JudikaturJustiz10Ob48/22i

10Ob48/22i – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon. Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber, und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Piaty Müller Mezin Schoeller Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Graz, gegen die beklagte Partei P* GmbH Co KG, *, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 167.027,98 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. August 2022, GZ 2 R 112/22m 41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 6. Mai 2022, GZ 13 Cg 114/20z 36, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.550,60 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 425,10 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin ist in Deutschland ansässig und in Österreich beschränkt steuerpflichtig. Sie erwirtschaftete im Zeitraum 1994 bis 2004 Einkünfte in Österreich aus Gewerbebetrieb aus Kommanditbeteiligungen an verschiedenen österreichischen Gesellschaften. In Deutschland wurde die Klägerin von ihrer Tochter steuerlich vertreten, in Österreich von der Beklagten.

[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die von der Klägerin behauptete Haftung der Beklagten für die pflichtwidrige Unterlassung der fristgerechten Geltendmachung von aus österreichischen Kommanditbeteiligungen erzielten Verlusten der Klägerin aus den Jahren 1994 und 1997 bei der Einkommensteuererklärung. Diese Verluste in Gesamthöhe von 320.111,26 EUR wurden in Deutschland nicht verwertet.

[3] Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass von der Beklagten bei sorgfältiger Vorgangsweise zu erwarten gewesen wäre, den Verlustabzug für die Jahre 1994 und 1997 nicht – wie von ihr gewählt – im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2003 erstmals geltend zu machen, sondern im Rahmen von Rechtsmitteln gegen die Einkommensteuerbescheide 2000–2002. Die fristgerechte Geltendmachung dieser Verluste hätte grundsätzlich zu einer Steuerersparnis im Jahr 2000 von 48.669 EUR, im Jahr 2001 von 77.895,39 EUR und im Jahr 2002 von 25.244,88 EUR, insgesamt somit von 151.809,26 EUR geführt. Wesentliche Voraussetzung dafür ist allerdings – und dies ist der zentrale Streitpunkt im Revisionsverfahren – dass dem im Einkommensteuerbescheid 1998 ausgewiesenen Verlustabzug nicht die bindende Wirkung eines Feststellungsbescheids zugemessen wird.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass dem Einkommensteuerbescheid 1998 Bindungswirkung zukomme.

[6] Der Beklagten sei nicht als Sorgfaltswidrigkeit vorzuwerfen, dass sie den Einkommensteuerbescheid 1998 nicht bekämpft habe. Die Klägerin lege schon nicht dar, was die Beklagte aus ihrer Sicht diesem Bescheid inhaltlich entgegensetzen hätte müssen. Dass die konkreten Verluste in Österreich (und nicht allenfalls in Deutschland) geltend zu machen wären und ihrer Geltendmachung der Einkommensteuerbescheid 1998 entgegenstehen würde, sei für die Beklagte, die nur mit der steuerlichen Vertretung in Österreich betraut war, nicht absehbar gewesen, als der Bescheid noch angefochten werden konnte.

[7] Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig. Die Abgrenzung zwischen Tatsachenfeststellung und Rechtsfrage bei der anzuwendenden Sorgfalt des Steuerberaters und die als Vorfrage zu lösende Frage der Bindungswirkung der Feststellung eines Verlustabzugs in einem Einkommensteuerbescheid seien von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Eine erhebliche Rechtsfrage liege in diesem Sinn auch dann vor, wenn Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Vorfrage fehle und auch keine herrschende Lehre vorliege.

[8] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung der Klage anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig.

[10] 1. Die Revisionswerberin wendet sich gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Feststellung des Verlustabzugs im Einkommensteuerbescheid 1998 im konkreten Fall Bindungswirkung habe. Einer Abgabenbehörde sei die rechtskraftfähige Feststellung des Umfangs eines möglichen Verlustabzugs für spätere Jahre in der Begründung eines Einkommensteuerbescheids nicht möglich, nur dessen Spruch könne in Rechtskraft erwachsen. Nach richtiger Rechtsansicht könne dem im Einkommensteuerbescheid 1998 ausgewiesenen Verlustabzug nicht die Wirkung eines Feststellungsbescheids zugemessen werden. Hätte die Beklagte Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2002 ergriffen, hätte dies daher zu einer Steuerersparnis der Klägerin in der vom Erstgericht ermittelten Höhe geführt. Damit zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[11] 2. Die Revisionswerberin weist selbst zutreffend darauf hin, dass dem Obersten Gerichtshof bei der Klärung von Fragen des Verwaltungsverfahrens und Steuerrechts, deren Beurteilung sie als rechtserheblich ansieht, keine Leitfunktion zukommt (RIS Justiz RS0116438 [T13]).

[12] 3.1 Hier steht fest, dass die Geltendmachung der Verluste der Klägerin aus den Jahren 1994 und 1997 bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten mit – zeitlich noch möglichen – Rechtsmitteln gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2002 grundsätzlich möglich gewesen wäre. Als sorgfaltswidrig ist daher das Vorgehen der Beklagten einzustufen, diese Verluste erst mit der Einkommensteuererklärung 2003 geltend zu machen.

[13] 3.2 Die Vorinstanzen haben die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beachtet, dass bei der Beurteilung des hypothetischen Verfahrensausgangs des Vorprozesses das mit dem Schadenersatzbegehren befasste Gericht (Regressgericht), das mit dem gegen den Prozessbevollmächtigten wegen behaupteter Unterlassungen erhobenen Schadenersatzanspruch befasst ist, nicht darauf abzustellen hat, wie das Gericht des Vorprozesses, wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben, seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess – oder auch nur eine Teilfrage desselben – richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RS0115755). Dass der geltend gemachte Schaden bei einem bestimmten und möglichen pflichtgemäßen Handeln des – hier: – Steuerberaters (RS0022700 [T8]) nicht eingetreten wäre, ist vom Geschädigten zu beweisen (3 Ob 134/08i mwH; RS0022700).

[14] 3.3 Eine Unterlassung des pflichtgemäßen Handelns (hier: die Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2002) ist nur dann kausal, wenn ein gebotenes Tun den schädigenden Erfolg verhindert hätte. Die Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs sind bei einer Schädigung durch Unterlassen geringer als jene an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Die Frage, wie sich Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (RS0022900; 6 Ob 207/20i ua). D as Regressgericht hat bei einer behaupteten Unterlassung den Vorprozess daher hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie das Verfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte (RS0022706 [T6]).

[15] 4.1 Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung beachtet und ist ohnehin – wie dies auch die Revisionswerberin verlangt – davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nur der Spruch eines Bescheids Bindungswirkung entfaltet; die Rechtskraft erstreckt sich nicht auf die Begründung (VwGH Ro 2017/15/0041 Rz 21 mwH zur Bindungswirkung gemäß § 116 BAO).

[16] 4.2 Der Betrag, der im jeweiligen Einkommensteuerbescheid als Sonderausgabe berücksichtigt worden ist, stellt eine abgabenrechtlich bedeutsame Tatsache dar, über die mit Bindungswirkung für weitere Folgejahre entschieden wird (VwGH 94/13/0011). Die darauf beruhende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Höhe eines Verlusts mit rechtskräftiger Wirkung im Einkommensteuerbescheid des Verlustjahres festgesetzt und damit im Sinn des § 92 Abs 1 lit b BAO eine abgabenrechtlich bedeutsame Tatsache festgestellt wird, stellt die Revisionswerberin ebenfalls nicht in Frage.

[17] 4.3 Dem Argument der Revisionswerberin, der Verwaltungsgerichtshof habe sich noch nicht geäußert, ob auch der Umfang eines möglichen Abzugs für spätere Jahre bescheidmäßig mit Bindungswirkung und somit im Sinn des § 92 Abs 1 lit b BAO als abgabenrechtlich bedeutsame Tatsache festgestellt werden kann, und zwar nicht im Spruch, sondern in dessen Begründung, hat bereits das Berufungsgericht entgegengehalten, dass die Meinung, es handle sich bei dieser im Abgabenbescheid gegebenen Darstellung des abgezogenen Verlustbetrags lediglich um einen der Rechtskraft nicht fähigen Teil der Begründung, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zutrifft (VwGH 94/13/0011). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgesprochen, dass kein Wahlrecht für die Geltendmachung des Verlustvortrags, also für das Jahr, in welchem der Verlustvortrag abgezogen werden soll, besteht. Ist es dem Steuerpflichtigen zuzurechnen, dass im Einkommensteuerbescheid eines auf das Verlustentstehungsjahr folgenden Jahres der Verlustvortrag mit einem zu geringen Betrag als Sonderausgabe Berücksichtigung findet, verliert jener Betrag des vortragsfähigen Verlusts, der als Sonderausgabe hätte abgezogen werden können, seine Vortragsfähigkeit in Folgejahren (VwGH 2012/15/0038).

[18] 4.4 Die Revisionswerberin führt aus, es sei einer Abgabenbehörde nicht möglich, den Umfang eines möglichen Verlustabzugs für spätere Jahre bescheidmäßig festzustellen, weil an einer solchen Feststellung weder ein Parteiinteresse, noch ein öffentliches Interesse bestehe. Sie zeigt damit keine Korrekturbedürftigkeit der Beurteilung des Berufungsgerichts auf, wonach der Ausspruch über die Höhe des Verlusts auf ein späteres Veranlagungsverfahren derart einwirkt, dass er für den nachfolgenden Verlustvortrag betragsmäßig verbindlich wird, weil diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts Deckung in der von ihm zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs findet (VwGH 2012/15/0014 mwH). Dieser Rechtsansicht ist auch – worauf bereits der Sachverständige in diesem Verfahren hingewiesen hat – das BFG in der zitierten Entscheidung gefolgt (Beil ./G, S 23). Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass es der Klägerin unbenommen gewesen wäre, die Berufungsvorentscheidung betreffend die Einkommensteuer 1998 zu bekämpfen. Und es führt weiter unter Berufung auf die Entscheidung des VwGH 2012/15/0038 aus: „Dass der Verlustvortrag in der Berufungsvorentscheidung zu niedrig ausgewiesen wäre, habe sich die Bf. zuzurechnen, etwaige höhere darin nicht berücksichtigte vortragsfähige Verluste verlieren ihre Vortragsfähigkeit in den Folgejahren“ .

[19] 4.5 Auf das noch in der Berufung erhobene Argument, der Beklagten sei vorzuwerfen, kein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid 1998 erhoben zu haben, kommt die Klägerin in der Revision nicht mehr zurück, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[20] 5. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revisionswerberin im konkreten Einzelfall keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen auf, dass auch bei Erhebung von Rechtsmitteln gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2002 infolge der dargestellten Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids 1998 keine Steuerersparnis für die Klägerin zu erzielen gewesen wäre. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
5