Spruch
W261 2289490-1/11Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2024 betreffend die Abweisung des Antrags vom 06.03.2023 auf Gewährung internationalen Schutzes hinsichtlich des Status des Asylberechtigten:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.) Ist Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes im Sinne dieser Bestimmung tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen?
1.a.) Wenn Frage 1 zu bejahen ist: Ist Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die für im Ausland lebende Staatsangehörige eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes für den Herkunftsstaat bedeuten würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um bei Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen, und diese Gebühr nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts bemessen ist, wobei 10.000,– US-Dollar bei einem Jahr, 9.000,– US-Dollar bei zwei Jahren, 8.000,– US-Dollar bei drei Jahren und 7.000,– US-Dollar bei vier Jahren Auslandsaufenthalt zu entrichten sind und für jedes weitere Jahr jeweils eine Gebühr von 200,– US-Dollar anfällt?
1.b.) Wenn Frage 1 zu bejahen ist: Ist auch Art. 9 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen?
2.) Wenn zumindest Frage 1 zu bejahen ist: Sind Art. 9 Abs. 2 lit. e und – soweit Frage 1.b. zu bejahen ist – c in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 lit. b und c der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung dann nicht ausschließt, wenn ein Antragsteller im Sinne des Art. 2 lit. i dieser Richtlinie eine religiöse beziehungsweise moralische Grundhaltung oder eine politische Meinung, Anschauung beziehungsweise Überzeugung hat, aufgrund derer er die Zahlung dieser Gebühr nicht leisten möchte?
3.) Wenn zumindest Frage 1 zu bejahen ist: Sind Art. 9 Abs. 2 lit. e und – soweit Frage 1.b. zu bejahen ist – c in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 lit. a und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes dahin auszulegen, dass es für die Frage, ob die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz beziehungsweise den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über einen Rechtsbehelf gegen die behördliche Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ankommt?
4.) Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen der Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18. Januar 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 in der geltenden Fassung der Annahme entgegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in Syrien gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die für im Ausland lebende syrische Staatsangehörige eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes für den Herkunftsstaat bedeuten würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e oder c der Richtlinie 2011/95 ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um bei Rückkehr nach Syrien einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen, und diese Gebühr nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts bemessen ist, wobei 10.000,– US-Dollar bei einem Jahr, 9.000,– US-Dollar bei zwei Jahren, 8.000,– US-Dollar bei drei Jahren und 7.000,– US-Dollar bei vier Jahren Auslandsaufenthalt zu entrichten sind und für jedes weitere Jahr jeweils eine Gebühr von 200,– US-Dollar anfällt?
Text
Begründung
A. Sachverhalt und Ausgangsverfahren
1. Bisheriges Verfahren:
1.1. Herr XXXX (im Weiteren: der Beschwerdeführer), ein nunmehr 33-jähriger syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte hier am 06.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er aus einem Dorf im Gouvernement Hama stamme, das unter der Kontrolle der syrischen Regierung unter Bashar AL-ASSAD stehe. Er befürchte, gegen seinen Willen zum Militärdienst einberufen zu werden; er wolle nicht am Krieg in Syrien teilnehmen, zumal er kein Blut sehen könne. Während des Studiums an der Universität habe er jährlich bis zum Jahr 2017 einen Aufschub vom Militärdienst erhalten. Nachdem er im Alter von 26 Jahren wegen seines Studiums keinen Aufschub mehr erhalten habe, sei er im Juli 2017 legal in den Irak ausgereist. Er habe sodann als mit Aufenthaltsberechtigung im Irak lebender Syrer bis April 2021 einen weiteren Aufschub vom Militärdienst erhalten. Dort habe er seinen Lebensunterhalt als Mitarbeiter in einem Restaurant, in einem Hotel und zuletzt als Lieferant mit einem Auto im Auftrag einer Firma verdient. Er sei im Jänner 2023 aus dem Irak nach Europa ausgereist.
1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt begründete die Antragsabweisung hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer eine alternative Möglichkeit zur bloßen Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bei der syrischen Armee – die zur (unverhältnismäßigen) Strafverfolgung führen würde – offenstehe: Als männlicher, im wehrdienstpflichtigen Alter befindlicher Syrer mit Aufenthalt außerhalb Syriens habe er nämlich die Möglichkeit, sich durch Zahlung einer im syrischen Wehrrecht vorgesehenen Befreiungsgebühr von einer Einziehung zum Wehrdienst bei der syrischen Armee zuverlässig befreien zu lassen. Er könne damit den in Art. 9 Abs. 2 lit. c bzw. e der Richtlinie 2011/95 umschriebenen Verfolgungshandlungen entgehen.
1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer – fristgerecht – eine Beschwerde, die dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde. Darin brachte er unter anderem vor, dass es keine Garantie gebe, dass der Freikauf vom Militärdienst in seinem Fall funktionieren würde. Zudem würde der Beschwerdeführer auch nicht finanziell dazu beitragen wollen, das syrische Regime zu unterstützen. Außerdem könne von ihm nicht verlangt werden, sich auf den unsicheren Prozess des Freikaufens einzulassen und eine Rückkehr mit dann doch eintretender Verfolgung zu riskieren.
1.5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.04.2024 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Dabei brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt ergänzend vor, dass die Europäische Union das syrische Regime mit Sanktionen belegen würde und Personen, die die syrische Regierung finanziell unterstützt hätten, auch mit Sanktionen bestraft habe. Die Entrichtung einer Befreiungsgebühr wäre eine finanzielle Unterstützung für dieses Regime und damit auch gegen die einschlägigen Vorschriften der Europäischen Union.
2. Das Bundesverwaltungsgericht geht – vorläufig – von folgendem Sachverhalt aus:
2.1. Der 33-jährige Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Araber an und ist maronitisch-katholischer Christ. Er ist in einem Dorf namens XXXX im Gouvernement Hama geboren und aufgewachsen.
2.1.1. Der Beschwerdeführer besuchte bis zum Jahr 2008 die Schule und schloss diese mit der Matura ab. Bereits seit dem Jahr 2005 arbeitete er gemeinsam mit seinem Vater in der Bienenzucht/Imkerei und in weiterer Folge auch als Fotograf im familieneigenen Fotostudio. Ab dem Jahr 2010 besuchte er die Universität in der Stadt Latakia, wo er Philosophie studierte. Das erste Studienjahr lebte er als Student in der Stadt Latakia. Aufgrund der hohen Lebenserhaltungskosten zog er wieder in seinen Heimatort und pendelte in den folgenden Jahren an zwei Tagen in der Woche zur Universität.
Er reiste am 24.07.2017 nach Erbil, Irak, und ließ sich am XXXX bei UNHCR als Asyl Seeker registrieren. Der Beschwerdeführer erhielt einen regulären Aufenthaltstitel im Irak und lebte von 2017 bis zu seiner Ausreise nach Europa am 15.01.2023 legal in diesem Land. Der Beschwerdeführer bezahlte im Irak jährlich einen Betrag in der Höhe von ca. 700,– US-Dollar, um seinen Aufenthaltstitel zu verlängern. Er verdiente dort seinen Lebensunterhalt durch Tätigkeiten in einem Restaurant, in einem Hotel und zuletzt als Lieferant im Auftrag einer Firma.
Im Zeitraum von Dezember 2019 bis März 2020 besuchte er seine Familie in seinem Heimatort in Syrien. Er reiste zu diesem Zweck legal nach Syrien ein und auch wieder aus.
2.1.2. Der Beschwerdeführer leistete den verpflichtenden Militärdienst für die syrische Regierung nicht ab. Er erhielt sein Militärdienstbuch im Jahr 2008.
In Syrien bekam er aufgrund seines Studiums bis zu seinem 26. Lebensjahr jeweils über Antrag einen Aufschub vom Wehrdienst. Der Beschwerdeführer hätte am 25.07.2017 zum Militärdienst antreten müssen.
Der Beschwerdeführer suchte nach seiner Ausreise in den Irak am 24.07.2017 in weiterer Folge jährlich bis zum Jahr 2020 um einen Aufschub vom Militärdienst bei der syrischen Regierung an, welcher ihm bis zum 20.04.2021 gewährt wurde.
2.1.3. Im Jahr 2015 hinterlegte er eine Bargeldkaution in der Höhe von 300,– US-Dollar, um einen syrischen Reisepass zu erhalten. Im Jahr 2016 hinterlegte er eine Immobilienkaution in der Höhe von 50.000,– syrischen Pfund für einen Wehrdienstaufschub; im Jahr 2019 bezahlte er 3.000,– syrische Pfund an Verwaltungsgebühren für einen Wehrdienstaufschub.
Der Beschwerdeführer zahlte einen Betrag von ca. 9.000,– USD für seine Reise aus dem Irak nach Europa.
2.1.4. Der Beschwerdeführer hat eine oppositionelle Gesinnung gegenüber dem syrischen Regime, er ist gegen die Praktiken der syrischen Armee und lehnt Gewalt bzw. eine Teilnahme am Krieg strikt ab. Er hat diese Einstellung bisher, auch aus Rücksicht auf seine Familie in Syrien, nicht öffentlich kundgemacht.
2.2. Der seit zwölf Jahren andauernde militärische Konflikt in Syrien erweist sich in Hinblick auf die Vielzahl der daran beteiligten Akteure als besonders vielschichtig und komplex. Zugleich ist er in jüngerer Vergangenheit insofern in eine Phase des militärischen Patts getreten, als sich Gebiete innerhalb relativ statischer Frontlinien herausbildeten, die unter unterschiedlicher territorialer Kontrolle verschiedener Konfliktparteien stehen. So kontrolliert die syrische Regierung unter dem Langzeitdiktator Bashar AL-ASSAD zwar in etwa zwei Drittel der Landesfläche; weite Teile des Nordens, Nordwestens und Nordostens Syriens befinden sich aber außerhalb der Kontrolle der Regierung. Große Teile des Nordens und Nordostens werden von den – in erster Linie kurdisch dominierten – Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Rahmen der 2018 gegründeten „Autonomous Administration of North and East Syria“ (AANES) kontrolliert, während die Türkei bzw. mit ihr affiliierte Rebellengruppen, v.a. die Syrische Nationalarmee (SNA, vormals „Freie Syrische Armee“), Gebietskorridore im Norden des Landes hält; der Nordwesten der Provinz Idlib inklusive der gleichnamigen Stadt wird von der islamistisch geprägten Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert.
Obgleich die Regierung unter Bashar al-Assad das Ziel hat, die Kontrolle über das gesamte syrische Staatsgebiet wiederzuerlangen, ist dies derzeit mangels eigener militärischer Fähigkeiten und Unterstützung durch externe Mächte – die sich zumindest vorerst mit der momentanen Pattsituation abgefunden zu haben scheinen – nicht erreichbar. Umgekehrt gelingt es auch den anderen Konfliktakteuren nicht, großflächige Gebietsgewinne herbeizuführen. Insoweit erweist sich die Situation in Syrien zumindest hinsichtlich der Territorialkontrollen in jüngerer Vergangenheit als stabil und lässt keine Wahrscheinlichkeit einer raschen Änderung derselben erkennen.
Die Ortschaft XXXX befindet sich – ebenso wie das Gouvernement Hama zu seinen größten Teilen – unter Kontrolle der syrischen Regierung.
2.3. Für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung eines Wehrdiensts in der Dauer von 18 bis 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Der Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert; eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert; auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit ihrer Einziehung rechnen.
Es besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen Aufschub von der Wehrpflicht zu erhalten. Diese Möglichkeit besteht für einzige (verbliebene) Söhne einer Familie, aus medizinischen Gründen, für Studienzwecke (wobei in diesem Fall jährlich bis zu einer gewissen Altersgrenze und Studiendauer ein Wehrdienstaufschub beantragt werden kann), bei Zahlung einer Befreiungsgebühr und bei einem Dienst in den internen Sicherheitsdiensten, einschließlich der Polizei.
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch bei einer örtlichen Registrierungsabteilung abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Syrer, die im Ausland leben, müssen sich bei einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat melden, um ein bestimmtes Formular auszufüllen, das als Ersatz für das Militärbuch bis zu ihrer Rückkehr nach Syrien dient. Ausnahmen von der Wehrpflicht und Wehrdienstaufschübe sind ebenfalls im Militärbuch festzuhalten.
Das Versäumnis, sich bei der militärischen Rekrutierungsabteilung innerhalb des angegebenen Zeitraums zu melden, führt zu einer Geldstrafe und einer möglichen Verlängerung der Militärdienstzeit um weitere Monate. Diejenigen, die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Eintritt in den Wehrdienst melden oder ihren Wehrdienst nicht beginnen, werden in einer nationalen Datenbank als Wehrdienstverweigerer registriert.
Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen, wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden.
Nach Beendigung des Pflichtwehrdiensts bleibt ein syrischer Mann, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahrs in den aktiven Dienst einberufen werden. Ob jemand einberufen wird, hängt entscheidend von dem Beruf, der Ausbildung, dem Rang und der Position während seines abgeleisteten Militärdiensts und der Einheit, welcher er diente, ab.
Ein körperlich gesunder syrischer Staatsangehöriger im wehrpflichtigen Alter muss im von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet des Landes angesichts des innerstaatlichen Konflikts und des Mangels an Soldaten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen zu werden. Das „Herausfiltern“ von Militärpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen, an Grenzübergängen (wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben) oder an einem von zahlreichen – auch mobilen – Checkpoints ist weit verbreitet. Zudem kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzung von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung etc.). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit ihrer Zwangsrekrutierung rechnen. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch, wenngleich sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten verlangsamt haben; die syrische Regierung änderte während des Konfliktes mehrfach das syrische Militärdienstgesetz, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen.
Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit Hinterhalten und Anschlägen trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden. Alle Eingezogenen können potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus „versöhnten“ Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt.
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt.
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In dessen Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht. Während manche Berichte und Expertenmeinungen die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter oder gar einem Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keine Oppositionsaktivitäten involviert waren. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab, wobei eine Haftstrafe mehreren Quellen zufolge mit darin verübter Folter einhergeht (Wehrdienstverweigerer werden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte, wenn nicht sogar schlechter).
2.4. Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18 bis 42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden.
Das Wehrersatzgeld ist gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts. Konkret sieht das Gesetzesdekret Nr. 31 vom 08.11.2020 vor, dass jede wehrpflichtige Person (mukalaf), die sich im Ausland befindet, von der Ableistung des Wehrdienstes befreit wird, wenn ein bestimmter Geldbetrag an die Staatskasse gezahlt wird: 1) Die Zahlung des Betrags von 7.000 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die sich mindestens vier Jahre vor oder nach dem Einberufungsalter im Ausland aufgehalten hat (Artikel 1/ Zweitens/a). 2) Die Zahlung des Betrags von 8.000 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die mindestens drei Jahre und weniger als vier Jahre vor oder nach dem Einberufungsalter im Ausland gewohnt hat (Artikel 1/ Zweitens/b). 3) Die Zahlung des Betrags von 9.000 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die mindestens zwei Jahre und weniger als drei Jahre vor oder nach dem Einberufungsalter im Ausland gewohnt hat (Artikel 1/Zweitens/c). 4) Die Zahlung des Betrags von 10.000 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die mindestens ein Jahr und weniger als zwei Jahre vor oder nach dem Einberufungsalter im Ausland gewohnt hat (Artikel 1/Zweitens/d). 5) Die Zahlung des Betrags von 3.000 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die in einem arabischen oder ausländischen Staat geboren wurde und dort bis zum Erreichen des Militärdienstalters dauerhaft und ununterbrochen gewohnt hat (Artikel 1/Zweitens/e). 6) Die Entrichtung des Betrags von 6.500 USD durch die zum syrischen Militärdienst verpflichtete Person, die in einem arabischen oder ausländischen Land geboren ist und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gewohnt hat. Der Betrag von 500 USD wird für jedes über das Aufenthaltsjahr hinausgehende Jahr und bis zu 17 Jahren einschließlich abgezogen (Artikel 1/Zweitens/f).
Darüber hinaus gelten die folgenden Säumniszuschläge:
Der Wehrpflichtige, der den oben genannten Geldbetrag zahlen will und dessen Aufenthalt länger als fünf Jahre nach Erreichen des Wehrpflichtalters zurückliegt, muss für jedes Jahr Verzug eine Geldstrafe von 200 USD zahlen (Artikel 1/Viertens/a).
Ein Teil eines Jahres gilt als volles Jahr (Artikel 1/Viertens/c).
Der Wehrpflichtige, der seinen Wohnsitz außerhalb Syriens hat, kann sich für einen Zeitraum von höchstens 90 Tagen innerhalb eines Jahrs nach gregorianischem Kalender von seinem Wohnsitzland entfernen (Artikel 1/Fünftens/a).
Der Wehrpflichtige, der seinen Wohnsitz außerhalb Syriens hat, kann sich gegen Zahlung eines Betrags von 200 USD für weitere 60 Tage in Syrien aufhalten, die über den im vorstehenden Absatz genannten Unterbrechungszeitraum hinausgehen, wobei dieser Zeitraum nicht auf die gesetzlich vorgeschriebene Frist für die Zahlung des Geldbetrags angerechnet wird (Artikel 1/Fünftens/b).
Schließlich muss die wehrpflichtige Person, die den Wehrdienst nicht geleistet hat und das Alter von 42 Jahren erreicht hat, innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem sie 42 Jahre alt wird, einen „Altersersatz“ in Höhe von 8.000 USD zahlen, um vom Wehrdienst befreit zu werden (Artikel 2 des Gesetzes Nr. 35/2017).
Sobald die oben genannten Beträge gezahlt wurden (von der Person selbst oder einem ihrer Familienangehörigen in Syrien oder ihrem Bevollmächtigten, wenn sich die wehrpflichtige Person im Ausland aufhält), ist die wehrpflichtige Person offiziell von der syrischen Wehrpflicht befreit und kann nach Syrien zurückkehren, ohne befürchten zu müssen, von der Militärpolizei verhaftet zu werden (Artikel 12 des geänderten Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007).
Die Befreiungsgebühr kann entweder aus dem Ausland bei einer syrischen Botschaft oder einem syrischen Konsulat oder von einem Bevollmächtigten (zum Beispiel einem Familienmitglied) in Syrien gezahlt werden. In beiden Fällen muss die Befreiung im Militärbuch der Person registriert werden, indem die militärische Rekrutierungsabteilung entweder durch den Bevollmächtigten oder persönlich bei der Rückkehr nach Syrien kontaktiert wird, wenn Personen die Befreiungsgebühr selbst aus dem Ausland bezahlen. Die Gebühr kann entweder bei der Botschaft in Euro oder von einem Verwandten in Syrien in US-Dollar bezahlt werden.
Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für im Ausland lebende Syrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen. Mehreren Quellen und einigen befragten Experten zufolge respektiert die syrische Regierung die Zahlung dieser Befreiungsgebühr und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine willkürliche Handhabung bei Behörden oder Checkpoints kann in Syrien nicht ausgeschlossen werden. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Das deutsche Auswärtige Amt geht ebenfalls davon aus, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden; es kann aber zu – nicht näher erläuterten – Problemen kommen, soweit die Zahlung des Wehrersatzgeldes an die Vorlage von Dokumenten geknüpft ist und diese nicht beigebracht werden oder nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises.
3. Zu diesen – vorläufigen – Feststellungen gelangt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund folgender Beweiswürdigung:
3.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhen im Wesentlichen auf dessen – insoweit vorderhand glaubhaften – Angaben bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.02.2024 und seiner Aussage als Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 23.04.2024 vor dem Bundesverwaltungsgericht und den von ihm bzw. seiner Rechtsvertretung im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegten Kopien von Dokumenten.
3.2. Die Lage in Syrien ergibt sich aus dem dem vorlegenden Gericht allgemein zugänglichen Berichts- und Länderdokumentationsmaterial, insbesondere jenem der EUAA. Dass sich die Ortschaft XXXX unter der Kontrolle der syrischen Regierung unter Bashar AL ASSAD befindet, ist unstrittig und steht mit sämtlichen, die Territorialkontrolle in Syrien beschreibenden Karten in Einklang.
3.3. Die Ausführungen zum verpflichtenden Wehrdienst in Syrien beruhen auf dem Inhalt des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 27.03.2024. Dieses fußt betreffend die festgestellten Aussagen auf einer nach Maßgabe des vorliegenden Falles aktuellen, themenspezifisch umfassenden und ausgewogenen Quellenlage. Dem Bundesverwaltungsgericht wurden zum Thema des Wehrdienstes in Syrien im bisherigen Verfahren keine Berichte bzw. Länderdokumente vorgelegt, die ein anderes Bild der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zeichnen würden; weder das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch der Beschwerdeführer traten den inhaltlichen Aussagen des Länderinformationsblatts bislang entgegen oder führten als fallrelevant erachtete weitere Informationen bzw. Berichte ins Treffen.
3.4. Der – vorläufig festgestellte – Sachverhalt zur Befreiungsgebühr beruht auf einer vergleichenden Zusammenschau mehrerer (unter anderem) darauf bezogener Berichte unterschiedlicher COI-Stellen, darunter vor allem
- EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, 37 ff.
- EUAA, Syria – Country Focus, October 2023, 29 ff.
- EUAA, Syria – Targeting of Individuals, September 2022, 44 ff.
- BFA-Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Syrien, 27.03.2024, 132 f.
- BFA-Staatendokumentation, Anfragebeantwortung, Syrien – Fragen des BVwG zu syrischen Wehrdienstgesetzen, 16.09.2022, 45 ff.
- Danish Immigration Service, Syria – Military Service, January 2024, 15 ff.
B. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechtes
1. Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), ABl. L 337/9 vom 20.12.2011:
„Artikel 4
Prüfung der Tatsachen und Umstände
(1) – (2) […]
(3) Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:
a) alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;
b) die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;
c) die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;
d) die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde;
e) die Frage, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte.
(4) – (5) […]
Artikel 5
Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz
(1) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat.
(2) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
(3) […]
[…]
Artikel 9
Verfolgungshandlungen
(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.“
2. Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 180/60 vom 29.06.2013:
„Artikel 46
Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen
a) eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung,
[…]
b) eine Ablehnung der Wiederaufnahme der Prüfung eines Antrags nach ihrer Einstellung gemäß den Artikeln 27 und 28;
c) eine Entscheidung zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach Artikel 45.
(2) […]
(3) Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird.
(4) – (11) […]“
3. Verordnung (EU) Nr. 36/2012 des Rates vom 18.01.2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011, ABl. L 16/1 vom 19.01.2012, insbesondere:
„Artikel 1
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
[…]
j) "Gelder" finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art, die Folgendes einschließen, aber nicht darauf beschränkt sind:
i) Bargeld, Schecks, Geldforderungen, Wechsel, Zahlungsanweisungen und andere Zahlungsmittel,
ii) Einlagen bei Finanzinstituten oder anderen Einrichtungen, Guthaben auf Konten, Zahlungsansprüche und verbriefte Forderungen,
iii) öffentlich und privat gehandelte Wertpapiere und Schuldtitel einschließlich Aktien und Anteilen, Wertpapierzertifikate, Obligationen, Schuldscheine, Optionsscheine, Pfandbriefe und Derivate,
iv) Zinserträge, Dividenden und andere Einkünfte oder Wertzuwächse aus Vermögenswerten,
v) Kredite, Rechte auf Verrechnung, Bürgschaften, Vertragserfüllungsgarantien und andere finanzielle Ansprüche;
vi) Akkreditive, Konnossemente, Übereignungsurkunden,
vii) Dokumente zur Verbriefung von Anteilen an Fondsvermögen oder anderen Finanzressourcen;
[…]
o) "syrische Person, Organisation oder Einrichtung"
i) den syrischen Staat sowie jede Behörde dieses Staates,
ii) jede natürliche Person mit Aufenthaltsort oder Wohnsitz in Syrien,
iii) jede juristische Person, Organisation oder Einrichtung mit Sitz in Syrien,
iv) jede juristische Person, Organisation oder Einrichtung innerhalb oder außerhalb Syriens, die sich im Eigentum oder unter der direkten oder indirekten Kontrolle einer oder mehrerer der vorgenannten Personen oder Einrichtungen befinden;
[…]
q) "Gebiet der Union" die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten, in denen der Vertrag Anwendung findet, nach Maßgabe der im Vertrag festgelegten Bedingungen, einschließlich ihres Luftraums;
[…]
Artikel 14
(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in den Anhängen II und IIa aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.
(2) Den in den Anhängen II und IIa aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.
(3) Es ist verboten, wissentlich und vorsätzlich an Tätigkeiten teilzunehmen, mit denen unmittelbar oder mittelbar die Umgehung der in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen bezweckt oder bewirkt wird.
Artikel 15
(1) Die Anhänge II und IIa enthalten Folgendes:
a) Anhang II enthält eine Liste der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die vom Rat nach Artikel 19 Absatz 1 des Beschlusses 2011/782/GASP des Rates als für die gewaltsame Repression gegen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortliche Personen und Organisationen, als Personen oder Organisationen, die Nutznießer oder Unterstützer des Regimes sind, oder als natürliche oder juristische Personen und Organisationen, die mit ihnen in Verbindung stehen, ermittelt worden sind, und auf die Artikel 21 dieser Verordnung keine Anwendung findet;
b) Anhang IIa enthält eine Liste der Organisationen, die vom Rat nach Artikel 19 Absatz 1 des Beschlusses 2011/782/GASP des Rates als Organisationen ermittelt worden sind, die mit den für die gewaltsame Repression gegen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlichen Personen und Organisationen oder mit Personen und Organisationen, die Nutznießer oder Unterstützer des Regimes sind, in Verbindung stehen, und auf die Artikel 21 dieser Verordnung Anwendung findet.
(1a) Die Liste in Anhang II enthält auch die natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die gemäß Artikel 28 Absatz 2 des Beschlusses 2013/255/GASP des Rates vom Rat als unter eine der folgenden Kategorien fallend ermittelt worden sind:
a) führende Geschäftsleute, die in Syrien tätig sind;
b) die Mitglieder der Familien Assad bzw. Makhlouf;
c) die Minister der syrischen Regierung, die nach Mai 2011 im Amt waren;
d) die Mitglieder der syrischen Streitkräfte im Range des „Colonel“ (Oberst) bzw. ranggleiche oder ranghöhere Führungskräfte, die nach Mai 2011 im Amt waren;
e) die Mitglieder der syrischen Sicherheits- und Nachrichtendienste, die nach Mai 2011 im Amt waren;
f) die Mitglieder der regierungsnahen Milizen;
g) die Personen, Organisationen, Einheiten, Agenturen, Einrichtungen oder Institutionen, die im Bereich der Verbreitung chemischer Waffen tätig sind;
und die natürlichen oder juristischen Personen und die Organisationen, die mit ihnen in Verbindung stehen, und auf die Artikel 21 dieser Verordnung keine Anwendung findet.
(1b) Personen, Organisationen und Einrichtungen, die unter eine der in Absatz 1a genannten Kategorien fallen, werden nicht in die Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen in Anhang II aufgenommen und werden nicht weiter in dieser Liste geführt, wenn ausreichende Angaben darüber vorliegen, dass sie nicht oder nicht mehr mit dem Regime in Verbindung stehen oder Einfluss auf dieses ausüben oder keine reale Gefahr besteht, dass sie restriktive Maßnahmen umgehen.
(2) Die Anhänge II und IIa enthalten eine Begründung der Aufnahme der betreffenden Personen, Organisationen und Einrichtungen in die jeweilige Liste.
(3) Außerdem enthalten die Anhänge II und IIa, soweit verfügbar, auch Angaben, die zur Identifizierung der betreffenden natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen erforderlich sind. In Bezug auf natürliche Personen können diese Angaben Namen, einschließlich Aliasnamen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Reisepass- und Personalausweisnummern, Geschlecht, Anschrift, soweit bekannt, sowie Funktion oder Beruf umfassen. In Bezug auf juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen können diese Angaben Namen, Ort und Datum der Registrierung, Registriernummer und Geschäftsort umfassen.
[…]
Artikel 35
Diese Verordnung gilt
C. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts
1. Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 67/2024 (AsylG 2005):
„Begriffsbestimmungen
§ 2 (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1995, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;
[...]
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
[...]
(2) – (3) […]
Status des Asylberechtigten
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) – (5) […]“
2. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 88/2023 (VwGVG):
„Prüfungsumfang
§ 27 Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) zu überprüfen.
4. Abschnitt
Erkenntnisse und Beschlüsse
Erkenntnisse
§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) – (7) […]“
D. Zur Vorlageberechtigung
Das Bundesverwaltungsgericht ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV.
Vor dem Hintergrund des – vorläufig festgestellten – Sachverhalts und der anzuwendenden unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen stellen sich dem Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf die dem Beschwerdeführer im vorliegenden Anlassfall vorderhand offenstehende Möglichkeit der Ableistung einer Befreiungsgebühr die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden näher erläuterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts.
Sämtliche Fragen sind in der vorliegenden Beschwerdesache entscheidungserheblich und damit relevant. Die Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU – und damit im Rahmen der Beschwerdesache zusammenhängende Bestimmungen des Unionsrechts – waren in Bezug auf die sich konkret stellenden Fragen noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH; die richtige Auslegung dieser Bestimmungen ist auch nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bliebe.
E. Erläuterungen zu den Vorlagefragen
Vorbemerkung zu den Vorlagefragen:
Im Lichte des dargelegten Sachverhalts könnten dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat aufgrund seiner bisherigen Weigerung, den in Syrien verpflichtend vorgesehenen Wehrdienst abzuleisten, einerseits eine unverhältnismäßige Bestrafung durch – wenn auch nur kurzfristige – Haft mit Folterungen, andererseits eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst Kriegsverbrechen umfassen würde, drohen. Es stehen damit die Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 2 lit. c und e der Richtlinie 2011/95/EU im Raum (vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, 46).
Damit rückt die – entscheidungserhebliche – Frage ins Zentrum, ob der Beschwerdeführer auf die Zahlung der für Syrer im Ausland möglichen Befreiungsgebühr verwiesen werden kann, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Verfolgungshandlung auszuschließen. In rechtlicher Hinsicht stellt sich dabei zunächst die Frage, ob – auch im Lichte der bisherigen Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union – die Ableistung einer Befreiungsgebühr bzw. eines Wehrersatzgeldes (im Weiteren wird hauptsächlich der Begriff „Befreiungsgebühr“ verwendet) überhaupt dem Grunde nach ein Mittel zur Abwendung einer drohenden Verfolgungshandlung wegen Militärdienstverweigerung sein kann. Bejahendenfalls schließt sich daran die Frage, ob konkret die nach den syrischen Vorschriften ausgestaltete Befreiungsgebühr für im Ausland wohnende Staatsangehörige ein solches Mittel sein kann. Sollte auch dies zu bejahen sein, möchte das vorlegende Bundesverwaltungsgericht wissen, ob der Verweis auf die Zahlung einer Befreiungsgebühr zumutbar ist, wenn ein Asylwerber – wie im vorliegenden Fall – es aus einer näheren religiösen Grundhaltung oder politischen Meinung ablehnt, diese Gebühr zu leisten. Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 gibt weiters zu Zweifeln Anlass, auf welchen Zeitpunkt bei der Prüfung, ob die Ableistung einer Befreiungsgebühr im Einzelfall möglich ist, abzustellen ist. Schließlich stellt sich in Bezug auf den – im Anlassfall vorliegenden – Herkunftsstaat Syrien die Frage, ob der Verweis auf die Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr aufgrund der Bestimmungen der Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18.01.2012 (in der geltenden Fassung) unzulässig ist.
Die sohin im Vorabentscheidungsersuchen formulierten Fragen werden im Folgenden näher erläutert:
1. Zur Frage 1.)
1.1. Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 müssen die Verfolgungshandlungen, denen derjenige, der gemäß dieser Bestimmung als Flüchtling anerkannt werden möchte, nach seinen Angaben ausgesetzt ist, aus seiner Verweigerung des Militärdienstes resultieren.
In diesem Sinne hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits ausgesprochen, dass diese Verweigerung das einzige Mittel darstellen muss, das es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a dieser Richtlinie zu entgehen, und es an dem Antragsteller liegt, zu beweisen, dass ihm in seiner konkreten Situation kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung stand (vgl. in diesem Sinne EuGH 26.02.2015, Shepherd, C‑472/13, EU:C:2015:117, Rn. 44 und 45).
Weiters hielt der Gerichtshof fest, dass von dem Kriegsdienstverweigerer nicht verlangt werden kann, seine Verweigerung in einem bestimmten Verfahren zu formalisieren, wenn die Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern, vom Recht des Herkunftsstaats gar nicht vorgesehen ist und es dementsprechend kein Verfahren zu diesem Zweck gibt (vgl. EuGH 19.11.2020, EZ, C‑238/19, EU:C:2020:945, Rn. 29).
1.2. Im Lichte dieser Aussagen des Gerichtshofes – und unter Berücksichtigung der Situation in Syrien, wo Wehrdienstpflichtigen kein formalisiertes staatliches Verfahren für die Verweigerung des Kriegsdienstes zur Verfügung steht – stellt sich dem anfragenden Gericht die Frage, inwieweit die Zahlung einer gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes befreit, grundsätzlich ein Mittel darstellen kann, dass es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2011/95 zu entgehen.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu dieser Frage noch keine Aussage getroffen; insbesondere bestehen beim vorlegenden Gericht Zweifel dahingehend, ob der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 nur einen – zivilen – Ersatzdienst als geeignetes Mittel zur Vermeidung der Ableistung eines verpflichtenden Wehrdienstes vor Augen gehabt haben könnte.
1.3. In der bisherigen österreichischen Literatur wird ein solches Mittel in der Möglichkeit zur Zahlung einer Befreiungsgebühr dem Grunde nach durchaus bejaht (s. Binder/Haller/Nedwed, Wehrdienstverweigerung als Asylgrund, in: Filzwieser/Kasper [Hrsg.], Asyl- und Fremdenrecht – Jahrbuch 2023, 221 [245]; vgl. dies auch nicht grundsätzlich ausschließend Frühwirth, „Freikaufen“ vom Militärdienst? – Überlegungen zur (Un)zumutbarkeit dieser Befreiungsmöglichkeit im asylrechtlichen Kontext [Teil I und II], Blog Asyl, 22.12.2023). Auch der UNHCR erblickt keine Überschreitung der Verfolgungsschwelle, wenn die Wehrpflicht durch Zahlung einer Verwaltungsgebühr vermieden werden kann (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10, 12.11.2014, 5, Rz 19).
Der bisherigen Rechtsprechung der beiden (in Belangen des Asylwesens zuständigen) österreichischen Höchstgerichte – Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof – ist ebenso nicht zu entnehmen, dass diese die Zahlung einer Befreiungsgebühr schon grundsätzlich nicht als geeignetes Mittel zur Umgehung eines verpflichtenden Wehrdienstes bzw. zur Vermeidung einer Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung sehen würden. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt Revisionen gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen, in denen die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der tragenden Begründung abgewiesen wurde, dass dem Asylwerber zur Vermeidung einer ihn treffenden Verfolgungshandlung wegen Wehrdienstverweigerung die Zahlung einer Befreiungsgebühr offensteht (VwGH 08.11.2023, Ra 2023/20/0520, AT:VWGH:2023:RA2023200520.L00; 11.12.2023, Ra 2023/14/0440, AT:VWGH:2023:RA2023140440.L00; 26.02.2024, Ra 2023/20/0200, AT:VWGH:2024:RA2023200200.L00). Der Verwaltungsgerichtshof verlangt (im Gegenteil) vom Bundesverwaltungsgericht eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage der Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr, soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status des Asylberechtigten darauf stützte (VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619, AT:VWGH:2024:RA2023200619.L00). Auch der Verfassungsgerichtshof verlangt in seiner bisherigen Judikatur zwar eine nähere Prüfung, ob es einem Asylwerber bei Rückkehr nach Syrien tatsächlich möglich wäre, sich vom Wehrdienst freizukaufen (VfGH 13.06.2023, E 588/2023, AT:VFGH:2023:E588.2023), schließt die Möglichkeit zum Freikauf als geeignetes Mittel zum Ausschluss einer Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 aber keineswegs grundsätzlich aus.
1.4. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union scheint dem vorlegenden Bundesverwaltungsgericht gleichwohl klar, dass die Zahlung einer Befreiungsgebühr an den Herkunftsstaat – um überhaupt ein taugliches Alternativmittel zur Vermeidung einer Verfolgungshandlung darzustellen – tatsächlich von einem verpflichtenden Wehrdienst (und damit von der Begründetheit der Furcht vor Sanktionen wegen einer Nichtleistung eines solchen) befreien muss. Dies zu ermitteln, ist als Sachverhaltsfrage jedenfalls die Aufgabe der nationalen Asylbehörden bzw. -gerichte.
1.5. Es verbleibt allerdings die grundsätzliche Frage, ob die Zahlung einer Befreiungsgebühr, die dem zur Militärdienstleistung verpflichtenden Staat zufließt, im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Mittel sein kann, dass es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2011/95 zu entgehen, und damit die Annahme einer Verfolgungshandlung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 ausschließt.
In diesem Zusammenhang ließe sich nämlich auch argumentieren, dass dies deshalb nicht anzunehmen sein könnte, weil die Zahlung einer Geldleistung an einen Staat, dessen Militär, in dessen Rahmen der verpflichtende Dienst vorgesehen ist, in einem Konflikt steht, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2011/95 fallen, eine indirekte Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen – durch eine finanzielle Unterstützung des konfliktverfangenen Staats bzw. Militärs – bedeuten würde. Das Bundesverwaltungsgericht gibt dabei allerdings zu bedenken, dass sich in der bisherigen Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (insbesondere dem Urteil vom 26.02.2015, Shepherd, C‑472/13, EU:C:2015:117) keine Anhaltspunkte für ein solch weites Verständnis der „Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen“ finden. Außerdem wäre bei einem derart weiten Verständnis auch ein (ziviler) Ersatzdienst im weitesten Sinne eine – indirekte – Unterstützung für den konfliktverfangenen Staat bzw. dessen Militär.
1.6. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt schließlich nicht, dass nach dem festgestellten Sachverhalt des Ausgangsverfahrens die Zahlung einer Befreiungsgebühr nur jenen syrischen Wehrdienstverpflichteten offensteht, die ihren Herkunftsstaat bereits verlassen haben. Gleichwohl ist durch das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung – und damit Begründetheit der Furcht vor Verfolgung – im gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt vorliegt, weshalb der Frage der Möglichkeit der Ableistung einer Befreiungsgebühr fallbezogen tragende Bedeutung zukommt (s. zu diesem Punkt auch die näheren Ausführungen zu Frage 3.). Es liegt daher keine bloß theoretische Frage ohne Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtstreit vor (vgl. im Gegensatz dazu EuGH 11.06.2024, K, L, C‑646/21, EU:C:2024:487, Rn 66-68, 86).
2. Zur Frage 1.a.)
2.1. Soweit grundsätzlich zu bejahen ist, dass die Möglichkeit der Zahlung einer gesetzlich vorgesehenen Gebühr für einen Wehrdienstverpflichteten ein geeignetes Mittel sein kann, um eine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 auszuschließen, stellt sich dem vorlegenden Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob konkret eine Gebühr, wie sie im Ausgangsverfahren durch den Herkunftsstaat Syrien gesetzlich vorgesehen ist (s. oben Pkt. A.2.4.), ein Mittel darstellen kann, das es einem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a dieser Richtlinie zu entgehen.
2.2. In diesem Zusammenhang bestehen für das vorlegende Gericht insbesondere Zweifel dahingehend, ob einer solcherart ausgestalteten Gebühr ein Strafcharakter (punitiver Charakter) zukommt. So wird sowohl in der Literatur (s. Binder/Haller/Nedwed, Wehrdienstverweigerung als Asylgrund, in: Filzwieser/Kasper [Hrsg.], Asyl- und Fremdenrecht – Jahrbuch 2023, 221 [246]) als auch seitens des UNHCR (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10, 12.11.2014, 5, FN 48) die Ansicht vertreten, dass die Zahlung einer Befreiungsgebühr die Begründetheit einer Furcht vor Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung nicht ausschließt, wenn eine solche Befreiungsgebühr – etwa aufgrund ihrer Höhe – einen punitiven Charakter aufweist.
Im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ließe sich ein solch punitiver Charakter dieser Befreiungsgebühr angesichts ihrer Höhe argumentieren. Allerdings ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass mehrere Gründe dafür sprechen, in der Ausgestaltung der Befreiungsgebühr für im Ausland lebende Syrer keinen punitiven Charakter zu erkennen: Die Gebühr ist nämlich nach der Dauer des Auslandsaufenthalts degressiv gestaffelt und lässt somit keine strafcharakterliche Eigenschaft erkennen (diesfalls müsste sie wohl mit der Dauer des Fernbleibens vom Wehrdienst steigen, weil sich eine Strafe mit der Fortdauer der Strafhandlung tendenziell erhöhen würde). Außerdem geht aus dem festgestellten Sachverhalt hervor, dass laut der Einschätzung verschiedener Organisationen die Möglichkeit der Zahlung der Befreiungsgebühr für im Ausland lebende Syrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen und nicht der pauschalen Bestrafung dieser Personengruppe dient.
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung keine Anhaltspunkte dahingehend erkennen lassen, dass er in der Befreiungsgebühr für im Ausland aufhältige Syrer einen punitiven Charakter erblickt; vielmehr sprach er wiederholt aus, dass das Verlangen des Herkunftsstaates nach einer solchen Leistung „angesichts der festgestellten Kosten nicht als Verfolgung einzustufen“ sei (VwGH 26.02.2024, Ra 2023/20/0200, AT:VWGH:2024:RA2023200200.L00, mwN).
2.3. Es liegt jedenfalls noch keine Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Frage vor, nach welchen Kriterien der punitive Charakter einer Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes befreit, zu beurteilen ist.
3. Zur Frage 1.b.)
3.1. Soweit das vorlegende Bundesverwaltungsgericht mit seiner Frage 1.) wissen möchte, ob die Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, bezieht es sich – wie erläutert – auf die dazu ergangenen Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 26.02.2015, Shepherd, C‑472/13, EU:C:2015:117, und vom 19.11.2020, EZ, C‑238/19, EU:C:2020:945, in denen betont wurde, dass die Wehrdienstverweigerung das einzige Mittel darstellen muss, das es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU zu entgehen.
In diesem Sinne bezieht sich die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofes zu dieser Frage lediglich auf den Tatbestand der Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 2 lit. e dieser Richtlinie.
3.2. Im vorliegenden Fall des Ausgangsverfahrens steht aber auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU im Raum. So droht nach den getroffenen Feststellungen des Ausgangsverfahrens auch eine – zumindest kurze – Haftdauer, in denen der Beschwerdeführer Folterungen ausgesetzt wäre; das Tatbestandselement einer unverhältnismäßigen Strafverfolgung oder Bestrafung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. c der Richtlinie wäre damit erfüllt.
Für den Fall, dass der Gerichtshof der Europäischen Union bejaht, dass die Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie ausschließt, geht das vorlegende Gericht davon aus, dass dies mutatis mutandis auch für eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. c der Richtlinie gelten müsste. Darauf klar hinweisende Rechtsprechung des Gerichtshofes ist allerdings noch nicht vorhanden.
4. Zur Frage 2.)
4.1. Im Ausgangsverfahren lehnt es der Beschwerdeführer ab, die Befreiungsgebühr, die ihn (nach den vorläufigen Feststellungen) von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes für die syrische Armee befreien würde, zu bezahlen, weil er eine gegen die syrische Regierung unter Bashar AL-ASSAD gerichtete politische Haltung hat und diese Regierung sowie den ihr unterstehenden Militärapparat keinesfalls finanziell unterstützen möchte.
4.2. Im österreichischen Schrifttum herrschen divergierende Auffassungen zur Frage, ob es einem Antragsteller im Sinne des Art. 2 lit. i der Richtlinie 2011/95 zumutbar ist, eine Befreiungsgebühr seinem Herkunftsstaat gegenüber leisten zu müssen, wenn er gegen dessen politische Führung bzw. den Militärapparat unter ihrer Leitung politisch eingestellt ist oder grundsätzliche religiöse bzw. moralische Bedenken gegen eine Unterstützung in Form eines Wehrdienstersatzgeldes hat:
4.2.1. In Binder/Haller/Nedwed, Wehrdienstverweigerung als Asylgrund, in: Filzwieser/Kasper [Hrsg.], Asyl- und Fremdenrecht – Jahrbuch 2023, 221 [245 f.], wird die Ansicht vertreten, dass die Tatsache, dass die Befreiungsgebühr unter anderem dem Militärbudget des Herkunftsstaates zufließen kann, es noch nicht rechtfertigt, sie als ungeeignete Alternative zum Wehrdienst für Verweigernde aus Gewissensgründen anzusehen. Derartige Argumentationen würden auch in Zusammenhang mit der Verweigerung von Steuerzahlungen, die dem Militär zugutekommen, nicht anerkannt werden (die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des United Nations Human Rights Committee vom 15.10.2014, CCPR/C/112/D/2179/2012, Young-kwan Kim et al / KOR, Rn 7.3., und Goodwin-Gill/McAdam, The Refugee in International Law, 131).
4.2.2. Demgegenüber vertritt Frühwirth die Auffassung, dass es für einen Antragsteller nicht zumutbar sein könne, durch die Zahlung eines (hohen) Geldbetrags an einen Herkunftsstaat bzw. dessen Militärapparat eine Befreiung von der Militärdienstverweigerung zu erreichen, wenn er eine ablehnende Haltung gegenüber einem bewaffneten Konflikt und dem ihn am Leben erhaltenden (militärischen) Apparat habe bzw. die dadurch zum Ausdruck gebrachte oppositionelle politische Überzeugung Grund für die Militärdienstverweigerung sei. Durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Befreiungsgebühr sei nämlich „der Verweigerung der Militärdienstpflicht als Akt oppositioneller Haltung gegenüber einem verbrecherischen Regime seine Wirkung und Kraft genommen“ (Frühwirth, „Freikaufen“ vom Militärdienst? – Überlegungen zur(Un)zumutbarkeit dieser Befreiungsmöglichkeit im asylrechtlichen Kontext [Teil II], Blog Asyl, 22.12.2023).
4.3. Zu dieser Frage haben sich auch die österreichischen Höchstgerichte noch nicht geäußert (vgl. VwGH 24.04.2024, Ra 2024/19/0179, AT:VWGH:2024:RA2024190179.L00).
4.4. Für das vorlegende Gericht ist damit unklar, ob überhaupt und bejahendenfalls inwieweit eine religiöse bzw. moralische Grundhaltung oder politische Meinung bzw. Überzeugung, aufgrund derer ein Antragsteller die Zahlung einer Befreiungsgebühr nicht leisten möchte, Relevanz für die Frage des Verweises auf die Leistung einer solchen Gebühr zwecks Vermeidung der Verfolgungshandlung entfaltet.
5. Zur Frage 3.)
5.1. Allgemein ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 lit. a und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95, dass bei der Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die „zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag“ relevant sind, sowie gegebenenfalls Ereignisse, die seit der Ausreise des Antragstellers aus dem Herkunftsland eingetreten sind, zu berücksichtigen sind.
Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 verpflichtet, ihre nationale Rechtsordnung so zu gestalten, dass die Behandlung der von dieser Vorschrift erfassten Rechtsbehelfe – zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht – eine „umfassende Ex-nunc“-Prüfung aller tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte durch das Gericht umfasst, die ihm eine Beurteilung des Einzelfalls anhand des aktuellen Standes ermöglichen. Durch den Ausdruck „ex nunc“ und das Adjektiv „umfassend“ in dieser Vorschrift wird hervorgehoben, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beurteilung vorzunehmen, bei der gegebenenfalls sowohl die Anhaltspunkte berücksichtigt werden, die die Asylbehörde berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen müssen, als auch neue Anhaltspunkte, die sich nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung ergeben haben (vgl. in diesem Sinne EuGH 03.03.2022, NB, AB, C‑349/20, EU:C:2022:151, Rn. 54 und 55).
5.2. Dem vorlegenden Gericht scheint daher naheliegend, dass die Prüfung, ob die Ableistung einer Befreiungsgebühr tatsächlich vom vorgesehenen Militärdienst entbindet und diese Gebühr vom Betroffenen auch tatsächlich geleistet werden kann, im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz bzw. im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die behördliche Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz zu erfolgen hat.
In diesem Sinne hat auch der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass es einem Betroffenen – auch finanziell – „im Zeitpunkt der Entscheidung […] tatsächlich möglich“ sein muss, sich vom Wehrdienst freizukaufen (VfGH 13.06.2023, E 588/2023, AT:VFGH:2023:E588.2023; 26.02.2024, E 2592/2023, AT:VFGH:2024:E2592.2023).
5.3. Gleichwohl hegt das vorlegende Gericht an dieser Auffassung insoweit Zweifel, als der Gerichtshof der Europäischen Union – in Bezug auf die Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 – aussprach, dass die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen muss, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen, wobei es darauf ankommt, dass dem Antragsteller in seiner konkreten Situation kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer „zur Verfügung stand“ (EuGH 26.02.2015, Shepherd, C‑472/13, EU:C:2015:117, Rn. 45, und EuGH 19.11.2020, EZ, C‑238/19, EU:C:2020:945, Rn. 28).
Zumindest hinsichtlich eines – eine allfällige Verfolgungshandlung vermeidenden – Verfahrens zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellte der Gerichtshof also auf einen Zeitpunkt ab, der vor der Flucht wegen Verweigerung des Militärdienstes lag. Es ist dementsprechend nicht klar, ob dies auch für die Prüfung der tatsächlichen Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr zu gelten hat – und, wenn dem so ist, auf welchen Zeitpunkt genau abzustellen ist.
5.4. Die Klärung dieser Frage ist dabei insoweit von erheblicher Relevanz, als bei einer Prüfung der tatsächlichen Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr zu einem Zeitpunkt vor der Flucht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vielen Fällen – auch im Fall des vorliegenden Ausgangsverfahrens – Sachverhaltselemente zu berücksichtigen wären, die im behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt nicht oder nicht mehr vorlägen. So hat der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Reise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union jedenfalls über einen Betrag von 9.000,– US-Dollar – und damit einen über die in seinem Fall in Betracht kommende Summe für die Zahlung der Befreiungsgebühr hinausgehenden Betrag – für die Bezahlung seiner Schleppung verfügt.
6. Zur Frage 4.)
6.1. Mit der Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18.01.2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 (in der geltenden Fassung) werden unter anderem Geldflüsse an gewisse natürliche und juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen, die in den Anhängen II und IIa zur Verordnung abschließend angeführt sind, verboten (vgl. Art. 14 Abs. 2 der Verordnung).
6.2. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel, ob und – bejahendenfalls – inwieweit eine Zahlung der in Syrien gesetzlich vorgesehenen Befreiungsgebühr von in Europa aufhältigen syrischen Staatsangehörigen durch die Bestimmungen dieser Verordnung erfasst und dementsprechend verboten ist.
6.2.1. In diesem Zusammenhang stellt sich nämlich zum einen die Frage, ob die Verordnung überhaupt für im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wohnhafte syrische Staatsangehörige gilt:
Gemäß Art. 35 lit. c gilt die Verordnung für Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, innerhalb und außerhalb des Gebietes der Union. Bei isolierter Betrachtung dieser Bestimmung scheint die Verordnung auf einen syrischen Staatsangehörigen, der sich von der ihn treffenden Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes freikaufen will, von vornherein nicht anwendbar. Allerdings gilt die Verordnung gemäß ihrem Art. 35 lit. a im Gebiet der Union einschließlich ihres Luftraums und gemäß Art. 35 lit. b an Bord der Luftfahrzeuge und Schiffe, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen.
Das Verhältnis dieser drei Tatbestände zueinander scheint unklar: Einerseits liegt es nahe, dass ein syrischer Staatsangehöriger – der eine Zahlung zur Ableistung der Befreiungsgebühr leisten möchte – sehr wohl vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst ist, soweit er sich im Rahmen des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz im Gebiet der Union aufhält. Andererseits lässt sich Art. 35 der Verordnung Nr. 36/2012 dahingehend verstehen, dass dessen lit. a und b den räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung regeln, während lit. c bis e auf den persönlichen bzw. sachlichen Anwendungsbereich abstellen. In diesem Fall wäre ein im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats aufhältiger syrischer Staatsangehöriger wiederum nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst. In diesem Zusammenhang stellt sich nämlich die Frage nach dem Zweck der Wendung „innerhalb und außerhalb des Gebiets der Union“ in Art. 35 lit. c der Verordnung, wenn ohnehin alle im Gebiet der Union einschließlich ihres Luftraums aufhältigen Personen gemäß lit. a vom Anwendungsbereich der Verordnung umfasst wären, zumal ansonsten die Wendung „[allenfalls: auch] außerhalb des Gebiets der Union“ ausreichend gewesen wäre. Auch hätte es der Bestimmung des Art. 35 lit. e der Verordnung, wonach die Verordnung für juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen in Bezug auf Geschäfte, die ganz oder teilweise in der Union getätigt werden, gilt, nicht mehr bedurft, sofern davon auszugehen wäre, dass solche Geschäfte bereits gemäß Art 35 lit. a vom Anwendungsbereich der Verordnung umfasst wären, weil sie im Gebiet der Union abgewickelt werden.
6.2.2. Auch wenn im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wohnhafte syrische Staatsangehörige von der Verordnung prinzipiell erfasst sind, stellt sich die Frage, ob es sich bei der in Rede stehenden Befreiungsgebühr überhaupt um „Gelder“ im Sinne der Verordnung handelt. Zweifellos unterliegt der in Art. 1 lit. j der Verordnung enthaltenen Begriffsbestimmung ein weites Verständnis, da „finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art“ umfasst sind und die nachfolgende Aufzählung ausdrücklich nicht abschließender Natur ist; auch aus einem Umkehrschluss aus den Art. 16 bis 16b der Verordnung lässt sich dieses weite Begriffsverständnis entnehmen.
Ob die Abgabe bzw. (Verwaltungs-)Gebühr des Wehrersatzgeldes als „Gelder“ erfasst ist, scheint aber nicht hinreichend klar. So weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass bei einem derartig weiten Verständnis zum Beispiel auch Konsulatsgebühren oder Gebühren für die Ausstellung von Reisepässen und Personalausweisen, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhältige Syrer bei syrischen Konsulaten oder Botschaften entrichten, – vorbehaltlich ihres Zuflusses an in den Anhängen II und IIa angeführte natürliche und juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen – von der Verordnung erfasst sein müssten.
6.2.3. Ungeachtet dieser Frage weist das vorlegende Gericht schließlich darauf hin, dass gemäß Art. 14 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 36/2012 die Zuwendung von Geldern im Sinne des Art. 1 lit. j dieser Verordnung nur an die in Anhang II und IIa zur Verordnung enthaltenen Personen oder Einrichtungen verbietet. Weder der syrische Staat an sich (der in Art. 1 lit. o der Verordnung ausdrücklich normiert ist) noch das syrische Finanzministerium oder – allgemein formuliert – die syrische Staatskasse sind allerdings in diesen Anhängen angeführt, was nahelegt, dass die Bezahlung einer gesetzlich vorgesehenen Befreiungsgebühr für syrische Staatsangehörige mit Wohnsitz im Ausland der Verordnung Nr. 36/2012 nicht zuwider läuft.
Gleichwohl verkennt das vorlegende Gericht nicht, dass mit Art. 1 der Durchführungsverordnung 2012/544 des Rates vom 25.06.2012 zur Durchführung des Artikels 32 Absatz 1 der Verordnung Nr. 36/2012 das syrische „Verteidigungsministerium“ als unmittelbar an der Repression beteiligtes Ressort der syrischen Regierung in den Anhang II dieser Verordnung aufgenommen wurde. Soweit eine bezahlte Befreiungsgebühr diesem Ministerium zugute käme, wäre dies – soweit man im Geltungsbereich der Verordnung im Sinne deren Art. 35 und eine Befreiungsgebühr als „Gelder“ gemäß Art. 1 lit. j anzusehen wäre – verboten.
6.3. Zusammengefasst ist damit unklar, ob die Verordnung Nr. 36/2012 dem Mittel der Bezahlung einer Befreiungsgebühr durch im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aufhältige syrische Staatsangehörige an den syrischen Staat zur Vermeidung einer Verfolgungshandlung entgegensteht.
Lediglich ergänzend weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Beantwortung der Frage 3.) auch Relevanz für die vorliegende Frage entfaltet: Wäre Frage 3.) nämlich dahin zu beantworten, dass hinsichtlich der Prüfung, ob die Bezahlung einer Befreiungsgebühr tatsächlich von der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes befreit, auf einen Zeitpunkt vor der Flucht wegen Wehrdienstverweigerung abzustellen ist, stünde die Verordnung Nr. 36/2012 der Annahme dieses Alternativmittels in Bezug auf syrische Flüchtlinge von vornherein nicht entgegen.
F. Information an die Parteien
Gemäß § 17 VwGVG iVm § 38a AVG darf das Verwaltungsgericht, wenn es dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen vornehmen oder Entscheidungen und Verfügungen treffen, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Eine förmliche Aussetzung des Verfahrens durch einen selbständig anfechtbaren Akt ist nicht vorgesehen. Die Rechtswirkungen des § 38a AVG treten ex lege im Zeitpunkt der Stellung des Antrags ein und dauern bis zum Einlangen der Vorabentscheidung (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38a, Rz 12 [Stand 1.4.2021, rdb.at]).
Eine Bekämpfbarkeit der Antragstellung zur Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union ist in Hinblick auf die unionsrechtlich angeordnete grundsätzliche Kompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Union, über die Vorlageberechtigung zu entscheiden, zu verneinen (vgl. VwGH 22.02.2001, 2001/04/0034 mwN, VwGH 28.10.2008, 2008/05/0129).