W261 2289490-1/35E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 29.02.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 06.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am selben Tag fand seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er aus XXXX , stamme und der Volksgruppe der Araber angehöre. Er habe die Grundschule besucht und keinen Beruf ausgeübt. Neben seinen Eltern würden noch zwei Brüder in Syrien leben.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er sein Land verlassen habe, weil in er zum Militärdienst einberufen werden würde und er nicht am Krieg teilnehmen wolle. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.
3. Am 12.02.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Er gehöre der Volksgruppe der Serian/Assyrer an und sei katholischer Christ. Er sei in XXXX im Gouvernement XXXX geboren. Seine Eltern würden noch im Heimatdorf leben, ein Bruder lebe in XXXX und ein weiterer Bruder würde mittlerweile in Dubai leben. Er habe noch Onkel, Cousins und Cousinen in Syrien. Er habe in XXXX die Universität besucht. Er sei am XXXX .2017 legal von Damaskus mit dem Flugzeug in den Irak ausgereist, wo er bis zum Jahr 2023 legal gelebt und gearbeitet habe.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er wegen des Militärdienstes gesucht werde. Er möge kein Blut und habe davor Angst. Die Christen in Syrien würden nicht mitkämpfen und am Krieg teilnehmen wollen. Er wolle sich weiterentwickeln und Gutes für die Bevölkerung und die Gesellschaft tun. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor den Behörden und müsste zum Militär. Er sei seit seiner Geburt Christ, wobei er persönlich deswegen keine Probleme gehabt habe.
Der Beschwerdeführer legte eine Reihe von Kopien von syrischen Unterlagen und von Integrationsunterlagen vor.
4. Die belangte Behörde veranlasste eine Überprüfung der vom Beschwerdeführer vorgelegten syrischen Dokumente mit dem Ergebnis, dass diese unbedenklich seien.
5. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 29.02.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer Syrien wegen der allgemeinen Sicherheitslage verlassen habe. Er sei weder aus Gründen der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Volksgruppe noch der politischen Gesinnung in seiner Heimat von staatlicher Seit oder von Dritten verfolgt worden.
Es würden jedoch Gründe für die Annahme bestehen, dass im Fall einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien für den Beschwerdeführer eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe. Daher sei ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.
6. Der Beschwerdeführer erhob am 25.03.2024 gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides durch seine bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer der Wehrpflicht im syrischen Regime unterliegen würde. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm nicht nur eine Bestrafung aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung oder der damit zusammenhängenden – ihm zumindest unterstellen – oppositionellen politischen Gesinnung, sondern auch eine Zwangsrekrutierung. Durch die Teilnahme am Bürgerkrieg würde er gezwungen sein, sich an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen.
Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geblieben, die belangte Behörde habe keinerlei Feststellungen zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers getroffen. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen zu seinen Familienangehörigen getroffen. Er würde auch aufgrund des Umstandes, dass er Verwandte in Österreich habe, auch asylrelevant verfolgt werden würde, weil auch ihm dadurch eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden würde. Es folgen Ausführungen zum Wehrdienst für das syrische Regime und Wehrdienstverweigerung aus den Länderinformationen und der Konsequenzen im Falle einer Verweigerung. Es sei dem Beschwerdeführer unmöglich, auf legalem Weg in seine Herkunftsregion einzureisen. Das Beweisverfahren sei mangelhaft geblieben und die rechtliche Beurteilung sei unrichtig. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung werde dem Beschwerdeführer daher internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG zu gewähren sein. Es werde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
7. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 27.03.2024 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 02.04.2024 einlangte.
8. Der Beschwerdeführer erstattete am 16.04.2024 durch seine Rechtsvertretung zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine schriftliche Stellungnahme. Darin wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er bei UNHCR im Irak als Asylsuchender registriert sei und legte dazu eine Kopie eines Dokumentes vor. Er verwies auch darauf, dass seine Religionszugehörigkeit „maronitisch-katholisch“ sei.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.04.2024 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung zu seinen persönlichen Umständen, seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle einer Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Der Beschwerdeführer legte keine weiteren Bescheinigungsmittel vor und verwies auf die bereits im bisherigen Verfahren vorgelegten Bescheinigungsmittel. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
10. Der Beschwerdeführer gab durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 23.04.2024 eine schriftliche Stellungnahme zu den vorgelegten Länderinformationen ab. Unter anderem führte der Beschwerdeführer darin aus, dass er bei Bezahlung der Befreiungsgebühr der geltenden EU-Sanktionen Verordnung gegen Syrien zuwiderhandeln würde. Dem Beschwerdeführer würde dadurch eine illegale Handlung zugemutet werden, und würde dies eindeutig die vom EuGH in seiner Rechtsprechung etablierte Grenze, welches Verhalten Flüchtlingen zumutbar sei, um einer Verfolgung zu entgehen, überschreiten. Diese Stellungnahme brachte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde am 24.04.2024 zur Kenntnis.
11. Mit Beschluss vom 12.09.2024, Zl. W261 2289490-1/11Z legte das Bundesverwaltungsgericht dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 AEUV insgesamt vier Fragen im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Leistung einer Befreiungsgebühr, um die Wehrpflicht für das syrische Regime nicht ableisten zu müssen, vor. Dieses Verfahren war beim EuGH zu Zl C-596/24, Hama anhängig.
12. Der Kanzler des Europäischen Gerichtshofes teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 17.10.2024 mit, dass das Vorabentscheidungsersuchen den Parteien und sonstigen Beteiligten des Verfahrens mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt worden sei.
13. Mit Eingabe vom 21.11.2024 erstattete Rechtsanwalt Mag. Ronald FRÜHWIRT, als anwaltlicher Vertreter des Beschwerdeführers und dessen bevollmächtigter Vertretung vor dem EuGH, eine Mitteilung und regt an, beim EuGH den Antrag zu stellen, das Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.
14. Mit Schreiben vom 09.12.2024 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Verfahrens mit, dass in Anbetracht der aktuellen Lage in Syrien kein Grund gesehen werden würde, beim EuGH den Antrag zu stellen, das Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.
15. Mit Eingabe vom 11.12.2024 fragte der genannte anwaltliche Vertreter an, ob in Anbetracht der aktuellen Lage in Erwägung gezogen werde, das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen.
16. Mit Schreiben vom 13.12.2024 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Verfahrens mit, dass trotz des Sturzes des Assad-Regimes das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH aufrechterhalten werde.
17. Die belangte Behörde teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Eingabe vom 13.02.2025 mit, dass der Beschwerdeführer aus der Grundversorgung des Landes Salzburg entlassen worden sei, weil eine Beschäftigungsbewilligung vorliegen würde.
18. Der Europäische Gerichtshof übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 05.03.2025 Stellungnahmen der Republik Frankreich, des anwaltlichen Vertreters des Beschwerdeführers, der Europäischen Kommission und der Republik Österreich zum genannten Vorabentscheidungsersuchen.
19. Mit Note vom 05.06.2025 ersuchte der EuGH gemäß Art. 101 Abs. 1 der Verfahrensordnung um Mitteilung, ob angesichts der Umwälzungen in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 sowie der Entwicklung der Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegenüber Syrien das Vorabentscheidungsersuchen noch aufrechterhalten werde.
20. Das Bundesverwaltungsgericht teilte dem EuGH mit Schreiben vom 01.07.2025 mit, dass angesichts der Umwälzungen in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 sowie der Entwicklung der Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegenüber Syrien das Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr aufrechterhalten werde. Dies wurde auch den Parteien des Verfahrens mit Schreiben vom 02.07.2025 zur Kenntnis gebracht.
21. Mit Schreiben vom 01.07.2025 bestätigte der Kanzler des EuGH, dass die Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchen eingelangt sei und das die Zustellung des Streichungsbeschlusses zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen werde. Der Streichungsbeschluss des EuGH vom 17.07.2025 langte am 04.08.2025 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
22. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.08.2025 eine weitere mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung zu seinen persönlichen Umständen, seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle einer Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer heißt XXXX und wurde am XXXX im Dorf XXXX , im Gouvernement Hama, in Syrien geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, er gehört keiner Volksgruppe an und ist maronitisch-katholischer Christ. Seine Muttersprache ist Arabisch, er spricht auch Englisch und Deutsch.
Seine Eltern heißen XXXX (ca. 75 Jahre) und XXXX (ca. 59 Jahre). Der Beschwerdeführer hat zwei Brüder, XXXX (ca. 36 Jahre) und XXXX (ca. 30 Jahre). Sein Bruder XXXX lebt in Dubai. Seine Eltern leben in seinem Heimatdorf, sein Bruder XXXX lebt in XXXX . Der Beschwerdeführer hat auch Onkeln, Cousins und Cousinen in Syrien. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie.
Der Beschwerdeführer lebte von seiner Geburt bis zum Jahr 2009 in seinem Herkunftsort. Er besuchte 12 Jahre lang die Schule in XXXX , welche er mit der Matura abschloss. Er studierte sodann bis zum Jahr 2017 an der Universität in XXXX Philosophie. Parallel dazu arbeitete er von 2006 bis 2017 bei seinem Vater als Photograph und als Imker. Er verließ Syrien am XXXX .2017 legal über Damaskus in Richtung Irak. Er ließ sich im Irak von UNHCR am 10.09.2017 als syrischer Flüchtling registrieren. Er hatte bis zum Jahr 2023 einen Aufenthaltstitel im Irak.
Der Beschwerdeführer leistete seinen Wehrdienst bislang nicht ab.
Das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, das Dorf XXXX , im Gouvernement Hama, befindet sich unter Kontrolle der von Ahmed al Shaara geführten syrischen Übergangsregierung.
Der Beschwerdeführer verließ den Irak am 15.01.2023 in Richtung Türkei. Danach reiste er weiter und hielt sich unter anderem in Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn auf und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich ein und stellte am 06.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Nach monatelanger Vorbereitung starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der dschihadistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), welche vormals als Al-Nusra-Front bekannt war, die Operation „Abschreckung der Aggression“ und brachten am 08.12.2024 die syrische Hauptstadt Damaskus unter ihre Kontrolle und beendeten damit die Herrschaft des syrischen Assad-Regimes. Der ehemalige syrische Machthaber Baschar al-Assad verließ daraufhin das Land und flüchtete nach Russland.
Der Beschwerdeführer läuft daher nicht Gefahr aus welchen Gründen auch immer von physischer und/oder psychischer Gewalt vonseiten der ehemaligen syrischen Regierung unter dem ehemaligen Machthaber Baschar al-Assad bedroht oder zwangsrekrutiert zu werden. Der Beschwerdeführer leistete seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee niemals ab. Er läuft ebenso nicht Gefahr von oppositionellen Gruppierungen als Assad-Regimeanhänger angesehen zu werden, da sich der Beschwerdeführer niemals politisch äußerte oder sonst in irgendeiner Art politisch agierte.
1.2.2. Die Rebellenmiliz Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) löste sich Ende Jänner 2025 auf wird in die syrischen Streitkräfte der von Ahmed al Shaara geführten Übergangsregierung eingegliedert.
Die neue syrische Übergangsregierung wendet keine institutionalisierten Rekrutierungsverfahren an. Dem Beschwerdeführer droht keine Zwangsrekrutierung vonseiten der von Ahmed al Shaara geführten Übergangsregierung.
Zudem hat sich der Beschwerdeführer weder in Syrien noch in Österreich jemals politisch betätigt. Er äußerte sich niemals politisch und geriet aufgrund dessen auch niemals in das Visier neuen Übergangsregierung.
1.2.3. Der Beschwerdeführer hatte bis zu seiner Ausreise im Sommer 2017 nie Probleme aufgrund seiner Religionszugehörigkeit. Er läuft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht Gefahr im Falle seiner Rückkehr in seiner Herkunftsregion aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ von staatlicher Seite oder von privaten Akteuren, wie islamistischen Milizen psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt zu sein.
1.2.4. Der Beschwerdeführer läuft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht Gefahr, im Falle seiner Rückkehr als vermeintlich reicher Mann aus dem Ausland in seiner Herkunftsregion durch Milizen zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt zu werden.
Die neue syrische Regierung ist grundsätzlich bereit und willens, wenn auch aufgrund des Umstandes, dass (noch) keine Verwaltungs-, Justiz- und Polizeibediensteten in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, aktuell noch nicht umfassend in der Lage, dem Beschwerdeführer Schutz vor Entführungen zum Zwecke der Lösegelderpressung zu gewähren.
1.2.5. Auch sonst ist der Beschwerdeführer persönlich und konkret nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (COI-CMS), Version 12, veröffentlicht am 08.05.2025 (LIB);
- EUAA, Country Focus Syria, Juli 2025 (EUAA);
- UNHCR, Position on returns to the Syrian Arab Republic, Dezember 2024 (UNHCR);
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen, vom 21.03.2025 (ACCORD);
1.3.1. Politische Lage - Regierungsführung unter der Übergangsregierung
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen. Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt. Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt. Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten. Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt. Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich, etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS. Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein. Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (LIB).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden. Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren. Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (LIB).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet, traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen. Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht. Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde. Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (LIB).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten. Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert. In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr. Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach. Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war. Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt. Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden. Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren. Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (LIB).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt. Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit. Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin. Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren. Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes. Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt. Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde. Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt. Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird. Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (LIB).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung. Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln. Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor. Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden. Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert. Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein. Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen. Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab. Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“. Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes. Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden. Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle. Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt. Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren. Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte. In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache. Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen. Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse. Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten. Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (LIB).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat, die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen. Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (LIB).
Im Juni 2025 wurde in einem Präsidialerlass die Ernennung des Obersten Ausschusses für die Wahlen zur Volksversammlung angekündigt, der die Aufgabe hat, die indirekte Wahl von 100 der 150 Mitglieder der Volksversammlung (Parlament) durch Wahlkollegien zu überwachen. Der Ausschuss wird auch den Zeitplan für die Wahlen festlegen und Kriterien für die Wählbarkeit sowohl der Wähler als auch der Kandidaten aufstellen (EUAA).
1.3.2. Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes seit 08.12.2024 (Letzte Änderung 08.05.2025)
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei. Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln. Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren. Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen. Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden. Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt. Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (LIB).
Die Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen Syriens variiert.
1.3.2.1. Zur Sicherheitslage im Gouvernement Hama
Verwaltungsgliederung und Bevölkerungsschätzungen
Das Gouvernement Hama ist in fünf Verwaltungsbezirke unterteilt, nämlich As-Salamiyeh, As- Suqaylabiyah, Hama, Masyaf und Muhradah, die wiederum in insgesamt 22 Unterbezirke unterteilt sind. Die Hauptstadt des Gouvernements ist Hama-Stadt.981 Im März 2025 schätzte die IOM die Einwohnerzahl des Gouvernements auf 1.718.829, einschließlich der Einwohner, Binnenvertriebenen und Rückkehrer aus dem Ausland. Im Vergleich dazu schätzte die WHO die Einwohnerzahl von Hama im März 2025 auf 1.524.494. (EUAA)
Territoriale Kontrolle und wichtigste bewaffnete Akteure
Am 30. Mai 2025 zeigte eine Karte des ISW und des CTP, dass das Gouvernement Hama weitgehend unter der Kontrolle der HTS-geführten Übergangsverwaltung steht. Ein kleiner Teil entlang der Grenze zum Gouvernement Homs im Osten wurde als „Lost Regime Territory“ kartiert. (EUAA)
Zu den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, die Berichten zufolge während des Berichtszeitraums im Gouvernement Hama aktiv waren, gehört Saraya Ansar Al Sunnah, eine sektiererische sunnitische Miliz, die im April 2025 behauptete, eine Kampagne gegen Mitglieder der ehemaligen Assad-Regierung gestartet zu haben. Zu den anderen bewaffneten Pro-Assad-Gruppen, die im Gouvernement Hama aktiv waren, gehörten der Syrische Volkswiderstand rund um den Jabal Al-Alawiyin und Masyaf, die sogenannten Küstenschutzkräfte - eine Splittergruppe des Syrischen Volkswiderstands - unter der Führung von Miqdad Fatiha, einem ehemaligen Kommandeur der Republikanischen Garde, und der Militärische Rat für die Befreiung Syriens unter der Führung von Ghayth Dallah, einem ehemaligen Offizier der Vierten Division der SAA, die vom Bruder des ehemaligen Präsidenten Maher Al-Assad geführt wird. Nach Angriffen der Coastal Shield Forces (auch: Coastal Shield Brigade) auf Militär- und Sicherheitspositionen in den Küstenregionen Anfang März 2025 führten Sicherheitskräfte mit Unterstützung des Militärs Razzien in mehreren Dörfern in der Region durch, auch im Gouvernement Hama, um Personen aufzuspüren, die in die Angriffe verwickelt waren. Berichten zufolge operierte die 62. Division der syrischen Armee ab Mai 2025 im Gouvernement Hama, angeführt von Abu Amsha, dem ehemaligen Kommandeur der Sultan-Suleiman-Schah-Division (auch bekannt als Amshat). Israel führte im April und im Mai 2025 Luftangriffe auf militärische Einrichtungen im Gouvernement Hama durch. (EUAA)
Sicherheitsentwicklungen
Am 6. März 2025 griffen bewaffnete Gruppen, die mit dem ehemaligen Präsidenten Assad und seiner Regierung verbunden sind, Sicherheits- und Militärkräfte in der Küstenregion (siehe unten, Abschnitte 5.8.4 Gouvernement Latakia und 5.8.5 Gouvernement Tartous) und im Gouvernement Hama an. Die von den Regierungstruppen als Reaktion auf diese Angriffe eingeleiteten Sicherheitsoperationen führten zu einer Eskalation der Gewalt, die häufig „Vergeltungsmaßnahmen und sektiererischen Charakter“ hatte und sich hauptsächlich gegen alawitische Gemeinschaften richtete. Die Gewalt umfasste außergerichtliche Tötungen, wahllose Schüsse auf Häuser, Massenverhaftungen von Männern über 18 Jahren und die Durchsuchung und Niederbrennung von Häusern in Homs (siehe unten, Abschnitt 5.8.6) und im westlichen ländlichen Hama, einschließlich der Dörfer Al-Bustan, Jeb Ramla und Al-Rasafa. In Al-Rasafa hatten pro-Assad-„Regimeüberreste“ damit begonnen, einen Konvoi außerhalb des Dorfes anzugreifen, wobei sie verschüttetes Öl auf der Straße benutzten, um die Lenkung der Fahrzeuge zu erschweren. Allein in diesem Dorf wurden nach Angaben des Christian Science Monitor (CSM) 63 Einwohner getötet. Das SNHR registrierte die Tötung von 49 Personen durch an Militäroperationen beteiligte bewaffnete Kräfte (irreguläre Gruppierungen und Organisationen, die nominell mit dem Verteidigungsministerium verbunden sind) im Gouvernement Hama zwischen dem 6. und 10. März 2025. Unter den Opfern befanden sich 15 Kinder, 10 Frauen und eine medizinische Fachkraft. (EUAA)
Die Internationale Krisengruppe stellte fest, dass es den allgemeinen Sicherheitskräften schnell gelungen war, ihre Kontrolle über mehrere Teile des Landes auszuweiten, darunter die Hauptstadt Damaskus und andere zentrale Städte wie Hama. Seit dem Sturz des Assad-Regimes kam es jedoch in einigen Gebieten zu Unruhen, in denen die Übergangsverwaltung Mühe hatte, die Kontrolle zu behalten, darunter auch im ländlichen Hama. Zahlreiche Rachemorde und Entführungen, die sich vor allem gegen Alawiten richteten, sowie die allgemeine Unfähigkeit der Behörden, die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, hatten zu einem „Gefühl der staatlichen Verfolgung“ vor allem in dieser Gruppe beigetragen und die Sicherheit und das Vertrauen der Öffentlichkeit weiter untergraben. (EUAA)
Im April 2025 führten die israelischen Streitkräfte (IDF) Luftangriffe auf den Militärflughafen in der Stadt Hama durch, wobei die Einrichtung zerstört und Dutzende von Zivilisten und Militärangehörigen verletzt worden sein sollen. Laut Associated Press (AP) zielten die Luftangriffe auf einen Luftwaffenstützpunkt, auf dem Türkiye angeblich „Interesse an einer militärischen Präsenz“ hatte. Weitere Luftangriffe der IDF auf Hama-Stadt im Mai 2025 zielten auf das Hauptquartier der 47. Brigade, einer Militärbasis, die früher mit dem „Baath-Regime“ verbunden war, wie die Hawar News Agency (ANHA) berichtete. (EUAA)
Sicherheitsvorfälle
Zwischen dem 9. Dezember 2024 und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED 229 sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Hama (siehe Abbildung 13). Für den Zeitraum zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED105 sicherheitsrelevante Vorfälle (definiert als Kämpfe, Explosionen/entfernte Gewalt, Gewalt 996 Etana gegen Zivilisten) im Gouvernorat Hama. Von diesen Vorfällen wurden 7 als Kämpfe, 30 als Explosionen/entfernte Gewalt und 68 als Gewalt gegen Zivilisten kodiert. (EUAA)
Während des Berichtszeitraums wurden in allen fünf Bezirken des Gouvernements sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die höchste Zahl solcher Vorfälle wurde in Hama verzeichnet (49 Sicherheitsvorfälle), gefolgt von As-Suqaylabiyah (19 Sicherheitsvorfälle) und As-Salamiyeh (17 Vorfälle). Die wenigsten Vorfälle wurden im Bezirk Muhradah registriert (7 Sicherheitsvorfälle). Den Daten von ACLED zufolge waren nicht identifizierte bewaffnete Gruppen als Hauptakteure (codiert als „Akteur 1“ oder „Akteur 2“) an fast 70 % aller während des Berichtszeitraums erfassten sicherheitsrelevanten Vorfälle beteiligt, insbesondere an Vorfällen, die als „Gewalt gegen Zivilisten“ und „Explosionen/entfernte Gewalt“ codiert wurden, wobei in den meisten Fällen auch Zivilisten beteiligt waren. Die syrischen Militär- und Polizeikräfte waren an fast 27 % aller erfassten Vorfälle beteiligt, insbesondere an Vorfällen, die als „Gewalt gegen Zivilisten“ und „Kämpfe“ kodiert wurden. Die meisten Vorfälle, die als Gewalt gegen Zivilisten kodiert wurden, wurden im März 2025 aufgezeichnet und bezogen sich auf Vorfälle im Zusammenhang mit „umfassenden Operationen“ gegen Milizen, so die von ACLED verwendeten Quellen. (EUAA)
Zivile Todesopfer
Im März 2025 verzeichnete das SNHR 153 zivile Todesopfer im Gouvernement Hama. In 121 dieser Fälle gab das SNHR „bewaffnete Kräfte, die an den Sicherheitsmaßnahmen an der syrischen Küste beteiligt sind“ als Täter an. Die Zahl der Opfer ging im April 2025 zurück, wobei im gesamten Gouvernement 15 Todesopfer zu beklagen waren. Im Mai 2025 stieg die Zahl der zivilen Todesopfer leicht auf 19 Für den Zeitraum zwischen März und Mai 2025 verzeichnete die UCDP 137 zivile Todesopfer im Gouvernement Hama. (EUAA)
Konfliktbedingte Schäden an der Infrastruktur und explosive Kriegsreste
Relief Across Borders stellte im April 2025 fest, dass in bäuerlichen Gemeinden im gesamten Gouvernement Hama „Routineaufgaben“ wie landwirtschaftliche Arbeiten oder Spielen im Freien zu „tödlichen Spielen“ geworden waren. Mehrere Quellen berichteten, dass Zivilisten durch Sprengkörper, die aus dem Krieg zurückgelassen wurden, getötet oder verletzt wurden, unter anderem in ländlichen Gebieten im Norden, Osten und Süden Hamas. Der syrische Zivilschutz stellte Berichten zufolge fest, dass Hama zu den Gebieten gehörte, in denen sich zwischen dem 27. November 2024 und dem 14. März 2025 die meisten Vorfälle mit Kriegsüberbleibseln ereigneten. (EUAA)
Der Ausbruch der Gewalt Anfang März 2025 verursachte laut UNOCHA „schwere“ Schäden an der Infrastruktur in den betroffenen Regionen, auch im Gouvernement Hama. Der Syrien-Bericht wies auf die Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen und das Abholzen von Bäumen durch Pro-Assad-Kräfte hin, insbesondere von Bäumen, die Personen gehörten, die ehemaligen Oppositionsgruppen angehörten, so dass viele zurückkehrende Binnenvertriebene Mühe hatten, ihre Existenzgrundlage wieder aufzubauen. (EUAA)
Konfliktbedingte Vertreibung und Rückkehr
Nach Schätzungen des UNHCR lebten am 12. Juni 2025 212.243 Binnenvertriebene im Gouvernement Hama sowie 181.567 Personen, die seit dem 27. November 2024 von in Gebiete des Gouvernements zurückgekehrt waren. Das UNHCR schätzte ferner, dass am 15. Mai 2025 insgesamt 616.215 Rückkehrer, die seit Anfang 2024 aus dem Ausland zurückgekehrt waren, im Gouvernement lebten, wobei die große Mehrheit von ihnen (44.971) in den Bezirk Hama zurückkehrte, gefolgt von As-Salamiyeh (9.432). Seit dem 8. Dezember 2024 kehrten 37.274 Personen aus dem Ausland in das Gouvernement Hama zurück. (EUAA)
Der UNHCR wies auf Berichte über Landbeschlagnahmungen durch lokale Behörden hin, bei denen es sich um Ländereien handelte, die von lokalen Familien und mutmaßlichen Eigentümern für den Anbau von Oliven- und Pistazienbäumen genutzt wurden. Die Beschlagnahmungen betrafen Berichten zufolge 12 Dörfer im Nordosten des ländlichen Hama, was zur Vertreibung von schätzungsweise 2000 (meist alawitischen) Familien nach Hama und Homs führte. Das GPC erwähnte Berichte von Familien, die aus der internen Vertreibung oder aus dem Ausland zurückkehrten, über „Zwangsräumungen und vergeltende Beschlagnahmungen von Eigentum“ in mehreren Gouvernements, darunter Hama. (EUAA)
1.3.3. Mögliche Rückkehr nach Syrien
Die UNHCR appelliert weiterhin an alle Staaten, syrische Staatsangehörige und Personen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, einschließlich Palästinenser, die sich früher in Syrien aufhielten, nicht gewaltsam nach Syrien zurückzuführen (UNHCR).
1.3.4. Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, etc. - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes seit 08.12.2024 (Letzte Änderung 08.05.2025)
Vor dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 berichteten die UN über Folter und Hinrichtungen von Gefangenen, die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) im Nordwesten festgehalten werden. Sie und einige Fraktionen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) im Norden wenden in ihren Haftanstalten dieselben brutalen Foltermethoden an wie die Regierung (LIB).
Im Jänner 2025 führte die Übergangsregierung Sicherheitskampagnen durch, wie Razzien und Festnahmen. Im Fokus standen dabei die Gouvernements Latakia, Homs und Damaskus. Gerichtet waren diese Kampagnen gegen Personen, denen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Assad-Regime vorgeworfen werden, insbesondere gegen ehemalige Militärangehörige und Regierungsangestellte. Ob diese Kampagnen auf gerichtlichen Anordnungen basierten, ist unklar. Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte im Jänner 2025 229 Fälle von willkürlichen Verhaftungen, darunter drei Kinder und acht Frauen. Die Übergangsregierung war für 129 Verhaftungen verantwortlich, wobei 36 wieder entlassen wurden. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen Alawiten, denen Soldaten begegnen. Die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, bei dem diese Opfer eindeutig identifiziert und vor Gericht gestellt werden. Hawar News, einer kurdischen Zeitung zufolge, haben vier Personen in einer Haftanstalt in Damaskus durch Folter ihr Leben verloren, nachdem sie bei Razzien in Homs festgenommen worden waren. Ende Jänner verstarb ein Mann, der wegen Unterstützung des Assad-Regimes verhaftet worden war, in Haft. Die syrischen Behörden kündigten an, eine Untersuchung wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einzuleiten. Die Verantwortlichen wurden verhaftet und der Militärjustiz übergeben (LIB).
Alle bewaffneten oppositionellen Gruppierungen und Gruppierungen der SNA führten willkürliche Festnahmen durch. Zu den Opfern gehörten Personen, die aus den von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebieten kommen, darunter auch Frauen. Die Festnahmen fanden ohne gerichtliche Anordnung oder Beteiligung der Polizei statt. Den Festgenommenen wurden keine klaren Angaben zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen gemacht. Die SNA bzw. andere bewaffnete Gruppierungen waren für 41 willkürliche Verhaftungen verantwortlich, darunter sechs Frauen. Zwölf Personen wurden wieder freigelassen (LIB).
1.3.5. Rechtschutz und Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die aktuelle Verfassung von 2012 wurde ausgesetzt. Ahmad ash-Shara' setzte für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung drei Jahre an. Die neue syrische Regierung kündigte an, dass ein Verfassungskomitee aus den besten Juristen und Rechtsgelehrten gebildet werden würde, das daran arbeiten wird, die bisherige Verfassung zu überprüfen und Änderungen vorzunehmen. Am 29.1.2025 wurde zudem beschlossen, alle Ausnahmegesetze, die während der Ära des abgesetzten Präsidenten al-Assad erlassen wurden, zu widerrufen. In einem Interview gab ash-Shara' am 3.2.2025 an, dass der hohe Justizrat noch besteht und nicht alle bisherigen Gesetze auf einmal aufgehoben worden sind. Es gibt über 150.000 offene Fälle vor Gericht, die erst behandelt werden können, wenn ein neues Gesetz erlassen wurde. Durch Experten und Fachausschüsse für Justizgesetze werden neue Gesetze vorgeschlagen und alte Gesetze, die nicht mit der Situation in Syrien übereinstimmen, ersetzt. Jedes Gesetz, das erlassen werden soll, wird einer vorläufigen parlamentarischen Versammlung vorgelegt, die darüber abstimmt, ob es verabschiedet werden soll oder nicht. Darüber hinaus gibt es den Hohen Justizrat und das Oberste Verfassungsgericht, sodass es ein rechtliches Verfahren für die Verabschiedung jedes Gesetzes im Land gibt. Das Verfahren unterliegt laut Aussagen von ash-Shara' den allgemeinen Gesetzen, die auf den in der Verfassungserklärung festgelegten Rahmenrichtlinien basieren. Des Weiteren wird es eine Verfassungserklärung geben. Ob es Scharia-Gesetze gibt oder nicht, werden ash-Shara' zufolge Experten entscheiden. Gemäß einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung wird derzeit nicht mit Gesetzen, sondern mit Dekreten regiert. Die regierenden Milizen können anordnen, was sie wollen. Die derzeitige Regierung ist als Übergangsregierung gesetzlich darauf beschränkt, öffentliche Dienstleistungen und Betriebe aufrechtzuerhalten. Sie kann zwar Gesetze oder Rechtsvorschriften aussetzen, die Verstöße beinhalten, ist jedoch nicht befugt, Gesetze zu erlassen oder zu ändern, was eine gesetzgebende Körperschaft erfordern würde. Alle Entscheidungen der derzeitigen Regierung werden auf der Grundlage der revolutionären Legitimation getroffen, die sie an die Spitze des Landes gebracht hat, da es sich um eine geschäftsführende Regierung handelt. Daher sind die getroffenen Entscheidungen vorübergehend, bis die verfassungsmäßigen Grundsätze oder die Verfassungserklärung vereinbart sind, so ein Forscher am Syrischen Dialogzentrum. Am 2.3.2025 kündigten die syrischen Behörden die Bildung eines Ausschusses an, der eine Verfassungserklärung für den Übergang des Landes nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad ausarbeiten soll (LIB).
Ash-Shara' hat Prediger als Richter eingesetzt. Offiziell hat das syrische Übergangskabinett keine formellen Anweisungen zur Entlassung von Richterinnen herausgegeben, doch Quellen aus dem Justizpalast des Gouvernements Homs berichten, dass sie mündliche Anweisungen erhalten haben, Frauen aus Justizpositionen zu entfernen (LIB).
Nach dem Sturz des Regimes al-Assads und der Präsenz vieler bewaffneter Parteien herrschen in verschiedenen Regionen Syriens Chaos und Gesetzlosigkeit, was zu Verbrechen geführt hat, die möglicherweise durch persönliche Ziele motiviert sind. Notwendig sind klare Anweisungen an das Sicherheitspersonal, die besagen, dass es verboten ist, ohne richterlichen Beschluss der Staatsanwaltschaft, der den Eigentümern der zu durchsuchenden Häuser vorgelegt wird, in Häuser einzudringen. Besonders im Norden mehren sich die Anzeichen für eine Eskalation von Gesetzlosigkeit und Gewalt in einem geografischen Gebiet, das sich zwischen Homs, Latakia an der Küste und Aleppo weiter östlich erstreckt. Anfang März 2023 kam es in der syrischen Küstenregion zu sektiererischen und regionalen Liquidierungsoperationen, bei denen Hunderte von Bürgern, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden. Die Sicherheitskräfte, Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Der syrische islamistische Übergangspräsident will die Verantwortlichen für das Massaker an Zivilisten zur Rechenschaft ziehen, und betonte, dass Syrien ein Rechtsstaat sei. Zur Untersuchung der Morde kündigte ash-Shara' die Etablierung eines unabhängigen Ausschusses an. (LIB)
Mitte Dezember kam es zu einem Treffen zwischen einer Delegation der Abteilung für militärische Operationen, Richtern und Anwälten im Justizpalast in Homs. Dort soll es zum Versuch gekommen sein, die Regierungskonzepte in Idlib auf die gesamte syrische Gesellschaft und ihre staatlichen Institutionen zu projizieren, anders als es in offiziellen Statements ash-Shara's kommuniziert wird. Der Leiter der Delegation soll in einer seltsamen Logik gesprochen haben und Scharia- und islamische (Rechts)Begriffe verwendet haben, die in der Realität der syrischen Gerichte nicht existieren, wie z. B. den Begriff „Scharia-Gericht in Homs“, womit er nicht das Gericht für Eheschließungen und Scheidungen, sondern den gesamten Justizpalast meinte, und er verwendete den Begriff „Sunna“ anstelle von Gesetz [auf Arabisch Qanoun - قانون Anm.]. Der Justizminister der Interimsregierung gab in einem Interview am 1.1.2025 an, dass 90 % der syrischen Bevölkerung Muslime sind und eine neue Regierung den Willen des Volkes berücksichtigen werde, was bedeute, dass die Implementierung der Scharia eine große Rolle spielen wird, wenn dies der Wille der Bevölkerung sei. Der Rosa Luxemburg Stiftung zufolge gilt die Scharia in Syrien längst wichtigste Rechtsquelle – genauso wie in vielen anderen Staaten der Region. Die zentrale Frage ist aber, wie diese ausgelegt wird und inwiefern Islamisten wie ash-Shara' und seine Mitstreiter bereit sind, Kompromisse einzugehen. (LIB).
Die neuen Machthaber in Syrien nutzen islamische Lehren, um eine junge Polizeitruppe auszubilden. Nach Angaben von Polizeibeamten soll dies dazu dienen, ein moralisches Bewusstsein zu schaffen, während sie gleichzeitig versuchen, das Sicherheitsvakuum zu füllen, das durch die Zerschlagung der berüchtigten, korrupten und brutalen Sicherheitskräfte des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad entstanden ist. Polizisten, die sie aus ihrer ehemaligen Rebellenhochburg in der nordwestlichen Region Idlib nach Damaskus gebracht haben, befragen Bewerber nach ihrem Glauben und konzentrieren sich in der kurzen Ausbildung, die sie den Rekruten anbieten, auf das islamische Scharia-Recht, wie fünf hochrangige Beamte und Bewerbungsformulare belegen. (LIB)
Als die Aufständischen der 50-jährigen Herrschaft der al-Assad-Familie ein Ende setzten, brachen sie in Gefängnisse und Sicherheitseinrichtungen ein, um politische Gefangene und viele der Zehntausenden von Menschen zu befreien, die seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 verschwunden waren. Der neue Justizminister al-Waysi entschied Anfang Jänner, wegen Straftaten Verurteilte wieder ins Gefängnis zu bringen. In einem Rundschreiben rief al-Waysi alle Gerichte, Ermittlungs- und Überweisungsabteilungen und die Staatsanwaltschaft auf, die Namen der Gefangenen oder der wegen gewöhnlicher Straftaten Verurteilten zu zählen, die aufgrund ursprünglicher richterlicher Haftbefehle verhaftet wurden und während der Befreiungsoperation aus ihren Haftanstalten entkommen waren. Der Minister ordnete an, auf der Grundlage der gerichtlichen Akten polizeiliche Anordnungen gegen sie zu erlassen, um ihre Verhaftung und Rückkehr in die Haftanstalten vorzubereiten, ihren Prozess in den noch anhängigen Gerichtsverfahren zu verfolgen und die rechtskräftigen Gerichtsurteile gegen die Verurteilten umzusetzen, um die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen gegen sie zu gewährleisten, Gerechtigkeit und Stabilität zu erreichen und die persönlichen Rechte der Betroffenen zu wahren. Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen. (LIB).
Während das offizielle Rechtssystem theoretisch eine einheitliche Struktur bietet, ist die Realität vor Ort weitaus komplexer, da verschiedene Rechtssysteme Einfluss und Autorität z. B. in Familienangelegenheiten geltend machen. Das syrische Justizsystem ist Just Security zufolge ein einziges Chaos. Jahrzehntelang diente es der Familie al-Assad als Instrument der Unterdrückung . Seit 2012 wurden einige Gerichte in Oppositionsgebieten eingerichtet und als „Scharia-Gerichte“ bezeichnet, da ihre Urteile auf islamischem Recht und islamischer Rechtsprechung basierten. Andere behielten ihren zivilrechtlichen Charakter bei, indem sie das 1996 von der Arabischen Liga entworfene Arab Unified Law zur Vereinheitlichung der Gesetze in den arabischen Staaten übernahmen. Dieses Gesetz enthält in hohem Maße Grundsätze des islamischen Rechts. Im Jahr 2017 übernahmen Gerichte unter der oppositionellen Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) in Nordsyrien das syrische arabische Recht unter Bezugnahme auf die Verfassung von 1950, wobei Änderungen vorgenommen wurden, um den aktuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. In den von HTS kontrollierten Gebieten wird das Scharia-Recht neben einigen Gesetzen angewendet, die von der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) der Gruppe erlassen wurden (LIB).
Aufarbeitung von Kriegsverbrechen etc. unter dem gestürzten Assad-Regime
Übergangspräsident ash-Shara' verkündete bereits wenige Tage nach dem Sturz des Regimes, dass er die Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes auflösen werde und Personen, die an der Folterung oder Tötung von Gefangenen beteiligt waren, zur Strecke gebracht würden und Begnadigungen nicht infrage kämen. Er kündigte an, andere Länder aufzufordern, die Geflohenen auszuliefern. Die Verbrechen des Assad-Regimes will die Übergangsregierung aufarbeiten. Auf dem Messenger-Dienst Telegram auf Arabisch gaben sie bekannt, dass sie die Kriminellen, Mörder, Sicherheitsbeamten und Soldaten, die an der Folterung des syrischen Volkes beteiligt waren, zur Rechenschaft ziehen werden. Auch werde man Kriegsverbrecher verfolgen und ihre Auslieferung fordern, sollten sie in andere Staaten geflohen sein. Seit Ende Dezember 2024 führten die Sicherheitskräfte der neuen syrischen Regierung in verschiedenen Provinzen des Landes Durchkämmungsaktionen durch, bei denen es auch zu Zusammenstößen mit Überresten und Milizen des abgesetzten Regimes kam. Eine Quelle im syrischen Innenministerium erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Abteilung für öffentliche Sicherheit in Tartus, Latakia, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus eine große Zahl ehemaliger Regimeangehöriger und Randalierer festgenommen habe. (LIB)
Der Aufbau des neuen Syriens ist zwangsläufig mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit verbunden, d. h. mit mehr als fünfzig Jahren eines von der al-Assad-Familie dominierten Regimes. Die Eröffnung von „Versöhnungszentren“ in den wichtigsten Städten in Gebieten, die unter der Kontrolle der syrischen Übergangsregierung stehen, ist eines der Instrumente zu diesem Zweck. Sie sind Teil eines umfassenderen Prozesses der Abrüstung und Versöhnung, um Syrer, die mit und für das Regime gearbeitet haben, hauptsächlich ehemalige Militäroffiziere, wieder in die syrische Gesellschaft zu integrieren. Die Versöhnungszentren laden ehemalige Soldaten, Offiziere und Mitglieder regimetreuer Milizen ein, ihre Waffen abzugeben und ihre persönlichen Daten zu registrieren. Im Gegenzug erhalten diese Personen befristete Ausweise, die oft drei Monate gültig sind und ihnen die sichere Durchreise und den Schutz vor sofortiger Strafverfolgung gewähren. Der Prozess zielt auch darauf ab, ehemalige Anhänger des Regimes zu ermutigen, sich von ihren früheren Loyalitäten zu distanzieren und sich in den neuen gesellschaftlichen Rahmen zu integrieren. Trotz ihres beabsichtigten Zwecks sind die Kriterien für die Zulassung in diesen Zentren weder öffentlich zugänglich noch werden sie systematisch angewendet, was zu Bedenken hinsichtlich einer willkürlichen Entscheidungsfindung führt. Quellen vor Ort in Syrien berichten, dass Personen, die eine Aussöhnung anstreben, oft mit komplexen bürokratischen Hürden konfrontiert sind, wobei die Entscheidungen eher von Sicherheitsbehörden als von einem unabhängigen und unparteiischen Gerichtsverfahren beeinflusst werden. Darüber hinaus betrifft der Prozess überproportional gefährdete Bevölkerungsgruppen, von denen viele trotz des Versprechens einer rechtlichen Absolution Vergeltungsmaßnahmen befürchten. (LIB)
Offizielle Listen von Kriegsverbrechern und Personen, die Verstöße gegen die Zivilbevölkerung vorgenommen haben, gibt es nicht. Die Untersuchungskommission der UN, die seit 2011 Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen untersucht, hat 4.000 Personen auf eine Liste gesetzt, die im Verdacht stehen schwere Verbrechen begangen zu haben. Die Organisation „For Justice“, die 2019 in Washington von syrischen Amerikanern gegründet wurde, hat bereits Jahre vor dem Sturz des Regimes eine schwarze Liste mit den Namen von 100 hochrangigen ehemaligen Regimevertretern veröffentlicht, die beschuldigt werden, seit 2011 Kriegsverbrechen in Syrien begangen zu haben. Daneben kursieren seit dem Sturz des Regimes Dutzende von inoffiziellen Listen mit den Namen und Fotos von Dutzenden gesuchter Personen, insbesondere eine Liste mit etwa 161 Namen von hochrangigen Offizieren und Kommandeuren des ehemaligen Regimes. Auch in sozialen Medien kursieren willkürliche Listen. Seit 8.12.2024 wurde eine Reihe von Personen verhaftet, denen Verbrechen vorgeworfen werden, die allerdings nicht auf den Listen stehen. (LIB)
Der Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, ist undurchsichtig und die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, das Opfer eindeutig identifiziert und Täter vor Gericht stellt. Die Einsatzleitung und die Sicherheitskräfte des neuen Regimes verhafteten ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes, darunter auch diejenigen, die ihren Status nicht legalisiert hatten, und diejenigen, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden. (LIB)
Besitz, Eigentum
Seit dem Aufstand von 2011 bis zum Sturz von Bashar al-Assad am 8.12.2024 hat das Assad-Regime die Eigentums- und Wohnrechte durch zahlreiche Gesetze, die auf die Beschlagnahme des Vermögens politischer Gegner abzielen, stark eingeschränkt. Zu den bemerkenswertesten Gesetzen gehörte das Anti-Terror-Gesetz Nr. 19 von 2012, das keine klare Definition oder Kriterien für Terrorismus enthielt. Dadurch konnten politische Gegner des Terrorismus beschuldigt, mit Höchststrafen belegt und ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen beschlagnahmt werden. Der Weg zur Rückgabe beschlagnahmter Immobilien umfasst Gesetzesänderungen, Verfassungsklagen oder die Einrichtung eines Rückgabeprogramms. Jeder Ansatz hat seine Komplexitäten, doch alle zielen darauf ab, Gerechtigkeit wiederherzustellen, Eigentumsrechte zu wahren und die Betroffenen für die jahrelangen systematischen Beschlagnahmungen unter ungerechten Gesetzen zu entschädigen. Seit dem 8.12.2024 haben einige Eigentümer Immobilien zurückgefordert, die einer Zwangsverlängerung des Mietverhältnisses unterlagen. Dies verstößt gegen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, die besagen, dass Gerichte keine Räumungsanordnung erlassen können, ohne dass der Vermieter die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung in Höhe von 40 % zahlt. Das Gesetz ist in dieser Angelegenheit eindeutig: Jede Räumungsanordnung, die diese Bedingung nicht erfüllt, verstößt gegen das Gesetz. Nach dem Rechtsgrundsatz „Eine Auslegung ist nicht zulässig, wenn der Text klar ist“ sind solche Räumungen rechtswidrig. Um das Problem der Zwangsverlängerung zu lösen, bedarf es einer neuen Gesetzgebung, die die entsprechenden Bestimmungen abschafft oder ändert und einen fairen Rahmen schafft, der die Rechte beider Parteien schützt. Wenn eine Räumung von nicht-gerichtlichen Stellen durchgeführt wird, ist sie illegal. Mieter, die auf diese Weise vertrieben werden, können auf der Grundlage ihrer Rechte auf Zwangsverlängerung Klage erheben, um den rechtmäßigen Besitz zurückzufordern, es sei denn, der Vermieter erklärt sich bereit, 40 % des Immobilienwerts zu zahlen. Solche Räumungen sind auch strafbar, da sie eine Selbstjustiz darstellen, die gegen das syrische Strafgesetzbuch verstößt. (LIB)
Die syrische Zentralbank hat beschlossen, alle Bankkonten von Unternehmen und Einzelpersonen einzufrieren, die dem früheren Regime angehörten oder mit ihm in Verbindung standen. Die Bankinstitute im Land wurden angewiesen, ihr innerhalb von drei Arbeitstagen eine Liste der eingefrorenen Konten und deren Einzelheiten zu übermitteln, wie aus einem Rundschreiben der Bank hervorgeht. Zwei prominente Geschäftsleute und ein Regierungsbeamter sagten, dass viele wohlhabende Syrer aufgrund des schnellen Sturzes von al-Assad und seiner Flucht nach Russland am 8.12.2024 keine Zeit hatten, ihr lokales Vermögen zu veräußern oder zu verlagern, was der neuen syrischen Regierung die Möglichkeit gab, aggressiv mit ihnen umzugehen. Ihr Vermögen ist seitdem eingefroren. Aber die mangelnde Transparenz der HTS-Behörden gegenüber den Tycoons und ihren Unternehmen riskiert eine Gegenreaktion. Nach der Machtübernahme im Dezember verpflichtete sich die HTS, das Land nach 13 Jahren brutalen Bürgerkriegs wiederaufzubauen und ein stark zentralisiertes und korruptes Wirtschaftssystem aufzugeben, in dem al-Assads Kumpane das Sagen hatten. Zu diesem Zweck hat die Exekutive unter der Leitung des neuen Präsidenten ash-Shara' ein Komitee eingerichtet, das die weitreichenden Unternehmensinteressen hochrangiger mit al-Assad verbundener Tycoons wie Samer Foz und Mohammad Hamsho aufschlüsseln soll, wie drei Quellen gegenüber Reuters mitteilten. Über die Einrichtung des Ausschusses, dessen Mitglieder nicht öffentlich sind, und die Gespräche zwischen der neuen syrischen Regierung und zwei der engsten Geschäftsmagnaten der Assad-Regierung, die große Teile der syrischen Wirtschaft kontrollieren, wurde bisher nicht berichtet. Gewöhnliche Geschäftsleute, die gezwungen waren, Bestechungsgelder zu zahlen oder mit dem Regime zusammenzuarbeiten, stehen nicht im Visier der neuen Regierung, anders sieht es bei einigen wenigen aus, die mit al-Assad zusammenarbeiten und auf Kosten des Staates ein Vermögen gemacht haben und in illegale Aktivitäten verwickelt sind, sagte der Leiter der syrischen Investitionskommission. (LIB).
Die Generaldirektion für Katasterangelegenheiten in Syrien hat eine Richtlinie erlassen, die die Dokumentation aller Transaktionen, die zur Übertragung oder Änderung von Eigentumsrechten an Immobilien führen, aussetzt. Diese Aussetzung wurde ohne einen festgelegten Zeitrahmen für die Wiederaufnahme dieser Verfahren verhängt. In dieser heiklen Übergangsphase wirft die Entscheidung Fragen nach den Motiven und rechtlichen Auswirkungen der Maßnahme auf, insbesondere angesichts der auch den Gerichten auferlegten Beschränkungen. Am 21.1.2025 erließ die Generaldirektion für Katasterangelegenheiten das Rundschreiben Nr. 1, in dem sie ihre Direktionen auf Gouverneursebene anwies, keine Verträge zu dokumentieren, die zur Schaffung, Übertragung oder Änderung von Immobilienrechten im Grundbuch führen. In der Praxis hat diese Richtlinie bis auf Weiteres alle Transaktionen im Zusammenhang mit Immobilienbesitz effektiv gestoppt. Das Rundschreiben Nr. 1 des Justizministeriums, das am 9.1.2025 von der Übergangsregierung herausgegeben wurde, beschränkte die Aufgaben der Gerichte auf die Bearbeitung laufender Fälle und dringender Angelegenheiten. Im Rundschreiben des Katasteramtes heißt es, dass die Aussetzung so lange in Kraft bleibt, bis die Abstimmung mit den „zuständigen Behörden“ über neue Verfahren abgeschlossen ist. Ein mögliches Ziel besteht darin, Personen, die unter dem vorherigen Regime betrügerisch Eigentum erworben haben, daran zu hindern, das Eigentum zu verkaufen oder zu übertragen, was den Prozess der Rückgabe dieser Immobilien an ihre rechtmäßigen Eigentümer, von denen viele außerhalb Syriens vertrieben wurden, weiter erschweren würde. Die Maßnahme könnte auch dazu dienen, diejenigen, die unter dem vorherigen Regime an Verbrechen beteiligt waren, daran zu hindern, ihr Vermögen zu veräußern, um einer möglichen Beschlagnahme zu entgehen. (LIB)
1.3.6. Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Lage bezüglich Sicherheitsbehörden befindet sich derzeit im Umbruch. Seitdem der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime Ende 2011 in den bewaffneten Konflikt überging, bildeten sich bewaffnete Gruppierungen auf fast der gesamten syrischen Landkarte, angefangen bei Offizieren und Soldaten, die vom Regime übergelaufen waren, bis hin zu Gruppierungen, die sich aus lokalen und religiösen Gruppierungen zusammensetzten. Sie standen im Konkurrenzkampf einerseits untereinander und andererseits kämpften sie gegen die Regimekräfte, die ihnen bis 2018 schwere Verluste zufügten. Danach wurden viele Gruppierungen aufgelöst. Andere übersiedelten unter russischer Schirmherrschaft im Rahmen von Abkommen nach Nordsyrien oder blieben auf der Basis von "Versöhnungsabkommen" unter russischer Schirmherrschaft und Garantien bzw. direkten Abmachungen mit dem Assad-Regime weiter bestehen. Im Zuge der Kampfhandlungen im Spätherbst 2024 schienen die Oppositionskämpfer gut organisiert zu sein und arbeiteten in einem Bündnis unter dem Namen Abteilung für militärische Operationen (Department of Military Operations - DMO) zusammen. Für die Großoffensive "Abschreckung der Aggression", die am 17.11.2024 startete und zum Sturz des Präsidenten al-Assad führte, hatten sich die Rebellen monatelang vorbereitet. Im Laufe des vergangenen Jahres entwickelten die Kämpfer eine neue Methode, die sich auf die Verwendung von Drohnen stützte. Von den ersten Tagen der Offensive an veröffentlichte die von den Rebellen geführte DMO mehrere Videos von Angriffen auf Militärfahrzeuge und Versammlungen von Soldaten des syrischen Regimes mit sogenannten Shaheen-Drohnen, die eine große Effektivität und Genauigkeit beim Treffen der Ziele zeigten. Für diese Drohnen wurden eigens die Shaheen-Bataillone geschaffen. Diese Bataillone sind für ihr hohes Maß an Fachwissen und ihre Präzision bekannt. Sie sollen von Offizieren aus Osteuropa ausgebildet worden sein. Für die Ausbildung soll die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sogar eine eigene Drohnenakademie betrieben haben. Zum ersten Mal in der Geschichte des Syrienkonflikts war die bewaffnete Opposition nun in der Lage, den Luftraum zu kontrollieren. Die verschiedenen Drohnentypen trugen dazu bei, eine Art Gleichgewicht im Luftraum zu erreichen, gemeinsam mit der Tatsache, dass die Russen den Großteil ihres Luftarsenals aus Syrien abgezogen hatten, weil sie mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt waren. Die Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen, greifen Fahrzeuge und gepanzerte Fahrzeuge an, feuern Raketen auf Soldaten ab, oder es sind Selbstmorddrohnen, die sich schnell auf Fahrzeuge und Panzer stürzen und sich sofort mit jedem Objekt, das mit ihnen kollidiert, in die Luft sprengen. Einer Warnung Russlands zufolge soll die HTS über mehr als 250 fortschrittlicher Drohnen verfügt haben. Gerüchten zufolge unterhielt die HTS im Nordwesten Syriens eine Fabrik zur Herstellung von Drohnen mit Düsentriebwerken und Sprengbomben gemeinsam mit ausländischer Unterstützung, wie beispielsweise durch uigurische Ingenieure der Turkistan Islamic Party (TIP, die aus Dschihadisten besteht, die aus China stammen und sich im ländlichen Latakia und Idlib niedergelassen haben). Sie beaufsichtigen die Herstellung der Drohnen für ein monatliches Gehalt von bis zu 4.000 Dollar. Die Entwicklung dieser Waffen soll in kleinen Werkstätten, untergebracht in Garagen, Häusern, ehemaligen Schulgebäuden, Lagerhäusern und anderen Orten, die schwer zu entdecken sind, passiert sein. HTS hat eine komplexe Infrastruktur aufgebaut, um den Einsatz von Drohnen zu ermöglichen. Dazu gehört auch der Einsatz von 3-D-Drucktechnologie zur Herstellung von Teilen, die nicht ohne Weiteres aus kommerziellen Quellen bezogen werden können (LIB).
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Polizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle. Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib operiere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe. Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt. In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu. Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann. In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr. HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militärische Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die ausländischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt. Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen. (LIB)
Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden, und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein. Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden. Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten. Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee. Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen. Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen nationalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar'aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebildete Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch die kurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden. Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen Militärstruktur anzuschließen. Das syrische Verteidigungsministerium berichtete, dass die neue syrische Regierung mit Vertretern von mehr als 60 bewaffneten Gruppierungen zusammengetroffen sei, die sich bereit erklärt hätten, sich in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um eine einheitliche Datenbank der Streitkräfte zu erstellen, die Informationen über die Humanressourcen (Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und akademisches Personal) und über militärische Vermögenswerte (Hauptquartiere, Technologie und Waffen) enthalten soll. Die Informationen würden der Führung des Verteidigungsministeriums vorgelegt, gefolgt von Treffen mit den bewaffneten Organisationen, um die Struktur der Sicherheitskräfte festzulegen und Kommandeure zu ernennen. Die Bewegung der syrischen Oppositionsfraktionen gegen Assad war schon immer zersplittert, und es gibt eine lange Geschichte von gescheiterten Vereinigungsprojekten, sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Nach dem Sturz von al-Assad hat sich die Lage geändert, aber die Probleme sind nicht völlig verschwunden. Der Übergangsregierung ist es gelungen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land (mit Ausnahme von Suweida) vorsichtige Zugeständnisse zu erwirken. Die Bildung einer Süddivision deutet darauf hin, dass sie an einer vorübergehenden Lösung gegenüber dem geschäftsführenden Verteidigungsministerium interessiert ist: Bisher scheinen nicht zu HTS gehörende bewaffnete Gruppen bereit zu sein, mit dem Ministerium zusammenzuarbeiten, ohne jedoch ihre Organisationsstrukturen und geografischen Einflusszonen aufzugeben oder sich entwaffnen zu lassen. Tatsächlich werden die Brigaden der Süddivision die Spaltungen, die den Süden seit Jahren prägen – zwischen dem östlichen und westlichen Dara'a, zwischen Dara'a und Suweida und zwischen konkurrierenden Gruppierungen untereinander – aufrechterhalten. Obwohl ash-Shara' Fortschritte bei der Bildung eines Verteidigungsministeriums nach al-Assad unter der Kontrolle der von HTS geführten Behörden in Damaskus signalisiert hat, gibt es über Erklärungen gegenüber den Medien und Diplomatenbesuchen hinaus kaum Anzeichen für praktische Fortschritte. Da es keinen transparenten Plan für die Bildung eines neuen Verteidigungsministeriums gibt, haben ehemalige Oppositionsfraktionen ihre Waffen nicht abgegeben. Übergangspräsident ash-Shara' und Verteidigungsminister Abu Qasra haben sich noch nicht mit den Einzelheiten befasst, wie diese Armee von innen aussehen wird und ob das neue syrische Verteidigungsministerium in der Lage ist, eine vollständige Harmonie zwischen den Fraktionen und Kämpfern zu erreichen. (LIB)
Am 29.1.2025 wurde die Auflösung bewaffneter Gruppierungen in Syrien bekannt gegeben, darunter auch die HTS. Einem Journalisten von Sky News zufolge sind viele Gruppierungen, die HTS unterstützten, bereits Teil der Allgemeinen Sicherheit (General Security Force) geworden und tragen alle einheitliche schwarze Uniformen und Kampfanzüge. Die General Security war die wichtigste Polizeitruppe der HTS im Nordwesten Syriens und ist nun zur Gendarmerie der Übergangsregierung in ganz Syrien geworden, um das Sicherheitsvakuum nach dem Sturz des Regimes zu füllen. Bereits am 28.1.2025 wurde berichtet, dass sich die der al-Qaida nahestehende Gruppierung Hurras ad-Din aufgelöst hatte. 2018 geriet die Gruppierung mit der HTS in Konflikt, nachdem sich Letztere von der al-Qaida losgesagt und ihren Namen geändert hatte. Die verschiedenen Gruppierungen in Südsyrien, darunter die von Russland unterstützte 8. Brigade in Dara'a und drusische Milizen in Suweida, haben bestimmte Bedingungen für den Beitritt zu einer nationalen Armee festgelegt. Dazu gehören die Einrichtung einer wirklich repräsentativen Regierung, eine neue Verfassung und ein nicht konfessionsgebundenes Militär. Diese Forderungen unterstreichen das tief sitzende Misstrauen gegenüber einer zentralisierten Autorität und den Wunsch nach lokaler Autonomie, was die Aufgabe der Armeevereinigung weiter erschwert. Bisher ist es gelungen, die von der Türkei unterstützten Gruppierungen in den nördlichen Teilen Syriens aufzulösen. Militärangehörige, darunter hochrangige Offiziere, sagten, dass einige Oppositionsfraktionen weiterhin in den Formationen operieren, die sie vor dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad im Dezember genutzt haben, während gleichzeitig eine schrittweise Übergabe an Brigaden unter der Führung von Damaskus stattfindet, um eine neue Armee aufzubauen. (LIB)
Für das Innenministerium wird ein Kader vorbereitet, der eine spezielle Ausbildung erhalten soll, um seine Aufgaben im Rahmen eines Plans zur Gewährleistung einer sicheren Gesellschaft zu übernehmen. Am 10.1.2025 gab das Innenministerium bekannt, dass der Eintritt in die Polizei und die Allgemeine Sicherheit durch die Einschreibung in die Polizeihochschule möglich sei. Die Kurse erstreckten sich auf fast alle syrischen Gouvernements, angeführt von Damaskus und seinem Umland, Homs, Tartus, Idlib, Suweida und Deir ez-Zour. In der Meldung hieß es, dass die Bewerber mindestens 20 sein müssen und höchstens 30 Jahre alt sein dürfen, mindestens einen Highschool-Abschluss oder einen gleichwertigen Abschluss haben müssen. Sie müssen die vorgeschriebenen Kurse bestehen, nicht wegen eines Verbrechens oder einer Straftat verurteilt worden sein, bei guter Gesundheit und körperlicher Fitness und mindestens 168 cm groß sein. Mehr als 200.000 Menschen haben sich für einen neuen Polizeidienst angemeldet, der derzeit aufgebaut wird, sagte der Kursleiter an der Polizeiakademie in Damaskus. Polizisten, die vor Assads Sturz zu den Rebellen übergelaufen sind, können sich für die neue Truppe bewerben. Diejenigen, die dies nicht getan haben, wurden aufgefordert, einen "Versöhnungsprozess" zu durchlaufen, einschließlich der Unterzeichnung eines Dokuments, in dem sie den Regimewechsel akzeptieren, und der Abgabe ihrer Waffe. Es ist noch nicht klar, ob sie sich der neuen Truppe anschließen dürfen (LIB).
Das Innenministerium änderte die Bedingungen für die Aufnahme von Mitgliedern des Sicherheits- und Polizeidienstes. Darunter sind eine Altersgrenze von 30 Jahren anstelle von zuvor 26 Jahren und Lockerungen bei den Anforderungen an die körperliche Gesundheit und Fitness. Die Ausbildung dauert 21 Tage. Unter dem Assad-Regime betrug die Ausbildungszeit neun Monate. Reuters hingegen berichtet von zehn Tagen Unterricht in Waffenhandhabung und islamischen Recht. Wenn sich die Sicherheitslage verbessert, soll die Ausbildung auf neun Monate verlängert werden, wobei ein von den Rebellen in Idlib eingeführtes System verwendet wird. Die allgemeine Landschaft des neuen Sicherheitsapparats weist deutliche Veränderungen auf, vor allem in Bezug auf die islamistische Färbung, die mit einigen Details einhergeht, wie die lauten Takbir-Rufe ["Allahu Akbar"-Rufe] bei den Abschlussfeiern, nachdem die Freiwilligen die Scharia- und Militärtrainingskurse absolviert haben, und die Abschlussreden der Veranstaltung, die sich auf die islamischen Lehren und die Notwendigkeit konzentrieren, „im Einklang mit Gottes Gesetz“ zu handeln. Reuters zitiert Quellen, wonach die islamische Lehre dazu dienen soll, der neuen syrischen Polizei Moral zu vermitteln. Mitglieder der HTS-Polizeieinheit in Idlib sind nach Damaskus gereist, um Polizeibeamte zu rekrutieren. Die HTS-Polizei hat den Bewerbern eine Reihe von Fragen zu ihrem Glauben gestellt und die Ausbildung der neuen Rekruten konzentriert sich auf das Scharia-Recht. (LIB)
Am 16.4.2025 kündigte das Innenministerium an, dass es einen Beamten ernennen werde, der sowohl die Kräfte der Allgemeinen Sicherheit als auch die Polizeikommandos in jeder Provinz beaufsichtigen solle, um so die Kontrolle über beide Kräfte zu zentralisieren. (LIB)
Langfristig werden Syriens Bemühungen zur Reform seines Militärs mit enormen Herausforderungen beim Wiederaufbau seines Waffenarsenals und seiner Infrastruktur konfrontiert sein, insbesondere nach der weitreichenden Zerstörung durch israelische Luftangriffe im Dezember 2024. Diese Angriffe galten über 100 Luftverteidigungsbatterien, Radarsystemen und Geheimdienstbasen, wodurch ein Großteil des syrischen Arsenals unbrauchbar wurde. Berichten zufolge führte Israel in acht Tagen über 600 Angriffe durch und zerstörte dabei etwa 80 % der strategischen Waffen Syriens. Die syrische Luftwaffe, die Berichten zufolge Anfang 2024 über 184 einsatzfähige Flugzeuge verfügte, verfügt nun nur noch über eine Handvoll übergebliebener – wenn auch einsatzfähiger – Flugzeuge. Dasselbe gilt für die Hunderte von Fahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen – darunter Kampfpanzer, Schützenpanzer, Langstrecken-Mehrfachraketenwerfer und SAM-Systeme – welche die Rebellen von der sich zurückziehenden Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) erbeutet haben, deren Schicksal unbekannt ist. Schätzungsweise 15 Marineschiffe wurden bei Angriffen auf Minaa el-Beida und Latakia zerstört, Tartus wurde jedoch verschont, um russische Streitkräfte nicht zu treffen. Der Wiederaufbau des syrischen Militärs – insbesondere der Luftwaffe und der Luftverteidigungsnetze, einschließlich Abfangjäger-Vorräte, Ersatzteile und Ausbildung der Besatzungen – wird Jahre dauern und Milliarden Dollar kosten, und das zu einer Zeit, in der die staatlichen Kassen fast leer sind. Ash-Shara' kündigte einen Plan an, für den Import moderner militärischer Fahrzeuge, die für die Sicherheitsdienste in allen Provinzen geeignet sein sollen. (LIB)
Die ehemaligen militärischen Geheimdienste Syriens waren für ihre Unterdrückung berüchtigt. In der neuen Struktur werden Anstrengungen unternommen, um ein Nachrichtensystem von Grund auf neu aufzubauen, das frei von den Altlasten des vorherigen Regimes ist. Das syrische Generalkommando hat die Ernennung von Anas Hassan Khattab zum Leiter des allgemeinen Nachrichtendienstes bekannt gegeben. Khattab übernahm Anfang 2014 die Position des administrativen Emirs der Jabhat an-Nusra, nachdem er Ende 2013 einer der Anführer der Gruppe und allgemeiner administrativer Emir gewesen war. Nach Angaben des Sicherheitsrats wurde Khattab am 23.9.2014 gemäß den Ziffern 2 und 4 der Resolution 2161 (2014) auf die Sanktionsliste gesetzt, weil er mit al-Qa'ida in Verbindung stand, weil er „an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung, Begehung, Beteiligung oder Unterstützung der Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra beteiligt war“ und weil er „die Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra in irgendeiner anderen Form unterstützt hat“. Quellen bestätigten gegenüber Al Jazeera die Ernennung von Generalmajor 'Ali Nour ad-Din an-Na'san zum neuen syrischen Generalstabschef. Lokalen syrischen Plattformen zufolge war an-Na'san ein militärischer Befehlshaber von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS). Ende Dezember 2024 wurden von der neuen Regierung Kämpfer in Führungspositionen ernannt. Unter den 50 neuen militärischen Ernennungen waren sechs ausländische Kämpfer im Rang eines Brigadegenerals und eines Obersts, darunter zwei Araber. Die Ernennungen sind Teil einer umfassenderen Kampagne von ash-Shara' zur Umstrukturierung der Neuen Syrischen Armee, die Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Nationalität umfasst. (LIB)
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar. Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind. Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern. In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus. Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern. (LIB)
Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
Die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [zu Deutsch: Komitee zur Befreiung der Levante Anm.] ist die stärkste Gruppierung in Syrien. Ihre Mannstärke wird auf 43.000 geschätzt. Die Hälfte dieser Gruppierungen ist nach der Rückeroberung in ihren ursprünglichen Gebieten geblieben, insbesondere in den Gebieten im Norden von Hama, im Süden von Idlib und im Westen und Süden von Aleppo. Sie entstand aus dem Zusammenschluss von fünf Gruppierungen, u. a. der Jabhat Fatah ash-Sham, Liwa' al-Haqq, Jabhat Ansar ad-Din und Jaysh as-Sunna und wurde später von mehreren Bataillonen, Brigaden und Einzelpersonen unterstützt. Die HTS versuchte ihren militärischen Flügel durch die Einrichtung eines gemeinsamen Einsatzraums namens „Shahba Community“ in Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppierungen, darunter Ahrar ash-Sham, die Nour ad-Din-Zenki-Bewegung und die „50. Division“ zu stärken. 2019 wurde der Operationsraum Fatah al-Mubin gegründet. Dieser war für die Koordinierung und Abteilung für militärische Operationen in Nordsyrien in Idlib und den ländlichen Gebieten von Aleppo, Latakia und Hama verantwortlich. Mitte 2020 schränkte die Hay'at Tahrir ash-Sham alle militärischen Operationen auf den Operationsraum Fatah al-Mubin ein und untersagte die Bildung jeglicher sonstiger militärischer Gruppierungen oder Operationsräume in den von ihr kontrollierten Gebieten. 2023 verkündete die HTS eine neue Struktur für die militärischen Kräfte in ihren Gebieten an. Mitglieder der HTS sind nicht nur Syrer, sondern sie umfasst mehrere Nationen. Sie ist in sechs Brigaden, Spezialeinheiten und Elitetruppen unterteilt, die als Rote Brigaden bekannt sind bzw. als Rote Bänder, und welche Berichten zufolge dank ihrer Fähigkeiten in Bezug auf Ausbildung, Bewaffnung und die Fähigkeit, die Frontlinien zu durchdringen, in der Lage waren, mehrere Kampfhandlungen gegen Assads Streitkräfte zu gewinnen. Die Anzahl der Mitglieder dieser Eliteeinheit ist nicht bekannt, sie soll Berichten zufolge aber aus Hunderten von HTS-Mitgliedern bestehen, die Inghamasiyin genannt werden und von denen einige zu den ideologisch extremsten und kampferfahrendsten Elementen der Rebellenkoalition gehören. Auf ihren Köpfen tragen sie rote Bänder. Die Einheit, die 2018 gegründet wurde, hat einen hohen Ausbildungsstand und verfügt über Spezialwaffen. Daneben gehören auch Gruppen von Scharfschützen zu dieser Eliteeinheit. Auch HTS-Anführer Ahmed ash-Shara' tauchte in einem Video 2020 mit rotem Band am Kopf auf. Die HTS war es, die die Operation "Abschreckung der Aggression" im November und Dezember 2024 anführte. (LIB)
Ash-Shara' kündigte gegenüber al-'Arabiya und al-Hadath an, dass sich seine Gruppierung bald auflösen wird. Am 29.1.2025 wurde die Auflösung der HTS bekannt gegeben. (LIB)
1.3.7. Militärreform und Wehrdienst
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen. Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war. Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen. Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten. Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern. Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (LIB).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit. HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll. Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll. Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an. In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen. Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt. Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar. Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben. Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren. In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (LIB).
Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur. Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind. Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (LIB).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll. Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren. Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (LIB)
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte. Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (LIB).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden. Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben. Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei. Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen. Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet. Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet. Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (LIB).).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (LIB).
1.3.7.1. Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze. Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden. Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen. In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikel würden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (ACCORD).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen. Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgend beschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite „Al Arabiya Syria“ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihen der Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein. Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“ („Achbar Suriya al-Hurra“) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Sie dürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie des akademischen Nachweises, wenn vorhanden (ACCORD).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Istanbul, der im Besitz eines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernement unterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Laut EUAA würden vor allem in Provinzen, die früher unter der Kontrolle Assads standen, neue Rekrutierungszentren eröffnet werden. Bewerberhätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschluss vorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein (ACCORD, EUAA).
Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mit persönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizei sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verabschiedung eines Gesetzes mit dem Titel „Öffentliche Moral“, auf Eis gelegt worden sei (ACCORD).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (ACCORD).
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung durchlaufen. In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerber nach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ („referential authority“) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (ACCORD).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christen, Alawiten und Druzen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslime. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien(ACCORD).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt. Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechsel anerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (ACCORD).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleuten betrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchte vehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (ACCORD).
1.3.8. Christen
Vor dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 machten die christlichen Gemeinschaften etwa 10 % der Bevölkerung des Landes aus. Der Bürgerkrieg führte zu einer weit verbreiteten Vertreibung und Auswanderung der christlichen Gemeinschaften, von denen viele in den Libanon oder in die westlichen Länder, insbesondere nach Europa, zogen. Es gibt keine offiziellen Daten über die derzeitige Zahl der in Syrien verbliebenen Christen. Einige Schätzungen gehen von einem Rückgang auf 2 % oder etwa 300 000 aus (EUAA).
Die christlichen Konfessionen in Syrien umfassen mehrere Kirchen, wie die griechisch-orthodoxe, die griechisch-katholische, die syrisch-orthodoxe, die armenisch-katholische, die armenisch-apostolische, die syrisch-katholische, die maronitische, die protestantische, die nestorianische, die lateinische und die chaldäische. Vor dem Krieg lebten griechisch-orthodoxe Christen und griechisch-katholische Christen vorwiegend in und um Damaskus sowie in Latakia und der Küstenregion. Die syrisch-orthodoxen Christen lebten vor allem in der Region Dschazira, in Homs, Aleppo und Damaskus, während die syrisch-katholischen Christen kleine Gemeinden vor allem in Aleppo, Hasaka und Damaskus hatten. Armenische Christen verschiedener Konfessionen lebten größtenteils in Aleppo, einige Gemeinden befanden sich in Damaskus und in der Region Dschazira (EUAA).
Nach dem Sturz der Assad-Regierung äußerten christliche Gemeinschaften ihre Besorgnis über Religionsfreiheit, Sicherheit und die Möglichkeit, ihren Glauben offen zu praktizieren. Weitere Bedenken wurden mit der begrenzten Einbeziehung in die Ausarbeitung der neuen Verfassung und möglichen Einschränkungen gesellschaftlicher Freiheiten in Verbindung gebracht, wie z. B. der Schritt der Übergangsregierung zur Schließung von Bars in Damaskus im März 2025, der innerhalb einer Woche rückgängig gemacht wurde. In der neuen Regierung wurde Hind Kabawat, Christin und eine Frau, zur Ministerin für Soziales und Arbeit ernannt (EUAA).
Von Anfang an zeigten die neuen Behörden bewusst die Absicht, eine Abkehr von den spaltenden Praktiken ihrer Vorgänger zu signalisieren. In Aleppo nahm Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) Kontakt zu prominenten christlichen Führern und Geistlichen verschiedener Konfessionen auf, um die angespannten Beziehungen zu verbessern und ein Gefühl der Sicherheit zu fördern. Diese Treffen waren nicht oberflächlich, sondern beinhalteten Diskussionen über konkrete Missstände, wie die Ungerechtigkeiten, mit denen Christen in Jisr ash-Shughur ein Jahr zuvor konfrontiert waren. Einige dieser Missstände wurden inzwischen angegangen, hauptsächlich durch Rechenschaftspflicht und die Rückgabe von Eigentum an die rechtmäßigen Eigentümer. Dies ist ein beispielloser Schritt, der das Verständnis der Führung für die Notwendigkeit von Inklusion unterstreicht, wenn auch sorgfältig gesteuert. Anderen Berichten zufolge gab es durchaus gewaltsame Übergriffe, Morde und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige. Einem libanesischen Zeitungsbericht zufolge, der Betroffene zitiert, sollen vor allem Nachbarn und Bekannte Racheakte an Andersgläubigen verübt haben. Viele Angehörige verschiedener religiöser Minderheiten sind in den Libanon geflohen (LIB).
Ash-Shara' hat Befehle erlassen, Kreuze an Kirchen zu lassen und Weihnachtsdekoration zu schützen und die schiitischen Schreine zu respektieren sowie Bars und Lokale in Ruhe zu lassen, in denen Frauen und Männer miteinander tanzten. Das ist anders als in Idlib, wo solcher vermeintlicher Verderbtheit Schuldige, getötet, bekehrt oder vertrieben und ihre Räumlichkeiten, einschließlich Kirchen, geschlossen würden. HTS-Beamte haben umfangreiche Kontaktkampagnen mit Vertretern aller religiösen Glaubensgemeinschaften gestartet, und die christlichen und drusischen Gemeinschaften in ganz Westsyrien scheinen überwiegend in Frieden zu leben. Nur in den alawitischen Gemeinden hat die Jagd nach Kriminellen zu wiederholten Verstößen gegen Zivilisten geführt. Diese werden als Einzelfälle deklariert. Als christliche Führer von Problemen berichteten - wie dem Auftauchen einiger islamistischer Prediger, die versuchten, Christen in der Altstadt von Damaskus zu bekehren - habe die neue Regierung schnell gehandelt, um die Ruhe wiederherzustellen (LIB).
Im Dezember 2024 wurden mehrere Vorfälle gemeldet, bei denen christliche Symbole angegriffen wurden. Die neue Regierung verurteilte diese Angriffe und schrieb sie „unbekannten Personen“ zu. Während der Osterfeierlichkeiten 2025 wurden keine gewalttätigen Vorfälle gemeldet. In Damaskus sorgten die Regierungstruppen Berichten zufolge für die Sicherheit der Feierlichkeiten. Wie der Leiter eines Gemeindekomitees der armenischen Kirche gegenüber der New York Times anmerkte, war jedoch unklar, ob die Christen in ganz Syrien das gleiche Maß an Freiheit bei der Feier des Osterfestes genossen wie die Christen in Damaskus, wo die neue Regierung mit ihrer Unterstützung der Osterfeierlichkeiten möglicherweise das Ziel verfolgte, Journalisten und Besuchern ein Bild der Toleranz zu vermitteln (EUAA).
Ende März 2025 berichtete der Syrian Observer über zunehmende religiöse Bekehrungsversuche im öffentlichen Raum, die oft als „Aufrufe zum Islam“ bezeichnet werden. Dazu gehörten Plakate und Straßenpredigten, auf denen für bescheidene Kleidung geworben wurde, sowie die Verbreitung religiöser Botschaften mit Lautsprechern. Berichten zufolge fuhren Fahrzeuge, die für den Islam warben, durch mehrheitlich christliche Stadtteile von Damaskus wie Bab Touma, Bab Sharqi, Qassa und Dweila. Auf die Beschwerde eines christlichen Geistlichen hin verurteilten die Behörden die Aktionen als „inoffiziell“ und „individuell“, behaupteten Verhaftungen und ermutigten zu weiteren Berichten - obwohl ein anderes Auto einige Tage später erneut in Dweilaa gesehen wurde (EUAA).
Laut Beobachtern hat Iran nach dem Sturz des Regimes eine groß angelegte Desinformationskampagne gestartet, die primär darauf abzielt, religiöse Konflikte in Syrien zu schüren und damit die fragile Lage in dem Land zu destabilisieren. Dabei werden in den sozialen Netzwerken massenhaft falsche oder irreführende Berichte von Gewalttaten gegen Schiiten, Alawiten und Christen verbreitet, die angeblich von Kämpfern der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) verübt wurden. Dass es tatsächlich iranische Akteure sind, die diese Berichte streuen, lässt sich in den wenigsten Fällen nachweisen. Doch die schiere Anzahl von Postings lässt darauf schließen, dass es sich um eine organisierte Kampagne handelt. Auch Enab Baladi berichtet von irreführenden Videos, die in sozialen Medien verbreitet werden, um Zwietracht zu säen und die Sicherheitslage zu gefährden (LIB).
In Interviews mit Medienvertretern betonten verschiedene christliche Persönlichkeiten ein Gefühl der Unsicherheit und Angst. Im März 2025 äußerte der syrisch-orthodoxe Theologe Assad Elias Kattan gegenüber der Deutschen Welle Ängste vor einer Islamisierung und beschrieb den politischen Übergang als chaotisch und die Sicherheitslage außerhalb von Damaskus als „nicht immer stabil“. Im selben Monat erklärte der Schriftsteller und Forscher Roger Asfar gegenüber dem Syrian Observer, dass die Bedrohung für die christliche Präsenz in Syrien unter der neuen Regierung zunehme, da die Christen mit „abnehmenden Freiheiten und wachsendem religiösem und gesellschaftlichem Druck“ konfrontiert seien, ohne dass es Anzeichen für eine Verbesserung ihrer Situation gebe. Wie der Leiter des Exekutivkomitees der armenischen Kirche in einem Interview mit der New York Times feststellte, erwägen viele Armenier, Syrien aus Angst vor der Zukunft zu verlassen. Ähnliches stellte ein katholischer Priester in Aleppo im Mai 2025 gegenüber Vatican News fest, dass die Christen weiterhin vorsichtig seien und sicherstellen wollten, dass das Recht jeder Gemeinschaft, „in Würde zu leben“, respektiert werde (EUAA).
Die Zusicherung der neuen Regierung, die Religionsfreiheit zu respektieren, betrachten viele Christen mit Skepsis, wobei regional große Unterschiede bestehen. Aus manchen syrischen Regionen werden vereinzelte Einschränkungen der Religionsfreiheit für Christen durch Islamisten gemeldet. In einigen Orten hätten radikale Gruppen zum Beispiel getrennte Sitzplätze für Frauen und Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln oder die Pflicht zur Verschleierung für Frauen durchsetzen können. Den Erfolg dieser Maßnahmen führen die Beobachter bisher noch auf das Fehlen einer einheitlichen Verwaltung nach dem Machtwechsel zurück. Nach dem Sturz von al-Assad schossen unbekannte Bewaffnete auf die griechisch-orthodoxe Erzdiözese in Hama und versuchten Kultstätten zu zerstören. Kurz vor Weihnachten wurde ein Christbaum in einer mehrheitlich von Christen bewohnten Stadt in Zentralsyrien von maskierten Männern angezündet. Es kam zu Protesten in mehreren Landesteilen. Die HTS gab bekannt, dass ausländische Kämpfer wegen des Vorfalls festgenommen worden seien und versicherte, dass der Baum wiederhergestellt werden würde. Die HTS hat versucht in den von ihr kontrollierten Gebieten ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber bestimmten Minderheiten, insbesondere Christen, zu zeigen, im Vergleich zu der mit al-Qaida verbundenen Gruppierung, aus der sie hervorgegangen ist. Seit der Machtübernahme in Damaskus und weiten Teilen Syriens im Dezember 2024 hat die Gruppe im Allgemeinen Zurückhaltung bei der Behandlung christlicher und schiitischer bzw. alawitischer Denkmäler und Gemeinden gezeigt (LIB).
1.3.8.1. Christen involvierende Sicherheitsvorfälle
Im März 2025 gerieten Christen bei Angriffen auf Alawiten in der Küstenregion ins Kreuzfeuer. AFP-Journalisten konnten mindestens sieben Nachrufe in sozialen Medien bestätigen, darunter auf einen Mann und seinen Sohn, die auf einer Reise nach Latakia erschossen worden sein sollen, auf vier Familienmitglieder, die in ihrem Haus „in einem mehrheitlich von Alawiten bewohnten Viertel der Stadt“ getötet wurden, und auf den Vater eines in Baniyas getöteten Priesters. Nach den Angriffen auf Alawiten haben die Ängste vor Ort Berichten zufolge zugenommen, da die neuen Behörden nicht in der Lage sind, Schutz zu gewährleisten. Wie mehrere Quellen berichten, bildeten Christen in überwiegend christlichen Gebieten von Damaskus nach den Angriffen Freiwilligengruppen, um ihre Viertel gegen Plünderungen zu verteidigen und christliche religiöse Stätten vor potenziellen Angriffen zu schützen (EUAA).
Anfang Mai 2025 griff eine Gruppe nicht identifizierter Männer einen Alkoholladen in der überwiegend christlichen Stadt Rablah im Bezirk Al-Qusayr in Homs an, griff einen jungen Mann an, plünderte den Laden und richtete Beleidigungen und Drohungen gegen die christlichen Einwohner der Stadt (EUAA).
Mitte Mai 2025 berichtete das Medienorgan Syriac Press über zwei Vorfälle mit Christen im Gouvernement Hama. Am 15. Mai wurde in der Stadt Hemto das Auto einer christlichen Familie in Brand gesetzt, wobei am Tatort Flugblätter mit Drohungen und Beleidigungen gegen Christen hinterlassen wurden. Drei Tage später marschierte Berichten zufolge eine bewaffnete Gruppe durch die Straßen der überwiegend christlichen Stadt Maharda, nordwestlich von Hemto, und skandierte „Unser ewiger Führer ist der Prophet Mohammed“, was von vielen christlichen Einwohnern als vorsätzlicher Akt der Einschüchterung interpretiert wurde (EUAA).
Am 22. Juni 2025 eröffnete ein Mann, der mutmaßlich dem ISIL angehört, während eines Sonntagsgottesdienstes in der griechisch-orthodoxen Kirche des Propheten Elias (Mar Elias Kirche) im Damaszener Stadtteil Dweila das Feuer und zündete eine Sprengstoffweste, wobei 25 Menschen getötet und 60 verletzt wurden (EUAA).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ, seiner Muttersprache, seinen Sprachkenntnissen, seinen Familienangehörigen, seinem Familienstand, seinem Aufwachsen in Syrien, seiner Schul- und Universitätsbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf die diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben vor der Behörde und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellung, dass das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, das das XXXX im Gouvernement Hama, von der von Ahmed al Sharaa geführten Übergangsregierung kontrolliert wird, ergibt sich übereinstimmend aus dem aktuellen EUAA Country Focus vom Juli 2025 und den vorliegenden Online Länderkarten über die Machtverhältnisse in Syrien und den Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 (vgl. https://syria.liveuamap.com/ abgerufen am 06.08.2025 und Niederschrift vom 05.08.2025, S 5f).
Der Zeitpunkt der Ausreise und die Aufenthalte in durchreisten Staaten ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S. 3). Seine Arbeitsfähigkeit folgt aus seinem Alter, seinem Gesundheitszustand und seiner bisherigen Erwerbstätigkeit in Syrien und in Österreich.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Das Asylverfahren bietet, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (vgl. VwGH 29.05.2006, Zl. 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten –genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
2.2.2. Zur behaupteten Zwangsrekrutierung und (zumindest) unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung vonseiten der ehemaligen syrischen Regierung unter der Herrschaft von Baschar al-Assad:
Hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (vgl. AS 85), als auch in seiner schriftlichen Beschwerde (vgl. AS 318ff), es bestehe die Gefahr, dass er vom syrischen Regime zwangsrekrutiert werde, ist vollständigkeitshalber anzumerken, dass es das zum Zeitpunkt der Beschwerde noch bestandene syrische Regime unter der Herrschaft Baschar al-Assads seit Anfang Dezember 2024 in dieser Form nicht mehr gibt (vgl. 1.3.1. ff). Dem Beschwerdeführer droht daher auch keine Zwangsrekrutierung vonseiten des ehemaligen syrischen Regimes. Mangels Gebiets- und Herrschaftsgewalt geht vom ehemaligen syrischen Assad-Regime keine Bedrohung welcher Art auch immer mehr aus. Wie oben dargelegt liegt das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt unter der Kontrolle der von der HTS geführten Übergangsregierung unter dem Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr läuft von bewaffneten Gruppierungen als Anhänger des ehemaligen Assad-Regimes eingestuft zu werden, da er selbst angab, niemals politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein und den Wehrdienst für das ehemalige syrische Regime nicht abgeleistet zu haben (vgl. AS 85; Niederschrift vom 23.04.2024, S. 10). Im Ergebnis besteht daher kein Risiko, dass der Beschwerdeführer von der HTS, SDF, SNA oder dem IS als militärischer oder politischer Gegner qualifiziert wird.
2.2.3. Zu einer allfälligen Zwangsrekrutierung und Bedrohung vonseiten der Übergangsregierung bzw. der offiziell aufgelösten HTS:
Der aktuellen ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 ist zu entnehmen, dass der Interimspräsident, Ahmed Al-Scharaa, erklärt hat, die Wehrdienstpflicht abgeschafft zu haben und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung zu setzen. Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen. Mit Februar 2025 wurden nun Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihen der syrischen Armee eröffnet. Bewerber müssen ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt, nicht chronisch krank oder verletzt sein. Auch die Neuaufnahmen in den Polizeidienst haben gestartet, einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge haben sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Der Verantwortliche der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas im Gouvernement Tartus haben darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaut (vgl. 1.3.7.1.).
Dem aktuellen EUAA Bericht ist hinsichtlich Rekrutierungen lediglich zu entnehmen, dass die Übergangsregierung Rekrutierungszentren in Provinzen, die früher unter der Kontrolle Assads standen, eröffnet hat, um den Polizeiapparat wiederaufzubauen (vgl. 1.3.7.1.).
Den vorliegenden Länderberichten sind somit, insbesondere unter Berücksichtigung der proklamierten Freiwilligkeit, keine Zwangsrekrutierungen zu entnehmen. Es kann somit nicht angenommen werden, dass jeder volljährige männliche syrische Staatsbürger mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, von der Übergangsregierung zwangsrekrutiert zu werden. Weiters ist zu bedenken, dass die HTS Rebellenmilizen offiziell aufgelöst wurden und in den neuen Streitkräften der syrischen Übergangsregierung aufgehen.
Der Beschwerdeführer selbst brachte im gesamten Verfahren nicht vor, dass er der neuen syrischen Regierung oppositionell gegenüber eingestellt ist. Er hat sich auch nie politisch betätigt, weswegen ihm auch keine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden kann. Seine Ausreise aus Syrien erfolgte im Jahr 2017 aus dem Gebiet, welches unter der Kontrolle des ehemaligen syrischen Regimes stand. Er leistete keinen Wehrdienst für das ehemalige syrische Regime ab. Aus all dem ergibt sich, dass ihm seitens der Vertreter der neuen syrischen Regierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht unterstellt werden wird, dass er ein Anhänger des ASSAD-Regimes gewesen ist.
Aufgrund dessen ist insgesamt somit nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in sein Herkunftsgebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung vonseiten der neuen Übergangsregierung droht.
Dem Beschwerdeführer ist es demgemäß in Gesamtschau seines Vorbringens und seiner Aussagen nicht gelungen, eine der neuen Übergangsregierung gegenüber bestehende oppositionelle politische Gesinnung glaubhaft zu machen.
2.2.4. Zu seiner Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ
Der Beschwerdeführer gab bei seiner Ersteinvernahme im Zusammenhang mit seiner Religionszugehörigkeit als Christ bei der belangten Behörde auf die Frage der belangten Behörde Folgendes an:
„F: Wurden Sie in Syrien jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?
A: Wir, die in Syrien lebenden Christen, leben in bestimmten Gefahrensituationen.“ (vgl. AS 85)
…
„F: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihrer Religion?
A: Ich hatte keine persönlichen Probleme. …“ (vgl. AS 89)
Zu diesen Aussagen ist anzumerken, dass diese am 12.02.2024 getätigt wurden, dh, dass das vor dem Sturz des ASSAD-Regimes war. Auch sein Vorbringen in der Beschwerde und bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 23.04.2024 erstattete der Beschwerdeführer noch zu einer Zeit, als das Assad Regime noch an der Macht gewesen ist.
Zur aktuellen Situation von Christen in Syrien und seiner individuellen Betroffenheit wurde der Beschwerdeführer ausführlich am bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 befragt.
Demnach leben im Herkunftsort des Beschwerdeführers und auch im Nachbardorf 100 % Christen (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 8).
Zu den Fragen, ob die Einwohner der Herkunftsregion des Beschwerdeführers seit dem Sturz des ASSAD-Regimes vermehrten Bedrohungen ausgesetzt sind oder waren, gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
„RI: Wie viele Anschläge gab es seit der Machtübernahme durch die neue Regierung in Ihrem Herkunftsdorf bzw. Nachbardorf?
BF: Anschläge gab es keine, allerdings ständige Belästigungen an Dorfbewohner, die ins Dorf einreisen wollen und dazu gab es einige Entführungsfälle.
RI: Ist dabei jemand umgekommen oder verletzt worden?
BF: Zwei Christen wurden an einem Checkpoint ausgepeitscht, lediglich, weil sie Christen sind.
RI: Wann war das und wo war das?
BF: Ich glaube es war im April dieses Jahres auf der Verbindungsstraße zwischen Homs und Mzaineh.
RI: Wie weit ist dieser Ort von Ihrem Herkunftsdorf entfernt?
BF: Ca. 30 Minuten mit dem Auto.“
Daraus folgt, dass die Christen in der Herkunftsregion zwar Ziel von Belästigungen gewesen sind, eine asylrelevante Bedrohung allein aufgrund der Religionszugehörigkeit fand nach den Angaben des Beschwerdeführers nicht statt. Zu den Entführungen wird auf die Ausführungen zu 2.2.5. verwiesen.
Es deckt sich mit den zitierten Länderinformationen, dass nach dem Sturz der Assad-Regierung christliche Gemeinschaften ihre Besorgnis über Religionsfreiheit, Sicherheit und die Möglichkeit, ihren Glauben offen zu praktizieren äußerten (vgl. 1.3.8.). Diese Bedenken hat auch der Beschwerdeführer mehrfach im Rahmen des Verfahrens geäußert.
Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers zeigten die neuen syrischen Behörden ganz bewusst die Absicht, die angespannten Beziehungen mit christlichen Führern und Geistlichen verschiedener Konfessionen zu verbessern und das Gefühl der Sicherheit zu fördern. Es gibt jedoch auch Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen, Morden und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige gekommen ist, wobei diese vor allem von Bekannten und vor allem von Nachbarn als Racheakte an Andersgläubigen verübt wurden. Als christliche Führer von Problemen berichteten - wie dem Auftauchen einiger islamistischer Prediger, die versuchten, Christen in der Altstadt von Damaskus zu bekehren - habe die neue Regierung schnell gehandelt, um die Ruhe wiederherzustellen (vgl. 1.3.8.).
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass es zu Belästigungen von Christen kommen kann, ist im Lichte der zitierten Länderinformationen plausibel. Es werden aus manchen syrischen Regionen Einschränkungen der Religionsfreiheit für Christen durch Islamisten berichtet, wobei der Erfolg dieser Maßnahmen bisher noch auf das Fehlen einer einheitlichen Verwaltung nach dem Machtwechsel zurückgeführt wird (vgl. 1.3.8.).
Jedoch ist den zitierten Länderinformationen auch zu entnehmen, dass die HTS in den von ihr kontrollierten Gebieten versucht ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber bestimmten Minderheiten, insbesondere Christen, zu zeigen, im Vergleich zu der mit al-Qaida verbundenen Gruppierung, aus der sie hervorgegangen ist. Seit der Machtübernahme in Damaskus und weiten Teilen Syriens im Dezember 2024 hat die Gruppe im Allgemeinen Zurückhaltung bei der Behandlung christlicher und schiitischer bzw. alawitischer Denkmäler und Gemeinden gezeigt (vgl. 1.3.8.)
Aus den zitierten Länderinformationen folgt zusammenfassend, dass es richtig ist, dass es seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 und der Machtübernahme durch die neue syrische Übergangsregierung immer wieder zu Übergriffen und Einschüchterungsversuchen gegenüber Christen gekommen ist. Diese Übergriffe gehen jedenfalls nicht von staatlicher Seite aus, sondern von islamistisch geprägten Gruppierungen.
Sohin kann in einem ersten Schritt eine staatliche Bedrohung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Christ ausgeschlossen werden.
Aus den zitierten Länderinformationen ist dazu zu entnehmen, dass es Mitte Mai 2025 zwei Vorfälle mit Christen im Gouvernement Hama gegeben hat. Am 15. Mai wurde in der Stadt Hemto das Auto einer christlichen Familie in Brand gesetzt, wobei am Tatort Flugblätter mit Drohungen und Beleidigungen gegen Christen hinterlassen wurden. Drei Tage später marschierte Berichten zufolge eine bewaffnete Gruppe durch die Straßen der überwiegend christlichen Stadt Maharda (auch Mhardeh), nordwestlich von Hemto, und skandierte „Unser ewiger Führer ist der Prophet Mohammed“, was von vielen christlichen Einwohnern als vorsätzlicher Akt der Einschüchterung interpretiert wurde (vgl. 1.3.8.1).
Bei diesen Städten handelt es ich um Städte, welche nordwestlich der Stadt Hama liegen, während hingegen die Herkunftsregion des Beschwerdeführers südwestlich des Stadt Hama liegt (vgl. Niederschrift 23.04.2024, S 7). Länderberichte darüber, dass es auch in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers zu Übergriffen von islamistischen Milizen auf Christen gekommen ist, liegen nicht vor.
Der Beschwerdeführer sagte bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 aus, dass ein Mitglied der HTS gefragt habe, „ob er alleine sei und wo seine Jungs geblieben seien“. Als der Vater erwidert habe, dass diese im Ausland seine, habe dieser Mann zweideutig erwidert: „Egal wie lange sie fernbleiben, werden sie zurückkommen müssen.“ (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 6).
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass dieser Vorfall mit seinem Vater, der sich im März 2025 ereignet haben soll, „sehr beängstigend und bedrohlich“ für ihn gewesen sei. Er wisse nicht, warum Mitglieder der HTS nach ihm suchen würden und er könne nichts Gutes mit der Frage verstehen. Er betrachte diese Frage als Bedrohung und habe dementsprechend Angst um sein Leben. (vgl. Niederschrift vom 05.08.2205, S 9).
Auf die ergänzenden Fragen der erkennenden Richterin gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
„RI: Wovor haben Sie konkret Angst?
BF: Ich habe Angst davor umgebracht bzw. liquidiert zu werden.
RI: Aus welchem Grund sollte irgendjemand ein Interesse daran haben, ausgerechnet Sie umzubringen?
BF: Die allgemeine Annahme ist, dass, wenn man im Ausland lebt, auch Geld hat. Es gab Entführungsfälle die tödlich endeten, weil man die hohen Lösegeldsummen nicht hat zahlen können.
RI: Es geht um’s Geld?
BF: Ja, sonst wird man umgebracht.
RI: Ist Ihnen bekannt, ob aktuell Syrien nach Ihnen gefahndet wird?
BF: Ich weiß es nicht, weil wir auch nicht wissen, wie man sich beim neuen Regime informieren kann und an wen man sich für solche Auskünfte wenden kann. Die Lage ist außerdem sehr chaotisch, weil die Untergruppen autonom arbeiten, ohne Rücksprache mit irgendeiner Stabstelle.“ (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 9).
Auffallend ist, dass der Beschwerdeführer vorerst in freier Erzählung bei den Gründen, weswegen er aktuell nicht nach Syrien zurückkehren kann (Fluchtgründe), seine Religionszugehörigkeit gar nicht erwähnte. (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 9). Zum Vorbringen zur behaupteten Entführungsgefahr wird auf die Ausführungen zu 2.2.5. verwiesen.
Erst auf die Frage der erkennenden Richterin, was ihm konkret im Falle einer Rückkehr passieren würde, gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
„BF: Ich erwarte entweder umgebracht oder entführt zu werden.
RI: Aus welchem Grund?
BF: Weil ich zu einer christlichen Minderheit gehöre.
RI: D. h., dass alle Christen in Syrien umgebracht oder entführt werden? Wie können Christen – wie Ihre Eltern und Ihr Bruder – in Syrien leben?
BF: Wie bereits im Vorfall mit meinem Cousin erwähnt wurde, gibt es anscheinend irgendeine Reihenfolge, die die Minderheiten betrifft. Es gab auch einen Angriff auf eine Kirche in Damaskus und ich weiß nicht, wann die Christen drankommen, aber die existenzielle Bedrohung ist real.“ (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 10)
Es handelt sich daher bei den Befürchtungen des Beschwerdeführers um vage Annahmen und Thesen, welche jedoch durch die zitierten Länderinformationen keine Deckung finden. Insbesondere lässt sich aus diesem Vorbringen keine individuelle und konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr ableiten.
Sohin folgt für die erkennende Richterin, dass der Beschwerdeführer in seiner Herkunftsregion entgegen seinen Ausführungen und Befürchtungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aktuell keinen physischen oder psychischen Bedrohungen aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ ausgesetzt ist.
Es ist den zitierten Länderinformationen auch nicht zu entnehmen, dass Christen ganz generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet von staatlicher Seite oder örtlichen islamistischen Milizen bedroht und diskriminiert werden.
Nachdem schon die Verfolgungshandlung nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, konnte eine weitere Überprüfung, ob die neue syrische Regierung willens und in der Lage ist, den Beschwerdeführer vor dieser Bedrohung zu schützen, unterbleiben. Dazu sei lediglich festgehalten, dass die Vertreter der neuen syrischen Regierung laut den zitierten Länderinformationen sehr wohl gewillt und grundsätzlich auch in der Lage sind, die christliche Minderheit in Syrien zu beschützen (vgl. 1.3.8). Gerade in ländlichen Gebieten ist dieser Schutz jedoch oft schwierig möglich, dies aufgrund fehlender personeller Ressourcen.
Nachdem der Beschwerdeführer nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in seiner Herkunftsregion keiner Bedrohung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit ausgesetzt sein wird, ist es für die Vertreter der syrischen Regierung auch nicht erforderlich, den Beschwerdeführer besonders zu schützen.
Daher wird die entsprechende Feststellung getroffen.
2.2.5. Zur Entführung zum Zwecke der Lösegelderpressung
Bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, dass er im Falle einer Rückkehr befürchte, von der HTS oder von Milizen zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt zu werden (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 6f).
Der Beschwerdeführer versuchte, diese Entführungen mit dem Umstand, dass er aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Christ einer Minderheit angehört, damit in Verbindung zu bringen, dass diese Gruppierungen „ein Syrien ohne Minderheiten wollen. Das wird durch ihr Vorgehen gegen die Alawiten und den Drusen sehr deutlich. Wir haben reale Angst, dass man uns auslöscht“. (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 7).
Es sei in letzter Zeit zu derartigen Entführungen in zwei Ortschaften gekommen, welche mit der Zahlung höherer Lösegeldsummen endeten (vgl. ebd.).
Es ist den zitierten Länderinformationen zu entnehmen, dass es gerade in Zeiten des Umbruches in Syrien tatsächlich zu Entführungen aus verschiedensten Gründen gekommen ist (vgl. 1.3.2). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen (vgl. 1.3.2.). Daraus folgt, dass allfällige Entführungen nicht von der neuen syrischen Regierung ausgehen, sondern von Milizen und Gruppierungen.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes kam es nach den zitierten Länderinformationen in einigen Gebieten zu Unruhen, in denen die Übergangsverwaltung Mühe hatte, die Kontrolle zu behalten, darunter auch im ländlichen Hama. Zahlreiche Rachemorde und Entführungen, die sich vor allem gegen Alawiten richteten, sowie die allgemeine Unfähigkeit der Behörden, die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, hatten zu einem „Gefühl der staatlichen Verfolgung“ vor allem in dieser Gruppe beigetragen und die Sicherheit und das Vertrauen der Öffentlichkeit weiter untergraben. (vgl. 1.3.2.1)
Es gibt keine Berichte darüber, dass sich diese Entführungen gegen Christen als religiöse Minderheit richten, wie dies der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme beim Bundesverwaltungsgericht angab (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 7). Vielmehr ist es richtig, wenn der Beschwerdeführer angibt, dass dieses Vorgehen von islamistischen Milizen vor allem gegen Alawiten und Drusen richtet (vgl. ebd.).
In diesem Zusammenhang gehen diese Entführungen jedenfalls nicht von staatlicher Seite aus, sondern von privaten Akteuren.
Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ausgerechnet er, als vermeintlich reicher Syrienrückkehrer aus dem Ausland im Falle seiner Rückkehr maßgeblich wahrscheinlich Opfer einer derartigen Entführung zum Zwecke der Lösegelderpressung werden wird. Ebenso wenig konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass ihn diese Entführungen aus dem Grund treffen könnten, weil er einer religiösen Minderheit der Christen angehört. Dies deshalb, weil es keine Berichte über derartige Entführungen in seiner Herkunftsregion gibt, welche aufgrund der Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Christen durch welchen Akteur auch immer, erfolgt sind.
Nachdem feststeht, dass derartige Entführungen, aus welchem Grund auch immer, von privaten Akteuren erfolgen, ist selbst bei Wahrunterstellung davon auszugehen, dass die neue syrische Regierung sehr wohl willens ist, den Beschwerdeführer vor derartigen Übergriffen zu schützen. Wie der Beschwerdeführer in seiner Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht richtig angibt, hat die neue syrische Regierung nicht ausreichend genug Personal, um den Beschwerdeführer zu schützen.
„RV: Es gibt keine institutionelle Einrichtung bzw. es gibt niemanden, an den man sich wenden kann?
BF: Nein. Es gab zwei Polizisten aus unserem Dorf, die aus Angst es abgelehnt haben ihren Dienst wiederanzutreten. Somit kann ich sagen, es gibt keine institutionelle Einrichtung, die man bei einer Drohung aufsuchen könnte.
RI: Sie haben keinen Bürgermeister?
BF: Ja, es gibt einen Bürgermeister.
RI: An den kann man sich nicht wenden?
BF: Er selbst hat Angst und Sorge um seine eigene Sicherheit.“ (vgl. Niederschrift vom 05.08.2025, S 8)
Das deckt sich auch mit den zitierten Länderinformationen, wonach es der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) an ausreichendem Personal fehlt, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen (vgl. 1.3.6). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. (vgl. 1.3.1)
Aus den zitierten Länderinformationen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die neue syrische Regierung aus den Gründen der GFK und hier insbesondere aus Gründen der Religion (siehe auch zu 2.2.4.) nicht willens ist, diese kriminellen Entführungen zu ahnden und den Beschwerdeführer davor zu schützen. Daher wird die entsprechende Feststellung getroffen.
2.2.6. Zu allfälligen weiteren Fluchtgründen
Weitere Fluchtgründe brachte der Beschwerdeführer nicht vor, auch ergab eine Einsicht in die aktuellen Länderinformationen keinen Hinweis darauf, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Bedrohung für Leib und Leben drohen könnte, weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Syrien aktuell. Die aktuellen Länderinformationen wurden im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 erörtert und wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu zu äußern.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Wie festgestellt und zuvor beweiswürdigend dargelegt wurde, gibt es den verpflichtenden syrischen Wehrdienst unter der ehemaligen syrischen Regierung von Baschar al-Assad seit Dezember 2024 in der bis dahin geltenden Form nicht mehr. Nach dem Umsturz des syrischen Regimes unter der Führung von Baschar al-ASSAD erweist sich das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers daher als nicht asylrelevant. Auch UNHCR hat sich in seiner jüngsten Überarbeitung seiner Position zur Situation in Syrien zum aktuellen Konfliktstand geäußert und bei dieser Gelegenheit Verfolgungsgefahren mit Ausgangspunkt beim vormaligen syrischen Regime klar negiert (vgl. UNHCR, Position on returns to the Syrian Arab Republic, vom Dezember 2024: „While risks related to persecution by the former Government have ceased […]“).
Der Beschwerdeführer leistete auch niemals seinen verpflichtenden Wehrdienst bei der syrischen Armee unter Leitung des ehemaligen syrischen Präsidenten Baschar al-ASSAD ab und engagierte sich auch sonst nicht (politisch) für das ehemalige syrische Regime. Dem Beschwerdeführer wird daher auch nicht (zumindest) eine politische Pro-Assad-Einstellung unterstellt.
3.1.4. Ebenso haben sich auch keine Anhaltspunkte ergeben, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung oder eine anderweitige Verfolgung, insbesondere aufgrund seiner Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit, vonseiten der von Ahmed al Sharaa geführten Übergangsregierung drohen würde. Insbesondere konnte der Beschwerdeführer keine der neuen Übergangsregierung gegenüber bestehende oppositionelle politische Gesinnung glaubhaft machen. Nachdem der Beschwerdeführer nicht offen politisch auftritt, wird ihm diese von der neuen Übergangsregierung auch nicht unterstellt werden.
3.1.5. Dem Beschwerdeführer droht in seiner Herkunftsregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine individuelle asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ, sei es durch die neue syrische Regierung oder andere private Akteure, wie z.B. islamistische Milizen. Es ist zwar richtig, dass es seit dem Sturz des Assad-Regimes zu vermehrten Übergriffen von Bevölkerungsgruppen gegen Christen in Syrien gekommen ist. Diese Übergriffe gehen nicht von staatlicher Seite aus. Es handelt sich dabei um Einzelfälle und ist das neue syrische Regime bemüht, in derartigen Fällen rasch einzuschreiten, um die christliche Minderheit zu schützen und deren Religionsausübung zu ermöglichen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gab es keine Hinweise darauf, dass in der aktuellen Situation die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Christen in Syrien vorliegen würden.
Eine Einzelfallprüfung der individuellen Situation des Beschwerdeführers ergab, dass er im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Opfer von Übergriffen, welche in seiner Religionszugehörigkeit als maronitisch-katholischer Christ begründet sind, sein wird.
3.1.6. Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens läuft der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht Gefahr, im Falle seiner Rückkehr als vermeintlich reicher Mann aus dem Ausland in seiner Herkunftsregion durch Milizen oder andere private Akteure zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt zu werden.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er aus Gründen seiner Religionszugehörigkeit als Christ von Entführungen bedroht sein könnte. Ein Bezug zu den Gründen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK liegt nicht vor.
Die neue syrische Regierung ist grundsätzlich bereit und willens, wenn auch aufgrund des Umstandes, dass (noch) keine Verwaltungs-, Justiz- und Polizeibediensteten in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, aktuell noch nicht umfassend in der Lage, dem Beschwerdeführer Schutz vor Entführungen zum Zwecke der Lösegelderpressung zu gewähren. Es sind keine Hinweise zutage getreten, dass die neue syrische Regierung aus GFK relevanten Gründen nicht bereit und willens ist, dem Beschwerdeführer Schutz zu gewähren. Jene Gründe, weswegen dies gerade im ländlichen Raum aktuell (noch) nicht im vollen Umfang möglich ist, liegt in dem Umstand begründet, dass es zu wenig Personal gibt, welches diese Aufgaben übernehmen kann.
Wenn der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gegen Ende der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 05.08.2025 ausführt, dass es nicht darauf ankommt, aus welchen Motiven der Herkunftsstaat keine staatliche Hilfe bietet, sondern auf die Tatsache, ob eine solche de facto zur Verfügung steht, oder nicht, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur festgestellt hat, dass auch einer auf keinem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung durch Private asylrelevanter Charakter zukommen kann. Dies allerdings nur dann, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 30.09.2022, Ra 2022/20/0111, mwN).
Wie oben schon ausgeführt, sind die Gründe, weswegen der Heimatstaat dem Beschwerdeführer in seiner Heimatregion nur bedingt Schutz vor allfälligen Entführungen bieten kann, nicht in den Gründen der GFK gelegen. Zudem ist der Beschwerdeführer durch den ihm bereits rechtskräftig zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten vor einer ihm allenfalls drohenden Gefährdung durch willkürliche Gewalt im Herkunftsgebiet geschützt.
3.1.7. Es liegt beim Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor.
3.1.8. Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es auch nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
3.1.9. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die veröffentlichte Position des UNHCR zur Rückkehr nach Syrien („UNHCR Position on Returns to the Syrian Arab Republic“) der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht:
UNHCR thematisiert die freiwillige Rückkehr („Voluntary Returns“), sowie das Moratorium zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) und plädiert außerdem dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch das ehemalige Assad-Regime, geendet ist. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den restlichen Länderinformationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings ausführt, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist zu betonen, dass grundlegende Informationen zu den nunmehrigen kontrollierenden oppositionellen Gruppierungen bereits den vor dem Sturz des Assad-Regimes bestehenden Länderberichten und sonstigen Entscheidungsgrundlagen zu entnehmen waren. Im Falle des Entstehens neuer Asylgründe infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 wäre eine entsprechende Glaubhaftmachung beim Beschwerdeführer gelegen, dieser brachte jedoch weder neue Asylgründe vor noch substantiierte er seine bereits vorgebrachten Gründe. Zum für die Beurteilung und Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.
3.1.10. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten oder sonstigen Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
3.1.10. Die Beschwerde war daher betreffend Spruchpunkt I. und somit – da sie sich ausdrücklich nur gegen diesen richtete – zur Gänze als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
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