JudikaturJustiz11Os128/11z

11Os128/11z – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Detlef W***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 5 U 92/09k des Bezirksgerichts Rattenberg, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichts Rattenberg vom 22. April 2010, GZ 5 U 92/09k 14, und des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Mai 2011, AZ 21 Bl 476/10y, sowie das unvollständige Protokoll über die Hauptverhandlung vom 22. April 2010 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz, und des Verteidigers Dr. Rainer zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 5 U 92/09k des Bezirksgerichts Rattenberg verletzen das Gesetz

1. das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 22. April 2010, GZ 5 U 92/09k 14, im Strafausspruch § 19 Abs 2 zweiter Satz StGB idF BGBl I 2004/136;

2. die Unterlassung der Aufnahme des Urteilsspruchs mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll vom 22. April 2010 § 271 Abs 1 Z 7 iVm § 447 StPO.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 22. April 2010, GZ 5 U 92/09k 14, wurde Detlef W***** wegen eines am 13. Juni 2009 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB (aF) bedingt nachgesehenen Geldstrafe in der Höhe von 90 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 45 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wurde ausgehend von einem „Mindesttagessatz von vier Euro“ aufgrund der persönlichen Verhältnisse und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen und auf Notstandshilfe angewiesenen Angeklagten mit vier Euro bestimmt (US 3 und 6).

Dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 22. April 2010 (ON 10 S 7) ist zum Spruch des mündlich verkündeten Urteils Folgendes zu entnehmen:

„Der Richter verkündet das Urteil: Schuldspruch im Sinne des Strafantrages der StA Innsbruck samt den wesentlichen Entscheidungsgründen.“

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Mai 2011, AZ 21 Bl 476/10y (ON 36), nahm das Landesgericht auf die dagegen vom Angeklagten erhobene Berufung wegen Nichtigkeit keine Rücksicht und gab im Übrigen der Berufung keine Folge. In Stattgebung der zum Nachteil des Angeklagten erhobenen und auf Erhöhung der Anzahl der Tagessätze sowie Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht gerichteten Berufung der Staatsanwaltschaft erhöhte das Landesgericht Innsbruck die Anzahl der Tagessätze auf 120, wobei es gemäß § 43a Abs 1 StGB den Vollzug der Hälfte der Geldstrafe unter Setzung einer Probezeit bedingt nachsah. Ausführungen zur Bemessung der Höhe des Tagessatzes oder eine Verknüpfung mit dem gesetzlichen Mindestsatz finden sich im Berufungsurteil nicht.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zunächst zutreffend aufzeigt, stehen das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg und der Inhalt des über die Hauptverhandlung aufgenommenen Protokolls mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Mit Blick auf die für den Angeklagten aufgrund der niedrigeren Untergrenze des Tagessatzes von zwei Euro im Sinne der §§ 1, 61 StGB günstigere Rechtslage zum Tatzeitpunkt, hätte das Bezirksgericht § 19 Abs 2 zweiter Satz StGB idF BGBl I 2004/136 anwenden und von dem dort geregelten Mindesttagessatz von zwei statt vier Euro ausgehen müssen (vgl RIS Justiz RS0125458).

§ 271 Abs 1 Z 7 StPO (hier iVm § 447 StPO) sieht vor, dass das bei sonstiger Nichtigkeit aufzunehmende Protokoll über die Hauptverhandlung auch den Spruch des Urteils mit sämtlichen in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten hat. Der oben zitierte Protokollsinhalt genügt diesen Erfordernissen nicht.

Diese Gesetzesverletzungen waren festzustellen.

Die Generalprokuratur erblickt darüber hinaus im Strafausspruch des Berufungsgerichts eine Verletzung des § 19 Abs 2 zweiter Satz StGB idF BGBl I 2004/136 iVm §§ 1, 61 StGB und führt dazu aus, das Berufungsgericht hätte den vom Angeklagten in seinem Rechtsmittel nicht geltend gemachten Rechtsfehler (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO) jedenfalls bei seiner Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe zu korrigieren gehabt. Weiters erblickt sie eine Verletzung des § 271 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 447 StPO zufolge der unterbliebenen Protokollierung des Ausspruchs über den Kostenersatz und der Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche, weil das Protokoll alle wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens zu enthalten hat.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird von der Generalprokuratur die Aufhebung des Berufungsurteils und Verweisung an das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht beantragt.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung auf einen eigenständigen Ausspruch des Rechtsmittelgerichts abzielt, der an die Stelle des bekämpften treten soll. Eine Aufhebung des Sanktionsausspruchs und eine (erst) nachfolgende Entscheidung in der Sache selbst wäre unangebracht, weil es nicht um die Beseitigung eines Fehlers der angefochtenen Entscheidung, sondern eine diese ersetzende eigene des Berufungsgerichts geht ( Ratz , WK StPO Vorbem zu §§ 280 bis 296a Rz 13; § 295 Rz 2; RIS-Justiz RS0120535). Eine aus der Festsetzung des (Mindest-)Tagessatzes mit vier Euro resultierende Rechtspflicht des Berufungsgerichts, dem Erstgericht bei der Entscheidung über die Berufung wegen Strafe einen bei der Strafbemessung unterlaufenen Rechtsfehler aufzuzeigen, lässt sich der Strafprozessordnung nicht entnehmen. Dass das Berufungsgericht bei der - ohne jegliche Begründung, also auch ohne eine Bezugnahme auf den gesetzlichen Mindesttagessatz erfolgten - Festsetzung des Tagessatzes nicht von einem Mindesttagessatz von zwei Euro ausgegangen ist, lässt sich aus der den Bezugspunkt der Anfechtung bildenden Entscheidung (vgl Ratz , WK StPO § 292 Rz 6), der ein Abstellen auf den Mindesttagessatz gerade nicht zu entnehmen ist, nicht ableiten. Eine in der Festsetzung von vier Euro als Tagessatz gelegene Willkür macht die Nichtigkeitsbeschwerde weder geltend noch ist diese aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Detlef W***** ableitbar. Unbekämpft blieb, dass das Berufungsgericht gemäß §§ 270 Abs 1 Z 5, 474 StPO verpflichtet gewesen wäre, die für die Bemessung des Tagessatzes maßgebenden Umstände im Urteil anzuführen.

Nach § 271 Abs 1 Z 7 StPO ist der Spruch mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO enthaltenen Angaben zu protokollieren. Demzufolge ist die in § 260 Abs 1 Z 5 StPO genannte Entscheidung über die geltend gemachten Entschädigungsansprüche kein notwendiger Protokollinhalt. § 271 Abs 1 Z 7 StPO wäre nämlich schlechthin überflüssig, würde § 271 Abs 1 Z 4 StPO auch den Privatbeteiligten- und Kostenausspruch umfassen (die von der Generalprokuratur ins Treffen geführte Entscheidung 12 Os 156/10y bezieht sich auf einen gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss).

Im dargelegten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.