JudikaturJustiz11Os153/17k

11Os153/17k – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. März 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. März 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Matthäus W***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Matthäus W***** und Nicole B***** sowie über die Berufungen der beiden Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. September 2017, GZ 10 Hv 42/17f 54, weiters über die Beschwerden der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen zugleich gemäß § 494a StPO gefasste Beschlüsse nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Verfallsausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Matthäus W***** und Nicole B***** jeweils „der“ Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (1./, B***** „teils“ als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall StGB), sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (W***** zu 2./a./, B***** zu 2./b./) schuldig erkannt.

Danach haben sie in G*****, F***** und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift

1./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, Nicole B***** „teils als Beitragstäterin im Sinne des § 12 dritter Fall StGB“ durch Entwickeln eines gemeinsamen Tatplans, Zurverfügungstellen von Compensan Tabletten á 300 mg aus ihrer Substitutionsmedikation und Unterstützung bei der Geschäftsanbahnung und abwicklung in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem sie „im Zeitraum von Februar 2017 bis zumindest 21. April 2017“ (US 12 f: im April 2017) zumindest 90 Stück Compensan Tabletten (US 12 f: einmal 50 Stück und einmal 40 Stück) á 300 mg (228 mg Morphin pro Tablette, insgesamt daher zumindest 20,52 Gramm Morphin) an den abgesondert verfolgten Marian Ba***** gewinnbringend veräußerten, wobei sie die Taten in der Absicht ausführten, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und sie jeweils bereits zweimal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG (ua jeweils zu AZ 222 Hv 11/16d des Landesgerichts für Strafsachen Graz) verurteilt worden waren;

2./ ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem sie unbekannte Mengen an illegal erworbenen Compensan Tabletten sowie Heroin bis zum Konsum innehatten, und zwar

a) Matthäus W***** im Zeitraum von Dezember 2016 bis 26. Juni 2017,

b) Nicole B***** im Zeitraum von Dezember 2016 bis Anfang Mai 2017.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, welche Matthäus W***** auf Z 5, 5a und 10 und Nicole B***** auf Z 5 und Z 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W*****:

Dem Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider bringen die Feststellungen zur gewerbsmäßigen Absicht der Angeklagten (US 11, 13 f) klar zum Ausdruck, dass sich diese durch den wiederkehrenden Verkauf von morphinhältigen Compensan-Tabletten in (schon für sich und nur „allenfalls“ auch sukzessive) die Grenzmenge übersteigenden Mengen ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen trachteten, das monatlich 400 Euro übersteigen sollte. Diese Grenzmenge wurde im Gegenstand konkret ab 44 Stück und somit schon mit dem Angriff vom 7. April 2017 überschritten (US 12 f).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS Justiz RS0118316). Einen solchen Begründungsmangel zeigt die Beschwerde nicht auf, indem sie unter Hinweis auf Angaben des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung Feststellungen dazu einfordert, dass der Beschwerdeführer geplant habe, eine weitere Therapie zu absolvieren. Weshalb die gewünschte Feststellung – unter dem Aspekt eines Feststellungsmangels (Z 10; vgl dazu RIS-Justiz RS0118580) betrachtet – der rechtlichen Annahme einer qualifizierten Tatbegehung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG entgegenstehen würde, erklärt die Beschwerde nicht (RIS Justiz RS0116565). Vielmehr bekämpft sie bloß an Hand eigenständiger Beweiswerterwägungen die Sachverhaltsannahmen der Tatrichter.

Ebensowenig vermag der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf isoliert hervorgehobene Angaben der Angeklagten (Vorgespräche des Beschwerdeführers bezüglich einer weiteren Entwöhnungstherapie; behauptete Entwöhnung der Mitangeklagten B*****), auf die geringe Anzahl der tatsächlich erfolgten Suchtgiftüberlassungen oder auf den Eigenbedarf des Beschwerdeführers erhebliche Bedenken (Z 5a; RIS-Justiz RS0118780) gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu erwecken.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich gegen die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, geht dabei aber nicht von der im Urteil konstatierten Absicht auf die Erlangung eines entsprechenden Einkommens aus den beabsichtigten Suchtgiftverkäufen aus (US 11, 13 f, 24 f), sondern bekämpft die getroffenen Feststellungen mit beweiswürdigenden Überlegungen zum tatsächlich erlösten (Mindest )Betrag aus zwei Suchtgiftgeschäften (siehe dazu US 22, 24 f, 28). Damit verfehlt sie den – allein im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Ebenso wie die Mängelrüge übergeht die einen Rechtsfehler mangels Feststellungen reklamierende Subsumtionsrüge (Z 10) die klaren Feststellungen zur (auch) auf die Überschreitung der Grenzmenge bezogenen gewerbsmäßigen Tendenz der Angeklagten und legt nicht dar, welcher weiterer Konstatierungen es – im Gegensatz zu der im Rechtsmittel zitierten Entscheidung 13 Os 78/17w, wo sich die Feststellungen bloß auf mengenmäßig nicht präzisierte Suchtmittelverkäufe schlechthin bezogen hatten – im vorliegenden Fall bedurft hätte.

Schließlich behauptet die Beschwerde einen Feststellungsmangel (Z 10) zu 1./, weil das Erstgericht aus Sicht des Nichtigkeitswerbers indizierte Feststellungen nicht getroffen habe, die zu einer Anwendbarkeit von § 28a Abs 3 SMG geführt hätten. Dabei übergeht er aber die ausdrücklich gegenteiligen Feststellungen der Tatrichter (US 13, 22 ff, 29) und verfehlt damit erneut die prozessförmige Darstellung des herangezogenen materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099724).

Im Übrigen nimmt die Beschwerde nicht einmal Bezug auf konkrete, in der Hauptverhandlung vorgekommene und die gewünschten Konstatierungen indizierende Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0118580). Vielmehr bekämpft sie mit eigenständigen Überlegungen zu den Kosten von illegalem Beikonsum von Compensan-Tabletten (US 11, 16; zu Heroin vgl US 19, 22 ff) einmal mehr – unzulässig – die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten B*****:

Zunächst ist festzuhalten, dass im Hinblick auf die Einmaligkeit bei der Ausführung dieses Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0100152) ausschließlich die zeitlich zuerst (am 3. November 2017) bei Gericht eingelangte Ausführung durch den (aktuell) bestellten Verfahrenshilfeverteidiger (ON 69) maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0100170). Auf die erst danach (am 6. November 2017) eingelangte Ausführung durch den ehemaligen Verteidiger (ON 70), der die Vollmacht während laufender Rechtsmittelfrist aufgekündigt hatte (zu dessen über die Beendigung des Vertretungsverhältnisses hinausreichenden Pflichten siehe RIS-Justiz RS0111615), war daher nicht einzugehen.

Soweit sich das Rechtsmittelvorbringen inhaltlich mit jenem des Angeklagten W***** zu vermeintlicher Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall), zur Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG (Z 10) und zur Nichtannahme der Privilegierung nach § 28a Abs 3 SMG (Z 10) deckt, kann die Beschwerdeführerin auf die Ausführungen zu den Einwänden des Genannten verwiesen werden.

Mit beweiswürdigenden Überlegungen zum erlösten (Mindest )Betrag (siehe dazu US 22, 24 f) bekämpft die Subsumtionsrüge (Z 10) ferner bloß die tatsächlich getroffenen Feststellungen zur gewerbsmäßigen Tendenz der Angeklagten nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Auch damit verfehlt sie den – allein im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus (zunächst) die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO) und die Beschwerden (§ 498 Abs 3 StPO) folgt.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch von einer nicht geltend gemachten, beiden Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) in Ansehung des Verfallsausspruchs.

Diesbezüglich ging das Schöffengericht nämlich – worauf die Generalprokuratur zutreffend hinweist – der Sache nach von einer „Solidarhaftung“ der beiden Angeklagten für den Verfallsbetrag von 1.350 Euro aus, indem es den Ausspruch nicht auf einen der Angeklagten beschränkte (US 4, 18). Eine Solidarhaftung ist jedoch im Hinblick darauf, dass die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte (Abs 1), Nutzungen und Ersatzwerte (Abs 2) oder ein entsprechender Wertersatz (Abs 3) nur dem tatsächlichen Empfänger abgenommen werden dürfen, nicht vorgesehen. Sind daher Vermögenswerte mehreren Personen zugekommen, ist bei jedem Empfänger nur der von ihm tatsächlich rechtswidrig erlangte Vermögenswert im Sinn des § 20 StGB für verfallen zu erklären (RIS Justiz RS0129964) und – nach Rechtskraft des Urteils – einzufordern (§§ 398, 408 StPO).

Diese Nichtigkeit war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil sich die Berufungen der Angeklagten jeweils nur gegen den Ausspruch über die Strafe richten und dem Berufungsgericht – zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte (§ 295 Abs 1 erster Satz StPO)  – die amtswegige Wahrnehmung der das Verfallserkenntnis betreffenden Nichtigkeit zugunsten der Angeklagten  verwehrt ist (RIS Justiz RS0119220 [T9, T10]).

Mit Blick auf die im November 2017 ergangene Entscheidung eines verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs (12 Os 21/17f), mit welcher von der „Abtrennungsjudikatur“ abgegangen wurde, bleibt überdies anzumerken, dass den Angeklagten zu 1./ (jeweils) zu Unrecht zwei (anstatt nur ein) Verbrechen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG angelastet wurde. Wiewohl der Subsumtionsfehler per se keinen Nachteil iSd § 290 StPO darstellt, weil der konkret zu bildende Strafrahmen im Hinblick auf die zu 1./ gewerbsmäßige Tatbegehung (US 2, 6 f, 9, 27; vgl § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall und Abs 3 StGB, RIS-Justiz RS0130966) ohnehin nach § 28a Abs 2 SMG zu bilden war, muss der den Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung tatsächlich erwachsene Nachteil (vgl US 29 – zwei Verbrechen neben mehreren Vergehen als Erschwerungsgrund) im Berufungsverfahren aufgegriffen werden (vgl 11 Os 128/16g [11 Os 129/16d]). An die hier aufgezeigte fehlerhafte Subsumtion ist das Berufungsgericht nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO; sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).

Rechtssätze
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