JudikaturJustiz11Os21/07h

11Os21/07h – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Silvia K***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 13. November 2006, GZ 36 Hv 180/06g-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Mag. Wachberger, und der Verteidigerin Dr. Pfeifer zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung des dem Schuldspruch 1 zugrunde liegenden Sachverhalts unter § 28 Abs 1 SMG sowie demzufolge auch im Strafausspruch, jedoch unter Aufrechterhaltung des Einziehungserkenntnisses aufgehoben und die Strafsache an das Landesgericht Innsbruck zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung im Umfang der Aufhebung mit dem Auftrag zurückverwiesen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung auch im Hinblick auf den Vorwurf der Weitergabe der im Schuldspruch 1 bezeichneten Suchtgiftmenge zu unterziehen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen (Teil )Freispruch enthaltenden Urteil wurde die Angeklagte der Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG (1), § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) sechster Fall SMG (2) sowie § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall SMG (3) schuldig erkannt.

Danach hat sie im Großraum Telfs und an anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider

(1) im Zeitraum Sommer und Herbst 2005 Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG), nämlich etwa 2 kg Haschisch mit einem Reinheitsgehalt von 2,38 % THC (mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde - US 6) erworben und besessen,

(2) im selben Zeitraum teils allein, teils im einverständlichen Zusammenwirken mit abgesondert verfolgten Mittätern nicht mehr feststellbare Mengen Haschisch durch Verkauf an zahlreiche Drogenkonsumenten in Verkehr gesetzt sowie

(3) in der Zeit vom Mai 2005 bis zum Frühjahr 2006 mehrfach geringe Mengen von Cannabisprodukten für den Eigenbedarf erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Schuldspruch 1 aus Z 7 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist teilweise im Recht.

Nach den Urteilskonstatierungen (US 6) übernahm die Angeklagte im Zeitraum Sommer und Herbst 2005 von Engin T***** ca 2 kg Haschisch mit einem THC-Gehalt von 2,38 %, verwahrte diese Suchtgiftmenge für einige Zeit in ihrer Wohnung und übergab sie in der Folge an den Genannten. Dabei waren die Vorschriftswidrigkeit dieses Verhaltens sowie der Umstand, dass es sich bei der Suchtgiftmenge jedenfalls um eine große iSd § 28 Abs 6 SMG handelte, von ihrem Tatvorsatz umfasst. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass dieser Sachverhalt nur hinsichtlich des Erwerbs und des Besitzes (§ 28 Abs 1 SMG), nicht jedoch bezüglich des Inverkehrsetzens (§ 28 Abs 2 vierter Fall SMG) von der Anklage (ON 12) gedeckt sei.

Wie die Beschwerde mit Recht aufzeigt, trifft dies nicht zu, weil Anklagetenor und Anklagebegründung unter dem Aspekt der Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand als Einheit zu betrachten sind (RIS-Justiz RS0097649, RS0097672, RS0102147; Ratz, WK-StPO § 281 Rz

503) und die Begründung der Anklageschrift auch den Vorwurf der Weitergabe der im Schuldspruch 1 bezeichneten Suchtgiftmenge enthält (S 191 iVm S 189). Im Übrigen ergibt sich schon aus dem Anklagetenor der Wille des Anklägers, (auch) das In-Verkehr-Setzen der gesamten aus Italien eingeführten Haschischmenge in Verfolgung zu ziehen (s insbes S 185). Da die angefochtene Entscheidung somit über einen Teil des von der Anklage umfassten Lebenssachverhalts nicht abspricht, ist insoweit nicht ein Subsumtionsfehler (Z 10), sondern die (teilweise) Nichterledigung der Anklage nichtigkeitsbegründend (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502, 526). Der Umstand, dass im Fall eines diesbezüglichen Schuldspruchs wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG das in Bezug auf die davon betroffene Suchtgiftquantität ebenfalls verwirklichte Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG als subsidiär zurücktritt (RIS-Justiz RS0113820), vermag erst nach Behebung dieses prozessualen Fehlers rechtliche Relevanz zu erlangen.

Eine - fallbezogen aufgrund der Urteilsfeststellungen prinzipiell mögliche - Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst kann nicht erfolgen, weil der Angeklagten im Fall des (intendierten) Schuldspruchs wegen einer zwar von der Anklage als Gesamtheit, nicht jedoch vom Anklagetenor allein umfassten Tat - dem Schutzzweck des § 262 StPO folgend - zur Sicherung des durch Art 6 Abs 3 lit b MRK garantierten Rechts auf effiziente Verteidigung nach entsprechender Information ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Stellungnahme und allfälligen (im Nichtigkeitsverfahren nicht möglichen) prozessualen Reaktion einzuräumen ist (RIS-Justiz RS0113755).

Im zweiten Rechtsgang wird nach Belehrung und neuerlicher Vernehmung der Angeklagten sowie des Zeugen Engin T***** der gesamte auf die rund 2 kg Haschisch (1) bezogene, in der Anklage beschriebene Lebenssachverhalt neuerlich zu beurteilen sein.

Im Übrigen verfehlt die Beschwerde ihr Ziel.

Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) die Unterstellung auch der dem Schuldspruch 2 zugrunde liegenden Taten unter den Tatbestand des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG anstrebt, übersieht sie, dass dies den Vorsatz der Angeklagten voraussetzen würde, ein (weiteres) der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) entsprechendes Quantum in Verkehr zu setzen (RIS-Justiz RS0117463), was weder im Ersturteil festgestellt noch von der Beschwerde behauptet wird.

Der Rechtsansicht der Generalprokuratur, die angefochtene Entscheidung lasse - mit Blick auf die echte Konkurrenz zwischen den Tatbeständen des § 28 Abs 1 SMG und des § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG - den Anklagevorwurf der Beteiligung an der Aus- und Einfuhr der im Schuldspruch 1 genannten Haschischmenge (Punkt 2 der Anklage ON 12) unerledigt, ist nicht beizupflichten, weil das Erstgericht insoweit (wenngleich nicht förmlich, so doch) im Rahmen der Entscheidungsgründe (US 6: „Schmuggelfahrten") als Entscheidungswille einen Freispruch zum Ausdruck bringt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 503, 537).

Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
6
  • RS0113820OGH Rechtssatz

    14. März 2023·3 Entscheidungen

    1. Ein Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG hat zur Voraussetzung, dass der Täter ein Suchtgift in einer großen Menge (Abs 6) mit dem Vorsatz erwirbt, dass es in Verkehr gesetzt werde. Dies stellt eine zum Inverkehrsetzen des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG selbständig vertypte Vorbereitungshandlung dar. Versucht der Täter das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG, indem er beginnt, diesen Suchtgiftvorrat tatsächlich in Verkehr zu setzen, ist das Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG hinsichtlich derselben Suchtgiftmenge nicht selbständig strafbar, weil es gegenüber dem Verbrechen nach Abs 2 subsidiär ist. 2. Überlässt (verkauft) der Täter, der eine große Suchtgiftmenge mit dem Vorsatz erworben hat oder besitzt, dass diese in Verkehr gesetzt werde, davon kleine Mengen einem anderen, stellt dies keine straflose "typische Begleittat" dar. 3. Beschließt der Täter, nachdem er eine große Menge Suchtgift mit dem Vorsatz erworben hat und besitzt, dass es in Verkehr gesetzt werde, nur einen die große Menge nach § 28 Abs 6 SMG nicht erreichenden Teil hievon anderen zu überlassen (zu veräußern), den Rest aber selbst zu konsumieren oder zu vernichten, hat er ab diesem Zeitpunkt für den Besitz (auch einer großen Menge) nur das Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG zu vertreten. Da nämlich durch den fortgesetzten Besitz kein weiteres Rechtsgut verletzt wird und die dadurch bewirkte Rechtsgutverletzung über jene des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG nicht hinausgeht, stellt diesfalls das Vergehen nach § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG eine straflose Nachtat zum Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG dar. 4. Überlässt der Täter ab dem Zeitpunkt des geänderten Vorsatzes kleine Mengen von Suchtgiftstoffen anderen Personen, wird die zunächst auf den Erwerb oder Besitz beschränkte Rechtsgutverletzung erweitert. Die Grenzen von straflosen (besser "mitbestraften") Nachtaten sind eng zu ziehen. Durch das Privileg der Nachtat werden nur durch die Vortaten bereits persönlich und sachlich individualisierte Rechtsgüter gedeckt. Nur dann, wenn das Angriffsobjekt der Nachtat mit dem der Vortat entweder übereinstimmt oder diesem gegenüber ein quantitatives Minus darstellt, und wenn durch die Nachtat nicht neue Träger des individualisierten Rechtsgutes, also neue Inhaber des konkreten Angriffsobjektes, in Mitleidenschaft gezogen werden, liegt eine mitbestrafte Nachtat vor. Wird somit zunächst eine große Suchtgiftmenge mit auf deren Inverkehrsetzen gerichtetem Vorsatz erworben oder besessen, werden danach aber unter Änderung des Vorsatzes kleine Mengen davon anderen Personen überlassen, ändert sich auch das Angriffsobjekt der konkreten Nachtat. Der Täter hat daher unter diesen Prämissen das Vergehen nach § 27 SMG (in allen seinen Formen) zusätzlich zu vertreten.

  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.