Spruch
W176 2279484-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.08.2023, Zl. 1318949809-222474936, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der aus Syrien stammende, illegal ins Bundesgebiet eingereiste XXXX (Beschwerdeführer/BF) stellte am XXXX .08.2022 bei der Polizeiinspektion Dornbirn (Fremdenpolizei) einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab er an, er habe Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen und wolle nicht zum Militär. Wenn man ihn zurück nach Syrien schicke, werde er wiederkommen.
2. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) gab der BF bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX .04.2023 zusammengefasst an, er stamme aus der Nähe von XXXX im Gouvernement Aleppo, sei verheiratet und habe drei Kinder. Seine Familie besitze in seinem Heimatdorf, in dem auch seine Frau mit den gemeinsamen Kindern lebe, vier Häuser. Er habe in Syrien neun Jahre die Schule besucht und dann als Autowäscher und in der Landwirtschaft gearbeitet. Syrien habe er wegen der drohenden Einziehung zum Militär verlassen, wobei ihn nicht nur die syrische Armee, sondern auch die kurdischen Milizen rekrutieren wollen würden.
Zugleich legte der BF seinen syrischen Personalausweis im Original vor.
3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 28.08.2023 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF feststehe. Er sei Syrer, Sunnit und Araber. Eine maßgebliche Gefahr für den BF, durch die syrische Armee oder kurdische Milizen zwangsrekrutiert zu werden, bestehe nicht.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen seien glaubhaft und gingen außerdem aus den von ihm vorgelegten unbedenklichen Urkunden hervor.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
4. Allein gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wendet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.09.2023 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem BF nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Der BF brachte darin zusammengefasst vor, sein Heimatort stehe sowohl unter Kontrolle des syrischen Regimes als auch unter der Kontrolle der kurdisch dominierten AANES. Bei einer Teilnahme am syrischen Bürgerkrieg infolge einer Zwangsrekrutierung sei der BF gezwungen, sich an Kriegsverbrechen zu beteiligen. Dem BF stehe keine legale Möglichkeit zur Verfügung, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Mit Schreiben vom 04.04.2024 teilte die Rechtsvertretung des BF dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sie an der für den XXXX .04.2024 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen könne, der BF jedoch mit der Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit seiner Rechtsvertretung einverstanden sei.
6. Am XXXX .04.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen und die vorgelegten Urkunden eingesehen wurden.
Dabei gab der BF an, er stamme aus dem Dorf XXXX , das sich etwa einen Kilometer von XXXX entfernt befinde. In unmittelbarer Nähe seines Hauses liege ein Checkpoint, der von der syrischen Armee und den Kurden gemeinsam betrieben werde. Im Gegensatz zur Stadt XXXX stehe das Umland von XXXX mehrheitlich unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Bis zu seiner Ausreise aus Syrien am 25.07.2022 habe er in XXXX gelebt. Ein Wehrbuch habe er nie besessen. Ein Bruder des BF lebe in Österreich, einer im Libanon und ein dritter nach wie vor in XXXX .
In Syrien habe er an gegen das Assad-Regime gerichteten Demonstrationen und an Demonstrationen gegen die kurdische Selbstverteidigungspflicht teilgenommen. Circa zwei Monate vor seiner Ausreise habe es nächtliche Razzien seitens der Kurden in seinem Haus gegeben, weshalb er sich beinahe drei Monate habe verstecken müssen. Der BF nehme zwar an, dass nach ihm gesucht worden sei, um ihn zwangsweise zu rekrutieren, doch sei ihm zuletzt gesagt worden, dass seine Demonstrationsteilnahme der Grund gewesen sei. Einen schriftlichen Einberufungsbefehl habe er nie erhalten. Er habe sich die letzten vier Jahre versteckt gehalten. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde ihm mit Sicherheit die Hinrichtung drohen.
7. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das Erkenntnis, mit dem die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde, mündlich verkündet.
Dabei stellte das Bundesverwaltungsgericht – wie der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses zu entnehmen ist – fest, dass der BF aus dem unter der Kontrolle der kurdischen Machthaber der AANES stehenden Dorf XXXX stamme. Er habe bisher weder den Wehrdienst in der syrischen Armee (SAA) noch den Selbstverteidigungsdienst bei den SDF geleistet. Die SAA sei in der AANES nicht in der Lage, Zwangsrekrutierungen durchzuführen. Die Verweigerung des Selbstverteidigungsdienstes werde von den Kurden weder als Zeichen einer oppositionellen Gesinnung gewertet noch unverhältnismäßig bestraft.
Seine Feststellungen hinsichtlich des Werdeganges und der Lebensumstände des BF stützte das Bundesverwaltungsgericht auf die insoweit als glaubwürdig erachteten Aussagen des BF und seine Feststellungen hinsichtlich der Fluchtgründe stützte es auf die einschlägigen Länderberichte.
Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der BF habe nicht glaubhaft machen können, dass ihm eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe drohe.
8. Dieses Erkenntnis hob der Verfassungsgerichtshof aufgrund der Beschwerde des BF mit Erkenntnis vom 11.03.2025, Zl. E 2680/2024-13, auf. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass der BF in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt wurde, indem das Bundesverwaltungsgericht sich mit der Mitteilung der Rechtsvertretung, wonach der BF mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in ihrer Abwesenheit einverstanden sei, begnügt hat und den BF nicht noch zusätzlich in der mündlichen Verhandlung befragt hat, ob er mit der Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit seiner Rechtsvertreterin einverstanden sei.
9. Am 25.04.2024 fand daher im zweiten Rechtsgang vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen und die vorgelegten Urkunden eingesehen wurden.
Dabei gab der BF an, dass XXXX inzwischen von der neuen HTS-geführten syrischen Regierung kontrolliert werde. Im Falle einer Rückkehr dorthin drohe ihm Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugung. Die Übergangsregierung sei radikal sunnitisch, während der BF im Westen (in Österreich) ein anderes Leben geführt habe und von der Religion entfernt habe. Er werde deswegen bereits von seinen noch in Syrien lebenden Cousins vs. ausgegrenzt. Diese hätten ihm auch mitgeteilt, dass die neue Regierung eine solche Einstellung nicht akzeptieren würde. Seine neue religiöse Überzeugung umfasse, dass er „sunnitische Ausrichtungen oder Überzeugungen wie jene der neuen syrischen Regierung bekämpfe.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der BF wurde am XXXX in XXXX in der Nähe von XXXX im Gouvernement Aleppo geboren und ist syrischer Staatsangehöriger und Araber.
Der BF hat sein ganzes Leben bis zu seiner Ausreise aus Syrien in XXXX verbracht, dort die Schule besucht und als Autowäscher sowie in der Landwirtschaft gearbeitet. Er hat Syrien am 25.07.2022 verlassen und ist seither nicht dorthin zurückgekehrt.
In XXXX sind sowohl die neue HTS-geführte syrische Armee als auch die SNA präsent.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF über eine tief verwurzelte (atheistische) Überzeugung verfügt, die ihn in Konflikt mit der neuen HTS-geführten syrischen Regierung bringen könnte.
Weder die neue syrische Armee noch HTS noch SNA führen Zwangsrekrutierungen durch.
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF in Syrien von durch HTS-Angehörige begangenen Menschenrechtsverletzungen betroffen wäre.
1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:
Aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10.12.2024:
Nach monatelanger Vorbereitung starteten islamistische Regierungsgegner unter HTS-Führung eine Offensive und setzten der Herrschaft von Präsident Baschar Al-Assad innerhalb von elf Tagen ein Ende.
Am 30.11.2024 nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, die sie am 05.12.2024 einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 07.12.2024 auf den 08.12.2024
Am 06.12.2024 zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 07.12.2024 seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 07.12.2024 begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Dara‘a ein, nachdem sie sich mit der SAA auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 07.12.2024 Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 08.12.2024 verkündeten HTS-Medienkanäle, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind, und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme von Damaskus ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten ihre Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von Assad. Ihm und seiner Familie wurde in Russland Asyl aus humanitären Gründen gewährt.
Die von der Türkei unterstützte SNA im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von Kurden geführten SDF im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ nahmen diese Gruppierungen am 09.12.2024 die Stadt Manbjdsch ein.
HTS wurde 2011 als Ableger der Al-Qaida unter dem Namen Jabhat An-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung mit Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay‘at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von den VN, den USA, der EU und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der HTS-Anführer, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed Al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad Asch-Scharaa zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu Assad zu positionieren.
Für alle Wehrpflichtigen, die in der SAA gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen wurde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben.
Zur aktuellen Lage in Syrien wird aufgrund des Berichtes der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 Folgendes festgestellt (Seitenangaben beziehen sich auf die englische Originalfassung dieses Berichtes):
Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)
Politischer Übergang (S. 20f.)
Nach dem Sturz der Regierung von Baschar Al-Assad am 08.12.2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed Al-Baschir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.
HTS-Führer Asch-Scharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wiederaufgebaut werden müsse. Er kündigte ferner an, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.
Am 29.12.2024 skizzierte Asch-Scharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialoges zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Asch-Scharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Jänner 2025 geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25.02.2025 statt. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die
territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrates und die Ausarbeitung eines Entwurfes für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.
Ende Jänner 2025 erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Asch-Scharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.
Regierungsbildung (S. 21-22)
Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der SSG in Idlib zusammensetzte, was Asch-Scharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um Kontinuität zu gewährleisten.
Am 10.12.2024 wurde Mohammed Al-Baschir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Premierminister der SSG, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollten am 01.03.2025 enden, aber Ende Jänner 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Asch-Scharaa zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29.01.2025 wurde Asch-Scharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.
Am 21.12.2024 ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Asch-Schaibani zum Außenminister und Murhaf
Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Asch-Scharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Schadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der SSG tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz die Ämter des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.
Militärische Reformen (S. 22-23)
Vor ihrem Einzug in Damaskus am 08.12.2024 verpflichtete sich HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z.B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Bürgerkrieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die MOA, die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahrensgarantien, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. SOHR, eine im Vereinigten Königreich ansässige Menschenrechtsorganisation, berichtete Mitte Jänner 2025, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah im Gouvernement Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.
Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen des nationalen Notstandes. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z.B. Offiziere der FSA, werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29.12.2024 wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter HTS-Mitglieder, übergelaufene Offiziere der SAA und mindestens sechs Nichtsyrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.
Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Jänner und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.
Nachfolgend werden die für den konkreten Fall relevanten Passagen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) – in orthografischer, stilistischer und grammatikalischer Hinsicht überarbeitet – wiedergegeben:
Menschenrechtslage in Oppositionsgebieten:
Die Zahl der Übergriffe und Repressionen durch nichtstaatliche Akteure einschließlich der De-facto-Autoritäten im Nordwesten und Nordosten Syriens bleibt unverändert hoch. In den Gebieten, die durch regimefeindliche bewaffnete Gruppen kontrolliert werden, kommt es auch durch einige dieser Gruppierungen regelmäßig zu Übergriffen und Repressionen (AA, 02.02.2024). In seinem Bericht vom März 2021 betont der UNCOI, dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten andere Konfliktparteien ausdrücklich nicht entlastet. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u.a. FSA, SNA, SDF) und terroristische Organisationen (u.a. HTS und IS) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählen für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie das Verschwindenlassen Verhafteter. Im Fall von FSA, HTS, sowie besonders vom IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNCOI, 11.03.2021).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie z.B. HTS, sind verantwortlich für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Tötungen von Zivilisten und Rekrutierungen von Kindersoldaten (USDOS, 20.03.2023). Personen, welche in Verdacht geraten, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, sind in Gebieten, die von extremistischen Gruppen kontrolliert werden, der Gefahr von Exekutionen ausgesetzt (FH, 09.03.2023).
HTS ging teils brutal gegen politische Gegner vor, denen z.B. Verbindungen zum Regime, Terrorismus oder die „Gefährdung der syrischen Revolution“ vorgeworfen wurden. Weiterhin legen die Berichte nahe, dass Inhaftierten Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen und Rechtsbeiständen vorenthalten werden. Auch sei HTS, laut Berichten des SNHR, für weitere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, vor allem in den Gefängnissen unter seiner Kontrolle (AA, 02.02.2024).
In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten werden exekutiert (ÖB Damaskus, 01.10.2021). Berichtet wurden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden vermeintliches unmoralisches Verhalten, wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab as-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet, und 120 verletzt wurden. Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das HTS-Vorgehen zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. HTS-Mitglieder lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der UNCOI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch HTS-Mitglieder (AA, 29.11.2021), auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA, 29.11.2021; vgl. AA, 02.02.2024). Zusätzlich verhaftete HTS eine Anzahl von IDP unter dem Vorwand, dass diese sich weigerten, in Lager für IDP zu ziehen, und HTS verhaftete auch Bürger wegen der Kontaktierung von Familienangehörigen, die im Regierungsgebiet lebten (SNHR, 03.01.2023).
Behandlung von Christen im HTS-Gebiet
Sunnitisch-islamistische und dschihadistische Gruppen verfolgen oft religiöse Minderheiten und Muslime, welche sie der Pietätlosigkeit oder der Apostasie beschuldigen (FH, 09.03.2023). Verschiedene islamistische Gruppen in Idlib legen Medienberichten zufolge Christen die Anwendung der Scharia auf wie auch die Jizya, eine Steuer für Nichtmuslime, um sie dazu zu zwingen, ihre Häuser zu verlassen. HTS verstärkte demnach den Druck auf Christen in Idlib durch solche Restriktionen wie auch durch eine Erhöhung von Mieten von Häusern und Geschäften, weil HTS den Immobilienbesitz von Christen als Kriegsbeute ansieht. HTS beging zudem weitere Arten von Misshandlungen/Machtmissbrauch („abuses“) aufgrund der Religionszugehörigkeit der Betroffenen (USDOS, 12.05.2021). Für das Jahr 2021 werden weiterhin solche Restriktionen des HTS gegen Christen in Idlib Stadt berichtet. Es wurde bekannt, dass HTS im Zeitraum Ende 2018 bis Ende 2019 hunderte Immobilien, darunter mindestens 550 Häuser und Geschäfte in der Provinz Idlib, die vertriebenen Christen gehört hatten, beschlagnahmt hatte (USDOS, 02.06.2022)
.
Hinrichtungen im HTS-Gebiet
Auch HTS, die überwiegend mehrere Regionen in Idlib kontrolliert, hat Berichten – auch der CoI – zufolge standrechtliche Hinrichtungen durchgeführt (HRW, 13.01.2021) zufolge. Den Hingerichteten – darunter auch Frauen − wurden Verbrechen von Mord über Ehebruch bis zu Vergewaltigung vorgeworfen. Mindestens zwei Kinder wurden Berichten zufolge zum Tod verurteilt (UNCOI, 13.03.2023).
Zwangsrekrutierungen durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen:
Anders als die Regierung und die SDF, erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA und HTS Zivilisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrpflicht auf (NMFA, 05.2022; DIS, 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch SNA und HTS gibt (NMFA, 08.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten von SNA oder HTS beizutreten. Die islamische HTS-Ideologie ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der DIS Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die HTS-Rekrutierungspraxis einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS, 12.2022).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die auszugsweise wiedergegebenen aktuellen Länderberichte zu Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sowie rezente Medienberichte.
Angesichts der Aktualität und Plausibilität dieser Berichte sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das erkennende Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der ihnen zu entnehmenden Informationen zu zweifeln. Auf den EUAA-Bericht vom März 2024 konnte zurückgegriffen werden, da sich die Situation in Syrien seit dessen Erscheinen (wie sich etwa aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 12, vom 08.05.2025 ergibt) nicht entscheidend verändert hat und die ihm zu entnehmenden Informationen daher nach wie vor aktuell sind. Dasselbe gilt für das LIB vom 27.03.2024 hinsichtlich des Umstandes, dass auch die SNA keine Zwangsrekrutierungen durchführt.
Für die Feststellungen zum BF und zu seiner (Verfolgungs-)Situation in Syrien waren folgende Erwägungen maßgeblich:
Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Geburtsort des BF sowie zu seinem Leben in Syrien ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg gleichlautenden Angaben und den vorgelegten Dokumenten.
Hinsichtlich der Machtverhältnisse in XXXX ist Folgendes auszuführen:
Folgt man der Darstellung in der Syria-Live-Map (https://syria.liveuamap.com), so wird XXXX von der neuen HTS-geführten Übergangsregierung kontrolliert. Allerdings ist anzumerken, dass seit dem Machtwechsel in Syrien im Dezember 2024 auf der Syria-Live-Map nicht mehr zwischen SNA- und HTS-Gebiet unterschieden wird. XXXX und die umliegenden Dörfer wurden im Zuge des Machtwechsels im Dezember 2024 von der SNA erobert (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 08.05.2025, S. 33).
Auf der Karte des Carter Center stellt sich die Situation um XXXX folgendermaßen dar (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html):
Auf der Karte des Institute for the Study of War (ISW) stellt sich die Situation in der Stadt XXXX und den umliegenden Dörfern folgendermaßen dar (https://storymaps.arcgis.com/stories/1933cb1d315f4db3a4f4dcc5ef40753a):
Den Informationen des Carter Center (Stand: 01.06.2025) zufolge werden also sowohl die Stadt XXXX als auch das Dorf XXXX nach wie vor von Milizen der SNA kontrolliert (Operation Dawn of Freedom), den Informationen des ISW zufolge wird die Stadt XXXX und deren Umgebung von der neuen HTS-geführten Regierung kontrolliert, wobei nicht klar ist, welche Dörfer im Umland von XXXX davon umfasst sind.
Laut der EUAA, die sich unter anderem auf das ISW beruft, ist die SNA nach wie vor in den Teilen Syriens präsent, die sie bereits vor dem Machtwechsel im Dezember 2024 kontrolliert hat, und operiert dort auch – obwohl sie sich formal dem syrischen Verteidigungsministerium unterstellt hat – unabhängig von der neuen syrischen Armee (EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025, S. 24 bzw. 103).
Daher ist – wie festgestellt – davon auszugehen, dass in der Heimatregion des BF sowohl die neue HTS-geführte syrische Armee als auch die SNA präsent sind.
Dass weder die neue syrische Armee noch HTS noch SNA Zwangsrekrutierungen durchführen, ergibt sich zum einen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 27.03.2024. Auch die nachfolgenden – nach dem Machtwechsel im Dezember 2024 erschienen – Länderberichte (beispielsweise EUAA, Syria: Country Focus vom März 2025, sowie das erwähnte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 12, vom 08.05.2025) gehen davon aus, dass die neue HTS-geführte Übergangsregierung die Wehrpflicht abgeschafft hat.
Die Feststellung, dass der BF nach einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch HTS-Angehörige betroffen wäre, fußt auf folgenden Erwägungen:
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzungen seitens der HTS-Machthaber kam. Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass der BF, der Araber ist und nicht durch Aktivitäten gegen die HTS bzw. die neue syrische Regierung in Erscheinung getreten ist, im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort, der nunmehr unter HTS-Kontrolle steht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen werden könnte, ist nicht zu erwarten. Dies gilt auch in Anbetracht des nunmehrigen Vorbringens des BF: Mag er sich auch von der Religion entfernt haben, so kann insbesondere auch vor dem Hintergrund des bisherigen Vorbringens des BF, demzufolge er sich in Syrien gegen das Assad-Regime und die kurdischen Machthaber in Nordostsyrien, somit jeweils laizistisch orientierte Akteure, gewandt hat (vgl. VHS 15.05.2024), nicht davon ausgegangen werden, dass er tief verwurzelte (atheistische) Überzeugungen hegen würde bzw. ihm solche unterstellt würden, die ihn in Konflikt mit der nunmehrigen syrischen Regierung bringen würden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.
Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten – mit Ausnahme der Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht – ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die belangte Behörde in dem Verwaltungsverfahren, das zur Erlassung des bekämpften Bescheides geführt hat, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.
Sie ist in der Sache jedoch nicht berechtigt:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (VwGH 2.2.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung.“ Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn aus objektiver Sicht eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von der maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits geschehene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der GFK vorliegt, die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen und dürfen einzelne zusammenhängende Aspekte seiner Situation im Herkunftsstaat nicht aus dem (asylrechtlich relevanten) Zusammenhang gerissen werden (VwGH 22.01.2016, Ra 2015/20/0157 unter Hinweis auf VwGH 10.06.1998, 96/20/0287 und VwGH 23.07.1998, 96/20/0144; zum Erfordernis einer Gesamtbetrachtung VwGH 27.04.2006, 2003/20/0181).
Wie festgestellt hat der BF bis zu seiner Ausreise aus Syrien ausschließlich in XXXX in der Nähe von XXXX im Gouvernement Aleppo gelebt, weshalb XXXX als sein Herkunftsort zu betrachten ist.
Vorauszuschicken ist, dass – wie festgestellt – in der Herkunftsregion des BF sowohl SNA als auch HTS präsent sind.
Zunächst ist aufgrund der Herkunftsländerinformation festzuhalten, dass die Verfolgung durch das Assad-Regime, auf die der BF seinen Asylantrag ursprünglich im Wesentlichen gestützt hat, weggefallen ist. So geht auch der UNHCR in seinem Positionspapier vom Dezember 2024 (Position on Returns to the Syrian Arab Republic) davon aus, dass aufgrund von Verfolgung durch die frühere Regierung gegebene Risken zu bestehen aufgehört haben. Dem BF droht daher gegenwärtig keine Einziehung zur syrischen Armee mehr.
Da die Gegend um XXXX nach dem Sturz des Assad-Regimes von der SNA, die sich inzwischen (zumindest formal) der neuen HTS-geführten syrischen Übergangsregierung untergeordnet hat, erobert wurde und sich die kurdisch dominierten SDF auf das Ostufer des Euphrats zurückgezogen haben, droht dem BF auch keine Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen mehr.
Sofern der BF auf die Möglichkeit verweist, dass er Opfer von Übergriffen von HTS-Angehörigen werden könnte, ist ihm entgegen zu halten, dass ihm Derartiges – wie oben dargelegt – nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Selbst wenn man dies aber annähme, ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 (BAMF), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie der unter lit. a leg. cit. beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b leg. cit.).
Zwar könnte auch eine atheistische Überzeugung zu einer asylrelevanten Verfolgung führen, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch in diesem Fall erforderlich, dass der BF aufgrund seiner atheistischen Lebensweise in seinem Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr liefe, verfolgt zu werden, was voraussetzt, dass der BF seinen Atheismus als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht und diesen auch in seinem Herkunftsstaat ausleben wird (VwGH 03.09.2021, Ra 2020/14/0290). Derartiges konnte der BF auch in der mündlichen Verhandlung jedoch – wie festgestellt – nicht glaubhaft machen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass ihm aus diesem Grund in Syrien asylrelevante Verfolgung droht.
Die prekäre Sicherheitslage in Syrien erweist sich im Fall des BF als nicht asylrelevant. Der BF hat daher bloß die alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Unbilligkeiten aufgrund des Bürgerkrieges und der allgemein schlechten Lage in Syrien vorgebracht, aber keine substantiellen, stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK dargetan. Im Fall des BF sind keine Umstände ersichtlich, die eine ihm konkret drohende individuelle Verfolgung aufgrund des Bürgerkrieges und der aktuellen Lage in Syrien untermauern würden. Einer bloß allgemeinen Bedrohung durch den Bürgerkrieg und die aktuelle Lage ist jedoch nicht mit der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu begegnen; dieser Status wurde dem BF von der belangten Behörde ohnehin bereits rechtskräftig zuerkannt.
Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen von erheblicher Intensität rechnen muss. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung in seinem Herkunftsstaat kann daher nicht als wohlbegründet im Sinn der GFK angesehen werden.
Das Vorliegen eines Sachverhaltes, aus dem sich eine ausreichende Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgungsgefahr für die BF ableiten ließe bzw. aus dem sich ihre konkrete Betroffenheit von der allgemeinen Situation in Syrien aus Konventionsgründen ergeben würde, konnte nicht festgestellt werden. Die für die Asylgewährung geforderte maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Sinn der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. Es bestehen keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass die BF nicht nur möglicherweise, sondern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen ist.
Zur Volatilität der Lage in Syrien:
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass eine neuerliche Lageveränderung durchaus möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das zitierte UNHCR-Positionspapier aus dem Dezember 2024 stammt und es seit dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 – von den Kämpfen zwischen der SNA und den SDF im Norden abgesehen – keine größeren Kampfhandlungen mehr gegeben hat, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass es regional begrenzt durchaus zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, etwa im Küstengebiet oder jüngst im Gouvernement Suweida, gekommen ist. Außerdem ist in einem seit Jahren von einem Bürgerkrieg zerrütteten Land wohl immer eine gewisse Volatilität der Sicherheitslage gegeben, sodass – auch aus Gründen der Verfahrensökonomie – nicht zugewartet werden kann, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, sofern dies überhaupt möglich wäre.
Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wird durch die Gewährung subsidiären Schutzes – die im gegenständlichen Fall durch die belangte Behörde erfolgt ist – auch ausreichend Rechnung getragen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, m.w.N.; VwGH 22.01.2021, Ra 2021/01/0003). Eine potentiell immer und zumal im generell volatilen Syrien mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer kann daher nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten Beschwerdeführer in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
Da dem angefochtenen Bescheid somit keine Rechtswidrigkeit i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es ist daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.