichen an tragfähigen Sachverhaltsannahmen.

Es zeigt sich daher, dass die erstinstanzlichen Konstatierungen den Schuldspruch nach § 159 Abs 1 (aber auch einen solchen nach Abs 2 leg cit) iVm mit § 159 Abs 5 StGB nicht zu tragen vermögen. Zur Beurteilung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens und der Frage, ob dieses für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kausal war, wären vielmehr mängelfreie Feststellungen über die Vermögensverhältnisse, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Entwicklung der Geschäftstätigkeit der H***** GmbH während des Deliktszeitraumes sowie darüberhinaus erforderlich gewesen, weiters, zu welchen Zeitpunkten die Untreuehandlungen des Zweitangeklagten erfolgten, durch welche Kontrollmaßnahmen der Beschwerdeführer diese Malversationen hätte verhindern können, wann die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens tatsächlich eingetreten ist, zu welchem Zeitpunkt W***** vom Steuerberater vom Vorliegen eines Fehlbestandes in der Kassa und von der Bilanz 1997 in Kenntnis gesetzt wurde und ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die Zahlungsunfähigkeit abwehrende Maßnahmen möglich gewesen wären.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war somit schon aufgrund der aufgezeigten Feststellungsmängel Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und im Umfang der Aufhebung die Erneuerung des Verfahrens anzuordnen (§ 285e StPO), ohne dass es noch einer Erörterung der weiteren Beschwerdepunkte bedurfte.

Mit seiner Berufung war der Beschwerdeführer, aber auch der Privatbeteiligte mit seiner Berufung gegen das den Erstangeklagten betreffende Adhäsionserkenntnis auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Privatbeteiligten, womit dieser die Verweisung der gegen den Zweitangeklagten geltend gemachten Ansprüche auf den Zivilrechtsweg anficht, ist das Oberlandesgericht Linz zuständig.

Rechtssätze
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