JudikaturJustiz10Ob337/99b

10Ob337/99b – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Unterbringungssache der Cornelia S*****, geboren am 11. Oktober 1962, infolge außerordentlicher Revisionsrekurse der Betroffenen, vertreten durch ihre Mutter Dorothea S***** sen. sowie ihrer Mutter, diese vertreten durch Dr. Hans Rantner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Juli 1999, GZ 54 R 94/99s, 95/99p-45; vom 26. Juli 1999, GZ 54 R 100/99y-46, und vom 26. August 1999, GZ 54 R 117/99y, 118/99w-54, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden, soweit sie die Zurückweisung des gegen die Sachverständigen Dr. Gesine P***** und Dr. Gabriella S***** erhobenen Befangenheitsanträge bekämpfen, als unzulässig, im Übrigen mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

1. Zum Revisionsrekurs (ON 69) gegen den Beschluss vom 22. Juli 1999 (ON 45):

Das Rekursgericht gab mit dieser Entscheidung dem Rekurs der Betroffenen gegen die Beschlüsse des Erstgerichtes vom 2. 6. 1999 (ON 3), womit ihre vorläufige Unterbringung bis zu der spätestens binnen 14 Tagen stattzufindenden Unterbringungstagsatzung für zulässig erklärt wurde, und vom 21. 6. 1999 (ON 18), womit der Antrag der Betroffenen auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. Gesine P***** wegen Befangenheit verworfen (Punkt 1.), die am 15. 6. 1999 begonnene Heilbehandlung der Betroffenen mittels parentaler neuroleptischer Therapie mit Haldol und Valium (Punkt 2.) und die Unterbringung der Betroffenen bis zum 1. Juli 1999 für zulässig erklärt wurden (Punkt 3.), keine Folge. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der durch ihre Mutter vertretenen Betroffenen und ihrer Mutter ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Soweit im Rechtsmittel der Beschluss des Rekursgerichtes insoweit bekämpft wird, als das Rekursgericht die Zurückweisung der Ablehnung der Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie Dr. Gesine P***** bestätigt hat, ist das Rechtsmittel schon deshalb unzulässig, weil es auch im Außerstreitverfahren kein Rechtsmittel gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über Ablehnungen gibt, da § 24 JN eine abschließende Sonderregelung enthält. Diese Rechtsmittelbeschränkung gilt ebenso für die Ablehnung von Sachverständigen (EFSlg 55.545; 55.626; 7 Ob 11/99i; 8 Ob 125/98y mwN ua; RIS-Justiz RS0016522).

Im Übrigen werden keine Rechtsfragen von der im § 14 Abs 1 AußStrG für die Zulässigkeit eines außerordentlichen Revisionsrekurses verlangten Qualität aufgezeigt. Es ist nicht strittig, dass die in der Nacht von Freitag, den 28. 5., auf Samstag, den 29. 5. 1999, erfolgte stationäre Aufnahme an der Universitätsklinik Innsbruck auf Verlangen der Betroffenen erfolgte. Die Umwandlung der Unterbringung auf Verlangen in eine solche ohne Verlangen erfolgte im Hinblick auf die beiden übereinstimmenden, unabhängig voneinander von Dr. K***** am 28. 5. und von Oberarzt Dr. B***** am 29. 5. 1999 erstellten ärztlichen Zeugnisse im Einklang mit der Bestimmung des § 10 UbG. Eine Sanktion gegen eine Verletzung der Verständigungspflicht des § 17 UbG sieht das Gesetz nicht vor. Im Übrigen wurde das Gericht ohnedies am Montag, den 31. 5. 1999, von der Aufnahme der Betroffenen verständigt.

Nach den Feststellungen leidet die Betroffene, die seit vielen Jahren in psychiatrischer Behandlung steht, seit ungefähr 1976 an einer Anorexia und seit dem Jahr 1984 an einer schizoaffektiven Psychose und damit an einer psychischen Krankheit im Sinne des § 3 UbG (vgl SZ 68/117). Die Klärung der im Revisionsrekurs aufgeworfenen Frage, ob die Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung des Vorliegens einer psychischen Störung ausreicht oder hiefür ein weiteres Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (4 Ob 2160/96t ua). Soweit das Rekursgericht auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzung für die Unterbringung einer psychisch Kranken in einer Anstalt bejahte, dass nämlich die Untergebrachte im Zusammenhang mit der Krankheit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit Anderer ernstlich und erheblich gefährdet (§ 3 Z 1 UbG), im Hinblick auf die bei der nicht krankheitseinsichtigen Betroffenen bestehenden Gefahr, dass sie die Nahrungsaufnahme gänzlich verweigert, was zu einer schwerwiegenden Bedrohung ihrer Gesundheit und ihres Lebens führen würde, und sie als Ausfluss ihrer Psychose jene Personen, von denen sie sich bedroht fühlt, körperlich attackiert, so liegt darin ebenfalls nur eine, keine erhebliche Rechtsfrage begründende, mit der Rechtsprechung (vgl SZ 68/117) nicht im Widerspruch stehende Beurteilung des Einzelfalles vor (vgl 9 Ob 152/98p ua). Dass eine adäquate alternative Betreuungsmöglichkeit nicht gegeben war, wird im Rechtsmittel nicht mehr in Zweifel gezogen. In der Ansicht des Rekursgerichtes, ein Verstoß gegen § 26 Abs 1 UbG liege nicht vor, weil der Betroffenen nicht die Möglichkeit genommen war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, kann ebenfalls keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Schließlich ist zur Frage der Zulässigkeit der Unterbringung noch darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Rekursgerichtes über die vorläufige Unterbringung einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist, weil es sich dabei um eine bloß vorläufige Entscheidung handelt, die mit der - ebenfalls bekämpften - Endentscheidung im fortgesetzten Verfahren wegen ihres bloß provisorialen Charakters "überholt" ist (vgl 6 Ob 144/98i, 147/98f; EvBl 1993/120 ua; RIS-Justiz RS0075964).

Auch in der Frage der Zulässigkeit der bei der Betroffenen mittels parentaler neuroleptischer Therapie mit Haldol und Valium vorgenommenen Heilbehandlung hat sich das Rekursgericht bei seiner Entscheidung an den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen orientiert. Der Beurteilung durch die Vorinstanzen, dass es sich bei der bei der Betroffenen vorgenommenen parentalen neuroleptischen Therapie mit Holdol und Valium um eine "einfache" Heilbehandlung handle, werden im Rechtsmittel keine inhaltlichen Argumente entgegengesetzt. Dies gilt auch für die Frage der Rechtswirkungen des im gegenständlichen Verfahren vorgelegten "psychiatrischen Testaments" der Betroffenen (vgl dazu insbesondere die bereits in einem anderen Unterbringungsverfahren der Betroffenen ergangene Entscheidung 6 Ob 144/98i, 147/98f). Nach den Feststellungen entspricht die bei der Betroffenen vorgenommene Therapie den anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft zur Behandlung einer schizoaffektiven Psychose.

2. Zum Revisionsrekurs (ON 71) gegen den Beschluss vom 26. 7. 1999 (ON 46):

Das Rekursgericht gab mit dieser Entscheidung dem Rekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Erstgerichtes vom 1. 7. 1999 (ON 25), womit die am 18. 6. 1999 in der Zeit von 22 bis 23.30 Uhr erfolgte zusätzliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Betroffenen mittels Fixierung durch einen Bauchgurt für zulässig erklärt wurde, keine Folge.

Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit sind nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr von ernstlichen und erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdungen im Sinn des § 3 Z 1 sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen (§ 33 Abs 1 UbG). Die Beschränkung muss zur Erreichung des angestrebten Zieles "unerlässlich" sein und darf "zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen". Es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs. Die Zulässigkeit einer bewegungseinschränkenden Maßnahme ist dabei immer im Einzelfall zu beurteilen (Kopetzki, UbG Rz 550 ff; 2 Ob 605/92).

Nach den Feststellungen lag bei der Betroffenen als Folge ihrer schizoaffektiven Psychose eine zwanghafte Umtriebigkeit vor und es bestand bei ihr auf Grund der verabreichten Medikation bei Verlassen ihres Bettes eine akute Sturzgefahr. Der Betroffenen war diese akute Selbstgefährdung nicht bewusst und sie war auch nicht dazu zu bewegen, im Bett zu bleiben. Eine mögliche Alternative hätte nur in einer Erhöhung der Medikamentendosis oder in einem dauernden Festhalten der Betroffenen durch eine Pflegeperson bestanden. Wenn die Vorinstanzen auf Grund dieses Sachverhaltes zu dem Ergebnis gelangten, dass die Fixierung der Betroffenen zur Gefahrenabwehr erforderlich war und auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot des § 33 Abs 1 UbG entsprochen hat, kann darin keine wahrzunehmende offenbare Fehlbeurteilung erblickt werden.

3. Zum Revisionsrekurs (ON 70) gegen den Beschluss vom 26. 8. 1999 (ON 54):

Mit dieser Entscheidung wurde vom Rekursgericht der Beschluss des Erstgerichtes vom 15. 7. 1999 (ON 33) insoweit bestätigt, als damit der Antrag der Betroffenen auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. Gabriella S***** verworfen (Punkt 1) und die am 21. 6. 1999 begonnene Heilbehandlung der Betroffenen mittels Cissordinol acutard für zulässig erklärt wurde (Punkt 2). Weiters wurde mit dieser Entscheidung der Beschluss des Erstgerichtes vom 21. 7. 1999 über die Zurückweisung des Antrages auf gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit von medikamentösem Versetzen in den Tiefschlaf am 14. 6. 1999 bestätigt.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass gegen die Entscheidung über einen Ablehnungsantrag auch im außerstreitigen Verfahren ein Revisionsrekurs unzulässig ist. Die Beurteilung der bei der Betroffenen vorgenommenen Heilbehandlung mittels Cissordinol acutard durch die Vorinstanzen als "einfache" Heilbehandlung steht mit den in der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätzen (vgl 4 Ob 549/94; 2 Ob 2215/96s ua) im Einklang. Eine "besondere" Heilbehandlung im Sinn des § 36 Abs 2 UbG, welche nur nach vorheriger Genehmigung des Gerichtes zulässig gewesen wäre, liegt daher nicht vor. Eine Prüfung der Frage, ob ein medikamentöses Versetzen in den Tiefschlaf eine "besondere" Heilbehandlung darstellt, erübrigt sich, weil von den Tatsacheninstanzen die Vornahme einer solchen Behandlung bei der Betroffenen nicht festgestellt werden konnte.

Rechtssätze
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