JudikaturJustiz10ObS93/23h

10ObS93/23h – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. G*, vertreten durch die Burgstaller Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenpension, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. April 2023, GZ 10 Rs 44/22x 19, mit dem das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 2. Februar 2022, GZ 35 Cgs 104/20w 11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf eine Witwenpension nach ihrem im Februar 2020 verstorbenen Gatten. Im Rekursverfahren ist nur zu klären, ob in die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen (§ 264 Abs 4 ASVG) auch eine in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes ausgeübte, nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegende selbständige Tätigkeit einzubeziehen ist.

[2] Der Gatte der Klägerin war in den Jahren 2016 bis 2019 als Rechtsanwalt selbständig tätig, wofür er keine Beitragszeiten einer Pflichtversicherung, wohl aber nach der Satzung der Versorgungseinrichtung der zuständigen Rechtsanwaltskammer erwarb; zudem führte er seit Jahren eine freiwillige Weiterversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG. Neben dem Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit erhielt er ab 1. Juli 2019 eine Korridorpension (zuzüglich einer Höherversicherung) von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt, eine Alterspension von einer Pensionskasse sowie eine vorzeitige Altersrente von der zuständigen Rechtsanwaltskammer.

[3] Mit Bescheid vom 17. Juni 2020 anerkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach ihrem verstorbenen Gatten und sprach aus, dass sich aufgrund der Berechnungsgrundlage der Klägerin (6.037,50 EUR) sowie derjenigen des Verstorbenen (832,35 EUR) ein Hundertsatz von Null ergebe und die Pension 16,96 EUR monatlich betrage.

[4] Die Klägerin begehrt, ihr die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß, dh auch unter Berücksichtigung des selbständigen Erwerbseinkommens ihres verstorbenen Gatten in den Jahren 2018 bis 2019 zu gewähren (die Einbeziehung der von ihrem Gatten bezogenen Pension der Pensionskasse sowie der Altersrente der zuständigen Rechtsanwaltskammer strebt sie nicht mehr an). Die Beklagte habe bei Bildung der Berechnungsgrundlage des Verstorbenen nur die Korridorpension berücksichtigt. Richtigerweise sei jedoch auf das Einkommen des Verstorbenen abzustellen, wozu jegliches Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit zähle, unabhängig davon, ob es sozialversicherungspflichtig gewesen sei oder nicht.

[5] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass für die Bemessung der Witwenpension ausschließlich Einkommen zu berücksichtigen seien, die aus einer der Pflichtversicherung (in der Pensionsversicherung) unterliegenden selbständigen Tätigkeit erzielt worden seien. Das sei bei der Tätigkeit des Verstorbenen als Rechtsanwalt nicht der Fall, weil seine gesetzliche berufliche Vertretung von der Möglichkeit des „Opting out“ (§ 5 GSVG) Gebrauch gemacht habe.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Unter dem für die Ermittlung der Berechnungsgrundlage relevanten Einkommen iSd § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG seien die aus einer selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte im Sinn des Einkommenssteuerrechts zu verstehen. Dass für dieses auch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden seien, sei nicht erforderlich, weil es im Rahmen des § 264 Abs 2 bis 4 ASVG nur darum gehe, die Korrelation der tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Ehegatten herzustellen. Ein Ausgleich für den Verlust eines Einkommens, für das keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien, erfolge damit nicht. Auf Basis dieser Rechtslage sei die Sache noch erörterungsbedürftig und somit nicht entscheidungsreif.

[8] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil die Frage, ob das Einkommen eines selbständigen Rechtsanwalts in die Berechnungsgrundlage nach § 264 Abs 4 und 5 ASVG einzubeziehen sei, über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Klägerin beantwortete Rekurs der Beklagten, mit dem sie die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[11] 1. Gemäß dem hier maßgeblichen § 264 Abs 4 Satz 1 ASVG ist Berechnungsgrundlage des Verstorbenen das Einkommen nach § 264 Abs 5 ASVG in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 24. Als Einkommen gilt gemäß § 264 Abs 5 Z 1 ASVG das Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 und 1a ASVG. Nach § 91 Abs 1 Z 2 ASVG gilt als Erwerbseinkommen bei einer selbständigen T ätigkeit der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Tätigkeit.

[12] 2. Der Begriff der Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit wird in den Sozialversicherungsgesetzen nicht näher definiert. Es ist somit Aufgabe der Gerichte, zu klären, welche Einkünfte zu berücksichtigen sind (vgl 10 ObS 20/17i; 10 ObS 7/11v). Was die selbständig Erwerbstätigen betrifft, ist speziell der in § 25 GSVG (für die Ermittlung der Beitragsgrundlage) verwendete Begriff „Einkünfte“ dem Einkommensteuerrecht entnommen (RS0105193). Der Oberste Gerichtshof judiziert dazu in ständiger Rechtsprechung , dass weder im Bereich der Alterspensionen (RS0084294 [T4, T7]) noch der hier zu be urteilenden Witwenpension Anlass besteht, den Begriff des „Erwerbseinkommens“ anders als nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu verstehen (10 ObS 132/18m; 10 ObS 90/08w).

[13] 3 . Die Beklagte stellt das zwar nicht in Abrede. Nach ihrer Auffassung folgt aus dieser Rechtsprechung aber nur , dass Sozialversicherungsbeitr äge – entsprechend § 4 Abs 4 Z 1 EStG – kein Teil der „Einkünfte“ seien (vgl RS0125348). Sie ändere hingegen nichts daran, dass § 25 Abs 1 GSVG ausdrücklich auf der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegende Erwerbstätigkeiten abstelle, weshalb auch nur daraus erzielte Einkünfte als Erwerbseinkommen iSd § 264 Abs 5 Z 1 ASVG gewertet werden könnten.

[14] 3.1. Die Beklagte übersieht dabei, dass § 25 Abs 1 GSVG die „Einkünfte“ nur „für die Ermittlung der Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte“, nicht aber für die Ermittlung der Höhe der Witwenpension nach § 264 ASVG definiert. Aus dem Umstand, dass § 25 GSVG (als beitragsrechtliche Regelung) eine der Versicherungspflicht unterliegende Erwerbstätigkeit voraussetzt, lässt sich für den Standpunkt der Beklagten daher nichts gewinnen. Es bieten auch weder der Wortlaut des § 264 Abs 5 ASVG noch die Rechtsprechung Anhaltspunkte dafür, dass nur Einkünfte aus einer der Pflichtversicherung (in der Pensionsversicherung) unterliegenden Tätigkeit ein Erwerbseinkommen aus selbständiger Tätigkeit darstellen. Auch in der Definition des Erwerbseinkommens in § 1 Z 4 Teilpensio nsgesetz findet sich kein Hinweis darauf. Einzig in § 91 Abs 1a ASVG, auf den § 264 Abs 5 ASVG ebenfalls verweist, ist von einem „ Erwerbseinkommen aus einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit nach Abs 1 “ die Rede. Damit sollte aber nur eine Definition des Erwerbseinkommens öffentlicher Mandatare erfolgen (ErläutRV 785 BlgNR 24. GP 5 zum SRÄG 2010) und keine darüber hinausgehende Regelung getroffen werden. Selbst die Beklagte erachtet im Anlassfall nur den Abs 1 des § 91 ASVG und nicht (auch) seinen Abs 1a für die Auslegung des Begriffs der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als relevant.

[15] 3.2. Die Berücksichtigung von Einkünften auch aus nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden selbständigen Tätigkeiten im Rahmen des § 264 Abs 3 und 4 iVm Abs 5 ASVG ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht systemwidrig.

[16] 3.2.1. Wie schon das Berufungsgericht betont hat, besteht der Zweck der Witwenpension darin, den durch den Tod eines Ehegatten entstehenden Unterhaltsausfall auszugleichen (RS0117422). Das Ausmaß der Witwenpension korreliert daher mit dem von den Ehegatten zu Lebzeiten erzielten Einkommen und seiner Verteilung auf die beiden Ehegatten: Je höher der Anteil des Verstorbenen am gemeinsamen Haushaltseinkommen war, desto höher ist der Unterhaltsausfall und demnach auch die Witwenpension (10 ObS 143/20g; 10 ObS 92/20g ua; vgl auch ErläutRV 469 BlgNR 22. GP 2 zum 2. SVÄG 2004, BGBl I 2004/78).

[17] 3.2.2. Bei Berechnung des Hundertsatzes geht es demgemäß im ersten Schritt bloß darum, das Verhältnis zu ermitteln, mit dem der Verstorbene zum Haushaltseinkommen beigetragen hat (§ 264 Abs 2 Satz 1 ASVG). Dieser Anteil ist sodann Ausgangspunkt der Ermittlung des von der Pension des Verstorbenen gebührenden Hundertsatzes (zur weiteren Berechnung vgl § 264 Abs 2 Satz 2 bis 5 ASVG). Damit wird im Ergebnis erreicht, dass von der Pension des Verstorbenen ein Teil gebührt, der sich an dem prozentuellen Anteil orientiert, mit dem (auch) diese Pension verhältnismäßig zum Haushaltseinkommen beigetragen hat. Das spricht zwar nicht zwingend gegen die Ansicht der Beklagten. Angesichts des Ziels der Witwenpension, den Lebensunterhalt des Ehegatten durch eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahe kommende Versorgung zu sichern (VfGH G 300/02 ua, VfSlg 16.923), ist letztlich aber eindeutig, dass alle Einkommen des Verstorbenen iSd § 265 Abs 5 ASVG und nicht nur die sozialversicherungspflichtigen zu berücksichtigen sind, weil nur dadurch ein tatsächlicher Unterhaltsausfall ausgeglichen werden kann.

[18] Die Ansicht der Beklagten führt demgegenüber dazu, dass der Berechnung des Hundertsatzes ein den faktischen Verhältnissen nicht entsprechender, rein fiktiver Anteil der Pension des Verstorbenen zugrunde gelegt würde. Warum das (viel) eher dem Zweck der Witwenpension und dem System der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen soll, klärt die Revision nicht auf. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Umstand, dass der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zukommenden (weiten) Gestaltungsspielraums einzelne Einkommen nicht berücksichtigt hat (vgl 10 ObS 143/20g Rz 9), zwangsläufig für die Auffassung der Beklagten sprechen sollte.

[19] 4. Auch die gegen dieses Ergebnis ins Treffen geführten weiteren Befürchtungen der Beklagten überzeugen nicht.

[20] 4.1. Die Einkünfte des Verstorbenen aus sein er selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt bestimmen im Wege des § 264 Abs 4 ASVG zwar mittelbar die Höhe der Witwenpension. Die von ihm bezogene Korridorpension beruht aber ausschließlich auf von ihm (großteils im Rahmen der freiwilligen Weiterversicherung) geleisteten Beiträgen, für die seine Einkünfte als Rechtsanwalt nicht relevant waren. Da die Witwenpension nur als Prozentsatz der Korridorpension gebührt (§ 264 Abs 1 ASVG), wird nur deren Wegfall und weder direkt noch indirekt der Wegfall der Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Verstorbenen als Rechtsanwalt kompensiert. Die Sorge, letzten Endes müsse die Versichertengemeinschaft den Verlust eines Einkommens ausgleichen, für den keine Beiträge zur Sozialversicherung geleistet worden seien, ist daher unberechtigt. Das Einkommen als (selbständiger) Rechtsanwalt ist zwar der Ausgangspunkt für die Ermittlung des Hundertsatzes, begründet aber keinen Leistungsanspruch.

[21] 4.2. Auch das Argument der „Doppelverwertung“ der Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Verstorbenen ist nicht stichhältig. Die Beklagte erkennt eine solche darin, dass diese Einkünfte im Versorgungssystem der Rechtsanwälte (mutmaßlich) ohnedies zu einem Anspruch der Klägerin auf eine Witwenpension führen würden, sodass sie nicht noch zusätzlich bei der Berechnungsgrundlage des Verstorbenen zu berücksichtigen seien.

[22] Mit diesen Ausführungen zielt sie im Ergebnis darauf ab, ein vor dem Tod bezogenes Einkommen iSd § 264 Abs 5 ASVG deshalb aus der Berechnungsgrundlage des Verstorbenen (§ 264 Abs 4 ASVG) auszuscheiden, weil – auch nach ihrem Standpunkt – die daraus resultierenden Versorgungsansprüche der Klägerin bei ihrer Berechnungsgrundlage (§ 264 Abs 3 ASVG) weder inhaltlich (vgl RS0111686; 10 ObS 11/15p [Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer]) noch zeitlich zu berücksichtigen sind.

[23] Auf welche (Rechts )Grundlage sich diese Ansicht stützen kann, vermag die Beklagte nicht darzulegen. Abgesehen davon würde mit der behaupteten Witwenpension der zuständigen Rechtsanwaltskammer prima vista nur der Ausfall des vom Versorgungssystem der Rechtsanwälte erfassten Teils des Gesamteinkommens des Verstorbenen im Wege einer Pensionsleistung an die Witwe (verhältnismäßig) ausgeglichen. Warum das dem (verhältnismäßigen) Ausgleich auch des Ausfalls der Korridorpension als weiterer Teil des Gesamteinkommens des Verstorbenen entgegenstehen soll, ist nicht zu erkennen.

[24] 6. Die Ansicht des Berufungsgerichts, im Rahmen des § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG sei jegliches selbständige Erwerbseinkommen zu berücksichtigen, entspricht daher der Rechtslage. Dass Einkünfte als Rechtsanwalt Einkünfte im Sinn des Steuerrechts sind (vgl § 22 Z 1 lit b EStG), bestreitet die Beklagte zu Recht nicht.

[25] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Die Klägerin hat weder die Zurückweisung des Rekurses beantragt, noch auf dessen Unzulässigkeit hingewiesen. Für ihre daher zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendige (vgl RS0035962 [T15]) Rekursbeantwortung steht ihr daher kein Kostenersatz zu (RS0035962 [T18, T20]; RS0035979 [T15, T18]).

Rechtssätze
5