Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des S D, vertreten durch Mag. a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2022, W192 2252886 1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber reiste am 16. November 2021 über den Flughafen Wien Schwechat unter Verwendung eines südafrikanischen Reisepasses in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag internationalen Schutz. Dazu brachte er zusammengefasst vor, den Reisepass am Schwarzmarkt erworben zu haben. In Wirklichkeit sei er Staatsangehöriger von Simbabwe, wo er wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt worden sei. Deshalb sei er im Jahr 2019 nach Südafrika geflohen, habe aber auch dort näher beschriebene Verfolgung erlitten, woraufhin er die Reise nach Österreich angetreten sei.
2 Mit Bescheid vom 8. Februar 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Südafrika zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers, in der auch eine mündliche Verhandlung beantragt worden war, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte es aus, der Revisionswerber sei entgegen seiner Aussage Staatsangehöriger von Südafrika. Er habe einen südafrikanischen Reisepass verwendet, der nachweislich echt sei und biometrische Daten aufweise, woraus geschlossen werden könne, dass er bei der Ausstellung des Reisepasses anwesend gewesen sei, um seinen Fingerabdruck abnehmen zu lassen. Den vorgelegten und in Kopie im Akt befindlichen Fotos von einzelnen Seiten seines angeblichen Reisepasses bzw. Personalausweises aus Simbabwe komme kein Beweiswert zu. Sie seien nicht im Original vorhanden und könnten manipuliert sein; eine Überprüfung der Echtheit sei nicht möglich. Der Aufforderung des BFA, seine angeblichen Dokumente aus Simbabwe im Original beizubringen, sei der Revisionswerber nicht nachgekommen. Insgesamt sehe sich das BVwG daher außerstande, die bereits vom BFA festgestellte südafrikanische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers in Zweifel zu ziehen, sodass diese mit ausreichender Sicherheit feststehe. Eine Verfolgung des Revisionswerbers in Südafrika, insbesondere wegen der behaupteten (und nicht widerlegbaren) sexuellen Orientierung, sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft.
5 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das BVwG u.a. damit, dass das BVwG sich für seine Feststellungen zur Person des Revisionswerbers in den entscheidungswesentlichen Aspekten auf jene des angefochtenen Bescheides gestützt habe, denen der Revisionswerber in der Beschwerde nicht ansatzweise substantiiert entgegengetreten sei.
6 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend macht. Das BVwG übersehe, dass der Revisionswerber dem BFA neben Fotos seines Reisepasses und Personalausweises aus Simbabwe sehr wohl weitere Dokumente im Original vorgelegt habe, die seine Staatsangehörigkeit von Simbabwe belegen würden, und zwar seinen simbabwischen Personalausweis im Original (im Bescheid des BFA bezeichnet als „Nationale Registrierung“), eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde sowie mehrere auf ihn lautende simbabwische Schuldokumente im Original. Das BVwG hätte daher jedenfalls den vorgelegten Personalausweis auf seine Echtheit hin zu untersuchen gehabt. Der Revisionswerber sei in der Beschwerde der Feststellung des BFA, er sei südafrikanischer Staatsbürger, auch entgegengetreten, indem er ausgeführt habe, dass im Bescheid kein Bezug auf die von ihm vorgelegten Personaldokumente aus Simbabwe genommen worden sei und auch die von ihm vorgelegten Schulzeugnisse und die Geburtsurkunde zeigen würden, dass er aus Simbabwe stamme. Dass die Dokumente dem BFA tatsächlich vorgelegen seien, erhelle aus dem Umstand, dass sie im Bescheid unter den vorgelegten Beweismitteln aufgelistet worden seien. Indem die Beschwerde aufgezeigt habe, dass das BFA in Bezug auf diese Dokumente keine näheren Ermittlungen durchgeführt und sohin seine Feststellung, der Revisionswerber sei südafrikanischer Staatsangehöriger auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren gegründet habe, sei die Beschwerde den Feststellungen des BFA zur Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers jedenfalls in substantiierter Weise entgegengetreten. Sie habe aufgezeigt, dass ein in einem entscheidungswesentlichen Punkt klärungsbedürftiger Sachverhalt vorliege, aufgrund dessen das BVwG zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. All das sei auch für das Verfahrensergebnis relevant. Hätte das BVwG geeignete Länderberichte herangezogen und Ermittlungen angestellt, so hätte es festgestellt, dass der Revisionswerber simbabwischer Staatsbürger sei. In der Folge hätte es auf dieser Basis zum Schluss gelangen müssen, dass dem Revisionswerber vor dem Hintergrund der Länderberichte, wonach in Simbabwe Homosexualität strafrechtlich verboten sei und sexuelle Minderheiten in fast allen Lebensbereichen benachteiligt würden, aufgrund seiner sexuellen Orientierung Verfolgung in Simbabwe drohe.
7 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet, über Nachfrage des Verwaltungsgerichtshofes aber ausdrücklich bestätigt, dass ihm folgende Beweismittel vorlägen, die sich in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht befanden: ein südafrikanischer Reisepass im Original, eine beglaubigte Kopie der originalen Geburtsurkunde aus Simbabwe, eine „Nationale Registrierung“ im Original, zwei Schulzeugnisse (vermutlich im Original). Diese Dokumente seien dem BFA spätestens am 20. Jänner 2022 (also vor Erlassung des Bescheides vom 8. Februar 2022) zur Verfügung gestanden. Sie wären dem BVwG nur bei Verlangen im Original übermittelt worden.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr nur in Bezug auf den Herkunftsstaat des Revisionswerbers zu prüfen (vgl. etwa VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0400; zuletzt auch VwGH 14.1.2021, Ra 2020/18/0498).
11 Als Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 abgesehen von Fällen der Staatenlosigkeit der Staat anzusehen, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt.
12 Im vorliegenden Fall gingen das BFA und das BVwG übereinstimmend davon aus, dass der Revisionswerber ein Staatsangehöriger von Südafrika sei, und prüften sein Vorbringen, wegen der sexuellen Orientierung asylrelevant verfolgt zu werden, ausschließlich in Bezug auf diesen angenommenen Herkunftsstaat.
13 Dem hält die Revision entgegen, dass der Revisionswerber zwar mit einem nach seinen Behauptungen unrichtigen südafrikanischen Reisepass eingereist sei, er aber stets angegeben habe, nur Staatsangehöriger von Simbabwe zu sein und dort wegen seiner Bisexualität verfolgt zu werden. Den südafrikanischen Pass habe er auf dem Schwarzmarkt erworben; in Südafrika sei es möglich, sich eine komplette Identität zu kaufen. Dass dieses Vorbringen zutrifft, hätte das BVwG unter Heranziehung aktueller, von der Revision im Einzelnen zitierter Länderberichte verifizieren können. Außerdem habe der Revisionswerber entgegen den Behauptungen des BFA und des BVwG Identitätsdokumente (zum Teil) im Original vorgelegt, die sein Vorbringen zur Staatsangehörigkeit von Simbabwe untermauern würden.
14 Die Auflistung der vorgelegten Beweismittel im Bescheid des BFA und die über Nachfrage erfolgten Auskünfte der Verwaltungsbehörde bestätigen, dass der Revisionswerber schon vor Erlassung des verwaltungsbehördlichen Bescheides Dokumente u.a. im Original vorgelegt hat, die seine Staatsangehörigkeit von Simbabwe belegen sollen. Ausgehend davon erweisen sich die Erwägungen des BFA im verwaltungsbehördlichen Bescheid, der Revisionswerber habe keine identitätsbezeugenden Dokumente aus Simbabwe vorlegen können, sowie die daran anknüpfende beweiswürdigende Überlegung des BVwG, der Revisionswerber habe nur kopierte Unterlagen aus Simbabwe vorgelegt, die keine Überprüfung zuließen und daher keinen Beweiswert hätten, als aktenwidrig. Selbst wenn dem BVwG Originale der angesprochenen Unterlagen vom BFA nicht vorgelegt worden sein sollten, weil sie beim BFA verblieben sind, wäre zu erwarten gewesen, dass sich das Verwaltungsgericht diese im angefochtenen Bescheid und explizit in der Beschwerde angesprochenen Urkunden vom BFA beischafft und in seiner Entscheidung mitberücksichtigt.
15 Die Klärung der behaupteten Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers von Simbabwe konnte auch nicht deshalb unterbleiben, weil das BFA und das BVwG von der Echtheit des südafrikanischen Passes ausgegangen sind. Zum einen maßen sowohl die Verwaltungsbehörde als auch das BVwG der aktenwidrig angenommenen unterlassenen Vorlage von (originalen) Identitätsdokumenten nicht bloß untergeordnete Bedeutung bei, um das Vorbringen des Revisionswerbers insgesamt als unglaubwürdig zu bewerten. Zum anderen nahmen sie in Bezug auf das Vorbringen des Revisionswerbers, kein südafrikanischer Staatsbürger zu sein und den südafrikanischen Reisepass am Schwarzmarkt besorgt zu haben, keine weiteren Ermittlungen vor, ob der Revisionswerber tatsächlich südafrikanischer Staatsangehöriger ist.
16 Aufgrund der aufgezeigten Verfahrensmängel durfte das BVwG nicht davon ausgehen, dass ein „geklärter Sachverhalt“ im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG vorlag, der eine Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG erlaubt hätte (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).
17 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 47 GRC wie im vorliegenden Fall zur Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 10.10.2022, Ra 2022/18/0076, mwN). Ungeachtet dessen zeigt die Revision auf, dass die Klärung des von ihr geltend gemachten „Herkunftsstaates“ in Verbindung mit der unterlassenen Überprüfung einer möglichen Verfolgungsgefahr für Personen mit der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers in Simbabwe zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Da die Verfahrenshilfe bewilligt worden ist, war die verzeichnete Eingabegebühr nicht zuzusprechen.
Wien, am 2. Februar 2023