JudikaturJustiz11Os107/80

11Os107/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. September 1980

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann A wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Allentsteig vom 30. November 1976, GZ. U 1009/

75-15, und des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 22. Februar 1977, AZ. 7 Bl 7/77, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Knob zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Johann A wegen § 111 Abs. 1 StGB verletzen die Urteile des Bezirksgerichtes Allentsteig vom 30. November 1976, GZ. U 1009/

75-15, und des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 22. Februar 1977, AZ. 7 Bl 7/77, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 111 Abs. 1 und 114

Abs. 1 StGB.

Diese Urteile und alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen des Bezirksgerichtes Allentsteig, insbesondere die Beschlüsse vom 28. März 1977 (S 94), vom 5. Mai 1977 (ON 27), vom 18. Mai 1977 (ON 29) und vom 24. Mai 1977 (ON 31), sowie die Punkte 1, 4 und 6 der Endverfügung vom 28. März 1977, werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Allentsteig zurückverwiesen.

Mit seiner Beschwerde vom 11. (12.) April 1977 (ON 23) wird Johann A auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Dr. Hans B, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Thaya, erhob am 24.

(27.) November 1975 gegen den Landwirt Johann A aus Ganz, Niederösterreich, Privatanklage wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 (Abs. 1) StGB. Inkriminiert wurden mehrere in einer von Johann A handschriftlich verfaßten und an die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland gerichteten Beschwerde vom 31. Oktober 1975

wegen angeblich nicht sachgerechter rechtsfreundlicher Vertretung des Johann A und anderer Personen in einem wegen Einrichtung einer Beitragsgemeinschaft für einen 'Güterweg Ganz' seit dem Jahr 1971 (in verschiedenen Instanzen und auch beim Verwaltungsgerichtshof) anhängigen Verwaltungsverfahren gegen Dr. Hans B erhobene Vorwürfe

a) 'hinterlistiger Vorgangsweise', b) einer Datumsfälschung, um dem Gemeinderat in der oberwähnten Angelegenheit nochmals eine Entscheidungsmöglichkeit zu geben, c) einer bewußten Bescheidunterschlagung, um der Gemeinde eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu ersparen (siehe Privatanklage ON 1 und die Ablichtungen der Beschwerde bei ON 13, S 39 bis 42 d.A). In dem über diese Privatanklage beim Bezirksgericht Allentsteig zum AZ. U 1009/75 eingeleiteten Privatanklageverfahren wurde Johann A, der durch keinen Verteidiger vertreten war, nach Durchführung mehrerer Hauptverhandlungen mit dem Urteil dieses Gerichtes vom 30. November 1976, GZ. U 1009/75-15, des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie gemäß dem § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt, weil er am 31. Oktober 1975 in einer in Ganz aufgegebenen, an die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland adressierten Eingabe, welche einem Ausschuß von acht Kammermitgliedern zur Kenntnis kam und auch dem Kanzleipersonal der Rechtsanwaltskammer zugänglich war, sohin in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, den Rechtsanwalt Dr. Hans B durch die Äußerungen, er habe sich in einer von ihm geführten Verwaltungsangelegenheit einer hinterlistigen Vorgangsweise befleißigt, er habe ferner einen anläßlich einer Säumnisbeschwerde dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Bescheid im Datum gefälscht, um der belangten Behörde nochmals eine Entscheidungsmöglichkeit zu geben und um der Gemeinde eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu ersparen, sowie bewußt einen Bescheid des Gemeinderates vom 23. Oktober 1972 und einen Vorstellungsbescheid der nö. Landesregierung wider diesen Bescheid dem Verwaltungsgerichtshof unterschlagen, eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigte, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Johann A wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wurde vom Kreisgericht Krems an der Donau als Berufungsgericht mit der Entscheidung vom 22. Februar 1977, AZ. 7 Bl 7/77, nicht Folge gegeben (ON 19).

Beide Instanzen erachteten den Tatbestand der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 StGB 'in subjektiver und objektiver Hinsicht erfüllt, da dem Beschuldigten (Angeklagten) der Wahrheitsbeweis nicht gelungen ist' (S 61 und 88 d.A).

In der Folge meldete Johann A in einem an das Kreisgericht Krems an der Donau (zu 7 Bl 7/77) gerichteten Schreiben vom 23. Februar 1977 gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes vom 22. Februar 1977 'Nichtigkeitsbeschwerde bzw. Revision' an (ON 20) und führte das erstbezeichnete 'Rechtsmittel' sodann auch aus (ON 24 und 25). Das Bezirksgericht Allentsteig wies die ihm vom Kreisgericht Krems an der Donau zur weiteren Amtshandlung übermittelte (die Anmeldung der Rechtsmittel beinhaltende) Eingabe des Johann A vom 23. Februar 1977 (s.S 93 d.A) mit dem Beschluß vom 28. März 1977

- als unzulässig (vgl. § 479 StPO) - zurück (S 94 d.A) und erließ unter einem die Endverfügung. Damit wurde unter anderem (Punkt 4) die Einhebung der Geldstrafe verfügt; unter Punkt 6 wurden die (von Johann A zu ersetzenden) Pauschalkosten mit 1.000 S bestimmt; die gegen diesen Kostenbeschluß erhobene Beschwerde des Johann A (ON 23) wurde bisher einer Erledigung nicht zugeführt.

Das Bezirksgericht Allentsteig bestimmte in der Folge (nach Einholung einer Äußerung des Johann A) mit dem Beschluß vom 5. Mai 1977 (ON 27) die Vertretungskosten des Privatanklägers mit 8.713,60 S, wogegen Johann A mit Bezugnahme auf die von ihm gegen das Berufungsurteil eingebrachte 'Nichtigkeitsbeschwerde' und wegen Nichtvorliegens eines seine Kostenersatzpflicht statuierenden rechtskräftigen Strafurteils Beschwerde einlegte (ON 28). Diese Eingabe wies das Bezirksgericht Allentsteig mit dem Beschluß vom 18. Mai 1977 (ON 29) unter Hinweis auf seinen Beschluß vom 28. März 1977 (S 94 d.A), mit welchem die 'Nichtigkeitsbeschwerde' des Johann A zurückgewiesen worden war, und auf die im Berufungsurteil vom 22. Februar 1977 enthaltene Kostenentscheidung zurück, ebenso wie mit dem Beschluß vom 24. Mai 1977 (ON 31) die von Johann A gegen diesen Zurückweisungsbeschluß (ON 29) eingebrachte weitere Beschwerde (ON 30).

Rechtliche Beurteilung

Die Urteile erster und zweiter Instanz (ON 15 und 19), wonach Johann A des an Rechtsanwalt Dr. Hans B begangenen Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Geldstrafe und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt wurde, sowie die Zurückweisungsbeschlüsse des Bezirksgerichtes Allentsteig ON 29 und 31 stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach dem § 114 Abs. 1 StGB ist eine nach dem § 111 Abs. 1 StGB tatbildliche Handlung gerechtfertigt, wenn der Täter hiedurch eine Rechtspflicht erfüllte oder ein Recht ausübte. In Ausübung eines Rechtes handelt hiebei nicht nur der Anzeiger einer strafbaren Handlung bzw. eines Sachverhaltes, der nach seiner Ansicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte bzw. der Verwaltungsbehörden fallenden strafbaren Handlung bildet (§ 86 Abs. 1 StPO bzw. § 13 Abs. 1 AVG) - sofern er nicht bewußt unwahre Angaben macht und die Schranken des Notwendigen einhält -, sondern unter diesen Voraussetzungen auch, wer von dem jedermann zustehenden Recht Gebrauch macht, tatsächliche oder vermeintliche Pflichtwidrigkeiten einer zur Einhaltung bestimmter Amts- oder Standespflichten gehaltenen Person der Standes- oder Disziplinarbehörde - etwa in einer Aufsichtsbeschwerde oder einer an die Rechtsanwaltskammer gerichteten Mitteilung (vgl. EvBl. 1970/385) - anzuzeigen und Abhilfe zu verlangen. Auch in solchen Eingaben erhobene, wenn auch objektiv unzutreffende Beschuldigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn (entweder) damit der Rahmen des sachdienlichen (notwendigen) Vorbringens überschritten wird oder die Anschuldigungen nicht im guten Glauben, sondern wider besseres Wissen geäußert wurden.

Wer hingegen diese Grenzen seiner rechtlichen Befugnis nicht überschreitet, ist unter dem Gesichtspunkt des § 114 Abs. 1 StGB gerechtfertigt, ohne daß sich die Frage des Nachweises der Wahrheit der Beschuldigungen (§ 111 Abs. 3 StGB) überhaupt stellt (sh die bei Leukauf-Steininger, Komm. zum StGB2, zu § 114 zitierte Rechtsprechung;

vgl. weiters SSt 48/97; 39/49; 33/65; Kienapfel, Grundriß, Bes. Teil I, RN 1055-1064).

Vorliegend wurden die mit Privatanklage inkriminierten Vorwürfe von Johann A in einer Beschwerde an die für den Privatankläger zuständige Rechtsanwaltskammer - seiner Standesvertretung und Disziplinarbehörde (erster Instanz) - wegen nicht sachgerechter rechtsfreundlicher Vertretung (des Einschreiters) vorgebracht, wobei Johann A abschließend (S 42 d.A) ersucht, 'die Praktiken der Kanzlei' nach Möglichkeit zu ahnden; derartige Eingaben werden dem zuständigen Kammerausschuß zur Erledigung zugewiesen (s.S 29 d.A). Nach dem vorhin Gesagten war daher im gegebenen Fall für die strafrechtliche Beurteilung des festgestellten Tatverhaltens unter dem Gesichtspunkt des § 111 Abs. 1 StGB (zunächst) entscheidend, ob Johann A die gegen Rechtsanwalt Dr. Hans B erhobenen Vorwürfe bewußt wahrheitswidrig vorgebracht und (oder) nach dem Inhalt des Vorbringens und der damit verbundenen (negativen) Wertung des geschilderten (angeblichen) Vorgehens des genannten Rechtsanwaltes bei Wahrung der Parteiinteressen seine Beschwerde inhaltlich in einer Form angebracht hatte, die, gemessen am Rahmen einer in Betracht kommenden Rechtsausübung, erkennbar (zur Gänze oder zum Teil) einen Mißbrauch dieses Beschwerderechtes darstellt. Andernfalls hätte er im Hinblick auf die Regelung des § 114 Abs. 1

StGB nicht rechtswidrig gehandelt.

Zu diesen nach Lage des Falles wesentlichen Fragen nahmen aber weder das Bezirksgericht Allentsteig noch das Berufungsgericht Stellung; sie begnügten sich vielmehr mit der einen solchen Mißbrauch des Beschwerderechtes bzw. eine Wissentlichkeit der vorgebrachten (nach Auffassung der Gerichte erster und zweiter Instanz) unzutreffenden Beschuldigungen nicht ohne weiteres implizierenden Konstatierung, die Vermutungen des Beschuldigten (Angeklagten) Johann A 'entbehrten jeder Grundlage, der Wahrheitsbeweis sei ihm nicht gelungen' (S 61 f und 88 d.A).

Die Urteile des Bezirksgerichtes Allentsteig vom 30. November 1976 (ON 15) und des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 22. Februar 1977

(ON 19) weisen mithin Feststellungsmängel auf, die auf einer Johann A zum Nachteil gereichenden unrichtigen Anwendung der Bestimmungen der §§ 111 Abs. 1 und 114 Abs. 1 StGB beruhen und die Aufhebung dieser Entscheidungen und aller darauf beruhenden gerichtlichen Beschlüsse und Verfügungen, sowie die Rückverweisung der Strafsache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht erfordern. Dies auch deshalb, weil sich der erkennende Senat der in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 1980, 10 Os 23, 24/80 (= ÖJZ-LSK 1980/136) vertretenen Auffassung, wonach die Annahme eines gleichzeitigen Fortlaufes der Verfolgungsverjährungsfrist mit der Frist für die Vollstreckungsverjährung begrifflich unvereinbar sei, anschließt. Mit der Beseitigung des formell rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses - wie hier - erlangen demnach die Bestimmungen der §§ 57, 58 StGB nur insofern wieder Bedeutung, als vor dem (beseitigten) Schuldspruch liegende Teile der Verjährungsfrist wirksam bleiben, wogegen der Zeitraum ab diesem Schuldspruch bis zu seiner Aufhebung für die Verfolgungsverjährung außer Betracht zu bleiben hat. In diesem Zusammenhang sei noch ergänzend bemerkt, daß auch aus den Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im XX. Hauptstück der StPO für die gegenteilige, der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu 10 Os 60/77 (= ÖJZ-LSK 1977/207) zugrundeliegende Ansicht nichts zu gewinnen ist. Wenn nämlich im § 356 StPO auf die Voraussetzungen des § 355 StPO Bezug genommen wird, wonach unter anderem eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Nachteil des Angeklagten nur insofern beantragt werden kann, als die Strafbarkeit der Tat noch nicht durch Verjährung erloschen ist, so kann daraus auf einen Fortlauf der Verfolgungsverjährung (über den Zeitpunkt der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens hinaus) nur in bezug auf jene 'Tat' geschlossen werden, die noch nicht Gegenstand eines Schuldspruches war.

Darauf weist auch die Unterscheidung in 'Tat' (§ 355 StPO) und 'wirklich verübte Tat' (§ 356 StPO) hin. Im übrigen wäre es im Fall des § 356 StPO nicht einleuchtend, die Verfolgung wegen der schwereren (wirklich verübten) Straftat davon abhängig zu machen, daß sie in ihrer auf unrichtiger (oder unvollständiger) Sachverhaltsfeststellung beruhenden - und deshalb verfehlten - rechtlichen Gestalt noch nicht verjährt sei. Eine solche Annahme, die den Verurteilten um so mehr begünstigen würde, je weiter Inhalt des Schuldspruches und wirklich verübte Tat auseinanderfielen, widerspräche auch der inneren Tendenz des § 356 StPO (vgl. dessen Z 1, 2 und 3).

Von dieser Aufhebung sind insbesondere auch die Zurückweisungsbeschlüsse des Bezirksgerichtes Allentsteig vom 18. Mai 1977 und 24. Mai 1977 (ON 29 und 31) betroffen, die im übrigen, wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei, deshalb mit dem Gesetz nicht im Einklang standen, weil gemäß dem § 481 StPO zur Entscheidung über Beschwerden gegen alle nicht urteilsmäßigen bezirksgerichtlichen Entscheidungen nicht das Bezirksgericht selbst, sondern der Gerichtshof erster Instanz berufen ist. Das Bezirksgericht Allentsteig war daher nicht befugt, die von Johann A ergriffenen Beschwerden gegen den Kostenbestimmungsbeschluß des genannten Gerichtes vom 5. Mai 1977 (ON 27) bzw. die gegen den diese Beschwerde zurückweisenden Beschluß vom 18. Mai 1977 (ON 29) eingebrachte abermalige Beschwerde des Johann A im eigenen Wirkungskreis zurückzuweisen (ON 31).

Somit war insgesamt wie im Spruch zu entscheiden.

Rechtssätze
6