IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.07.2024, Zl. 1360922505-231359010, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der aus Syrien stammende, illegal ins Bundesgebiet eingereiste XXXX (Beschwerdeführer/BF) stellte am XXXX .07.2023 bei der Polizeiinspektion Heiligenkreuz (Fremdenpolizei) einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am XXXX .07.2023 gab er an, er habe Syrien mit seiner Familie 2012 verlassen. Er befürchte, in Syrien zum Militär zu müssen. Deswegen habe seine Familie beschlossen, ihn nach Österreich zu schicken und dann im Rahmen der Familienzusammenführung nachzukommen.
2. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) gab der BF bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX .03.2024 zusammengefasst an, er stamme aus XXXX im gleichnamigen Gouvernement. Im Alter von sechs Jahren sei er mit seiner Familie in den Libanon ausgereist, weil sein Vater dort mehr verdienen habe können als in Syrien. Im Libanon habe sich die Familie dann etwa neun Jahre aufgehalten und sei dort von Schiiten und Christen schlecht behandelt worden. 2019 sei er nach Syrien zurückgekehrt, um die Abschlussprüfung für die neunte Klasse abzulegen. Während dieses Aufenthaltes in Syrien sei die Lage dort gut gewesen, es habe jedoch einen Vorfall gegeben, bei dem er von kurdischen Milizionären mitgenommen worden sei, aber habe fliehen können. Die Kurden hätten ihn rekrutieren wollen. Deswegen sei er dann im XXXX 2022 gemeinsam mit seinem Vater in die Türkei ausgereist. Da er nun achtzehn Jahre alt sei, würde ihn auch die syrische Armee rekrutieren wollen. Vom Wehrdienst freikaufen könne er sich nicht.
3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 22.07.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er sei Syrer, Araber und Sunnit. Sein Heimatort gehöre zur AANES.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen seien glaubhaft und würden außerdem aus den von ihm vorgelegten unbedenklichen Urkunden hervorgehen.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
4. Allein gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wendet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 16.08.2024 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem BF nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Der BF brachte darin zusammengefasst vor, ihm drohe asylrelevante Verfolgung, da er aus Gewissensgründen den Wehrdienst sowohl bei der syrischen Armee als auch bei den kurdischen Milizen verweigere.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Am 30.04.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen und die vorgelegten Urkunden eingesehen wurden. In der Ladung zur Verhandlung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, aktualisiert durch die zuvor genannte Kurzinformation vom 10.12.2024 sowie der EUAA-Bericht „Syria: Country Focus“ vom März 2025 ins Verfahren eingeführt.
In der Beschwerdeverhandlung gab der BF an, die wirtschaftliche Situation seiner Familie in Syrien sei durchschnittlich gewesen. Er sei nie politisch aktiv gewesen. In XXXX könne er sich keine Zukunft vorstellen, da er befürchte, dort nicht normal leben zu können. Er habe sich im Libanon und in Europa an einen guten Lebensstandard gewöhnt und könne sich ein Leben in Syrien nicht mehr vorstellen.
Die Rechtsvertretung des BF gab zur Rekrutierung durch die SDF eine Stellungnahme ab, wonach die SDF gewaltsame Zwangsrekrutierungen durchführen würden und es seitens der kurdischen Machthaber der AANES zu Menschenrechtsverletzungen komme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der BF wurde am XXXX in XXXX im gleichnamigen Gouvernement geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und Sunnit und reiste nach einem zwischenzeitigen Aufenthalt im Libanon zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt von Syrien in die Türkei, von wo er sich schließlich nach Österreich begab.
XXXX steht unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF und ist Teil der AANES.
Es kann nicht festgestellt werden, dass es bereits konkrete Versuche der kurdischen Selbstverteidigungskräfte gegeben hätte, den BF zu rekrutieren.
Nach den Vorschriften der AANES sind Männer ab dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht bei den Selbstverteidigungskräften wehrpflichtig, allerdings nur, wenn sie im Jahre 1998 oder danach geboren worden sind.
Wer den Selbstverteidigungsdienst verweigert, muss in der Regel länger als gesetzlich vorgesehen bei den Selbstverteidigungskräften dienen, wird darüber hinaus aber nicht bestraft. Außerdem werden Wehrpflichtige grundsätzlich nicht an der Front eingesetzt und es ist keine Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen zu erwarten.
Der BF ist den Machthabern der kurdischen Selbstverwaltung gegenüber nicht oppositionell eingestellt und wird ihm dergleichen von den diesen auch nicht unterstellt.
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF in Syrien von durch HTS-Angehörige begangenen Menschenrechtsverletzungen betroffen wäre.
1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:
Zur aktuelle Lage in Syrien wird aufgrund des Berichtes der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 Folgendes festgestellt (Seitenangaben beziehen sich auf den englischen Originalbericht):
Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)
Politischer Übergang (S. 20-21)
Nach dem Sturz der Regierung von Baschar Al-Assad am 08.12.2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed Al-Baschir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.
HTS-Führer Asch-Scharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wiederaufgebaut werden müsse. Er kündigte ferner an, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.
Am 29.12.2024 skizzierte Asch-Scharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialoges zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Asch-Scharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Jänner 2025 geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25.02.2025 statt. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrates und die Ausarbeitung eines Entwurfes für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.
Ende Jänner 2025 erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Asch-Scharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.
Regierungsbildung (S. 21-22)
Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der SSG in Idlib zusammensetzte, was Asch-Scharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um Kontinuität zu gewährleisten.
Am 10.12.2024 wurde Mohammed Al-Baschir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Premierminister der SSG, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollten am 01.03.2025 enden, aber Ende Jänner 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Asch-Scharaa zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29.01.2025 wurde Asch-Scharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.
Am 21.12.2024 ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Asch-Schaibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Asch-Scharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Schadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der SSG tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz die Ämter des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.
Militärische Reformen (S. 22-23)
Vor ihrem Einzug in Damaskus am 08.12.2024 verpflichtete sich HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z.B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Bürgerkrieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die MOA, die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahrensgarantien, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. SOHR, eine im Vereinigten Königreich ansässige Menschenrechtsorganisation, berichtete Mitte Jänner 2025, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah im Gouvernement Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.
Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen des nationalen Notstandes. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z.B. Offiziere der FSA, werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29.12.2024 wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter HTS-Mitglieder, übergelaufene Offiziere der SAA und mindestens sechs Nichtsyrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.
Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Jänner und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.
Kurden (S. 31)
Asch-Scharaa hielt nach der Übernahme der Macht ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die Ziele der Kurden. Nach der raschen Einnahme von Aleppo im Zuge der HTS-geführten Offensive Ende November 2024 zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht in die Gebiete westlich des Euphrats. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit HTS-Truppen zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog zeigten. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in der Gegend um Manbidsch immer wieder in Konflikt mit den SDF.
Während des gesamten Jänners 2025 kam es zu weiteren Übergriffen, als vertriebene Kurden versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Angehörigen gezwungen, bis zu USD 10.000,− für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Jänner 2025 mindestens zehn Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über USD 1.000,− pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar 2025 hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus am 07.02.2025 nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar 2025 besuchte Asch-Scharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe abzustellen.
Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen
In einem am 20.11.2024 veröffentlichten Bericht erklärte SNHR, dass im Zeitraum von März 2011 bis zum 10.11.2024 2.395 Kinder in Syrien zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2024 unterzeichnete der Sonderbeauftragte der VN für Kinder in bewaffneten Konflikten einen Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes sowie der Tötung und Verstümmelung von Kindern mit der SNA und mit dieser verbündeten Gruppen. Darüber hinaus wurde ein Fahrplan zur Umsetzung eines Aktionsplanes von 2019 zwischen den VN, den SDF und der AANES angenommen, der die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbietet. Dennoch wurden weiterhin Fälle von Rekrutierung von Kindern gemeldet, auch von SDF und einer kurdischen Jugendbewegung im Nordosten Syriens. Ende November 2024 dokumentierte die SNHR Operationen des Assad-Regimes zur Einberufung junger Männer und Jungen mit dem Ziel, sie nach Nordsyrien zu entsenden.
Nachfolgend werden die für den konkreten Fall relevanten Passagen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) – in orthografischer, stilistischer und grammatikalischer Hinsicht überarbeitet – wiedergegeben:
Entstehung der AANES
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrates in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine zweite Front in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba‘ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, ‘Ain al-‘Arab (Kobane) und Jazira (Cizre) von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg, 08.2017).
Im November 2013 − etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition − rief die PYD die Demokratische Selbstverwaltung in den Kantonen Afrin, Kobane und Cizire aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für Westen („Rojava“) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP, 07.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI, 18.07.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS, 20.03.2023), in dem die YPG die dominierende Kraft ist (KAS, 04.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobane war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des „Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien“ (DFNS) ins Leben (SWP, 07.2018). Im März 2018 (KAS, 04.12.2018) übernahm die Türkei die Kontrolle über den Kanton Afrin mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz, 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebietes Nord- und Ostsyrien (AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone. Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir ez-Zor und Raqqa (K24, 06.09.2018) sowie Manbidsch, Takba und Hasaka, welche die SDF vom IS befreit hatten, Teil der AANES (SO, 27.06.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet belohnt zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS, 04.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS, 20.03.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahre 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in der AANES Stellung zu beziehen (ICG, 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung von Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus, 01.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein diesbezüglicher Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby, 31.05.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei sich ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen in der AANES befindet (K24, 22.01.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in der AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AA, 24.06.2023).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien.. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI, 26.04.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH, 09.03.2023). Dies hat eine größere Meinungsfreiheit als anderswo in Syrien zur Folge und ermöglicht theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in den mehrheitlich kurdischen Gebieten (MEI, 26.04.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebietes vorgeworfen (Brookings, 27.01.2023; SD, 22.07.2021). Die mit der PYD verbündeten Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nichtkurdische Einwohner vorgeworfen (FH, 09.03.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden deswegen strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS, 20.03.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis irakischer KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB, 01.10.2021).
Seitdem der IS 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrormethoden Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH, 09.03.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB, 01.10.2021).
Wehrpflicht in der AANES
Im Nordosten des Landes wurde in der von der PYD dominierten AANES 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG dient (AA, 02.02.2024). Im Juni 2019 wurde ein Gesetz zur Selbstverteidigungspflicht beschlossen, das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB, 15.08.2022; DIS, 06.2022). Am 04.09.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr vollendet haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 04.09.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. Deswegen kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS, 06.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD, 07.09.2023).
Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der Selbstverwaltung befindet. Vom DIS befragte Quellen machten hiezu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten außerhalb der AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in der AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasaka stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von den kurdischen Behörden als aus der AANES stammend betrachtet werden und er müsste die Selbstverteidigungspflicht erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur Selbstverteidigungspflicht eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS, 06.2022; NMFA, 08.2023).
Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdienstes sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS, 06.2022). Art. 2 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC, 10.06.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdienstes verlängert werden, was regional entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst dreimal, und zwar in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Vertreter der Selbstverwaltung gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonates bestraft werden (DIS, 06.2022).
Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall „höherer Gewalt“ einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebietes. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS, 06.2022).
Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen
Die Selbstverteidigungseinheiten (HXP) sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom SDC verwaltet wird und über eigene Kommandostrukturen verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS, 06.2022).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in Hasaka, wo es im Jänner 2022 zu einem Befreiungsversuch des IS mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z.B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS, 06.2022).
Rekrutierungspraxis
Die Aufrufe zur Leistung des Selbstverteidigungsdienstes erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim „Büro für die Selbstverteidigungspflicht“ ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdienstes dokumentiert wird, z.B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS, 06.2022). Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA, 02.02.2024).
Wehrdienstverweigerung und Desertion
Es kommt zu Überprüfungen von potentiellen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen derselben (ÖB Damaskus, 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich seiner Selbstverteidigungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz. Wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die Militärpolizei unter seiner Adresse. Die meisten sich der Wehrpflicht entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS, 06.2022).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus, 12.2022). Laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen wird das Selbstverteidigungspflichtgesetz auch mit Gewalt durchgesetzt (AA, 02.02.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der Wehrpflicht um einen Monat bestraft würden – zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft „für eine Zeitspanne.“ Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS, 06.2022). Ähnliches berichtete ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleichbehandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden (Assayish) würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde Jeder, der vom Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD, 06.09.2023). Die ÖB in Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur (nicht näher spezifizierten) Verlängerung des Wehrdienstes. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus, 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab, sowie von der Region, aus der er stammt. In Hasaka beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD, 06.09.2023).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zu ihrer Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und einem eventuell durch die Desertion entstandenen Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS, 06.2022).
Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS, 06.2022; EB, 12.07.2019).
Aufschub des Wehrdienstes
Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der Selbstverteidigungspflicht verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder diese ganz von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom Wehrdienst sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Angehörige von Gesundheitsberufen und von NGO sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS, 06.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB, 12.07.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die Selbstverteidigungspflicht fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den Wehrdienst antreten zu müssen, wobei dies nicht immer möglich ist (DIS, 06.2022).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 27.03.2024 (Version 11) sowie auf die auszugsweise wiedergegebenen Länderberichte zu Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sowie rezente Medienberichte.
Angesichts der Aktualität und Plausibilität dieser Berichte sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das erkennende Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der ihnen zu entnehmenden Informationen zu zweifeln. Auf den EUAA-Bericht vom März 2024 konnte zurückgegriffen werden, da sich die hier maßgeblichen Umstände Situation in Syrien seit dessen Erscheinen nicht entscheidend verändert haben und die ihm zu entnehmenden Informationen daher nach wie vor aktuell sind (vgl. insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 12, vom 08.05.2025) Dasselbe gilt für das LIB hinsichtlich der Lage in der AANES, insbesondere der Umstände betreffend den Selbstverteidigungsdienst, wobei die betreffenden Passagen im Wesentlichen in die genannte Version 12 übernommen wurden.
Für die Feststellungen zum BF und zu seiner (Verfolgungs-)Situation in Syrien waren folgende Erwägungen maßgeblich:
Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Geburtsort des BF sowie zu seinem Leben in Syrien ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg gleichlautenden Angaben und den vorgelegten Dokumenten.
Dass nicht festgestellt werden konnte, wann genau der BF Syrien endgültig verlassen hat, beruht darauf, dass die diesbezüglichen Angaben des BF widersprüchlich waren. So gab er in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde an, im XXXX 2023 in die Türkei ausgereist zu sein, während er vor dem erkennenden Gericht behauptete, bereits im XXXX 2021 Syrien verlassen zu haben, wobei anzumerken ist, dass sich der BF schon in seiner Einvernahme vor dem BFA widersprach, indem er zunächst angab, im XXXX 2023 ausgereist zu sein, um dieses Ereignis dann in den XXXX 2022 zu verlegen.
Die Feststellungen zur Selbstverteidigungspflicht bei den kurdischen Milizen in der AANES konnten aufgrund der dem LIB zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) zu entnehmenden Informationen getroffen werden. Nach der maßgeblichen Berichtslage (LIB und ACCORD-Anfragebeantwortung [a-12201-2] vom 07.09.2023) werden seit der Erlassung eines Dekretes im Jahr 2021 nur mehr die männlichen Angehörigen der Jahrgänge ab 1998 für diesen Wehrdienst (zwangs-)rekrutiert, sobald sie ihr achtzehntes Lebensjahr vollendet haben.
Es wird nicht übersehen, dass die Länderinformationen auch teilweise davon ausgehen, dass eine ein- bis zweiwöchige Inhaftierung über Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, verhängt wird, um in dieser Zeit die Zuführung der Wehrpflichtigen zu der Einheit, bei der sie den Wehrdienst leisten sollen, zu organisieren. Daraus lässt sich nun aber nicht ableiten, dass mit der Verrichtung der Wehrpflicht nach den Bestimmungen der AANES eine unverhältnismäßige Belastung bzw. Benachteiligung oder eine unverhältnismäßige Bestrafung für Wehrdienstverweigerer verbunden ist. Dazu ist insbesondere anzumerken, dass die Länderinformationen keine Misshandlungen der inhaftierten Wehrdienstverweigerer belegen können.
Dies ergibt sich aus den verfügbaren Länderinformationen zu Syrien. So heißt es hiezu in der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 06.09.2023 [a.12188-v2] auszugsweise:
„Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, S. 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, S. 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, S. 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 62) Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, S. 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, S. 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, S. 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, S. 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, S. 49¬50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, S. 62). […]
Die Interviewpartner·innen von DIS stimmen darin überein, dass eine Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften keine Konsequenzen für Angehörige habe (DIS, Juni 2022, S. 43; DIS, Juni 2022, S. 45; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 54; DIS, Juni 2022, S. 64; DIS, Juni 2022, S. 66). Laut Fabrice Balanche könnten Behörden Familienmitglieder nach dem Aufenthaltsort des Verweigerers fragen, doch die Familie würde nicht unter Druck gesetzt oder anderweitig belästigt (DIS, Juni 2022, S. 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden keine Hausdurchsuchungen stattfinden, um Wehrdienstverweigerer zu finden und Familienmitglieder würden auch nicht schikaniert (DIS, Juni 2022, S. 45). Der politische Analyst habe berichtet, dass fünf seiner Geschwister sich dem Dienst entzogen hätten. Die Behörden hätten das Haus seiner Mutter einmal durchsucht, seine Familie jedoch nicht weiter belästigt (DIS, Juni 2022, S. 54). Laut der Gruppe lokaler Einwohner gebe es die Möglichkeit, dass die Behörden Hausdurchsuchungen durchführen würden. Familienmitglieder würden jedoch ihrer Erfahrung nach niemals mitgenommen (‚they will [...] never take family members‘) (DIS, Juni 2022, S. 64). […]
Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden (Balanche, 9. August 2023). […]
Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020). Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022). Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, S. 37; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 60; DIS, Juni 2022, S. 63; DIS, Juni 2022, S. 67; DIS, Juni 2022, S. 71) Der Universitätsprofessor habe gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, S. 67). […]
Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir ez-Zor und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023). […] Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023).“
Die kurdischen Machthaber unterstellen Wehrdienstverweigerern ohne Hinzutreten weiterer Umstände außerdem keine oppositionelle politische Gesinnung. Dass der BF im konkreten Fall aufgrund einer verinnerlichten politischen oder religiösen Überzeugung den Militärdienst verweigern würde, wurde nicht substantiiert bzw. glaubhaft vorgebracht. Die Angaben des BF, warum er den Wehrdienst nicht leisten wolle, blieben nämlich vage: In seiner Beschwerde führte er lediglich aus, aus Gewissengründen nicht bei der (nicht mehr existenten) Armee des Assad-Regimes bzw. den kurdischen Milizen dienen zu wollen, ohne diese Gewissensgründe näher darzulegen. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht erwähnte er diese – hinsichtlich des Selbstverteidigungsdienstes bei den kurdischen Milizen ja wohl nach wie vor relevanten – Gewissensgründe gar nicht mehr, sodass nicht von einer verinnerlichten Überzeugung ausgegangen werden kann.
Dass nicht festgestellt werden konnte, dass kurdische Milizionäre versucht hätten, den BF zwangsweise zu rekrutieren, beruht auf folgenden Erwägungen:
Zum einen ist dieses Vorbringen insofern widersprüchlich, als der BF bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde angab, der betreffende Vorfall habe etwa im März 2022 stattgefunden, während er in der Beschwerdeverhandlung (wo er nach einem allgemein gehaltenen Vorbringen zu Zwangsrekrutierungen durch die Kurden erst auf Vorhalt ausführte, dass die Kurden auch versucht hätten, konkret ihn zu rekrutieren) vorbrachte, es sei 2020 gewesen. Zum anderen ist es wenig plausibel, dass der BF nach diesem Vorfall vom Libanon wieder nach XXXX zurückgekehrt sein will.
Der BF gab in Übereinstimmung mit der aktuellen Version der Syria-Live-Map (https://syria.liveuamap.com) an, dass sich XXXX unter der Kontrolle der SDF befindet, weshalb die diesbezügliche Feststellung getroffen werden konnte.
Im Ergebnis vermochte der BF zu den Gründen, weshalb die kurdischen Machthaber der AANES ihn verfolgen sollten, keine überzeugenden Angaben zu machen. Es finden sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der BF gefährdet ist, in Syrien asylrelevant in das Blickfeld der kurdischen Kräfte zu geraten. Aus dem LIB geht hervor, dass auch eine Weigerung, in den kurdischen Selbstverteidigungskräften zu dienen, von den kurdischen Machthabern nicht als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung gewertet wird.
Die Feststellung, dass der BF nach einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch HTS-Angehörige betroffen wäre, fußt auf folgenden Erwägungen:
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzung seitens der HTS-Machthaber kam. Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass der männliche BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten in Erscheinung getreten ist, im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort, der ohnehin nicht unter HTS-Kontrolle steht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen werden könnte, ist nicht zu erwarten. Der BF (der im Übrigen angab, seine Familie sei im Libanon von den Schiiten und den Christen schlecht behandelt worden) hat diesbezüglich auch nichts Konkretes vorgebracht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.
Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten – mit Ausnahme der Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht – ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die belangte Behörde in dem Verwaltungsverfahren, das zur Erlassung des bekämpften Bescheides geführt hat, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.
Sie ist in der Sache jedoch nicht berechtigt:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (VwGH 02.02.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab. Daher ist die Frage, ob Asyl zu gewähren ist, hinsichtlich dieses Landes zu beurteilen.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die begründete Furcht vor Verfolgung. Diese liegt dann vor, wenn aus objektiver Sicht eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Herkunftsstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von der maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits geschehene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).
Im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der GFK vorliegt, die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen und dürfen einzelne Aspekte seiner Situation im Herkunftsstaat nicht aus dem (asylrechtlich relevanten) Zusammenhang gerissen werden (VwGH 22.01.2016, Ra 2015/20/0157, unter Hinweis auf VwGH 10.06.1998, 96/20/0287 und VwGH 23.07.1998, 96/20/0144; zum Erfordernis einer Gesamtbetrachtung VwGH 27.04.2006, 2003/20/0181).
Wie festgestellt hat der BF bis zu seiner Ausreise aus Syrien ausschließlich in XXXX im gleichnamigen Gouvernement gelebt, weshalb XXXX als sein Herkunftsort zu betrachten ist.
Vorauszuschicken ist, dass der Herkunftsort des BF unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF steht.
Zunächst ist aufgrund der Herkunftsländerinformation festzuhalten, dass die Verfolgung durch das Assad-Regime, auf die der BF seinen Asylantrag auch gestützt hat, weggefallen ist. So geht auch der UNHCR in seinem Positionspapier vom Dezember 2024 (Position on Returns to the Syrian Arab Republic) davon aus, dass aufgrund von Verfolgung durch die frühere Regierung gegebene Risken zu bestehen aufgehört haben. Dem BF droht daher gegenwärtig keine Einziehung zur syrischen Armee mehr und somit auch keine Verfolgung durch das (nicht mehr existierende) Assad-Regime.
Zur Wehrdienstverweigerung bei den kurdischen Milizen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann (VwGH 07.01.2021, Ra 2020/18/0491, m.w.N.; 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).
Weiters wird die Weigerung, den Wehrdienst für die Streitkräfte der AANES zu leisten, von den kurdischen Machthabern nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Auch in Hinblick darauf, dass es an Hinweisen, darauf, dass der BF bei Ableistung eines solchen Militärdienstes bei den kurdischen Milizen Gefahr liefe, sich an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligen zu müssen, fehlt, mangelt es den in Betracht kommenden Sanktionen für die Weigerung, Militärdienst zu leisten, somit am erforderlichen Konnex zu den in der GFK genannten Gründen.
Außerdem ist nach der Ansicht des erkennenden Gerichtes vor dem Hintergrund der Bemühungen der SDF, ein gutes Verhältnis mit der HTS-geführten Übergangsregierung aufzubauen (siehe dazu etwa Gudrun Harrer, Trump lässt Syriens Machthaber zappeln – und die Kurden zittern, 23.04.2025, erschienen auf derStandard.at, Beilage ./A zur Verhandlungsschrift) nicht davon auszugehen, dass Araber von der SDF in Bezug auf die Erfüllung der Wehrpflicht übermäßig drangsaliert werden.
Wie festgestellt, gilt die Wehrpflicht bei den kurdischen Milizen der AANES nur für Männer, die ab dem Jahre 1998 geboren worden sind. Der BF ist daher nach den Bestimmungen der AANES grundsätzlich wehrpflichtig.
Aus den maßgeblichen Länderberichten lässt sich ableiten, dass der BF aber weder im Fall der Einziehung zu den kurdischen Milizen gezwungen wäre, sich an völkerrechtswidrigen Militäraktionen zu beteiligen noch im Falle einer Weigerung, der Wehrpflicht nachzukommen, unverhältnismäßiger Bestrafung ausgesetzt wäre. Vielmehr droht Wehrdienstverweigerern in der AANES lediglich eine geringfügige Verlängerung ihres Wehrdienstes als Strafe und wird ihnen seitens der kurdischen Machthaber auch – wie festgestellt – keine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Im Übrigen geht aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hervor, dass die kurdischen Machthaber der AANES seit Oktober 2024 keine Zwangsrekrutierungen mehr durchgeführt haben (AB der Staatendokumentation zum DAANES-Einberufungsbefehl vom 21.08.2025).
Daher konnte der BF keine ihm drohende asylrelevante Verfolgung wegen seiner behaupteten Weigerung, den Selbstverteidigungsdienst bei den kurdischen Milizen der AANES zu leisten, glaubhaft machen.
Selbst wenn man – entgegen den getroffenen Feststellungen – annähme, dass dem BF Menschenrechtsverletzungen durch HTS-Angehörige oder sonstige Repräsentanten der neun Regierung drohen würden, ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 [BAMF]), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie der unter lit. a leg. cit. beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b leg. cit.).
Die prekäre Sicherheitslage in Syrien erweist sich im Fall des BF als nicht asylrelevant. Der BF hat daher bloß die alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Unbilligkeiten aufgrund des Bürgerkrieges und der allgemein schlechten Lage in Syrien vorgebracht, aber keine substantiellen, stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK dargetan. Im Fall des BF sind keine Umstände ersichtlich, die eine ihm konkret drohende individuelle Verfolgung aufgrund des Bürgerkrieges und der aktuellen Lage in Syrien untermauern würden. Einer bloß allgemeinen Bedrohung durch den Bürgerkrieg und die aktuelle Lage ist jedoch nicht mit der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu begegnen; dieser Status wurde dem BF von der belangten Behörde bereits rechtskräftig zuerkannt.
Im Übrigen ist es nicht Zweck der Gewährung des Status eines Asylberechtigten, dem BF einen guten Lebensstandard zu sichern.
Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen von erheblicher Intensität rechnen muss. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung im Herkunftsstaat kann daher nicht als wohlbegründet im Sinn der GFK angesehen werden.
Zur Volatilität der Lage in Syrien:
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass eine neuerliche Lageveränderung durchaus möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das zitierte UNHCR-Positionspapier aus dem Dezember 2024 stammt und es seit dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 – von den Kämpfen zwischen der SNA und den SDF im Norden abgesehen – keine größeren Kampfhandlungen mehr gegeben hat, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass es regional begrenzt durchaus zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, etwa im Küstengebiet oder jüngst im Gouvernement Suweida, gekommen ist. Außerdem ist in einem seit Jahren von einem Bürgerkrieg zerrütteten Land wohl immer eine gewisse Volatilität der Sicherheitslage gegeben, sodass – auch aus Gründen der Verfahrensökonomie – nicht zugewartet werden kann, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, sofern dies überhaupt möglich wäre.
Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wird durch die Gewährung subsidiären Schutzes – die im gegenständlichen Fall durch die belangte Behörde erfolgt ist – auch ausreichend Rechnung getragen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, m.w.N.; VwGH 22.01.2021, Ra 2021/01/0003). Eine potentiell immer und zumal im generell volatilen Syrien mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer kann daher nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten Beschwerdeführer in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
Da dem angefochtenen Bescheid somit keine Rechtswidrigkeit i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es ist daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
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