JudikaturJustiz11Ns22/17z

11Ns22/17z – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Mai 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richterin Dr. Sadoghi als Schriftführerin in den Strafsachen gegen Peter H***** zu AZ 35 Hv 99/12a des Landesgerichts St. Pölten und zu AZ 5 U 42/16w des Bezirksgerichts Steyr, zwischen diesen Gerichten geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf nachträgliche Milderung der mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 3. September 2012, GZ 35 Hv 99/12a 16, ausgesprochenen Freiheitsstrafe ist das Landesgericht St. Pölten zuständig.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 3. September 2012, GZ 35 Hv 99/12a 16, wurde Peter H***** zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.

Nach teilweiser Verbüßung dieser Strafe wurde H***** mit Beschluss des Landesgerichts Steyr als Vollzugsgericht vom 17. Dezember 2013, AZ 38 BE 50/13x, mit Wirkung vom 18. Jänner 2014 bei einem Strafrest von drei Monaten und drei Tagen bedingt entlassen (ON 49, ON 50 und ON 58 S 7 der Hv Akten). Aus Anlass einer vom Bezirksgericht Linz am 17. Dezember 2015 ausgesprochenen Verurteilung, AZ 17 U 185/14t, wurde die Probezeit der bedingten Entlassung auf fünf Jahre verlängert (vgl ON 58 S 7 der Hv Akten).

Mit Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 11. April 2016, GZ 5 U 42/16w 8, wurde H***** zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt. Mit gleichzeitig verkündetem Beschluss sah das Bezirksgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der mit obigem Urteil des Bezirksgerichts Linz, AZ 17 U 185/14t, gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre ab und widerrief gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten zu AZ 38 BE 50/13x des Landesgerichts Steyr, „gewährte bedingte Strafnachsicht/Entlassung“ (ON 8 S 2 der U Akten).

Hinsichtlich des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe und des widerrufenen Strafrests bewilligte das Bezirksgericht Steyr (als erkennendes Gericht im Sinn des § 7 StVG [vgl Jerabek , WK StPO § 494a Rz 15]) mit Beschluss vom 27. April 2016 dem Verurteilten einen Strafaufschub gemäß § 6 Abs 1 Z 2 lit a StVG bis zum 1. Mai 2017 (ON 11 der U Akten).

Mit am 10. Februar 2017 beim Bezirksgericht Steyr eingelangtem Schreiben ersuchte der Verurteilte den „Haftaufschub 5 U 42/16w 17 der im Mai 2017 ausläuft, in eine bedingte Haftstrafe umzuändern“, wobei er zusammengefasst vorbrachte, dass er seit August 2016 als Küchenhilfe tätig sei, seinen Zahlungsverpflichtungen nachkomme und nun die Möglichkeit einer stationären Drogenentzugsbehandlung wahrnehmen möchte (ON 18 der U Akten).

Das Bezirksgericht Steyr übermittelte eine Kopie dieses Antrags dem Landesgericht St. Pölten zu AZ 35 Hv 99/12a „zur Entscheidung über den Antrag auf Strafmilderung zu der widerrufenen bedingten Entlassung zu 38 BE 50/13x LG Steyr (§ 410 StPO)“.

Mit Note vom 17. Februar 2017 teilte das Landesgericht St. Pölten dem Bezirksgericht Steyr mit, „dass der Antrag offensichtlich auf nachträgliche Milderung der mit Urteil des BG Steyr vom 11. 4. 2016, 5 U 42/16w, durch Gewährung bedingter Strafnachsicht und Absehen vom Widerruf abzielt“. Sollte diese Meinung nicht geteilt werden, möge eine Konkretisierung des Antrags durch den Verurteilten veranlasst werden (ON 22 der U Akten).

Das Bezirksgericht Steyr übermittelte daraufhin die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über einen Zuständigkeitskonflikt (ON 23 der U Akten): Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sei das Bezirksgericht Steyr zwar zur Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Strafmilderung hinsichtlich der mit Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 11. April 2016 verhängten unbedingten Freiheitsstrafe zuständig; hinsichtlich des widerrufenen Teils aus der bedingten Entlassung zu AZ 38 BE 50/13x des Landesgerichts Steyr komme die Zuständigkeit jedoch dem Landesgericht St. Pölten zu, weil dieses in erster Instanz erkannt habe.

Mit Note vom 9. März 2017 stellte der Oberste Gerichtshof die Akten mit dem Hinweis zurück, dass aus der unklaren Note des Landesgerichts St. Pölten eine abschließende Verneinung dessen Zuständigkeit nicht ersehen werden könne, weshalb ein vom Obersten Gerichtshof zu lösender Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO nicht vorliege (ON 24 der U Akten).

Daraufhin übermittelte das Bezirksgericht Steyr die Akten dem Landesgericht St. Pölten mit dem Ersuchen um Äußerung zur Zuständigkeitsfrage im Sinn der Ausführungen des Obersten Gerichtshofs.

Nunmehr legt das Landesgericht St. Pölten die Akten dem Obersten Gerichtshof vor, weil nach Ansicht des Einzelrichters der Antrag des Verurteilten nicht darauf abziele, „dass das Landesgericht St. Pölten das mit Urteil vom 03. 09. 2012 verhängte Strafmaß von sechzehn Monaten Freiheitsstrafe herabsetzen möge, sondern darauf, dass das Bezirksgericht Steyr seine urteilsmäßige Entscheidung vom 11. 04. 2016 zu 5 U 42/16w, mit welcher unter anderem eine mit Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 17. 12. 2013 zu 38 BE 50/13x gewährte bedingte Entlassung widerrufen wurde, dahingehend mildern möge, dass vom Widerruf abgesehen wird“, und sich das Landesgericht St. Pölten für diese „Milderung des Urteils des Bezirksgerichts Steyr durch Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung“ für nicht zuständig erachtet (ON 61 der Hv Akten).

Rechtliche Beurteilung

In Übereinstimmung mit dem Croquis hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

§ 31a Abs 1 StGB ermöglicht (an Hand der Kriterien der §§ 32–45 Abs 1 StGB; vgl Lässig , WK StPO § 410 Rz 3) eine nachträgliche Strafmilderung etwa durch Herabsetzung der Dauer der Freiheitsstrafe oder Gewährung gänzlicher oder teilweiser bedingter Strafnachsicht auch nach erfolgtem Widerruf ( Ratz in WK² StGB § 31a Rz 6). Bezugspunkt einer solchen Entscheidung ist der Strafausspruch des Urteils (arg „mildere Bemessung der Strafe “ – § 260 Abs 1 Z 3 StPO; vgl Ratz in WK² StGB § 31a Rz 4 und 6).

Der nach den Bedingungen des § 53 Abs 1 StGB vorzunehmende Widerruf einer bedingten Nachsicht oder bedingten Entlassung (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) ist nicht Gegenstand dieses Sanktionsausspruchs (vgl § 494a Abs 4 StPO) und damit auch nicht des § 31a StGB. Daher kommt – entgegen der Ansicht des Landesgerichts St. Pölten – im Rahmen des § 31a StGB eine nachträgliche Änderung des vom Bezirksgericht Steyr (gemeinsam mit dem Urteil) gefassten Beschlusses auf Widerruf der zu AZ 38 BE 50/13x des Landesgerichts Steyr gewährten bedingten Entlassung nicht in Betracht.

Der Antrag des Verurteilten zielt erkennbar auf eine bedingte Nachsicht jener Freiheitsstrafen ab, hinsichtlich derer mit Beschluss des Bezirksgerichts Steyr die Einleitung des Vollzugs bis zum 1. Mai 2017 aufgeschoben wurde. Demnach strebt der Verurteilte eine bedingte Nachsicht der über ihn mit Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 11. April 2016, GZ 5 U 42/16w 8, verhängten Freiheitsstrafe von vier Monaten sowie des aus der Verurteilung des Landesgerichts St. Pölten vom 3. September 2012, AZ 35 Hv 99/12a, – zufolge des Widerrufsbeschlusses des Bezirksgerichts Steyr – noch offenen Strafrests von drei Monaten und drei Tagen an.

Über die nachträgliche Strafmilderung entscheidet gemäß § 410 Abs 1 StPO das Gericht, das in erster Instanz erkannt hat. Die Entscheidungskompetenz kommt auch dann jenem Gericht zu, das die allenfalls zu mildernde Sanktion ursprünglich ausgesprochen hat, wenn eine zunächst gewährte bedingte Nachsicht später von einem anderen Gericht gemäß § 494a StPO widerrufen wurde (RIS Justiz RS0112525, Lässig , WK StPO § 410 Rz 4).

Demnach ist zur Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Strafmilderung durch Gewährung bedingter Strafnachsicht hinsichtlich der mit Urteil des Bezirksgerichts Steyr verhängten Freiheitsstrafe das Bezirksgericht Steyr , hinsichtlich der mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten verhängten Freiheitsstrafe – aus welcher Peter H***** bedingt entlassen und in der Folge die bedingte Entlassung widerrufen wurde – hingegen das Landesgericht St. Pölten zuständig (vgl dazu RIS Justiz RS0119620 [T1]; überholt damit RS0101413).

Rechtssätze
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