JudikaturJustiz10ObS12/99h

10ObS12/99h – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. März 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Meisterhofer und Dr. Elmar A. Peterlanger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Natalie B*****, vertreten durch Dr. Werner Borns, Rechtsanwalt Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeldes, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Oktober 1998, GZ 10 Rs 177/98t-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Februar 1998, GZ 2 Cgs 135/97z-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, das es insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1. 10. 1997 ein Pflegegeld der Stufe 5 im Betrag von monatlich S 11.591 - abzüglich bereits geleisteter Zahlungen - zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung eines höheren Pflegegeldes in Höhe der Stufe 6 oder 7 wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Begründung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, sodaß auf deren Richtigkeit hingewiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

In seiner Stammfassung BGBl 1993/110 - § 4 Abs 4 - ordnete das BPGG an, daß ab 1. 7. 1993 ein Rechtsanspruch (nur) auf das Pflegegeld in Höhe der Stufen 1 und 2 und erst ab dem 1. 1. 1997 auch auf das Pflegegeld der Stufen 3 bis 7 bestehe. In der Zwischenzeit war bei Vorliegen der Voraussetzungen der Differenzbetrag zwischen Stufe 2 und einer höheren Stufe vom Entscheidungsträger als Träger von Privatrechten (dh im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung) sowie als Naturalobligation zu gewähren (SSV-NF 8/71 mwN). Ein Rechtsanspruch auf diesen Differenzanspruch bestand nicht. Hinsichtlich eines solchen Differenzbetrages hatten auch keine Bescheide, sondern lediglich Mitteilungen zu ergehen und es war der Rechtsweg ausgeschlossen. Durch Art I Z 2 der Novelle zum BPGG, BGBl 1995/131, wurde § 4 Abs 4 BPGG der Stammfassung ersatzlos aufgehoben und damit die Klagemöglichkeit bei den Arbeits- und Sozialgerichten für alle Pflegegeldstufen zu einem früheren als dem zunächst vorgesehenen Zeitpunkt eröffnet. Gleichzeitig wurde allerdings in Art II Abs 1 der Novelle zum BPGG normiert, daß der Rechtsweg in bezug auf das Pflegegeld der Stufe 3 bis 7 für die Zeit vor dem 1. 7. 1995 weiterhin ausgeschlossen ist. Nach den Materialien zur Novelle zum BPGG sollte durch diese Regelung klargestellt werden, daß ein rückwirkender Rechtsanspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 bis 7 nicht begründet werden sollte (SSV-NF 10/110 mwN). Eine solche vor dem 1. 7. 1995 ergangene Mitteilung ist auch nach diesem Zeitpunkt nicht in einen Bescheid umzudeuten. Dies ergibt sich - abgesehen von dogmatischen Bedenken - schon aus der Genese der BPGG-Novelle 1995 (siehe dazu näher bei Fink, Sukzessive Zuständigkeit 246; 10 ObS 447/97a).

Es trifft wohl zu, daß ein Bescheid immer dann anzunehmen ist, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stammt, die Bescheide erlassen darf, und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergibt, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, dh bindende Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (SSV-NF 5/36, 9/39, 10/110 ua, jeweils mwN). Gerade diese Voraussetzungen liegen jedoch im Fall einer vor dem 1. 7. 1995 ergangenen Mitteilung über die Gewährung eines Pflegegeldes der Stufe 7 nicht vor. § 4 Abs 4 letzter Satz BPGG in der Stammfassung schloß nämlich den Bescheidcharakter der Mitteilungen ausdrücklich aus. Der gegenständlichen Mitteilung der Beklagten vom 15. 9. 1994 kommt daher gleichfalls - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin (und des Erstgerichtes) - kein Bescheidcharakter zu.

Daß bei der Klägerin die sachlichen Voraussetzungen für ein Pflegegeld der Stufe 6 oder 7 nicht vorliegen, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Die Revisionswerberin bemängelt die Neubemessung des Pflegegeldes deshalb, weil "bereits einmal eine Bemessung des Pflegegeldes stattgefunden" habe. Hiezu wurde jedoch vom Senat bereits mehrfach erkannt, daß die Entziehung (Herabsetzung) eines vor dem 1. 7. 1995 aufgrund einer Mitteilung im Sinne des § 4 Abs 4 BPGG in der Stammfassung über die Stufe 2 hinausgehenden Pflegegeldes immer dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorliegen, und zwar auch wenn eine Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Gewährungszeitpunkt nicht eingetreten ist. Die Grundsätze betreffend die Zulässigkeit der Entziehung von Leistungen (§ 99 ASVG, § 9 Abs 2 BPGG bzw § 9 Abs 4 idF vor bzw nach BGBl I 1998/111) sind auf diese Fälle nicht übertragbar (SSV-NF 10/110; 10 ObS 447/97a, teilweise veröffentlicht in ZASB 1998, 29; RIS-Justiz RS0109577).

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß im Hinblick auf die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum BPGG, BGBl I 1998/111, auf das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene gerichtliche Verfahren gemäß § 48 Abs 1 für die Zeit bis zum 31. 12. 1998 für die Beurteilung des Anspruches der Klägerin die Bestimmungen des § 4 BPGG vor der Novelle samt EinstV BGBl 1993/314 zugrunde zu legen sind. Erst für die Zeit ab dem 1. 1. 1999 ist der Anspruch nach der neuen Rechtslage zu beurteilen, wobei allerdings die zitierte EinstV erst mit Wirksamkeit vom 31. 1. 1999 aufgehoben und durch die neue EinstV BGBl II 1999/37 ersetzt wurde (§ 9 EinstV nF). Auch die Anwendung der neuen Rechtslage führt jedoch beim gegenständlichen Sachverhalt zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis als die Beurteilung durch das Berufungsgericht. Der gegenständliche Sachverhalt bietet nämlich keine Anhaltspunkte dafür, daß bei der Klägerin zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen oder die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist, oder daß bei der Klägerin keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich sind oder ein gleichzuachtender Zustand vorliegt (§ 4 Abs 2 Stufe 6 bzw 7 nF). Im Gegenteil wurde die Notwendigkeit einer dauernden Beaufsichtigung oder eines gleichzuachtenden Zustandes ausdrücklich verneint und außer Streit gestellt, daß die Klägerin stets in der Lage war, die Hände und den Kopf zu bewegen (ON 7, AS 15).

Damit hat es jedoch zusammenfassend bei der mit Bescheid vom 1. 8. 1997 erfolgten Zuerkennung des Pflegegeldes der Stufe 5 zu bleiben und es ist somit das auf eine darüber hinausgehende Pflegegeldzuerkennung gerichtete Klagebegehren abzuweisen. Das Urteil des Berufungsgerichtes ist daher zu bestätigen, allerdings im Hinblick auf die Wirkung des Außerkrafttretens des Bescheides durch die Klage gemäß § 71 Abs 1 ASGG mit der Maßgabe des Zuspruches der bescheidmäßig zuerkannten Leistung (SSV-NF 1/60, 2/131; 10 ObS 90/98b ua). In diesem Sinn war daher der Spruch der Entscheidung neu zu fassen, da andernfalls kein Titel über die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 5 bestünde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da der Klägerin lediglich die dem angefochtenen Bescheid entsprechende Leistung zuerkannt wurde, ist von einem vollständigen Unterliegen im gerichtlichen Verfahren auszugehen (10 ObS 416/97t; 10 ObS 90/98b). Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor.

Rechtssätze
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