JudikaturJustiz10ObS70/22z

10ObS70/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. G*, vertreten durch die Pallauf Meißnitzer Staindl Partner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 2022, GZ 12 Rs 20/22f 33, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 27. 4. 2021, 10 ObS 15/21k, DRdA 2022/1, 28 (Pfeil) = JAS 2022, 179 (Auer Mayer) = SSV NF 35/25 = ZAS 2022/26, 170 (Brodil) , den Unfall, den der Kläger am 27. 6. 2019 bei einem Sturz auf der Innentreppe seines Wohnhauses erlitt, als Dienstunfall nach § 90 B KUVG qualifiziert. Die (das Klagebegehren abweisenden) Urteile der Vorinstanzen wurden zur Klärung aufgehoben, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des Dienstunfalls über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist.

[2] Im zweiten Rechtsgang führte das Erstgericht ein Beweisverfahren über den Unfallhergang durch und wies das Klagebegehren, die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau zu verpflichten, den Unfall als Dienstunfall anzuerkennen und dem Kläger eine Versehrtenrente zu gewähren, mit der Begründung ab, dass ein dienstlicher Zusammenhang des vom Kläger über die Treppe geführten Wegs nicht feststellbar sei; daher liege auch kein Dienstunfall vor.

[3] Im Hinblick auf die Bindungswirkung des Aufhebungsbeschlusses des Obersten Gerichtshofs vom 27. 4. 2021 gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es das Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Dienstunfalls vom 27. 6. 2019 für den Zeitraum von 11. 9. 2019 bis 10. 12. 2019 im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als dem Grunde nach zu Recht bestehend feststellte, die beklagte Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids zur Erbringung einer vorläufigen Zahlung von 400 EUR monatlich verpflichtete und das auf Erbringung einer höheren Versehrtenrente bzw einer Versehrtenrente über den 10. 12. 2019 hinaus abwies. Die Revision wurde nicht zugelassen, weil der Oberste Gerichtshof die einzige relevante Rechtsfrage bereits im ersten Rechtsgang abschließend geklärt habe.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.

[5] 1. Die beklagte Partei bekämpft die vom Berufungsgericht für den zweiten Rechtsgang angenommene Bindung an den Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 27. 4. 2021. Sie habe bereits im ersten Rechtsgang eine Zeugeneinvernahme zum Beweisthema der Unfallfolgen beantragt. Allerdings sei sie im ersten Rechtsgang noch nicht in der Lage gewesen, die Namen der Zeugen bekanntzugeben, weil sich der Kläger geweigert habe, diese zu nennen. In der im ersten Rechtsgang erstatteten Berufungsbeantwortung seien weder die erstgerichtlichen Feststellungen bekämpft noch sei ein Verfahrensmangel geltend gemacht worden. Eine Rügepflicht habe aber nicht bestanden, weil es sich um sekundäre Feststellungsmängel – nämlich zu den Unfallfolgen – gehandelt habe. Wegen der damals herrschenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hätten die Parteien auch nicht mit der Notwendigkeit, Feststellungen zu rügen, rechnen müssen. Die „neuen“ Feststellungen des Erstgerichts seien erst als Folge der Beweisaufnahmen zu den Unfallfolgen hervorgekommen und könnten unter den Voraussetzungen des § 530 ZPO im zweiten Rechtsgang verwertet werden. Darüber hinaus habe der Kläger den Verstoß gegen die Bindungswirkung in der Berufung nicht gerügt.

[6] 2. Wie die beklagte Partei zugesteht, konnte der Oberste Gerichtshof in seinem Aufhebungsbeschluss von einem unbekämpften Sachverhalt ausgehen. Welche Feststellungsrüge sie in ihrer Berufungsbeantwortung erhoben hätte, wäre sie nicht von der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs überrascht worden, lässt sie offen. Sie hat auch explizit klargestellt, dass die von ihr (ohne namentliche Nennung) beantragten Zeugen nicht zum Grund des Anspruchs, sondern zu den Unfallfolgen geführt wurden.

[7] 3. Der Umstand, dass sich bei der Beweisaufnahme im zweiten Rechtsgang aus Sicht des Erstgerichts die Unrichtigkeit der seinerzeit von ihm im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen herausgestellt hat, ändert nichts an der bereits gemäß § 499 Abs 2 iVm § 513 ZPO eingetretenen Bindung des Erstgerichts an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs, dass der Unfall des Klägers vom 27. 6. 2019 ein Dienstunfall nach § 90 Abs 1 B KUVG war. Abschließend erledigte Streitpunkte können in einem nach einem Aufhebungsbeschluss fortgesetzten Verfahren nicht wieder aufgerollt werden (RIS Justiz RS0042014 [T1, T2 und T3]; RS0042031). Neu vorgebracht werden können nur mehr Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang entstanden sind (RS0042458 [T5 und T8]). Nicht ausgeschlossen wird von der Rechtsprechung die Wiederaufnahmeklage gegen den Aufhebungsbeschluss eines Berufungsgerichts (RS0042323; A. Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 530 Rz 2). Eine solche ist aber hier nicht zu beurteilen.

[8] 4. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, hatte es im Hinblick auf die gesetzmäßig ausgeführte Berufung die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen zu prüfen (RS0043352) und konnte daher die eingetretene Bindungswirkung aufgreifen, auch wenn der Kläger in seiner Berufung deren Verletzung nicht gerügt hatte.

[9] 5. Wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.